Es ist nur völlig irrelevant, wer was möchte und was vielleicht sinnvoll ist. Relevant für die Gerichtsentscheidung ist, ob die Auswahl den Kriterien entspricht, die in der Ausschreibung definiert wurden. Und da waren Kosten extrem schwer gewichtet, mit 50% der Gesamtbeurteilung. Alle anderen Kriterien zusammen auch 50%.
Wobei man aber auch hinterfragen muss, ob SNC die geplanten Kostengrenzen überhaupt einhalten kann. Ich halte das für durchaus zweifelhaft. Mit Kapseln hat man viele Jahre Erfahrung, da weiß man einfach, auf was man achten muss. Bei einem Gleiter ist das nicht unbedingt der Fall.
Der Hauptgrund für die Nichtberücksichtigung von SNC ist aber in meinen Augen ein anderer. Bei den letzten rein privaten Projekten mit der Beauftragung von Neulingen und kleinen Firmen gab es deutliche Verzögerungen und diverse Probleme. Mit der Wahl von Boeing will man sich jetzt offenbar absichern, trotz der höheren Kosten. Sollte SNC nämlich scheitern, bliebe dann nur noch SpaceX übrig, und die haben schon einen beachtlichen Anteil an der unbemannten Versorgung der ISS. Sollte SpaceX in Zukunft mal irgendwelche Probleme bekommen, könnte es durchaus passieren, das sowohl die bemannte wie auch die unbemannte Versorgung der ISS schwer behindert werden. Offenbar ist da der NASA eine größere Differenzierung zwischen den Anbietern sinnvoll.
Dass "Neuling"-Argument macht keinen Sinn. Die etablierten Anbieter wie Boeing oder Lockheed produzieren auch in anderen (Rüstungs-)Programmen Verzögerungen ohne Ende. Da würden mir so Programme wie die F-35 oder selbst die relativ simplen Tanker für die Air Force einfallen. Im Gegensatz zu Boeing gibt es bei SNC ein starkes Commitment für Commercial Crew bzw. überhaupt den kommerziellen bemannten Orbitaltransport an sich. Boeing fängt bei CST-100 genauso auf einem weißen Blatt Papier an wie SNC. Die oft beschworene "Erfahrung" im Bau von bemannten Raumfahrzeugen ist entweder in Rente oder verstorben. Was im Archiv an technischen Unterlagen liegt, kann auch genauso bei der NASA abgerufen werden. In einer früheren Präsentation der NASA war eine schöne Grafik welcher der drei wieviele Unterlagen zu welchem Programm (Gemini, Apollo, Shuttle) bei der NASA abruft. Ergebnis: Alle drei halten sich mengenmäßig im wesentlichen die Waage.
Das wirft dann die Frage auf, ob Boeing wirklich noch so viel im Archiv hat wenn man die entsprechenden Unterlagen bei der NASA anfordert.
Durch den Betrieb und die Wartung der Shuttles (durch die United Space Alliance) kann der Erfahrungsschatz nur als begrenzt angesehen werden. Die Lufthansa kann selbst ja auch kein Flugzeug von Grund auf entwickeln, nur weil sie Flugzeuge betreibt und wartet.
Der Skandal der sich hier eigentlich abspielt ist, dass SNC um den Sieg betrogen wurde. Über die Kriterien und welche für die Praxis besonders relevant sind hat man von der Idee her schon vorher bescheid gewusst. Boeing wurde aber wohl im Nachhinein der Preis zugeschoben - obwohl sie den Kriterien nach die "Schlechtesten" waren.
SNC hat mit solchen Rechtstreits Erfahrung - wenn auch aus anderen Bereichen. Für den LAS-Wettbewerb für Flugzeuge zur Luftnahunterstützung der US Air Force setzte sich SNC zwei mal gegen Hawker Beechcraft durch. SNC bot gemeinsam mit Embraer deren Super Tucano Muster an. Ein gegenüber der Beechcraft T-6 technisch überlegenes Flugzeug, was die wenigsten bestreiten. Entsprechend gewann auch SNC die Ausschreibung, Hawker Beechcraft klagte. Es wurde neu ausgeschrieben. Wieder gewann SNC. Hawker Beechcraft klagte wieder dagegen.... Jedenfalls liefert jetzt SNC doch die Flieger.
Es sollte auch nicht vergessen, dass SNC ein ziemlich großer Player in der Rüstungs-Branche ist. Da das Unternehmen in privater Hand ist, taucht es kaum in den Wirtschaftsnachrichten auf und ist entsprechend wenig bekannt. SNC liefert viel Elektronik und anderes an Regierungsbehörden. Es werden Satelliten gebaut, u.a. Teile für die Mars-Rover gebaut und für die NASA einige Spezialaufträge durchgeführt. So hat man eine WB-57 nach über 40 Jahren in der Wüste komplett restauriert und quasi auf fabrikneuen Stand (wenn nicht besser) gebracht. Diese ist die dritte Maschine im Bunde der NASA-Flotte an WB-57.
Für Interessierte mal ein Video:
Überhaupt lohnt sich ein Blick in den Youtube-Channel von SNC.
SNC ist bei weitem kein Neuling in der Raumfahrt! Dazu sollte nicht vergessen werden, dass bei DC noch Lockheed Martin als Unterauftragnehmer (Konstruktion, Processing + Beratung) mit im Boot ist.... und LM baut immerhin Orion.
Jedenfalls ziehen sich Streitigkeiten dieser und ähnlicher Art durch fast jeden Regierungsauftrag in den USA. Da muss die Anwaltslobby dahinterstecken.
Meine Meinung: SNC stellt kein unverhältnismäßig größeres Risiko dar, als Boeing. Sind bei DC die Risiken technologischer Art, kommen bei Boeing die Untiefen eines sonst "verwöhnten" Rüstungsgiganten ins Spiel. Bei simpleren Programmen schaffen es die "Etablierten" schon Verzögerungen zu produzieren - da wäre eine Verzögerung von 1-2 Jahren bei CST-100 sicher denkbar. Nicht zu vergessen, dass Boeing bisher wenig wirkliche Hardware präsentiert hat. Wo sind Abort-Tests oder wenigstens ein Test des Abort-Schirms? Bisher hat Boeing wenig wirklich greifbares produziert, abgesehen von Papier und ein paar Mock-Ups. Die feierliche Enthüllung von Boeings Mock-Up geschah Jahre nachdem SNC oder SpaceX ihre entsprechenden Mock-Ups präsentierten...
Die technologischen Unwägbarkeiten sind zu meistern. Man nutzt direkt die Erfahrungen des Shuttle und umgeht sehr viele des technologischen Mängel dieses Systems. Es wird vergessen, dass DC insgesamt mehr mit einer Kapsel gemeinsam hat, als dem Shuttle. Der Gleiter wird wie eine Kapsel gestartet und kehrt nur zur Erde zurück wie ein Flugzeug. Tests im Windkanal hat SNC schon durchgeführt und diese haben keine sonderlichen Probleme gezeigt. Der Hitzeschild ist gegenüber dem Shuttle um einige Generationen weiter und kann im Flug entweder von einem Vogel oder im All von Schrott getroffen werden - was an sich auch auf die Kapseln zutrifft. DC hat außerdem ein Launch Escape System und und und...
SpaceX und SNC haben aus meiner Sicht die insgesamt besseren Entwürfe. Boeing bietet einen sehr konservativen Entwurf, was an sich ja in Ordnung ist - ABER: Bei mehr finanziellen Mitteln lieferte man bisher sehr viel weniger handfeste Ergebnisse (Hardware, Tests selbiger). Dazu hat Boeing nicht halbwegs fixe Zeitpunkte für einen Erstflug genannt. Für mich sieht es schwer danach aus, als ob Boeing gut kassiert, aber wenig liefert.
Musk's zynisches Zitat ist für mich blanke Wahrheit: "Wir erreichen für die Hälfte des Geldes, das Doppelte [von Boeing]."