Also wenn ich mal wieder ein paar Leute treffe, die gegen die Raumfahrt meckern, am liebsten alles abschaffen wollen und noch nach schlagkräftigen Argumenten suchen, schicke ich sie hier ins Forum.
Im deutschen Forum Raumfahrer.net scheint es die schärfsten Gegner der bemannten Raumfahrt zu geben!
Hallo Eumel,
für meinen Fall kann ich sagen, dass ich ein glühender Befürworter der bemannten Raumfahrt bin.
Was ich kritisch hinterfrage ist die vielerorts ausgeführte Argumentation der Befürworter bemannter Raumfahrt, da diese häufig aus einer defensiven Haltung heraus erfolgt. Als ob man bemannte Raumfahrt gegen einen allgemeinen Trend bzw. gegen eine vorherrschende Meinung verteidigen müsste.
Somit stellt man sich selbst schon in eine "schwache" Position und ist mehrheitlich in einer "Ja, aber ..."-Position.
Und dies spiegelt sich in den Argumenten für die bemannte Raumfahrt wieder.
Ja, wir wollen die bemannte Raumfahrt, und wir wollen sie expansiv, also wachstumsorientiert zu immer weiteren Zielen für immer mehr Menschen.
Aber weshalb wollen wir das?
Die wenigsten von uns werden je selbst in den Weltraum fliegen, die Erde aus dem Orbit heraus beobachten, die Rückseite des Mondes mit eigenen Augen sehen, einen Sonnenuntergang vom Gipfel des Olympus Mons erleben oder über einen See des Titan paddeln.
Und trotzdem wollen wir leidenschaftlich, dass diese und weitere Ziele von Menschen erreicht werden. Wenn irgend möglich sogar noch in unserer Lebenszeit.
So sieht es zumindest in mir aus. Nur der Realismus bremst meine Erwartungen dafür.
Aber es gibt einen Grund für diesen Wunsch.
Ich habe selbst mal Astrophysik studiert. Die Animation dafür war ein Drang mehr zu wissen und zu erfahren, eine philosophische gefärbte Neugier nach dem "Land hinter dem Horizont", zu erfahren wo wir sind, wer wir sind und, fast der grundlegendste Wissendrang nach dem "warum wir sind".
Diese Neugier halte ich zusammen mit einem Überlebensdrang, nicht nur für meine individuelle Erscheinungsform als Person, sondern für uns als Menschheit und als Leben an sich, für grundlegende Antriebsfedern, fast als naturgegebenen Instinkt.
Und ich bin überzeugt, dass diesen Antrieb die meisten Menschen haben. Auch und gerade die, welche argumentieren, dass bemannte Raumfahrt Ressourcenverschwendung wäre, solange wir hier immense Probleme auf der Erde haben. Daraus spricht ja ebenfalls eine Sorge um das Schicksal der Menschen und der Menschheit und der belebten Natur.
Und hier sage ich: Genau deswegen brauchen wir die bemannte Raumfahrt, sind die jetzigen riesigen Investitionen notwendig. Es ist keine Ressourcenverschwendung, sondern Investitionskapital, vergleichbar der Aufwendung für persönliche Weiterbildung. Auch hier ist der ROI erst zeitverzögert zu bemerken. Und wenn es ist, dass man in 5 Jahren mit dieser Weiterbildung einen Job bekommt, den man ansonsten nicht bekommen hätte. Bin ich in 5 Jahren arbeitslos, habe ich keine Ressourcen mehr diese Weiterbildung zu finanzieren. (-> Beginn des Teufelskreis)
Die Erde mag noch einige Milliarden Jahre die Fähigkeit haben, Leben zu tragen und damit uns Heimat sein. Wir sich unsere Gesellschaft derzeit entwickelt, haben wir aber wohl nur einen deutlich begrenzteren Zeitraum Ressourcen in dieses Zukunftsprojekt zu stecken. In hundert Jahren mag es bereits zu spät sein, mit der bemannten Raumfahrt zu beginnen. Sei es weil die notwendigen Ressourcen ausgeschöpft sind, zu teuer oder wir schlichtweg all unsere Kapazitäten benötigen um in einer sich veränderten Welt (Folgen von Klimaerwärmung, Überbevölkerung, Ressourcenknappheit, Seuchen, Kriege, soziale Konflikte, etc.) irgendwie zu überleben. Eine beliebige Extrapolation der Entwicklung der letzten 200 Jahre in die Zukunft ist nicht vorstellbar ohne bemannte Raumfahrt, ohne dass es an irgendeiner Stelle zu einem Kollaps kommt.
Wir können einige langfristige Folgen heutiger Probleme auf der Erde mit Raumfahrt zumindest in die Zukunft verschieben (Ressourcenknappheiten - auch wenn wir dafür selbst erst mal Ressourcen aufwenden müssen - vergleiche oben genannte "Weiterbildungsthematik"). Der erdnahe Raum kann ein erweiterter Wirtschaftsraum sein, welcher auch weiter ein Wirtschaftswachstum sichern kann, ohne dass dies in einen Kollaps führt.
Kann! Muss nicht! Aber es nicht zu versuchen, wird uns ganz sicher mittelfristig an einen Kollaps führen. Ein Wachstum wie wir es für zur Haltung unseres Lebensstandards benötigen, ist nicht beliebig in die Zukunft hinein denkbar OHNE Raumfahrt, ohne den Raum (in mehreren Definitionen) für dieses Wachstum ebenfalls zu erweitern.
Wenn wir an dem Punkt angekommen sind, dass weiteres Wachstum aufgrund der Begrenztheit unseres Planeten nicht mehr möglich ist, wird es womöglich zu spät sein, mit der Raumfahrt zu beginnen.
JETZT ist der richtige Zeitpunkt.
Darüber hinaus ist es auch in anderer Hinsicht unser Drang und eine Notwendigkeit für uns zu wachsen: in mentaler und geistige Hinsicht!
Auch hier bietet die Erde bei aller Vielfalt nur einen begrenzten Erfahrungsraum.
Was erfahren Menschen und Gesellschaft mit ganz anderen Horizonten? Was können wir von diesen lernen? Wie entwickelt sich eine Gesellschaft in einem Zero-G-Habitat? In einer Mond- oder Mars-Kolonie, mit ihren ganz anderen Erlebniswelten?
Als gemeinsame Menschheit, können wir so unseren Erfahrungshorizont in wissenschaftlicher, künstlerischer, kultureller, soziologischer, technischer und vieler anderer Weisen erweitern. Auch dies wird uns helfen unsere derzeitigen Probleme auf der Erde zu lösen.
Gerade der enge Horizont schafft viele unserer Probleme erst. Es ist wünschenswert und notwendig diesen soweit es geht zu erweitern, zu erleben und erfahren, was die Generationen vor uns nicht erfahren haben, nicht erfahren konnten.
Das ist MEINE Vision für die bemannte Raumfahrt:
Wenn wir als Menschheit sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich und kulturell langfristig überleben und dabei sogar wachsen wollen (in jeder Hinsicht!), brauchen wir die bemannte Raumfahrt so dringend wie saubere Luft, Wasser, Nahrung und Liebe.
Man kann über die Reihenfolge der Schritte diskutieren, aber nicht darüber, dass wir grundsätzlich (weiter voran) schreiten sollten, um nicht in unseren Urschlamm zurück zu fallen. Und zwar genau jetzt, wo wir die Möglichkeiten haben, die Voraussetzungen dafür zu schaffen.
... kurz gesagt!