In dem Punkt werden wir nicht einig. Die Vulcain wurde vom ersten Test bis zum ersten Flug mit Sicherheit auch stark verändert. In dem Sinne kann man die Tests aller Merlin-Versionen auch aufaddieren. Dazu kommt, daß bei jedem Stufentest 9 bzw für die ganze Rakete 10 Triebwerke laufen, das addiert sich schnell auf. Und daß Bodentests nicht alles sind, schreibst du ja selbst. Der erste Flug war ein Fehlschlag.
Wenn man danach geht, könnte man auch ALLE Tests des Vulcan 1 und Vulcan 2 aufaddieren, da sieht es für das Merlin nur noch dunkler aus. Auch wenn man alles zusammenrechnet hat man das Merlin lediglich weniger als ein Zehntel der Zeit getestet, die bei anderen Triebwerken (RS-68, Vulcan) üblich ist. Egal wie man es dreht und wendet, zumindest aktuell ist das Merlin ein eher unzuverlässiges Triebwerk. Bei 5 F9-Flügen und 45 Erststufen-Merlins sind 2 Triebwerke ausgefallen. Beim Vulcan sind dagegen von 69 Triebwerken erst 1 ausgefallen, beim RS-68 von 33 Triebwerken 0.
SpaceX gibt die Lebensdauer ja selbst nur mit der 4fachen Einsatzzeit (4:1) an, grundsätzlich ein sehr niedriger Wert. Triebwerke für unbemannte Träger haben meist eine Lebenszeit von über 10:1, Einwegtriebwerke für bemannte Missionen (F1, RD-172) sogar noch deutlich länger. Beim Space Shuttle hatte man am Anfang Booster mit F1-Triebwerken geplant, die 10x eingesetzt werden sollten, bei Energia war ähnliches geplant. Die Lebensdauer dieser Triebwerke dürfte deutlich über 10:1 liegen, eher im Bereich 30:1 - 40:1.
Jetzt die kritische Frage, wenn SpaceX schon eine Lebensdauer von nur 4:1 angibt, wie verhält es sich dann tatsächlich beim Merlin 1D? Dieses Triebwerk ist deutlich leichter, hat aber deutlich höheren Schub und wird durch den weitaus höheren Brennkammerdruck auch weit höher belastet als das alte Triebwerk. SpaceX gibt für dieses Triebwerk ein Rekord-Schub-Gewichts-Verhältnis von 150:1 an, was nicht einmal die hochentwickelten russischen Hauptstromtriebwerke erreichen. Wenn man sieht, wie vorsichtig SpaceX dieses Triebwerk testet, dann liegt die Vermutung nahe, dass es selbst mit der Lebensdauer von 4:1 nicht weit her ist.
Sämtliche Experimente zum Thema Wiederverwendbarkeit sind damit äußerst fragwürdig. Grundsätzlich geht es ja bei der Wiederverwendung vor allem um die Triebwerke, die der teuerste Teil der Stufe sind. Gelingt es, die Triebwerke zu bergen, ohne dass sie hocherhitzt ins stark korrosive Salzwasser fallen, ist das tatsächlich ein gewaltiger Schritt hin zu einer kostengünstigen Wiederverwendung. Aber dafür ist die Lebenszeit des Merlin 1D zu gering. Ein Triebwerk mit einer Lebenszeit von 4:1 kann man maximal 2x einsetzen, ehe man es ersetzen muss. Für die Stufe allein lohnt sich der ganze Aufwand aber nicht. So kostet die Ausrüstung für Rückführung und Landung gewaltig Nutzlast, immerhin kommt nicht nur die Hardware für die Landung selbst dazu, auch die Struktur des Trägers muss deutlich verstärkt werden, damit er den Belastungen beim Wiedereintritt stand hält. Dadurch verteuert sich die Stufe nicht unbeträchtlich. Natürlich muss die Stufe nach der Landung auch noch einmal gründlich durchgeprüft werden, ehe man sie wieder fliegen lassen kann, was ebenfalls ins Geld geht. Ich persönlich glaube nicht, dass sich das finanziell lohnt. Das wird am Ende teurer, als immer neue Stufen mit höherer Nutzlast zu verwenden.
Mir erschließt sich auch nicht, wie man einen Träger als Man-Rated propagieren kann, obwohl dessen Triebwerke eine deutlich geringere Lebensdauer als die sonst für unbemannte Einweg-Träger eingesetzten Triebwerke haben. Das Risiko für einen Triebwerksausfall ist hier grundsätzlich höher, zum einen wegen der schieren Anzahl der Triebwerke, zum anderen wegen der Unzuverlässigkeit und geringen Lebensdauer der Treibwerke. Auch die Engine-Out Capability hilft nicht immer, fällt ein Triebwerk kurz nach dem Abheben aus, stürzt die Rakete ab. Da hilft dann nur noch das Rettungssystem, um die Crew zu retten. Angesichts des sonstigen Sicherheitswahns bei der NASA gibt es eigentlich nur einen Grund, einen Träger wie die Falcon 9 überhaupt als bemannt in Erwägung zu ziehen: Man will unter allen Umständen eine Konkurrenz zu ULA. Das sieht man auch am ganzen COTS-Programm, wo alle etablierten Anbieter außen vor blieben, obwohl sie vernünftige Angebote mit bewährten Kapseln und Trägern vorgelegt haben. Stattdessen wurden Neulinge ausgewählt, die kaum etwas vorzuweisen hatten, mit beachtlichem Risiko für die Versorgung der ISS.