Saljut 7 (Salyut 7)
Ich habe mir den Film 2mal angesehen, bevor ich hier eine Bewertung abgeben möchte.
Film – Bonusmaterial und nochmal Film.
Ich bin in meiner Bewertung ganz klar „geteilt“!
Zum einen – die doch offensichtliche „Hollywoodstile“ Zusatzdramaturgie, die mit den realen Hintergründen, wie wir sie zu kennen glauben, wenig zu tun hat, gefällt mir an dem Film nicht.
Spannung kann man auch ohne Action mit Kopfkino aufbauen. Das hat mich irgendwie an die Neuverfilmung von „Ekipasch“ erinnert, wo nur noch, im Gegensatz zum alten Film Special Effects da sind – im alten Film aber über die Personen und auch deren unglaubliche Handlungen (Flugzeug im Flug zusammenflicken) eine tragende Spannung aufgebaut wird.
Zum anderen – die Umsetzung, handwerklich-technisch wie schauspielerisch hat mir insbesondere beim 2ten mal Ansehen doch sehr gefallen. Da haben die sehr ausführlichen Informationen/Darstellungen im Bonusmaterial den positiven Ausschlag gegeben.
Daher will ich hier auch beide Eindruckseiten beleuchten.
Zum Film/Handlung:
Ich denke, dass es sehr viele Anspielungen in den Dialogen gibt, die man ohne sowjetisch/russisch/gesellschaftlichen Hintergrund nicht erkennt bzw. versteht. Anspielungen Gorbatschow Ära etc. scheine ich zu erahnen.
Zu Beginn wird der Zuschauer in die vorhergehenden Arbeiten in und an der Station in die Handlung eingeführt. Eine emotionale Stresssituation wird „konstruiert“ um den Haupthelden erst mal in eine Abseitsstellung zu bugsieren, aus der ihn die kollektive Not wieder herausholt und der er potentiell auch schlussendlich zum menschlichen Opfer fallen könnte. Die Gedanken, Nöte und Unbedarftheit der Lieben daheim stellen einen Gegenpart zur Herausforderung und Pflichterfüllung für „echte Männer“ dar (die Töchter bekommen).
Der Hauptheld kehrt erst mal nach Hause zurück, ohne dort anzukommen. Der Aschenbecher – Katzen- Gravitationseffekt veranschaulicht das auch physikalisch.
Um den zweiten Handlungsabschnitt einzuleiten wird der Ausfall der Station durch kosmische Teilchentreffer erst mal nur angedeutet und ins Dienstbuch eingetragen.
Vorahnungen und böse Träume gehören seit Solaris ja zur klassischen Vorbereitung auf das Drama – so auch hier. Da fühlt man sich auch irgendwie an Gravity erinnert.
Die Zwischenauftritte der S . Sawitzkaja habe ich erst beim 2ten mal ansehen kapiert – ohne die Erklärungen des Bonusmaterials – keine Chance. Das sind so Themen, die in Romanen einen guten Bogen spannen – im Film erkennt man das aber nicht gleich.
Dann der Komplettausfall mit erwartungsgemäßen „Managementproblemhinweisdialogen“.
Nun wird die dramaturgische Ergänzung über amerikanische Spannungsbogen aufgebaut.
Ideologische Diversion und die Verkündung von (Gegen)Normalität – wer die 1980er erlebt hat, kennt das ja noch.
Mit den Informationen über eine bevorstehende Shuttlemission ist eine kurzfristige Handlung zur Lösung des Problems als Rahmen gesetzt.
Die Referenz zu einem französischen Spationauten, der auch Saljut 7 kennt, ist bei Fiktionen, bei denen grundsätzlich reale Einzelfakten in einem anderen Kontext dargestellt werden, ja ein übliches Mittel um eine glaubwürdige Verschwörung zu konstruieren. Der Spationaut ist auf dem ersten Dia leider seitenverkehrt dargestellt, zumindest CNES und FRANCE – aber der Name ist richtig lesbar.
Im französischen Forum hatte Serge Gracieux zum 30. Jahrestag der Havarie von Saljut 7 mal etwas zu einem Aprilscherz, der in dieser Thematik auf ihn zurückgehen soll geschrieben. Am Ende eines bis dahin seriös geführten Interviews hatte er da professionelle Phantasie entwickelt und neben einem Demontageablauf auch eine Darstellung eines Shuttle-Saljut-Dockingadapters dargestellt.
Im folgenden Link etwas runterscrollen – da sieht man den Text und die Bilder.
http://www.forum-conquete-spatiale.fr/t18631-mockumentaire-sur-la-capture-de-saliout-7-par-les-usa-en-1985In wieweit das der Ursprung oder Katalysator dieser Verschwörungstheorie ist – wer weiß das schon.
Im Weiteren werden die Darsteller im Film durch die Verkündung von Normalität bezüglich der Raumstation in den Nachrichten darauf aufmerksam gemacht, dass etwas nicht stimmt. Tja, wenn Selbstverständlichkeiten erwähnt werden müssen…
Dialektisch wird diese Szene mit einer Frage zur Normalität des Stuhlgangs höchster Helden und Würdenträger aus dem Kindermund abgerundet.
Nun folgen die klassischen Komplikationen – aus denen erst mal „Zwischenhelden“ hervorgehen und einen ersten Etappensieg erringen.
Ein paar schlechte Übersetzungen haben sich bei der Synchronisation eingeschlichen. Z.B. „die Andockluke wird ausgefahren“ – wo die Spindel der Kopplungsstange rausfährt.
Der erste erfolglose Kopplungskontakt ist dynamisch glaubhaft dargestellt und nach einsamer Vorortentscheidung klappt auch das finale Docking.
Nach dem „Betreten“ der Station ist die Vereisung auch sehr übertrieben – wird aber mit dem Zerbrechen eines Wasserbehälters wenigstens begründet.
Dann hat der Ingenieur seinen Auftritt – mit pragmatischen Ideen, Gedankenblitzen und deren praktischer Ausführung wird die Station erst mal flott gemacht.
Die zwischenzeitliche Darstellung der wabbernden Wasserkugeln ist von der Grafik her wohl eine der Höhepunkte. Aber schon naht die Katastrophe…
Vorher aber noch ein Schluck Wodka aus dem Versteck (ist ja kein Polizist in der Nähe) und dann geht es weiter.
Klassisch muss zur Verkomplizierung eine „Postentrennung“ erfolgen, welche durch ein EVA zur Sonnensensorinspektion eingeleitet wird. Da kein LKW reingefahren ist, wird wohl ein Asteroid als Schadensursache vermutet.
In der Station dann Havarie, die nur durch EVA des 2. Kosmonauten auf wundersame und knappest vorstellbare Weise überlebt wird. Da Sojus Raumschiff stark beschädigt und keine normale Rückkehr mehr möglich, natürlich dramaturgischer Höhepunkt unter Einbeziehung der Frauen, Kinder und S. Sawitzkaja als Vorbotin einer schlechten Nachricht.
Nach der vermeintlichen Verabschiedung in den Heldentot (ja den gab es zu allen Zeiten in allen Gesellschaften) dann der Abschlusskonflikt der Hauptdarsteller, vorgewürzt mit der zufälligen Beobachtung des Shuttlestarts – was das Finale mit der Notwendigkeit eines letzten Aufbäumens einleitet.
Da keine Feile von Feilowitsch da war, lösten die Russen das Problem mit dem Hammer – wobei actio = reactio noch versinnbildlicht wird und damit der Sonnensensor und gleichsam die Station wiederbelebt werden kann.
Da das Shuttle nun schon gestartet ist, darf es auch noch vorbeischauen um nach dem rechten zu sehen und militärisch zu grüßen. Danach wird sogar noch eine Lösung zur glücklichen Heimkehr aufgezeigt. Also klassisches Happy End.
Kritik:
Bei der Außenbordszene zu Beginn – S. Sawitzkaja hat auf den zeitgenössischen Fotos immer den Orlan mit den roten Streifen (im Film blau).
Die Kosmonauten sitzen im Sojus Raumschiff auf dem mittleren und rechten Sitz. In den Dokumentationen über die Vorbereitungen zur Rettung von Saljut 7 – Mission Sojus T13 war der rechte Sitzplatz frei und mit den zusätzlichen Navigationshilfen belegt.
Ich habe bis zum Schluss auf eine Darstellung des Dschanibekow-Effekts gewartet. Wäre bei den Reparaturszenen doch passend gewesen.
https://de.wikipedia.org/wiki/Dschanibekow-EffektOder soll der kleine Gag mit der Küchenschabe, die durch sie Station schwebt und auch so eine Art Überschlagsfolge macht, bis sie auf der Kamera ankommt und wegkrabbelt, dieser Hinweis sein?
Das Shuttle zum Schluss mit amerikanischer Ehrenbezeichnung… na ja.
Filmmusik:
Trava u Doma – als Raumfahrthymne darf nicht fehlen und passt ja sehr gut in die Zeit 1985.
Das Lied gewann die „Song des Jahres“ Veranstaltung 1983 und war damals sehr populär. Im Internet kann man das 1983er Finale ansehen „Песня 83“, wo sogar eine Schaltung nach Berlin zu einem Auftritt von „Hauff und Henkler“ mit einem deutschen Beitrag stattfand.
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Harlekino von Alla Pugatschowa – gerade als das Licht in der Station wieder angeht startet der Kassettenrecorder mit dem Refrain dieses Liedes. Vom Inhalt her ja passend
„…ich eile ins Manegenlicht und dann, ein Harlekino zeigt was er kann…“-
Eine Musikpassage in der Zwischendarstellung der Station hört sich so ähnlich wie bei Interstellar die Docking Scene an. Würde ja bei einer rotierenden Station, an die man andocken muss passen.
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Schiffe von W. Wyssozki (einer der größten Liedermacher der sowjetischen Ära).
„…Alle kommen wieder zurück, außer die besten Freunde…“Stellt einen passenden Abschluss dar – Schwermut – der russische Blues und schwere Aufgaben sind gleichermaßen zu bewältigen. Viele seiner Lieder wurden nur über Kassetten mit der Überspielung der Überspielung der Überspielung weitergegeben (Samisdat). Mit 1:1 Kopie wie „heute“ hatte das damals wenig zu tun. Ein 50 Hz Brummen war auch normal.
Im Bonusmaterial ist der Einsatz der Computergrafik, künstliche Darstellungen etc. sehr gut erklärt. Das ist wirklich ein Mehrwert. Vor allem wenn man das nach dem Film erst ansieht kommt das zum Tragen. In Zeiten von augmented reality wird es ja auch für lebensnahme Anwendungen immer schwerer eine klare Trennung selber zu erkennen bzw. was ist nicht natürlich-real.
Die Außendarstellung der Station/Raumschiff ist sehr detailliert und man findet sehr viele Ansätze da nochmal was „nachzusehen“. Die EVA Aus/Einstiegsluke sieht aber nicht wie erwartet aus.
Beim „Making of“ gibt es zum Schluss einen Übergang von einer Außenbordszene, bei der sich über die Töchter unterhalten wird zur Darstellung der Stachelhelme und der „Zwangsjacken“ mit immer stärkerer Überblendung der Realität bis zum Produktionstem - ist auch ein schöner Einfall.
Hier ab 11.40 min.
https://vimeo.com/253797360Hat mich an meine Kindheit – den Abspann von „Robbi, Tobbi und das Fliewatüüt“ erinnert – da steht das gesamte Produktionsteam auch zusammen in der Halle.
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Kann ich eine Empfehlung für den Film aussprechen?
Im Gesamtpaket DVD mit Zusatzfeatures, Making of, hinter den Kulissen etc. ja.
Wenn ich nur den Film im Kino angesehen hätte –wäre ich enttäuscht gewesen.
dksk