Jetzt habe ich zum Mars Base Camp auch noch ein sog. White Paper von Lockheed Martin gefunden.
Hallo Rücksturz. Das pdf-Dokument hatte ich eigentlich bereits in Post #1491 verlinkt, aber über die Inhaltszusammenfassung freue ich mich trotzdem schon, denn die Resonanz zum verlinkten Dokument war bisher mau....
Den Link in deinem Post hatte ich tatsächlich übersehen, wie vielleicht andere auch.
https://lockheedmartin.com/content/dam/lockheed/data/space/photo/mbc/MBC_Updates_IAC_2017.pdfGenerell wundert es mich auch etwas, dass dieses Projekt noch so wenig Aufmerksamkeit erfährt.
Es ist natürlich (noch) kein offizielles Projekt der NASA oder eines internationalen Verbunds von Raumfahrtagenturen, aber in der Sache und bezüglich der Reife des Konzepts auf jeden Fall einen Blick wert.
Angesichts der Aufmerksamkeit, die das Konzept von SpaceX erhält verwundert das um so mehr, da man Lockheed Martin sicherlich nicht absprechen kann, dass sie wissen wovon sie sprechen bzw. schreiben.
Der Ansatz ist natürlich ein anderer, eher konservativer.
Wobei sich das vor allem darauf bezieht nicht alles neu entwickeln zu wollen, sondern das zu nutzen was bereits existiert bzw. schon weitgehend beherrscht wird.
Da Lockheed Martin der Hauptauftragnehmer für die Orion-Kapsel ist, verwundert es nicht, dass das Multi-Purpose Crew Vehicle auch wichtige Funktionen beim Mars Base Camp (MBC) übernimmt.
Das sog. Mars Base Camp ist eine Kombination aus Habitat, Transportraumschiff zum Mars, Orbitalstation im Marsorbit, Forschungsplattform für bemenschte Missionen zum Phobos und Deimos, Ausgangspunkt und Steuerplattform für robotische Mars-Exploration und letztlich auch Ausgangspunkt für multiple, kurze bemenschte Marslandungen (ggf. auf späteren Missionen).
Es soll in der Erdumlaufbahn (bzw. cis-Lunar) zusammengebaut werden.
Die Besatzung (zunächst 6 Personen) wird mit zwei Orion-Kapseln dorthin gebracht.
Die Orion-Kapseln werden u.U. auch während des Flugs zur Bereitstellung von Avionic bzw. für Ausflüge zu Phobos/Deimos gebraucht.
Vorstellbar ist eine erste Mission bereits zum 2028-Startfenster, wenn auch noch ohne bemenschte Marslandung.
Nach der Rückkehr des Transfer-Teils des Mars Base Camp zur Erde (cis-Lunar, DSG) dienen die Orion-Kapseln der Mannschaft als Rückkehrvehikel zur Erde.
Bei nachfolgenden Missionen sollen mit einem wiederverwendbaren Lander diverse Missionen zur Marsoberfläche geflogen werden.
Im Marsorbit soll der Lander wiederbetankt und für die nächsten Einsätze fit gemacht werden.
Ggf. kann Treibstoff über ISRU gewonnen werden.
Ein besonderer Vorteil dieses Konzepts ist die Möglichkeit jederzeit im Falle eines größeren Problems vom Marsboden zum Mars Base Camp starten zu können (abort to orbit) und dort bis zum nächsten Startfenster zur Erde warten zu können.
In dem oben verlinkten pdf-Dokument werden auch die wichtigsten Grundsätze des Konzepts benannt.
- jede Mission soll die Grundlagen für die nächste liefern bzw. bereitstellen
- Wiederverwendung möglichst vieler Teile, um Ressourcen zu sparen und die Verfügbarkeit zu erhöhen
- Ausnutzung, Erweiterung vorhandener Technologien (z.B. SLS und Orion, Erfahrungen mit Habitaten etc.)
- Crew safety, Vermeidung von Single-Point-of-Failures, deshalb Redundanz bei allen wichtigen Einrichtungen (2 Orion, 2 Habitate, 2 Lander etc.)
- zwar NASA-geführt aber mit starker internationaler und kommerzieller Partnerschaft; kommerziell zur Verfügung gestellte Dienstleistungen sind zu bevorzugen
Am Deep Space Gateway (DSG) sollen die Fähigkeiten des MBC demonstriert und getestet werden, z.B. Telerobotik, Sample Return (Materialrückführung), Solar Electric Propulsion (solarelektrische Antriebe, SEP).
Ggf. auch Untersuchung von Material, das von der Oberfläche (DSG: Mond; MBC: Phobos, Deimos, Mars) eingesammelt wurde.
Herausgestellt wird der Vorteil der Prozessplanung und Abwicklung von Sample-Return-Missionen durch Astronauten aus dem Orbit im Gegensatz zu fernrobotischen Missionen wie z.B. Spirit oder Couriosity, die von der Erde aus gesteuert werden müssen.
Außerdem kann am DSG der Betrieb und Wartung einer Station geübt werden, bei der es keine Rückfall- bzw. Rückkehroption innerhalb weniger Stunden zur Erde gibt.
Außerdem kann hier der 3D-Druck von Ersatzteilen geübt und genutzt werden, anstatt diese von der Erde hochzuschicken.
Mit dem Power Propulsion Element (PPE) des DSG wird ein 40 kW-SEP getestet.
Dieses und andere Vorläufer der Technologieen, die insbesondere für die Platzierung von Teilen des MBC im Marsorbit vor dem Eintreffen der Astronauten notwendig sind (Versorgungsgüter, Lander, EVA-Module etc.), werden mit dem DSG getestet.
Nach der ersten MBC-Mission, die "nur" im Marsorbit unterwegs sein soll, könnten danach Missionen mit mehreren Landungen mit Astronauten auf dem Mars erfolgen (MBC-S, Mars Base Camp with Surface Sortie).
Die wiederverwendbaren Lander sollen im Marsorbit an das MBC andocken und nach der Rückkehr von der Marsoberfläche dort wieder aufgetankt werden.
Die Treibstoffversorgung soll über die Elektrolsyse (aus Solarstrom) von Wasser in H
2 und O
2 erfolgen.
Zunächst soll das Wasser (idealerweise durch kommerzielle Partner) von der Erde gebracht werden, mittelfristig durch ISRU von den Marsmonden bzw. vom Mars selbst gewonnen werden.
Auch diese Treibstoffproduktion könnte über kommerzielle Dienstleister erfolgen.
Die fünf Phasen einer MBC-S Mission:
A. Vorbereitung der MBC-Hardware beim DSG, mit tanken der zwei kryogenen Antriebsstufen (LH
2 und LO
2)
B. Vorbereitung der Elemente die von früherer Mission im Marsorbit verblieben sind (Labormodul, zentraler Verbindungsknoten, Deimos/Phobos-Exkursionsvehikel, SEP-Antriebsstufen und Solarpaneele), mit Anpassung des Orbits;
Transfer der Lander (MADV, Mars Ascent/Descent Vehicle) und von Treibstoffdepots von der Erde in den Marsorbit (ggf. mit SEP) und Docking mit den dort verbliebenen Elementen des MBC.
Von der Erde sollen die MADV jeweils mit einer SLS Block 1B gestartet werden.
C. Start der Crew zum MBC-Transfervehicle und Flug zum Mars, Andocken an die anderen Komponenten des MBC
D. Marslandungen
E. Rückkehr zur Erde
Wobei üblicherweise das MBC-Transfervehicle mit den zwei Orions am DSG andockt und von dort die Rückkehr mit den Orions erfolgt.
Die Orions sind aber so ausgelegt, dass sie auch die Eintrittsgeschwindigkeiten und Trajektorien für eine direkte Rückkehr zur Erde bewältigen können.
D.h. sollte das Einbremsen des MBC-Transfervehicels in den Erdorbit/Lunarorbit scheitern bzw. nicht möglich sein, können die Orions selbst entsprechend einbremsen und landen.
(Eintritt in die Erdatmosphäre mit bis zu 11,5 km/s Geschwindigkeit).
Das Nachtanken der kryogenen Antriebsstufen des MBC-Transfervehikels beim DSG soll durch kommerzielle Anbieter erfolgen.
Wobei zwischen "Tank-Farmen" und den kryogenen Antriebsstufen unterschieden wird.
Die Tank-Farmen werden aktiv gekühlt, die kryogenen Antriebsstufen nicht.
Die kryogenen Antriebsstufen werden daher erst kurz vor dem Abflug zum Mars befüllt.
In dem pdf-Dokument ist eine große Grafik des kompletten Missionsablaufs einer MBC-S-Mission enthalten.
Interessanterweise werden stellvertretend für die kommerzielle Beteiligung bei unbemenschten Tanker- und Versorgungsflügen Delta IV Heavy, Ariane 5 und Falcon Heavy dargestellt.
Als Vorteil der zunächst auf ca. zwei Wochen angesetzten Kurzausflüge zur Marsoberfläche wird der geringere Aufwand für die Versorgung und Vorablieferung von Ausrüstung gegenüber einem Aufenthalt von ca. einem Erd-Jahr auf der Marsoberfläche genannt.
Alles was die Crew braucht wird im Lander mitgebracht.
Bei einer MBC-S-Mission sind mehrere Ausflüge an unterschiedliche Landeorte auf der Marsoberfläche möglich, dadurch kann die wissenschaftliche Ausbeute vergrößert werden.
Insgesamt sind die Kosten niedriger.
Außerdem ergeben sich mehrere Sicherheits-Vorteile:
- die Landegenauigkeit muss nicht sehr hoch sein (statt vorplatzierte Versorgungsgüter "zu treffen")
- Abbruchmöglichkeit zu jeder Zeit (Rückkehr zum MBC)
- mit zwei Landern besteht sogar die Möglichkeit eine auf der Marsoberfläche gestrandete Crew zu retten (das setzt allerdings wieder eine hohe Landegenauigkeit des zweiten Landers voraus)
Weiterhin ergibt sich eine größere Flexibilität, da die Landeorte der einzelnen Ausflüge relativ kurzfristig ausgewählt werden können.
Einen polaren Orbit des MBC vorausgesetzt, kann praktisch jeder Punkt der Marsoberfläche erreicht werden.
Dadurch können verschiedene potentielle Standorte für spätere, längerfristige Außenposten untersucht werden.
Die Lander arbeiten ausschließlich mir H
2/O
2.
Verdampfendes LH
2/LO
2 wird zur Energieerzeugung (es wird mit Verbrennungsmotoren mit Generator geplant, Brennstoffzellen als Backup-Option) und als Wasserversorgung genutzt.
Die Anzahl der Landungen bei einer MBC-Mission hängt daher hauptsächlich von der Menge verfügbaren Treibstoffs ab.
Die Tank-Farmen die das MBC-Transfervehikel mitführt reichen entweder für zwei Ausflüge zu Phobos/Deimos (wie bei der ersten MBC-Mission vorgesehen) oder für eine Landung des MADV zur Marsoberfläche und zurück.
Für weitere Landungen soll Treibstoff über die Elektrolyse aus Wasser bereitgestellt werden.
Zunächst soll dieses Wasser von der Erde kommen und mit autonomen Wassertankern (autonomous Water Delivery Vehicle WDV, mit SEP als Antrieb) geliefert werden, die idealerweise von kommerzielln Partnern betrieben werden.
Die Lander sind als Liftingbody ausgelegt, nutzen supersonic retro propulsion (SRP, analog zu den landenden Erststufen der Falcon 9), landen vertikal und stehen dann auf vier Landefüßen.
Der Lander hat betankt 100 t oder mehr und soll komplett wiederverwendbar sein.
Daher scheiden Fallschirme oder ähnliches aus.
Der Lander dient auf der Marsoberfläche als Habitat und Basis für 4 Astronauten.
Die Energieversorgung erfolgt durch das verdampfende LH
2/LO
2, welches ansonsten für den Rückflug zum MBC in den Tanks verblieben ist.
Der Rückstart erfolgt mit den gleichen Triebwerken wie bei der Landung als Single-Stage-to-Orbit.
Wichtig ist, dass alle Verschleißteile (z.B. Luftfilter) problemlos durch die Crew vom MBC aus getauscht werden können.
Maximale Wiederverwendung bei minimalem Wartungsaufwand ist das Ziel.
Der Thermoschutz für die Landungen muss daher dauerhaft ausgelegt sein.
Das ganze Konzept basiert ausschließlich auf H
2/O
2-Antrieben (auch für RCS) und benötigt ggf. Wasserlieferungen, um mit Elektrolyse Treibstoff herzustellen.
Neben dem höchsten Isp chemischer Antriebe reduziert es die Kosten für den Transport (von Wasser, statt verflüssigter Treibstoffe).
Außerdem ermöglicht es zukünftige Treibstoffgewinnung aus Wasser (Marsmonde, Mars etc.)
Das MADV soll 6 Triebwerke (weiterentwickelte RL-10) als Haupttriebwerke bekommen.
Wenn ich dieses Konzept mit dem Vorschlag von SpaceX vergleiche, fällt auf dass Elon Musk mehr "vom Ende her denkt", d.h. er plant eine Besiedelung des Mars und fragt sich was braucht man dafür.
Das Konzept von Lockheed Martin geht den umgekehrten Weg und fragt, wo sind wir und wo wollen wir hin?
Daher baut es auf vorhandenem auf (SLS, Orion), nutzt bereits in Planung befindliche Technologien (DSG), geht einen Schritt für Schritt Ansatz und stellt den wissenschaftlichen Output in den Fokus.
Wenn es konsequent verfolgt wird erscheinen mir die zeitlichen Ziele erreichbar.
2028 eine Mission zum Marsorbit und ggf. zu Phobos und Deimos und bei der übernächsten passenden Planetenkonstellation eine Mission mit mehreren Ausflügen zum Marsboden erscheinen mir machbar.
Mit weiteren Missionen können die Aufenthaltsdauern auf dem Marsboden verlängert werden, um dann irgendwann in dauerhafte Präsenz überzugehen.
Insoweit könnten sich die beiden Konzepte sogar ergänzen, das Mars Base Camp dient für Pfadfindermissionen, um geeignete Landeplätze für nachfolgende Missionen mit BFR/BFS zu finden und vorzubereiten.
Problematisch könnten die Kosten werden, da bedingt durch die strenge Redundanzregel alle wichtigen Komponenten des MBC doppelt vorhanden sein sollen.
Das bedingt natürlich auch die doppelte Anzahl an Starts und Versorgungsflügen vom Erdboden aus.
Aus Sicht eines Lieferanten und Dienstleisters sind diese als Teil des Busines-Cases natürlich erwünscht, aus Sicht eines potentiellen Auftraggebers oder Nutzers sind das erhebliche Zusatzkosten.
So jetzt ist meine Kurzfassung des pdf-Dokuments von Lockheed Martin doch etwas lang geraten...
Viele Grüße
Rücksturz