#roger50:
Bei der von
Ye Peijian (Urvater der chinesischen Mondsonden) herausgegebenen Zeitschrift für Weltraumwissenschaft und -technik gibt es sehr gute Artikel von den jeweiligen Chefkonstrukteuren zu den Tianzhou-Frachtern:
https://spj.science.org/doi/full/10.34133/space.0006und der Raumstation (ein Preprint, wird in einigen Monaten in die Sektion "Latest Articles" wandern):
https://spj.science.org/doi/abs/10.34133/space.0035Die reguläre Bahnanhebung ("Reboost") der Chinesischen Raumstation erfolgt mit vier ständig laufenden Hall-Effekt Ionentriebwerken vom Typ
HET-80 mit einem Schub von jeweils 80 mN (der "Raumschiff-Enterprise-Effekt" am Heck des Kernmoduls Tianhe in den graphischen Darstellungen). Diese Triebwerke verwenden Xenon als Stützmasse, von dem Tianzhou 6 nun erstmals seit zwei Jahren zwei frische Gasflaschensätze mit insgesamt 160 kg Gewicht zur Station gebracht hat.
Die Lageregelungen und Bahnänderungen kann die Station mit ihren zahlreichen, auf die drei Hauptmodule verteilten Kleintriebwerken selbst erledigen. Manchmal macht sie das, weswegen Tianzhou 6 diesmal insgesamt 700 kg Hydrazin und Distickstofftetroxid mitgebracht hat, um die - ebenfalls auf die drei Hauptmodule verteilten - Tanks der Station aufzufüllen. In der Regel erfolgt die Lageregelung jedoch mit 12 Momentenkreiseln (6 außen am Kernmodul, 6 innen im Wissenschaftsmodul Wentian), deren Drehimpuls über den Schweregradienten entladen wird. Alles rein elektrisch.
Für Bahnänderungen, wie sie zum Beispiel nötig sind, um die Station in die optimale Position für Koppelmanöver zu bringen, werden nach Möglichkeit die Triebwerke von angedockten Frachtern oder Shenzhou-Raumschiffen verwendet, die nach maximal einem Jahr sowieso eines natürlichen Todes sterben, um die eigenen Triebwerke der Station zu schonen und die Lebensdauer der Module über die Minimalzeit von 10 Jahren hinaus zu verlängern. Von den 1,75 t Treibstoff, die Tianzhou 6 dabei hatte, sind rund 1 t für solche Aktionen gedacht. Da der Frachter an die Station angekoppelt und mit ihr über Ringleitungen im äußeren Koppelring verbunden ist, also de facto ein integraler Bestandteil der Station ist, kann man nicht wirklich sagen, wieviel von dem Treibstoff nun für die Station und was Eigenbedarf ist.
Das Lebenserhaltungssystem der Station ist ein weitgehend geschlossener Kreislauf. Luft aus Druckgasflaschen wird im Wesentlichen nur verbraucht, wenn bei Evakuierungsübungen (üblicherweise eine pro Shenzhou-Mission) der Notsauerstoff aufgedreht wird, und bei Außenbordeinsätzen. Diese Gasflaschen werden in einem speziellen Ständer im Frachter transportiert und manuell umgeladen. Auf die Sauerstofftanks im Kernmodul Tianhe und dem Wissenschaftsmodul Wentian greift die Mannschaft außer für Reparaturarbeiten nicht zu. Wenn Sauerstoff in den Tanks ergänzt werden muss, erfolgt das über in Beuteln hochgebrachtes Wasser, das vom System elektrolytisch zerlegt wird.
Die Gasflaschen, egal ob Xenon oder Sauerstoff, zählen zum Stückgut, weil sie manuell umgeladen werden müssen. Bei der Mission Tianzhou 6 wurden neben dem Flüssigtreibstoff 5,1 t Stückgut mitgeführt, die gesamte in die Station transferierte Ladung wog 5,8 t:
http://www.cnsa.gov.cn/n6758823/n6758838/c6842643/content.htmlMit den 1,05 t Treibstoff, die im Frachter verbleiben, ergibt das dieses Mal eine Gesamtfracht von 6,85 t. Mit dem Leergewicht des Frachters von 6,1 t (neue Kleinserie!) ergibt das ein Startgewicht von 12,95 t.
Das sind die konkreten Zahlen für die gestern gestartete Mission, nicht die maximal möglichen Werte. Die Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Quellen, auch den chinesischen, sind neben Rundungsfehlern hauptsächlich auf den nicht immer klar kommunizierten Unterschied zwischen Bruttogewicht und Nettoinhalt der diversen Behälter zurückzuführen. Eine genaue Übersicht über alle beförderten Nutzlasten gibt es nicht, vor allem weil oft nicht klar ist, ob alles was vorher angekündigt wurde, auch tatsächlich hochgeflogen ist, oder - ganz banal - ob die Rosinen, die gestern ins All geschossen wurden, zu den 70 kg Obst zählen (bei einem der Interviews gestern im Fernsehen hatte man den Eindruck). Sieh es positiv: auf diese Art werden Vergleiche zur ISS vermieden. Ein Beitrag zum Weltfrieden