Verkehrsmanagement im Orbit

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Offline Hugo

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Verkehrsmanagement im Orbit
« am: 08. September 2019, 01:24:29 »
Eine Diskussion um die Vorfahrtsregeln im Weltraum ist derzeit sehr aktiv.

Grund: Ein deorbitierender Satellit von SpaceX und ein aktiver Satellit der Aeolus haben ihren Kurs gekreuzt.

Quellen:
https://twitter.com/Astro_Jonny/status/1168976820349415430
https://www.theverge.com/2019/9/3/20847243/spacex-starlink-satellite-european-space-agency-aeolus-conjunction-space-debris
http://www.esa.int/ger/ESA_in_your_country/Germany/ESA-Satellit_Aeolus_weicht_grosser_Konstellation_aus
https://spacenews.com/esa-spacecraft-dodges-potential-collision-with-starlink-satellite/

Hier im Forum wird im Starlink-Thread über das Thema Diskutiert:
https://forum.raumfahrer.net/index.php?topic=13231.msg460032#msg460032


Die Kernfrage ist: Wer hat im Weltraum Vorfahrt? Derzeit gibt es noch keine Reglen. Und "Rechts vor Links" wird nicht möglich sein. Aber was für Regeln könnte es geben, die einerseits einfach genug sind um nicht gleiche eine Wissenschaft draus zu machen, aber auch keinen Satellitenanbieter unnötig benachteiligt.



Ich würde folgenden Vorschlag machen:

- §1 Kreisbahn vor elliptischer Bahn
- §2 Aktiv vor deorbitierend oder orbitierend
- §3 Niedrigere Inklination vor höherer Inklination
- §4 Ältere Satelliten vor jüngeren Satelliten


Anmerkung zu 1: Zwei Satelliten auf unterschiedlich hohen Kreisbahnen können sich nicht treffen. Ein Satellit auf einer hochelliptischen Bahn könnte theoretisch jede Kreisbahn treffen. Auf elliptischen Bahnen ist eine Kursänderung im Apogäum Treibstoffsparender. Somit ist die Kreisbahn der Elliptischen Bahn vorzuziehen und im Falle einer drohenden Kollision ist derjenige, der aktuell einen elliptischeren Orbit hat, für die Vermeidung zuständig. Es wird die große und die kleine Halbachse gerundet auf 5 Kilometer-Schritte. Damit sind kleine elliptische Bahnen nicht relevant.

Anmerkung zu 2: Wer seinen Kurs hebt oder senkt kann dieses vorausberechnen und somit Kollisionen vorausberechnend unterbinden. Im Falle einer drohenden Kollision ist derjenige, der aktuell seinen Orbit ändert für die Vermeidung zuständig. Hierfür wäre jedoch eine "Datenbank" notwendig, damit der jeder Satellit weiß, welchen Status der jeweils andere Satellit hat.

Anmerkung zu 3: Falls §1 und §2 für beide Satelliten gleiche Rechte ergeben, ist eine weitere Unterscheidung notwendig. Je niedriger die Inklination ist, desto "ruhiger" ist die Bahn, bei geostationären Satelliten. Im Falle einer drohenden Kollision ist derjenige, mit der höheren Inklination für die Vermeidung zuständig.

Anmerkung zu 4: Falls §1 und §2 und §3 für beide Satelliten gleiche Rechte ergeben, ist eine weitere Unterscheidung notwendig. Hier ist das Alter vom Satelliten eine Möglichkeit. Ohne den neueren Satelliten gäbe es keine Gefahr. Im Falle einer drohenden Kollision ist derjenige, der jünger ist, für die Vermeidung zuständig. Falls beide Satelliten am gleiche Tag gestartet sind, zählt die NORAD-Nummer für das Alter mit. Je kleiner die Nummer ist, desto älter ist der Satellit.

Weitere Anmerkung: Es wäre eine "Datenbank" erforderlich, welche alle Satelliten auflistet, welche ihren Kurs überhaupt noch ändern können. Denn alle Regeln bringen nichts, wenn ein Satellit sich als "Vorfahrtsberechtigt" ansieht, der "Gegner" aber nur noch Weltraumschrott oder Treibstofflos ist.

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Könnten die Regeln Funktionieren? Sind die gut oder schlecht? Gibt es bessere Regeln?

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Online blackman

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Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #1 am: 08. September 2019, 01:51:25 »
Hugo mir gefällt dein Denkanstatz sehr. :) Bei all deinen Punkten stimme ich dir zu und es wäre tatsächlich vorstellbar, dass sowas in ferner Zukunft geltendes Weltraumrecht sein könnte.

Wie du schon sagst benötigt sowas aber eine öffentlich frei zugängliche und nahezu vollständige Datenbank. Diese gibt es jedoch nicht. Dazu müsste man die Satelliten noch mehr überwachen oder jeder Satellitenbetreiber wird dazu verpflichtet, aktuelle Kursdaten ständig öffentlich zugänglich zu halten. ::)

Die Frage ist nur, macht das auch jeder? Denken wir mal an X-37b, Spionagesatelliten, usw. Von daher wird so eine Vorfahrtsregelung nicht von jedem unterstützt werden. Besonders Staaten werden wohl kaum dem politischen Gegner ihre Bahndaten veröffentlichen.
Deine Paragraphen würde aber sehr gut bei kommerziellen Satelittenbetreiber funtionieren.

Um nun den kommerziellen und militärischen Bereich im Weltraum in einem Gesetz zu vereinen, benötigt es aus meiner Sicht einen weiteren Paragraphen der noch vor deinem §1 kommt:

§: Satellitenbetreiber die ihre Bahndaten nicht veröffentlichen, sind grundsätzlich zu allen Ausweichmanöver verpflichtet und besitzen keinen Anspruch auf Aktionen der Gegenseite.


Das ganze mag für viele noch schwer vorstellbar sein. Es wird noch sehr lange dauern bis sowas auch umgesetzt wird und die Gesetze werden bestimmt nicht so formuliert sein wie deine oder meine, jedoch sind das Denkansätze die irgendwann zu solchen Regelungen führen werden.

Offline Hugo

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Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #2 am: 08. September 2019, 02:05:58 »
>> "Satellitenbetreiber die ihre Bahndaten nicht veröffentlichen, sind grundsätzlich zu allen Ausweichmanöver verpflichtet"
Das ist natürlich korrekt. Das NORAD veröffentlicht für alle zivilen Satelliten die Bahndaten. Die Anbieter müssen hier wenig helfen. (Sofern das NORAD bei den Starlink-Satelliten noch besser wird als aktuell). Somit muss nicht zwingend schriftlich festgehalten werden, denn übrig bleiben eigentlich nur noch die echten Spionagesatelliten. Und wenn der Spionagesatellit ohne Veröffentlichung der eigenen Bahndaten fliegt, dann weiß der andere Satellit nicht, daß jemand da ist. Es kann also nur der Spionagesatellit ausweichen.

Was man ggf. festhalten müsste, wäre, was passiert, wenn ein Spionagesatellit nicht ausweichen möchte und das jeweilige Militär dann kurz vor der Kollision die eigenen Bahndaten veröffentlicht, nur damit der zivile Satellit ausweichpflichtig wird. Andererseits wird sicher kaum ein Militär machen, andererseits wird der Militärsatellit dann vermutlich auch die elliptischere Bahn haben. Also vermutlich wird so ein Fall nie eintreten können.


Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #3 am: 08. September 2019, 07:36:07 »
Thema umbenannt
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Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #4 am: 08. September 2019, 07:42:31 »
Man wird das wahrscheinlich anders handhaben. Auch heute, wenn es z.B. um aktive De-Orbit-Manöver geht, schaut man auf die aktuelle Zuverlässigkeit des Systems und die Erfolgswahrscheinlichkeit, dass so das Manöver erfolgreich aubgeschlossen wird. Ähnlich wird man wohl Ausweichmanöver berechnen: welches System hat die höhere Erfolgswahrscheinlichkeit die Situation in gegebenen Zeitfenster zu lösen.

Man muss nicht "Orbits" unterscheiden, sondern Fähigkeiten der Systeme: welcher Satellit kann überhaupt manövrieren? Wie gut/schnell kann er manövrieren (chemische Satelliten sind kurzzeitig reaktionsfähiger als elektrische)? Wie zuverlässig kann er das Manöver fliegen?
Auswirkungen auf die eigentliche Mission des Satelliten dürfen keine Relevanz hier haben, da es um die Vermeidung einer konkreten Gefahrensituation geht.

Spannend wird dann natürlich: Welche Missions-/Systemdaten muss man austauschen? Mit welchen Standards bestimmt man die Variablen, sodass alle zum selben, bindenden Ergebnis kommen? Das wird aus meiner Sicht das Problem sein, weniger die eigentliche Technik oder Physik des Problems.

Ganz am Ende der Regeln wird es wohl so etwas geben wie die "Manöver des vorletzten und des letzten Augenblicks", wie in der Seefahrt ... wenn der Ausweichpflichtige nicht ausweicht und nur ich selbst die Situation noch retten kann.
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Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #5 am: 08. September 2019, 07:58:30 »
Das oben geschrieben von mir, passt eigentlich nur auf die Situation, dass die Betroffenen das bilateral miteinader "irgendwie" aushandeln und abstimmen.

Eine andere Idee wäre eine zentrale "Agentur", die die Orbits überwacht und Ausweichanweisungen gibt. Die könnte dann nicht die detaillierten Systemzustände kennen, sondern nur die grundsätzlichen Fähigkeiten eines Satelliten (müsste man ihr immer wieder aktualisiert mitteilen). Die müssten sich ggf. auf ein "energetisches Kriterium" der Orbits stützen, welcher Orbit der "reaktionsfähigere" ist.
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Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #6 am: 08. September 2019, 08:03:07 »
Eine andere Idee wäre eine zentrale "Agentur", die die Orbits überwacht und Ausweichanweisungen gibt. ...

Diese Idee finde ich ganz gut. Bei der UN könnte es eine Weltraumverkehrsbehörde geben, die von NORAD etc. die Daten und Warnungen bekommt und dann zeitnah Anweisungen an die entsprechenden Satellitenbetreiber heraus gibt.
Wenn Du heute morgen schon sechs unmögliche Dinge getan hast, warum dann nicht als siebentes zum Frühstück ins Milliways, das Restaurant am Ende des Universums?

Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #7 am: 08. September 2019, 08:17:12 »
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Eine andere Idee wäre eine zentrale "Agentur", die die Orbits überwacht und Ausweichanweisungen gibt.
...

Sowas braucht man nicht. Wenn ein Kollisionsrisiko zwischen zwei aktive Satelliten droht, dann müssen sich die Betreiber dieser Objeke in Kontakt treten und verhandeln wer was macht.
Wie der Fall "Aeolus/Starlink44" gezeigt hatte war ein Betreiber dazu nicht in der Lage gewesen.

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Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #8 am: 08. September 2019, 08:29:37 »
Sowas braucht man nicht. ...

Ich denke, wenn es immer mehr Satelliten werden, machen Anweisungen von einer Agentur, die den großen Überblick hat, vielleicht doch Sinn.
Wenn Du heute morgen schon sechs unmögliche Dinge getan hast, warum dann nicht als siebentes zum Frühstück ins Milliways, das Restaurant am Ende des Universums?

Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #9 am: 08. September 2019, 09:08:19 »
Man könnte das ja mehrstufig organisieren:
  • Eine "Verkehrszentrale" weist die Betreiber auf ein Kollisionsrisiko hin und fordert auf eine gemeinsame Lösung bis zum Zeitpunkt T-xx zu finden.
  • Wenn es keine Lösung gibt, gibt die "Verkehrszentral" bei T-xx eine Anweisung, wer wie auszuweichen hat.
  • Die Betreiber überwachen eigenständig ihr System und bereiten "Manöver des letzten Augenblicks" vor, wenn alle vorherigen Kanäle/Optionen nicht funktionieren. Problem ist hier, dass die "Lösung" dann einseitig und unabgestimmt ist, was bei akuter Gefahr aber akzeptabel ist.
Voraussetzung ist hier immer noch: Die Verkehrszentrale muss die Fähigkeiten und den aktuellen technischen Zustand der betroffenen Systeme kennen, und sie muss überhaupt als Authorität akzeptiert sein. Ersteres ist eine Frage internationaler Standards, wie man Missionsdaten hier teilt. Letzteres ist eine Frage internationaler Verträge ... durchaus unter dem Schirm der UN und des Völkerrechts.
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Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #10 am: 08. September 2019, 11:06:41 »
Anmerkung zu 4: Falls §1 und §2 und §3 für beide Satelliten gleiche Rechte ergeben, ist eine weitere Unterscheidung notwendig. Hier ist das Alter vom Satelliten eine Möglichkeit. Ohne den neueren Satelliten gäbe es keine Gefahr. Im Falle einer drohenden Kollision ist derjenige, der jünger ist, für die Vermeidung zuständig. ...

Außerdem hat der ältere Satellit tendenziell schon kleinere Treibstoffreserven und wird somit geschont, wenn der jüngere das Ausweichen auf sich nehmen muss.

Zitat
Könnten die Regeln Funktionieren? Sind die gut oder schlecht? Gibt es bessere Regeln?

Ich finde diese Regeln schon gut durchdacht.

Offline Hugo

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Re: Verkehrsmanagement im Orbit
« Antwort #11 am: 08. September 2019, 11:14:22 »
Viele Satelliten dürften auch nur eine Möglichkeit zum Ausweichen haben. Sie können Beschleunigen. Das heißt, die einzige Gefahr, die hierdurch entsteht, ist wenn beide gleichzeitig und gleich stark beschleunigen. Denn dann bleibt die Trefferwahrscheinlichkeit gleich.

Beispiel Starlink: Sie können 1 Woche vorher Beschleunigen. Dann sind fliegen sie langsamer und sind später am "Trefferort". Somit sinkt die Wahrscheinlichkeit eines Treffers. Dann verschieben die das nächste Beschleunigungsmannöver, werden somit langsam wieder schneller und holen langsam wieder auf im Vergleich zur Konstellation. Mit dem nächsten Beschleunigungsmannöver werden sie wieder langsamer und sind wieder perfekt in der Formation. Das kostet in der Summe keinen Treibstoff. Es verschlechtert auch die Formation nicht, da das Ausweichmannöver innerhalb der normalen Positionstoleranzen ist.

Fazit: Man bräuchte auch Informationen über Lebenszeitverkürzende und nicht-Lebenszeitverkürzende Ausweichmöglichkeiten.