Och nö, lieber Titow, bitte nicht! Dein Posting klingt für mich wie ein Leitartikel der Prawda aus unseligen Sowjetzeiten. Denn die Fakten waren und sind wohl doch etwas anders.
Damit ich nicht im falschen Licht erscheine: ich habe allergrößte Hochachtung vor den Leistungen der russischen Ingenieure und Raumfahrtmanager in Vergangenheit und Gegenwart. Was sie geleistet haben und immer noch leisten, ist beeindruckend. Insbesondere, wenn man die Verhältnisse berücksicht, die schon immer schwierig waren und es zum Teil auch immer noch sind. Wenn wir in West-Europa unter denselben Umständen arbeiten müßten, würden wir sofort streiken. Aber es wird langsam besser.
Ich glaube, kann mir dieses Urteil erlauben, denn ich kenne SC Energija und KB Saljut von innen. Und habe etliche Tage mit meinen russischen Kollegen verbracht. Wir arbeiten an einem gemeinsamen Projekt, und natürlich sprechen wir nebenbei auch über andere Dinge.
Aber jetzt zu einigen Deiner Statements:
> Das Raumfahrprogramm der Sowjetunion war von Anfang an klar ausgerichtet und hatte ein konkretes Ziel<
Gerade das Gegenteil ist richtig, man braucht nur mal die Tagebücher Kamanins (z.B. auf astronautix.com) oder Tschertoks zu lesen. Geprägt war die Zeit bis in die 70er von Planungslosigkeit und Gerangel der einzelnen Entwicklungbüros, gerade weil es im Gegensatz zum sonstigen sowjetischen System eben KEINE zentrale Planung und Ausrichtung gab. Es gab zig-Parallelentwicklung und Programmabbrüche. Beispiel: TKS/VA parallel zu Sojus entwickelt, aber nie bemannt geflogen. Proton-L1 parallel zu N1-L3 entwickelt, aber abgebrochen, obwohl es nur noch 1-2 Testflüge gebraucht hätte, bis ein bemannter Flug möglich gewesen wäre. N1, mit enormem finanziellen Aufwand entwickelt - abgebrochen. Zwei Raumstationsprogramme (Almaz-Saljut), die von verschiedenen Zentren parallel entwickelt und gebaut wurden.
Ich vermag mir kaum vorzustellen, was die russischen Kollegen hätten leisten können, hätte es schon damals eine sowjetische NASA gegeben, die alles koordiniert hätte!
>hatte die Sowjetunion ihren "Buran" quasi so nebenbei auf die Startrampe gestellt ohne ihr eigentliches Weltraumprogramm einzuschränken oder gar aufzugeben<
Ihr eigentliches Weltraumprogramm? Ja, es gab das Saljut-Programm und ab 1986 MIR, daneben einige wenige Anwendungssatelliten pro Jahr. Aber 80-90% der bis zu 120 Starts pro Jahr waren militärisch. Wann flogen doch gleich noch die letzten sowjetisch/russischen Mond-, Mars- und Venussonden? Oder die Sonden zu den anderen Planeten? Und welches sind die bekannten wissenschaftlichen Satelliten der 70er, 80er Jahre?
Nebenbei? Ab 1980 verschlang das Energia/Buran-Programm den größten Teil der Finanzmittel des zivilen Programms. Es war Saljut-MIR, das quasi nebenbei lief. Was auch nur ging, weil das Programm auf vorhandenen und z.T. zig-fach gebauten Elementen aufbaute, die 'relativ' preiswert waren.
Übrigens: hätte es das Shuttle-Programm nicht gegeben, wäre auch Energia/Buran wahrscheinlich nie entwickelt worden, denn es entstand als politische Reaktion auf STS und Reagans 'Star Wars'-Phantasien.
Ich könnte noch mehr schreiben, aber ich glaube, es reicht auch so. Aber zum Schluß noch folgendes: man muß weißgott nicht alles bejubeln, was NASA und die US-Industrie so in der Raumfahrt leisten. Ich z.B. stehe vielem kritisch gegenüber. Aber genauso verkehrt ist die Verklärung der russischen Vergangenheit und Gegenwart in diesem Sektor. Beide Seiten haben ihre klaren Verdienste, und in bin sehr zufrieden (man könnte auch 'glücklich' sagen), daß wir nach Jahrzehnten der Konfrontation heute gut zusammenarbeiten.