EVA Anzug vs. Druckanzug

  • 4 Antworten
  • 1704 Aufrufe
*

Offline Sensei

  • Raumcon Moderator
  • *****
  • 6542
EVA Anzug vs. Druckanzug
« am: 24. November 2019, 17:28:53 »
Was verhindert, das man einen (leicht modifizierten) Druckanzug auf dem Mond oder Mars für Kurzzeitmissionen oder Überführungen (zwischen Basis, bedruckten Rover, Landefähre..) nutzen kann und statt dessen diese hochgerüstete EVA-Anzüge braucht?

Selbst der verbesserte xEMU sieht sehr unbeweglich, unbequem und langsam aus. Es ist nicht einmal möglich Dinge am Boden zu berühren.  In Sachen Beweglichkeit kein Vergleich zu den neuen Druckanzügen von Boeing und SpaceX.

Klar, man müsste diese Druckanzüge mit kurzzeit-Temperaturmanagement und kurzzeit-Luftversorgung ausstatten. Aber für Aufgaben die weniger als ~20 min dauern sehe ich da relativ wenige Einschränkungen gegenüber den für diese art der Anwendung überzüchteten xEMU.


Oder übersehe ich hier wesentliche Dinge? Sind Strahlenschutz, Schutz vor Mikrometeoriten/Staub und scharfkantigem Gestein selbst bei sehr kurzen Einsätzen wichtiger als ich es erwarten würde?

*

Online roger50

  • Raumcon Berater
  • *****
  • 11800
Re: EVA Anzug vs. Druckanzug
« Antwort #1 am: 25. November 2019, 00:42:46 »

Dir schwebt offenbar ein dritten Klasse von Raumanzügen vor.

Bisher gibt es nur zwei: Druckanzüge zur Verwendung innerhalb von Flugzeugen/Raumfahrtzeugen und solche für außerhalb. Druckanzüge haben nur Anschlüsse für temperierte Atemluft und Sprachkommunikation (Mikrophon/Lautsprecher).

Verläßt du jetzt die Druckkabine, besteht keinerlei Kommunikation zur Basis/zum Raumschiff mehr, dafür wird Funkkommunikation benötigt. Außerdem bläht sich ein leichter Druckanzug sofort auf (Druckunterschied 1 bar) und der Astronaut kann sich nicht mehr bewegen. Zudem erhitzt sich  eine Seite des Druckanzug schlagartig auf hohe Temperaturen (in der Sonne), die andere Seite kühlt sich sofort stark ab. Eine Temp.kontrolle ist im Druckanzug nicht vorhanden. Auch gibt es bei ihm keinen Augenschutz für die oft extrme Helligkeit der Sonne (Visier).

Ein EMU ist daher wie ein kleines Raumschiff aufgebaut, mit Funkommunikation, Luftversorgung, starker Temperaturkontrolle, Aufblähschutz, Schutzvisieren, zwei Hüllen gegen Mikrometeorite und Druckverlust bei Beschädigungen (es sind schon Apollo-Astronauten auf dem Mond hingefallen und haben sich die äußere Hülle beschädigt), sowie Strahlenschutz und Wasserversorgung.
Beide Arten von Anzügen haben also völlig unterschiedliche Aufgaben. Ein Anzug für "Kurzzeitaufenthalt" wäre also ein Zwitter, der trotzdem die meisten Systeme eines EMU haben müßte.

Gruß
roger50

*

Offline Sensei

  • Raumcon Moderator
  • *****
  • 6542
Re: EVA Anzug vs. Druckanzug
« Antwort #2 am: 25. November 2019, 04:56:36 »
Nur eben in wesentlich kleinerem Umfang.

Statt eines geschlossenem Atemluft Systems ein offenes für kurze Zeit. Da käme man schon mit einer 2-5l Flasche unter 300 bar eine Weile lang hin.

So lange man die Nächte meidet muss man in mittleren Breiten mit kurzzeitigen -50 °C klar kommen. Unangenehm - aber besser händelbar als -150 °C nachts an Polen. Da käme es wohl darauf an ob so ein Zwitter-Anzug noch die aufwändigen, großflächigen Kühlkanäle braucht oder die Wärme anders verteilt werden kann.

Funk nur für die Einwahl in den nächsten Hotspot (<100m entfernt). Das sind eher <200g.
Sichtschutz gegen die Sonne sollte auch leicht(gewichtig) umzusetzen sein.
Als Stromversorger sollten 2 Akkupacks a 5 Ah ausreichen.
Mikrometeoritenschutz könnte man auf dem Mars wohl auch einsparen. Ebenso man auf die Wasserversorgung und den Strahlenschutz verzichten könnte.

Bliebe noch die "Unbeweglichkeit durchs Aufblähen": Bist du dir sicher, dass das Aufblähen bei den Fluganzügen zu einer so starken Unbeweglichkeit führt? Klar, sie sind primär dafür designt im sitzen zu funktionieren. Aber dann müssen wenigstens die Hände und Arme noch gut funktionieren. Aber auch darüber hinaus wurde bei den neuen Anzügen die erhöhte Beweglichkeit (auch unter Anzugsdruck) so sehr betont dass ich deswegen denken würde das auch im Vakuum noch etwas Beweglichkeit über bleibt.

Artikel mit einem Bild eines Anzugs unter Innendruck aber ohne Vacuum:
https://www.travelandleisure.com/trip-ideas/space-astronomy/boeing-spacesuit

Re: EVA Anzug vs. Druckanzug
« Antwort #3 am: 25. November 2019, 19:14:18 »
Zu was zählen denn EVA-Anzüge, wie die von Gemini 4...
https://de.wikipedia.org/wiki/Gemini_4
...bei denen die Versorgung noch per Schläuche aus dem Schiff kommen?

*

Online roger50

  • Raumcon Berater
  • *****
  • 11800
Re: EVA Anzug vs. Druckanzug
« Antwort #4 am: 25. November 2019, 23:10:45 »
Zu was zählen denn EVA-Anzüge, wie die von Gemini 4...
https://de.wikipedia.org/wiki/Gemini_4
...bei denen die Versorgung noch per Schläuche aus dem Schiff kommen?


… waren eigentlich auch solche von mir genannten Zwitter, bzw. erste Versuche, einen Raumanzug für Außenbordaktivitäten zu schaffen. Man hatte ja noch keinerlei Erfahrung.

Luftversorgung durch und Sprachverbindung zum Raumschiff mit Schlauch/ Kabel, Schutzvisiere gab es auch schon. Thermalkontrolle war aber anfangs miserabel, die Astro-/Kosmonauten schwitzen tierisch. Aufblähschutz war Anfangs kaum vorhanden. Führte bei Alexei Leonow zu den bekannten Problemen beim Wiedereinstieg, bei den Geminiastronauten war der Aufbläheffekt durch den geringen Luftdruck von 0,34 bar im Anzug und durch Metalllagen im Anzug begrenzt.


Zum Einstieg eignet sich dieser Wiki-Artikel

]https://de.wikipedia.org/wiki/Raumanzug]

Natürlich kann man für den Mars einen Kurzzeitanzug entwickeln, der nahe an die von SpaceX und Boeing herankommt. Man braucht aber zumindest immer noch einen Rucksack mit Luft- und Wasservorrat, Thermalkontrolle, Funkverbindung, etc. Frage ist nur, ob es Sinn macht.

Gruß
roger50

P.S.: Auch bei uns im Forum haben wir zumindest einen, bislang 8 Seiten langen Thread zu Raumanzügen:

https://forum.raumfahrer.net/index.php?topic=11860.0