Die NASA hatte sich mit der Entscheidung für SpaceX gegen den Zeitplan und für die Kosten entschieden.
Nein. Haben sie nicht.
Das Stufe ich als Legendenbildung ein.
(Man kann gerne dieser Meinung sein. Aber nicht sagen, dass das Entscheidungsgremium der NASA dieser Meinung war)
1. Sind die Kriterien nicht die von dir genannten gewesen. Sondern Primär: Technical Rating, Management Rating, Price (Plus: Einhalten der Randbedingungen)
2. Gab es bei den Mitbewerbern auch erhebliche technische Risiken, welche ebenfalls den Zeitplan gefährdet hätten. Hier hat die NASA den Lunar Lander/SpaceX vorne gesehen. Und nicht die Entwürfe mit "beherrschbare Technik":
But despite these and other strengths of Blue Origin’s technical design, I find that it
suffers from a number of weaknesses, including two significant weaknesses with which I
agree. The first of these is that Blue Origin’s propulsion systems for all three of its main
HLS elements (Ascent, Descent, and Transfer) create significant development and
schedule risks, many of which are inadequately addressed in Blue Origin’s proposal.
(Hervorhebung von mir.)
@Weltraumhase
Was du nennst, sind aus meiner Sicht programmatische Randbedingungen. Die haben sich geändert, also wie und wann man das Vorhaben umsetzen will. (Man konnte plötzlich nicht mehr hoffen als Zweiter auch etwas vom Kuchen anzubekommen.) Das wirkt sich auf das Projektmanagement aus. Die technischen Anforderungen, was die zu liefernden „space systems“ leisten sollen, haben sich nicht geändert.
BO will sich jetzt ja auch nur programmatisch anders aufstellen, nicht technisch … da scheint das Angebot unverändert zu gelten.
Abgesehen davon, dass BO es wohl auch schon juristisch versucht hat ist dies streng genommen kein relevanter Rechtsfall (oder noch nicht) sondern es geht hier um Ruf, Vertrauen und (böses Wort) Absprachen.
Die NASA ist ja auch nicht blöd und hat sicher darauf geachtet, dass in den Formulierungen und Klauseln alles sauber ist.
Es gibt aber neben diesen dokumentierten Fakten sehr viel Raum für Verhandlungen, Vorgaben und Hinweisen. Es wäre naiv zu glauben man könne sich auf offizielle Statements zurückziehen und damit wäre dann alles in Butter.
Ich muss aber auch dazu sagen, dass es mein täglich Brot ist genau solche Verhandlungen über Jahre zu führen. Daher sehe ich aus Erfahrung die kritischen Punkte auf einen Blick. Spezifikationen sind nur ein Teil und häufig wird genau über solche Nebeninformationen die Entscheidung über den Zuschlag massiv beeinflusst.
Das gesamte Artemis Programm war darauf angelegt mit bestehender und konzeptionell erprobter Technologie im Jahr 2024 auf dem Mond zu landen. Daher auch die SLS Rakete mit Space Shuttle Technologie. Für den Lander bedeutet das im Umkehrschluss nichts anderes als ohne das Rad neu zu erfinden nach dem Grundprinzip der Apollomission einen Lander auf eine Mondrakete zu pflanzen und zum Mond zu fliegen. Das ist technologisch grundsätzlich ohne terminliche Risiken beherschbar. Davon ausgehend haben die Mitbewerber außer SpaceX auf dieses Konzept gesetzt und Alternativen nicht weiter geprüft.
Dieses Konzept hat aber einen grundsätzlichen Nachteil. Der Lander muss vollkommen neu entwickelt werden wobei es kaum Synergien mit anderen Entwicklungen gibt und der Lander auch für nichts anderes verwendet werden kann. Mit anderen Worten der Großteil der Kosten dieses Landers geht für die Entwicklung drauf und das Ganze wird für das Artemis Projekt sehr teuer. Solange der Termin 2024 fest steht ist das aber der Tod den die NASA hätte sterben müssen. Das war sicher auch allen bekannt und darüber hat es im Hintergrund mit Sicherheit etliche Gespräche gegeben.
SpaceX auf der anderen Seite hatte vermutlich kein Interesse daran für das Artemis Projekt einen solchen Lander zu entwickeln. Eben genau weil es keine Synergien gibt und die Entwicklung nur Kapazitäten von den eigentlich wirtschaftlich interessanten Projekten abziehen würde. Da hat SpaceX als vielleicht einziges marktwirtschaftlich funktionierendes reines Raumfahrtunternehmen eine Sonderstellung. Also hat SpaceX lediglich einen Lander als "Abfallprodukt" der Starship Entwicklung angeboten. Mit dem Vorteil, dass nur der Flug und die Anpassung an die Artemis Mission von der NASA bezahlt werden muss. Damit viel billiger aber auch mit dem Nachteil, dass für eine Landung 2024 große Risiken bestehen.
Auf der anderen Seite muss man auch in Frage stellen, ob BO und Co überhaupt etwas anderes hätten anbieten können. Vielleicht hat jeder nur das angeboten was er überhaupt kann und die Änderung der Parameter (Priorität vom Zeitplan geändert auf Kosten) haben letztlich den Ausschlag gegeben. Aber auch dann könnten BO und Co sich beschweren, dass sie bei entsprechender Information vielleicht nie so viel Zeit in das Projekt gesteckt hätten, da sowieso klar war, dass die NASA keine Lander Entwicklung bezahlen kann. Alles juristisch vermutlich nicht relevant, schafft aber Unfrieden.
In meinem Gewerbe läuft das manchmal auch so. Dann gibt es aber mindestens ein Telefonat des höheren Managements und der CEO's. Das kann sogar über Meldung bei Aufsichten und in schweren Fällen bis hin Korruptionsvorwürfen gehen. Das ist aber eher selten. Typischer weise wird man einen Kunden der so etwas macht ggfls. bei anderen Projekten nicht mehr so unterstützen wie er es wünscht. Das hängt dann aber auch davon ab, ob man einen Käufer- oder Verkäufermarkt hat. Wer am längeren Hebel sitzt kann sich im Zweifel immer mehr erlauben. Im Falle der NASA sehe ich aber deutlich einen Käufermarkt. BO und Co werden sich auf die Brust trommeln und laut schreien aber das wird nicht viel bewirken und sie werden die NASA natürlich weiter unterstützen. Die NASA wird es ihnen dann mit Trostaufträgen danken.
Wer nun meint, dass das SpaceX Konzept nun terminlich sicher sei und 2024 durch diese Entscheidung nicht gefährdet ist, dem kann ich nicht viel mehr helfen als kurz mal die "Firsts" des Star Ship Programms aufzählen die nur mir allein einfallen. Da gibt es sicher noch mehr die ich überhaupt nicht kenne.
1. Kostenoptimiertes wiederverwendbares LNG full flow Triebwerk der Top Leistungsklasse. Im Einzelnen alles schon gemacht aber diese Kombination ist neu und dabei zielt SpaceX auf extrem niedrige Produktionskosten mit sehr hoher Wiederverwendbarkeit. Das kann dauern bis da alle Kinderkrankheiten bereinigt sind.
2. 32 Triebwerke mit eigener Turbopumpe in der ersten Stufe. Kann man machen, ist aber nicht so einfach und kann Probleme bereiten.
3. Größte und schwerste Rakete mit dem größten Schub der ersten Stufe.
4. Komplett wiederverwendbares und selbstständig landendes System
5. Völlig neues Landekonzept für die Oberstufe
6. Wiedereintrittsfähigkeit der Oberstufe
7. Neuartiges Steuer und Bremssystem im Landeanflug
8. Betanken der Oberstufe im Orbit durch eine spezielle Starship Tanker Version
9. Landen auf dem Mond mit einem Gefährt dieser Größe und Kopflastigkeit
Dabei ist noch zu berücksichtigen, dass diese Schritte mehrere Versuche durchlaufen müssen bevor die Mission startet. Vor Allem die bemannten Schritte dieser Mission müssen ausreichend getestet werden.
Auch kommt verzögernd hinzu, dass SpaceX schon gut beschäftigt sein wird das Starship selbst einsatzfähig zu machen. Für die Mondlandung kommen nun aber noch die Tankerversion sowie das betanken und die Landerversion mit dem Aufstiegsteil und dem Kupplungsmodul zur Orion dazu. Die Prozesskette bis zum Missionsstart wird dadurch nochmals verlängert.
Für einen Starttermin 2024 müsste SpaceX daher auf vieles am Starship zunächst verzichten. D.h. sofort den Tanker und die Landeversuion entwickeln. Landung auf der Erde und Wiedereintritt sind für die Mondmission nicht erforderlich und müssen nach hinten geschoben werden. Da bedeutet dann aber im Umkerhschluss, dass das eigentliche Starship wegen dem Mondlander ausgesetzt werden muss.
Das ist zumindest meine Eisnchätzung.