Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren

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Reinraum

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Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« am: 14. April 2018, 15:09:46 »
Kann wir jemand sagen, was am Hauptstromverfahren so besser ist als beim Nebenstromverfahren? Und warum wird es überhaupt eingesetzt?

Durch Recherche habe ich so etwas in der Richtung gefunden:

„Anders als beim Gasgenerator geht aber das Antriebsgas zur Turbinenförderung aber nicht verloren“

Das ist doch eigentlich egal? Bis auf dem Brennstoff oder Sauerstoffüberschuss des Antriebsgas enthält diese doch keine Energie mehr. Wozu noch in die Brennkammer einleiten? Besser ist es doch mit zwei Leitungen, und dann nicht gegen den Brennkammerdruck Arbeiten zu müssen oder nicht?

Betreibt man das Hauptstromverfahren wirklich nur, damit man den Brennstoff oder Sauerstoffüberschuss des Antriebsgas nicht verliert?

„Durch das Gas des Vorbrenners erhöht sich der Brennkammerdruck beträchtlich. Es werden viel größere Gasmengen erzeugt als bei dem Gasgenerator, der nur einige Prozent des Treibstoffs verbrennt.“


Das macht doch kein Sinn? Das könnte man auch mit dem Nebenstromverfahren. Der Energiebedarf bleit ja gleich…

lngo

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Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #1 am: 14. April 2018, 18:02:15 »
Nebenstromtriebwerke sind weniger effizient als Hauptstromtriebwerke, dafür aber weniger komplex und daher viel billiger und weniger fehleranfällig. Der Sweetspot beim Brennkammerdruck liegt bei ca. 97 bar, wofür ca. 3% des Treibstoff im Gasgenerator verbrannt werden müssen und dann nicht weiter zum Schub beitragen. Der ISP ist daher nicht die Geschwindigkeit des Abgases, sondern ist ca. 3% geringer. Zusätzlich ist die Verbrennung im Gasgenerator nicht sauber (unstöchiometrische Verbrennung), um die Turbinen nicht zu schädigen.

Hauptstromtriebwerke dagegen haben einen sehr hohen Brennkammerdruck (SSME hat 300 bar; Treibstoffpumpe bringt 450 bar), und schicken den gesamten Treibstoff durch die Düse. Dadurch ist der ISP sehr hoch, der Treibstoff wird viel besser genutzt. Der Sweetspot liegt noch sehr viel höher, die umgesetzten Brennkammerdrücke werden aufgrund technischer Gründe limitiert.

DruckförderungExpanderNebenstromHauptstrom
VorteileEinfach; keine Turbopumpen; geringe Trockenmasse; hoher spezifischer ImpulsHoher spezifischer Impuls; relativ geringe KomplexitätEinfach; geringe Trockenmasse; ermöglicht Hochleistungs-Turbopumpen für hohe SchubkräfteHoher spezifischer Impuls; hohe Brennraumdrücke für hohe Schubkraft   
NachteileTankdruck begrenzt Brennraumdruck und -schub; schwere Tanks und zugehörige DruckhalteeinrichtungenMuss kryogenen Brennstoff verwenden; die Wärmeübertragung auf den Brennstoff begrenzt die verfügbare Leistung der Turbine und damit den Triebwerksschub.Niedrigerer spezifischer ImpulsStark erhöhte Komplexität

Quelle: https://en.wikipedia.org/wiki/Liquid-propellant_rocket#Engine_cycle_tradeoffs

Reinraum

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Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #2 am: 14. April 2018, 19:50:06 »
Ok.

wird beim Nebenstromverfahren (z.B. Falcon 9) RP-1 eingesetzt wird, erfolgt die Verbrennung eigentlich im Preburner im Brennstoff oder Sauerstoffüberschuss?

Online Hugo

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Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #3 am: 14. April 2018, 21:46:33 »
Kann wir jemand sagen, was am Hauptstromverfahren so besser ist als beim Nebenstromverfahren? Und warum wird es überhaupt eingesetzt?
Beim Nebenstromverfahren wird Treibstoff ungenutzt unten aus der Rakete abgelassen. Das sind Verluste.

Die benötigte Energie für die Pumpe ist natürlich in beiden Fällen gleich. Aber die Verluste hierbei sind extrem unterschiedlich.

Betreibt man das Hauptstromverfahren wirklich nur, damit man den Brennstoff oder Sauerstoffüberschuss des Antriebsgas nicht verliert?
Ja. Also fast, wenn man die unterschiedlichen Drücke mal außer Acht lässt, die ja auch noch für Vorteile sorgen.

Offline websquid

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Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #4 am: 15. April 2018, 14:32:51 »
Ok.

wird beim Nebenstromverfahren (z.B. Falcon 9) RP-1 eingesetzt wird, erfolgt die Verbrennung eigentlich im Preburner im Brennstoff oder Sauerstoffüberschuss?
Oxidatorreiche Verbrennung findet sich nur in russischen Triebwerken (RD-170/RD-253 Familien - also eingesetzt bei Zenit, Atlas, Proton)

Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #5 am: 15. April 2018, 14:57:06 »
Ein Vorteil vom Nebenstromverfahren ist wohl noch die zusätzliche Kühlung der Düse, wenn die im Verhältnis weniger heißen Abgase der Turbopumpe außen in den Strom an den Rändern der Düse eingeleitet werden. Wenn ich das richtig verstanden habe, wurde das z.B. bei den F1-Triebwerken der Saturn V so gemacht und beim Merlin scheinbar auch.

Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #6 am: 15. April 2018, 16:52:03 »
Ein Vorteil vom Nebenstromverfahren ist wohl noch die zusätzliche Kühlung der Düse, wenn die im Verhältnis weniger heißen Abgase der Turbopumpe außen in den Strom an den Rändern der Düse eingeleitet werden. Wenn ich das richtig verstanden habe, wurde das z.B. bei den F1-Triebwerken der Saturn V so gemacht und beim Merlin scheinbar auch.

Hmm, da bin ich mir nicht sicher. In der Düse herrschen hohe Drücke. Insbesondere Richtung Brennkammer, wo die Temperaturen am höchsten sind. Die Turbopumpe hingegen entspannt die Abgase im Turbinenteil. Da frage ich mich wie eine Einspeisung in die Düse bei den Druckverhältnissen gehen soll? Der Druck der Abgase wird vermutlich nur ausreichen um im unteren Düsenbereich eingeleitet zu werden, wo die Temperaturen eh schon relativ niedrig sind.

Beim Merlin sieht es mir auch nicht so aus als ob die Abgase der Pumpe in die Düse geleitet werden.


Offline MarsMCT

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Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #7 am: 15. April 2018, 16:58:00 »
Ein Vorteil vom Nebenstromverfahren ist wohl noch die zusätzliche Kühlung der Düse, wenn die im Verhältnis weniger heißen Abgase der Turbopumpe außen in den Strom an den Rändern der Düse eingeleitet werden. Wenn ich das richtig verstanden habe, wurde das z.B. bei den F1-Triebwerken der Saturn V so gemacht und beim Merlin scheinbar auch.

Hmm, da bin ich mir nicht sicher. In der Düse herrschen hohe Drücke. Insbesondere Richtung Brennkammer, wo die Temperaturen am höchsten sind. Die Turbopumpe hingegen entspannt die Abgase im Turbinenteil. Da frage ich mich wie eine Einspeisung in die Düse bei den Druckverhältnissen gehen soll? Der Druck der Abgase wird vermutlich nur ausreichen um im unteren Düsenbereich eingeleitet zu werden, wo die Temperaturen eh schon relativ niedrig sind.

Beim Merlin sieht es mir auch nicht so aus als ob die Abgase der Pumpe in die Düse geleitet werden.

Es wird beim Vakuum-Merlin gemacht.


Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #8 am: 15. April 2018, 17:01:51 »
Es wird beim Vakuum-Merlin gemacht.

Danke für die Info! Das macht Sinn, da die Düse gegen Vakuum entspannt und der untere Düsenbereich größer ist.

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Offline Enki

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Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #9 am: 15. April 2018, 17:35:09 »
Der Turbopumpenauslass bei der Merlin 1D-Vakuumversion wird in die Düse geleitet, wo die Abgase als Kühlschicht zwischen dem sehr heißen Kammerauslass und der Wand der Düsenverlängerung wirkt. Die Rohrleitungen werden komplett um die Düse gewickelt, so dass sie einen gleichmäßigen 'Vorhang' bilden können. Dies ermöglicht, dass die Düsenverlängerung leichter und einfacher ist, da kein Treibmittel zum Kühlen durchgeleitet werden muss, wie es im oberen Teil der Kammer und der Düse ist.

Das war mir auch neu. Aber durch eure interessante Diskussion, habe ich einmal nachgeforscht. Danke!  :) Und ich dachte, ich weiß schon alles.  :o
Harvard-Professor Avi Loeb: „Wissenschaft ist keine Glaubenssache, sondern eine Frage von Beweisen. Vor der Zeit zu entscheiden, was wahrscheinlich ist, begrenzt die Möglichkeiten. Es ist wert, Ideen auszusprechen und später die Daten richten zu lassen.“

Offline MarsMCT

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Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #10 am: 15. April 2018, 17:48:43 »
Wenn meine nachlassende Erinnerung mich nicht trügt, war es beim Merlin 1C noch nicht so. Die Düse wäre zu heiß geworden und das Triebwerk mußte gedrosselt werden. Das hat die Leistung der Falcon 1.0 deutlich beeinträchtigt. Man hätte es beim 1C durch einspeisen beheben können. Aber Merlin 1D und Falcon 1.1 kam so schnell, daß man es nicht mehr gemacht hat.

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Offline Enki

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Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #11 am: 15. April 2018, 21:39:22 »
Oh, da habe ich wohl nicht aufmerksam genug gelesen,  :-[ denn "Prodatron" hat bereits auf die Kühlung hingewiesen.

Bisher war ich der Ansicht, dass das zusätzliche Abgas ein wenig mehr Schub bringt. Wenn das aber so wäre, dann müsste man das ja auch bei den Triebwerken der 1.Stufe so machen. Aber vielleicht sind die Produktionskosten höher oder es bringt nichts bzw. zu wenig.
Ich erinnere mich, dass die Triebwerke der Saturn-5, also F-1 und J-2, ebenfalls die Abgase in die Entspannungsdüse drückten. Natürlich an einer Stelle, wo der Antriebsstrahl bereits ausreichend expandiert und dadurch der Druck niedrig genug war.
Harvard-Professor Avi Loeb: „Wissenschaft ist keine Glaubenssache, sondern eine Frage von Beweisen. Vor der Zeit zu entscheiden, was wahrscheinlich ist, begrenzt die Möglichkeiten. Es ist wert, Ideen auszusprechen und später die Daten richten zu lassen.“

Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #12 am: 16. April 2018, 00:00:05 »
Wenn meine nachlassende Erinnerung mich nicht trügt, war es beim Merlin 1C noch nicht so. Die Düse wäre zu heiß geworden und das Triebwerk mußte gedrosselt werden. Das hat die Leistung der Falcon 1.0 deutlich beeinträchtigt. Man hätte es beim 1C durch einspeisen beheben können. Aber Merlin 1D und Falcon 1.1 kam so schnell, daß man es nicht mehr gemacht hat.
Hatte das nicht noch diesen typischen schwenkbaren "Auspuff", den man auf manchen Video-Übertragungen gesehen hat?

Re: Hauptstromverfahren Vs. Nebenstromverfahren
« Antwort #13 am: 16. April 2018, 00:03:53 »
Ich erinnere mich, dass die Triebwerke der Saturn-5, also F-1 und J-2, ebenfalls die Abgase in die Entspannungsdüse drückten. Natürlich an einer Stelle, wo der Antriebsstrahl bereits ausreichend expandiert und dadurch der Druck niedrig genug war.
Die haben ja diese dicken Wülste gehabt, die komplett um die Düse herumgehen (auch beim Vakuum Merlin - beim Sea-Level nicht?). Dort werden die Abgase der Turbopumpen eingeleitet, damit die Wand der Düsen zusätzlich gekühlt wird.