Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co

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Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« am: 04. Juni 2016, 20:22:25 »
Hallo,
die Raketen von Chrunichev sind alles solche Giftschleudern, darfst beim Start auch nicht nah ran. Eine Gasmaske haben die Startcrews immer dabei... Es wird hohe Zeit, das die Dinger ihren letzten Start erleben.

Edit: Dieses Thema wurde aus einem anderen abgespalten. Bitte beachten, zu einigen konvertierten ICBM wie der Dnepr gibt es eigene Threads. - Martin
« Letzte Änderung: 05. Juni 2016, 12:41:18 von Martin »
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Offline James

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Re: Re: Geo-IK-2 Nr. 2 auf Rokot/Briz-KM
« Antwort #1 am: 04. Juni 2016, 20:43:06 »
Eine Werbung für Raumfahrt ist das ja nicht. Unglaublich was da so rauskommt. Und wegfliegt.
Dort möchte ich ja nicht mal in sicherer Entfernung sein.
Muß mich ganz stark der Meinung von Rakete54 anschließen.
Wann wird den voraussichtlich die Außerdienststellung sein / wieviel haben sie noch?

Re: Re: Geo-IK-2 Nr. 2 auf Rokot/Briz-KM
« Antwort #2 am: 04. Juni 2016, 20:56:16 »
Hallo,

bei 1,1-Dimethylhydrazin (UDMH) als Treibstoff und Distickstofftetroxid als Oxidationsmittel (Quelle: Wikipedia) wundern mich diese braunen NOx Rauchschwaden nicht wirklich. Mehr Stickoxide kann man denke ich kaum durch Verbrennung erzeugen als bei dem Gemisch :P. Das es rund um den Startplatz überhaupt grünes Gras gibt wundert mich ja schon fast. ;)

Viele Grüße

Mario
Wenn Du heute morgen schon sechs unmögliche Dinge getan hast, warum dann nicht als siebentes zum Frühstück ins Milliways, das Restaurant am Ende des Universums?

Re: Re: Geo-IK-2 Nr. 2 auf Rokot/Briz-KM
« Antwort #3 am: 04. Juni 2016, 21:12:40 »
Hallo,
von der Rakete UR-100N/UR-100NU, und daraus wurden ja die Raumfahrtträger geschraubt, sind 360 wohl hergestellt worden. Es wurden schon Exemplare im hohen Alter von 35 Jahren verschossen, natürlich vorher gründlich zerlegt und gewartet und auf heutige Standards gebracht. Aber die Zellen sind so alt. Es lagern noch jede Menge dieser Raketen, und das verschießen, wie die russischen Streitkräfte das starten nennen ist rentabler, als die Raketen zu verschrotten, denn es kommt noch Geld ins Land. Allerdings tut man sich schwer mit der Vermarktung und auch Eurockot hat nicht gerade tolle Zahlen zu bieten. Sicher ist die Rakete, Fehlstarts sind selten. Aber es bleibt die schlimme Umweltbelastung nach jedem Start.
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Offline bluemchen

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Re: Re: Geo-IK-2 Nr. 2 auf Rokot/Briz-KM
« Antwort #4 am: 04. Juni 2016, 21:35:59 »
Ich meine auch, die ehem. SS-18 ist ein zuverlässiger Träger. 26 Starts in Plessezk seit Mai 2000 sind überschaubar, was die Umwelt betrifft. Und mal ehrlich, die Kohleverstromung 24 Std. p.D. sind ein ganz anderes Kaliber.

Was die Stückzahl betrifft, wäre Eurockot evtl. zu befragen, die halten 51%. Auf absehbare Zeit wird da wohl in dem "preiswert" Segment  nicht Schluß sein.
Hier nochmal ein Eurockot Video mit kurzer Flugphase (weiß nicht, ob das ein Sentinel war):
 

Re: Re: Geo-IK-2 Nr. 2 auf Rokot/Briz-KM
« Antwort #5 am: 04. Juni 2016, 21:43:25 »
Hallo,
ich habe mal in meinen Unterlagen gesucht und fand noch 6 nicht eingesetzte Nutzlastverkleidungen, die definitiv bis heute noch nicht geflogen sind. Der heutige weg wären da noch 5 Starts zu erwarten, wo die Nutzlastverkleidung (Modell 14S76) der Rakete Rokot (14A05) schon geordert bzw. gefertigt ist. Die Raketen sind jedenfalls noch reichlicher da.
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Martin

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Re: Re: Geo-IK-2 Nr. 2 auf Rokot/Briz-KM
« Antwort #6 am: 05. Juni 2016, 08:24:01 »
Ich meine auch, die ehem. SS-18 ist ein zuverlässiger Träger....

Die UR-100N ist die SS-19. SS-18 waere die R-36M bzw Dnepr von der Konkurrenz.

Hallo,
von der Rakete UR-100N/UR-100NU, und daraus wurden ja die Raumfahrtträger geschraubt, sind 360 wohl hergestellt worden. Es wurden schon Exemplare im hohen Alter von 35 Jahren verschossen, natürlich vorher gründlich zerlegt und gewartet und auf heutige Standards gebracht. Aber die Zellen sind so alt. Es lagern noch jede Menge dieser Raketen, und das verschießen, wie die russischen Streitkräfte das starten nennen ist rentabler, als die Raketen zu verschrotten, denn es kommt noch Geld ins Land. Allerdings tut man sich schwer mit der Vermarktung und auch Eurockot hat nicht gerade tolle Zahlen zu bieten. Sicher ist die Rakete, Fehlstarts sind selten. Aber es bleibt die schlimme Umweltbelastung nach jedem Start.

Es sind nicht nur 360 gebaut wurden. Das war nur die maximal Anzahl stationierter Raketen, aber die Produktion war natuerlich hoher. Wieviel es bei der UR-100NUTTH waren, kann ich nicht sagen, aber bei anderen Typen wurden teilweise ein mehrfaches der tatsaechlichen Startanlagen gebaut. Zwischen 1972 und 1981 produzierte die UdSSR 2250  ICBM und 1875 SLBM (jeweils das etwa 4 fache der US Produktion im gleichen Zeitraum), obwohl die Anzahl von Silos seit dem SALT Vertrag konstant blieb. Jedenfalls standen beim Zusammenbruch der Sowjetunion noch 170 Raketen in Russland im Dienst, weitere 130 in der Ukranie. Zusaetzlich gab es in der Ukraine noch 30 eingelagerte, neuwertige UR-100NU, die 2002-2004 nach Russland transferiert wurden und dort wahrscheinlich aeltere Raketen ersetzten.

Das Alter sehe ich auch nicht als das grosse Problem, gab es auch in den USA. Die letzte Titan-23G, welche 2002 startete, war B-107, welche 1967 ausgeliefert wurde. War also auch genau 35 Jahre alt und flog problemlos. Die erste Stufe beim Start von NOAA-16 im Jahr 2000 war sogar 37 Jahre alt (B-39). Als 1995 das letzte mal eine Atlas E abhob, war diese (45E) auch ueber 30 Jahre alt. Das letzte E Modell wurde mE 1962 oder 1963 ausgeliefert.

Hallo,

bei 1,1-Dimethylhydrazin (UDMH) als Treibstoff und Distickstofftetroxid als Oxidationsmittel (Quelle: Wikipedia) wundern mich diese braunen NOx Rauchschwaden nicht wirklich. Mehr Stickoxide kann man denke ich kaum durch Verbrennung erzeugen als bei dem Gemisch :P.

Die Verbrennungsprodukte von UDMH und NTO sind farblos, man siehts das auch (bzw nichts) spaeter im Flug. Beim starten der Triebwerke wird aber zuerst NTO in die Brennkammer eingespritzt, so das es kurzzeitig einen Ueberschuss gibt. Die braunen Schwaden sind also unverbrannter Oxidator. Die eigentlichen Verbrennungsprodukte sind im wesentlichen H2O, N2, CO, CO2 und OH Radikale. Stickoxide sind nicht dabei.

Martin Marietta, 1984 - ATMOSPHERIC DISPERSION OF HYPERGOLIC LIQUID ROCKET FUELS, (VOLUME I OF III), Seite 5

Re: Re: Geo-IK-2 Nr. 2 auf Rokot/Briz-KM
« Antwort #7 am: 05. Juni 2016, 09:46:43 »
Hallo Martin,

danke für den Artikel. so lernt man hier als raumfahrtbegeisterter Chemiker sogar auf seinem Fachgebiet noch was dazu. :)

Die NOx würden wohl nur bei einem Unfall mit unverbranntem flüssigem Oxidator N2O4 und der Reaktion mit Luftkomponenten auftreten.

Ekelhaft :o sahen die braunen Schwaden trotzdem aus ;)
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Martin

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Re: Re: Geo-IK-2 Nr. 2 auf Rokot/Briz-KM
« Antwort #8 am: 05. Juni 2016, 10:19:19 »
Hallo Martin,

danke für den Artikel. so lernt man hier als raumfahrtbegeisterter Chemiker sogar auf seinem Fachgebiet noch was dazu. :)


Dann wie immer die Empfehlung: Ignition! https://forum.raumfahrer.net/index.php?topic=12984.0 (Freier Download verlinkt).

NTO an sich ist auch nicht umbedingt optimal - es gibt wohl nach allen praktischen Erwaegungen keinen grossen Unterschied zwischen dem Oxidator und einem chemischen Kampfstoff. Es gab auch mehrere unschoene Zwischenfaelle mit dem Stoff auf Titan II Raketenkomplexen. Am 24. August 1978 starben bei einem Unfall auf Startkomplex 533-7 suedlich von Wichita, Kansas, zwei junge US Air Force Techniker durch einem Unfall beim betanken einer Titan II im Silo. Ein Tankanhaenger mit Oxidator riss durch Uberhitzung auf Startkomplex 374-7 im selben Jahr bei Damascus, Arkansas, und eine braune Wolke zog uber das umliegende Framland und toetete eine groessere Anzahl Nutzvieh. Zwei Jahre spaeter, am 18. September 1980, explodierte eine Titan II im Silo auf dem gleichen Komplex, wieder starb ein junger Air Force Techniker durch eingeatmeten Oxidator.

Re: Re: Geo-IK-2 Nr. 2 auf Rokot/Briz-KM
« Antwort #9 am: 05. Juni 2016, 11:47:38 »
Hallo,
und danke an "Martin".
Noch eine Erklärung zu meinen Zahlen: aus dieser konkreten Baureihe UR-100/UR100NU sind die "Rokots" entstanden. Und diese wurden meines Wissens in Moskau gefertigt. Es gibt auch eine Serienfertigung der Rakete in Dnepropetrovsk sowie weitere Varianten, z.B. UR-100/UR-100U oder UR-100K/UR-100KU. aber wir triften zu sehr in ein eigentlich nicht mehr zum behandelten Start von gestern ab. Das Thema gehört eher zum Komplex Raketen, doch dort finde ich keine neuen Angaben. Oder ich bin nicht fähig, das richtige Suchschema zu finden...

Der Satellit hat übrigens die Bezeichnung Kosmos-2517 erhalten. Ein weiterer ist in Planung/Bau. Der startet aber dann nicht mehr auf Rokot. Diese hat z.Z. wohl noch vier definitive Buchungen, zwei durch Eurockot und zwei von den russischen Militätärs. Die fünfte verbliebene Rakete ist noch nicht gebucht, auch aus Reservegründen.
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Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #10 am: 05. Juni 2016, 12:26:42 »
Bei all der begründeten Sorge wegen der giftigen Treibstoffe sollte man eines nicht vergessen: Bei jedem Start eines solchen Trägers gibt es eine Interkontinentalrakete weniger. Ich finde das erfreulich.
« Letzte Änderung: 05. Juni 2016, 12:42:10 von Martin »
„Die Erde ist die Wiege der Menschheit, aber der Mensch kann nicht ewig in der Wiege bleiben. Das Sonnensystem wird unser Kindergarten.“ K. E. Ziolkowski

-

Stolzer Träger einer Raumconverwarnung wegen Schreibens unbequemer Wahrheiten.

Martin

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Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #11 am: 05. Juni 2016, 14:13:12 »
Hallo,
und danke an "Martin".
Noch eine Erklärung zu meinen Zahlen: aus dieser konkreten Baureihe UR-100/UR100NU sind die "Rokots" entstanden. Und diese wurden meines Wissens in Moskau gefertigt. Es gibt auch eine Serienfertigung der Rakete in Dnepropetrovsk sowie weitere Varianten, z.B. UR-100/UR-100U oder UR-100K/UR-100KU. aber wir triften zu sehr in ein eigentlich nicht mehr zum behandelten Start von gestern ab. Das Thema gehört eher zum Komplex Raketen, doch dort finde ich keine neuen Angaben. Oder ich bin nicht fähig, das richtige Suchschema zu finden...

Ja, die Geschichte der -100er ICBM ist kompliziert. Muss man wieder in den 1950er Jahren anfangen, Tschelomej (OKB-52, heute Chrunichew) war damals noch nicht im Geschaeft mit den grossen Raketen taetig, sondern arbeitete an taktischen Waffen (Anti-Schiffsraketen, etc).

Anfang der 1960er Jahre stand die UdSSR, was strategische (interkontinentale Waffen) anging, mit heruntergelassenen Hosen da. Die beruehmten Bomber- und Missile-Gaps, die in den USA die Politik in Aufregung versetzten, gab, es tatsaechlich, nur eben andersum. Praktisch hatte die UdSSR keine Moeglichkeit, einen Gegenschlag gegen die USA auszufuehren. Die Bomberflotte war klein und hatte bei der politischen Fuehrung keine grosse Unterstutzung, und die R-7A war, militaerisch gesehen, ein sehr teurer Schuss in den Ofen (diese Situation trug entscheidend zum Entstehung der Kuba Krise bei). Auch der Nachfolger R-9A aus dem Hause Koroljow (OKB-1) war nur etwa auf dem technischen Stand der Atlas-E/-F.  Das einizge Buero, dass eine einigermassen einsatzfaehige ICBM zu Stande brachte, war Juschnoje (OKB-586) mit der R-16 (welche uebrigens einen noch gefaehrlicheren Oxidator einsetzte: IRFNA - rotrauchende Salpetersaeure).

Zu diesem Zeitpunkt (1962) gab die sowjetische Regierung die Entwicklung 4 neuer ICBM Typen in Auftrag, um das Problem zu loesen und den Amerikanern (hier vor allem der Minuteman, welche den Sowjets den Schlaf raubte) etwas entgegenzusetzen. Eine leichte feststoffgetriebene ICBM als Gegenstueck zur Minuteman, eine schwere ICBM als Ersatz fuer die R-16, eine ueberschwere ICBM fuer einem 50MT+ Sprengkopf und eine orbitale ICBM.

Die feststoffgetriebene ICBM ging an OKB-1, wurde auch ein Desaster und beendete OKB-1 Aktivitaeten im ICBM Geschaeft - allerdings wurde das Projekt Ende der 1960er an ein anderes Buero uebergeben - das heutige MITT in Moskau, und bildete den Grundstock fuer die meisten sowjetischen Feststoff ICBM bis heute, also bis hin zur Topol-M Familie.

Die schwere ICBM ging an Juschoje (R-36), ebenso die orbitale Rakete (wurde eine Subvariante der R-36 - die R-36O) und die ueberschwere ging an den Newcomer im Geschaeft, Tschelomej (die UR-500, spaeter Proton).

Da das RT-2 Programm (die leichte Feststoffrakete) allerdings auf grosse technische Huerden stiess, gab man dann zwei Backup-Projekte fuer leichte Raketen mit fluessigen Treibstoffen 1963 in Auftrag - die UR-100 (ging an Tschelomej) und die UR-200 R-38 (Jangel). Da man aber befuerchtete, das Jangel mit der R-36 und dem neuen Projekt ueberlastet sei, strich man die UR-200 und Tschelomej hatte mit der UR-100 den Jackpot gewonnen.

Die Entwicklung der UR-100 verlief auch weitgehend problemlos und Tschelomej liess seiner Erfahrungen aus dem Bereich der Anti-Schiffsraketen einfliessen. So wurden die fertigen UR-100 schon im Werk in spezielle Startkanister verpackt und so gut konserviert in die Silos  eingebracht. Ab 1966 wurde 990 der UR-100 Raketen in Silos ueber die ganze Sowjetunion verteilt stationiert, also ein gigantischer Auftrag. Die Rakete wurde tatsaechlich zum sowjetischen Gegengstueck der Minuteman (wenn auch andere Treibstoffe genutzt wurden).

Jangel war darueber aber nicht sonderlich gluecklich und lobbiete mit einem Think Tank (ja, gab es auch in der Sowjetunion), dass diese 2. Generation von Raketen immer noch nicht das Optimum sei und man eine neue Generation brauche. Das war 1968, waehrend die Stationierung der UR-100 und R-36 noch lief. Die Raketentruppen waren gar nicht gluecklich, das man ihnen schon wieder eine neue Systeme aufdraengen wollte. Nur war der Kunde dort eben nicht Koenig und es kam tatsaechlich zur Auschreibung fuer einen UR-100 Nachfolger.

Jangel beteiligte sich mit der MR-UR-100 und Tschelomej liess sich nicht lumpen und schickte gleich zwei Raketen in Rennen - eine modernisierte Version der UR-100, die UR-100K sowie eine voellige Neuentwicklung, die UR-100N (die verwirrenden Bezeichnungen waren damals Mode und sollten wohl Entscheidungstraeger gnaedig stimmen - "nein, ist keine teure Neuentwicklung, nur ein leichtes Upgrade..." - siehe TU-22 / TU-22M oder R-36 / R-36M).

Und tatsaechlich wurde ein Testflugprogramm fuer alle 3 Programme genehmigt und ein erbitterter Wettstreit zwischen den Bueros entbrannte, auch bekannt als kleiner Buergerkrieg zwischen den Entwicklern. Auch bei Abschluss des Testflugprogrammes gab es keine Entscheidung, und zum loesen der festgefahrenen Situation wurden die Beteiligten zu einem kleinen Gipfeltreffen auf Stalin's alten Anwesen auf der Krim eingeladen, Brezhnew sass dem ganzen persoenlich vor. Ergebnis: Alle drei Raketen wurden gebaut und stationiert. Jangel bekam zeitgleich ausserdem auch noch den Auftrag fuer eine neue schwere ICBM, der R-36M.

1971 erreichte die UR-100 ihre maximale Stationierungszahl von 990 Raketen, ein Jahr spaeter begann man schon wieder mit der Ausmusterung und Umbau der Silos fuer die neuen Raketen. Aus der einheitlichen leichten ICBM Flotte wurden nun drei, mit der dreifachen Infrastruktur, mit jeweils unterschiedlich zu schulenden Personal, Transporteinrichtungen, Erstatzteilen, Testanlagen etc...

Tschelomejs UR-100N stiess in der operativen Phase dann aber auf Schwierigkeiten, und es taten sich weitere Risse zwischen seinem Buero und den Entscheidungstraegern auf. Starke Pogo-Schwingungen, welche waehrend der Entwicklungsphase nicht entdeckt wurde, reduzierten die Treffgenauigkeit erheblich und die Flotte von nun 360 Raketen musste teuer nachgeruestet werden.
 
Aber da kam schon wieder die naechste Phase der Entwicklung. Ungluecklich mit der Treffgenauigkeit und Ueberlebensfaehigkeit der ICBM Flotte wurde ein neues Programm fuer alle ICBM in Auftrag gegegeben, zu deutsch in etwa Massnahmen zur Kampfwertsteigerung mit dem russischen Kuerzel UTTH. Die exisitierenden Raketen wurden aber nicht einfach nachgeruestet (die Neuentwicklungen betrafen bei allen Systemen im wesentlichen den MIRV Bus und die Silos), sondern es wurden ab 1975er Jahre komplett neue Raketen gebaut, also die UR-100NUTTH, die MR-UR-100UTTH, die R-36MUTTH und die UR-100UTTH.

Diese UTTH's waren dann auch die letzten ICBM's aus dem Buero von Tschelomej, er war bei den militaerischen Entscheidern und besonders Ustinow (der Verteidigungsminister, nicht der Schauspieler) nicht mehr gern gesehen und wurde aus dem Geschaeft gedraengt (ICBM's, nicht Raumfahrt). Ab Ende der 1980er Jahre begann dann auch die Ausmusterung der UR-100NUTTH und 60 waren zum Ende der Sowjetunion bereits durch Jangels neue Feststoff ICBM RT-23UTTH ersetzt (Gegenstueck zur amerikanischen MX). Heute stehen schaetzungsweise noch 30 UR-100NUTTH in Dienst, alle in Tatischchewo.

Alle Auftraege nach der UTTH Phase gingen entweder an Jangel oder das MITT - und fuer die aktuelle Sarmat ueberraschenderweise an Makejew. Auf jedenfall ist mit der Entwicklung letzterer die Zukunft fuer UDMH und NTO als Treibstoffe fuer die naechste Dekade (und wahrscheinlich darueber hinaus) gesichert.

Einen zeitlichen Ueberblick mit jaehrlicher Aufschluesselung zu den sowjetischen ICBM gibt es hier:
http://russianforces.org/podvig/2008/06/the_window_of_vulnerability_that_wasnt.shtml
« Letzte Änderung: 05. Juni 2016, 17:12:13 von Martin »

Wilga35

  • Gast
Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #12 am: 05. Juni 2016, 17:04:05 »
Hallo Martin,

vielen Dank für die ausführlichen Erläuterungen zu den sowjetischen ICBMs. Sie sind ein guter Einstieg in das nicht gerade einfache, äußerst komplexe Thema.
In einem Punkt muss ich Dir aber wiedersprechen:


Da das RT-2 Programm (die leichte Feststoffrakete) allerdings auf grosse technische Huerden stiess, gab man dann zwei Backup-Projekte fuer leichte Raketen mit fluessigen Treibstoffen 1963 in Auftrag - die UR-100 (ging an Tschelomej) und die UR-200 (Juschnoje). Da man aber befuerchtete, das Juschnoje mit der R-36 und dem neuen Projekt ueberlastet sei, strich man die UR-200 und Tschelomej hatte mit der UR-100 den Jackpot gewonnen.


Die UR-200 stammte nicht aus dem Hause Juschnoje (OKB-586), sondern ebenso wie alle anderen Raketen mit dem Kürzel UR aus dem Hause Tschelomej (OKB-52). Zur Klasse der leichten ICMB gehörte sie auch nicht, sondern als direkte Konkurrenz zu Jangels R-36 gehörte sie zu den schweren ICBM. In die Bewaffnung aufgenommen wurde allerdings letztendlich Jangels R-36, sodass die UR-200 nach neun absolvierten Testflügen wieder in der Versenkung verschwand. Tschelomejs Projekt einer Globalrakete unter der Bezeichnung UR-200B existierte sogar nur auf dem Papier und hatte keine Chance auf Verwirklichung. Auch auf diesem Gebiet setzte sich das OKB-586 mit der R-36orb durch.
In Tschelomejs OKB-52 war Nikita Chruschtschows Sohn Sergej als Ingenieur angestellt, und Tschelomej hatte auch aus diesem Grund fest damit gerechnet, dass er mit der UR-200 das Rennen machen würde, allerdings halfen die familiären Beziehungen in diesem Fall nicht. Sein OKB hatte aber mit der UR-100 den Zuschlag bei den leichten ICBM bekommen, was ihn versöhnlich gestimmt haben dürfte.

Gruß, Wilga35

Martin

  • Gast
Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #13 am: 05. Juni 2016, 17:15:47 »
Hallo Wilga,

Du hast natuerlich Recht, man sollte doch nicht alles aus dem Kopf machen. Ich meinte die R-38. Es blieb bei einer Studie.

Martin

Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #14 am: 05. Juni 2016, 18:49:44 »
Nicht nur Rockot und Proton sind Giftschleudern.
Alle chinesischen Raketen der Baureihen CZ-2, CZ-3 und CZ-4 fliegen mit der gleichen Treibstoffkombination.
Die GSLV hat Booster mit dieser Treibstoffkombination.
Auch Feststoffbooster sind nicht gerade umweltfreundlich (ich denke da vor allem an die großen Booster der Ariane 5 oder die Erststufe der PSLV, GSLV).
Deswegen mag ich die Delta IV Heavy - eine große, aber saubere Rakete.

Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #15 am: 05. Juni 2016, 18:59:09 »
Martin schrieb:
Diese UTTH's waren dann auch die letzten ICBM's aus dem Buero von Tschelomej, er war bei den militaerischen Entscheidern und besonders Ustinow (der Verteidigungsminister, nicht der Schauspieler) nicht mehr gern gesehen und wurde aus dem Geschaeft gedraengt (ICBM's, nicht Raumfahrt).

Tschelomej und Dimitri Ustinow waren seit Jahrzehnten Intimfeinde. Tschelomej´s Büro stieg in der Chruschtschow-Arä steil auf, bekam dann nach dem Sturz von Chruschtschow große Probleme,
war aber immer noch bei der militärischen Führung gut angesehen. Die UR-100 erwies sich auch als großer Wurf, insbesondere das Konzept der "Ampulisation", also der Langzeitlagerung im
hermetischen Container bei Montage unter Werksbedingungen.

Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #16 am: 07. Juni 2016, 09:44:32 »
Hallo,

der nächste Start der Rokot verschiebt sich wohl aufs Jahresende, siehe hier: http://tass.ru/en/science/880363
Da ist also jetzt eventuell Eurockot vorher dran.
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tonthomas

  • Gast
Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #17 am: 07. Juni 2016, 19:54:43 »
Hallo,

der nächste Start der Rokot verschiebt sich wohl aufs Jahresende, siehe hier: http://tass.ru/en/science/880363
Da ist also jetzt eventuell Eurockot vorher dran.
Als Begründung für die Verschiebung steht in der TASS-Meldung, die Rakete sei nicht bereit bzw. nicht vorbereitet. Gäbe es denn für einen Flug für Eurockot eine Rakete, die rechtzeitig, wann immer das von heute aus sein soll, bereit wäre?

Gruß  Pirx

Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #18 am: 07. Juni 2016, 20:54:39 »
Hallo,

laut meines Wissens (Gespräche auf Messen mit Standmitarbeitern von Eurockot) haben sie Zugriff auf die Raketen, die fest gebucht sind. Bisher wurde keine Rakete, die gebucht und vorgesehen war, ihnen vorenthalten. Das Militär hat seine eigenen Exemplare in Reserve.

Lt. der Startvorschau der russischen Seite NK sind doch alle von mir gehandelten Rokot-Trägerraketen jetzt vergeben, zweimal für Eurokot 2016 und 2017 und dreimal für die Streitkräfte. Zwei Starts mit Gonets und einmal der dritte Musson. Mal sehen, ob es sogar noch Neubestellungen gibt. Sonst ist nächstes oder übernächstes Jahr Schluss mit der Rakete als Raumfahrtträger, der Rest wird dann wirklich zerlegt und ist Geschichte.
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GerdW

  • Gast
Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #19 am: 01. Juli 2016, 16:37:29 »
Hallo,

der nächste Start der Rokot verschiebt sich wohl aufs Jahresende, siehe hier: http://tass.ru/en/science/880363
Da ist also jetzt eventuell Eurockot vorher dran.

Der Hersteller der Gonets-M Satelliten ISS Reshetnev meldet: Wir wären soweit.

Zitat
Gonets satellites waiting for launch

Information Satellite Systems – Reshetnev Company has finished building the Gonets-M №26 satellite.
...
Now the satellite is put into storage at the company’s facilities and will wait for its launch which is slated for this fall. Gonets-M №26 is going to be launched together with two other satellites of the Gonets-M series which have been also completed by the company earlier this year.
...

http://www.iss-reshetnev.com/media/news/news-290616

Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #20 am: 05. September 2019, 11:05:46 »
Welche Chancen hat das Projekt Rokot-2 ?
Das russische Militär hat doch schon vor Jahren erklärt, auf die Treibstoffkombination UDMH+N2O4 wegen der Umweltbedenken und der Gefahr für das Bodenpersonal
verzichten zu wollen.

Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #21 am: 05. September 2019, 22:38:38 »
Die Rokot-2 wird es schwer haben, zum Einsatz zu kommen. Es bedarf neuer Lenksysteme, Bodenanlagen zur Kommunikation etc. Das Programm erfordert enorme Kosten, nur die nun umzurüstenden Raketen sind zeitlich nah verfügbar. Sie russischen Militärs sind nicht scharf auf diese Rakete, schon die verwendeten Treibstoffe sind bedenklich. Auch steht mit der Sojus-2.1w in Russland eine Rakete zur Verfügung, die fast durch ihre Erprobung ist und wohl weiter produziert wird. Es sind mehrere Raketen in den nächsten Jahren geplant. Produktionszahlen fand ich aber bisher nicht.
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Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #22 am: 03. November 2019, 08:45:19 »
Es ist weiterhin unklar, wann die letzte Rockot mit 3 Nachrichtensatelliten vom Typ Gonez-M starten wird.
Der Start wurde jetzt wohl vom 29.11.2019 auf den 25.12.2019 verschoben, aber ich denke, es bleibt weiter unsicher.

https://ria.ru/20191102/1560515107.html

Offline orion

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Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #23 am: 04. November 2019, 07:57:53 »
Es ist weiterhin unklar, wann die letzte Rockot ... starten wird.
...

Die Rokot wird weiter starten, nur nicht mehr mit ukrainischer Steuerung. Nennt sich wohl dann Rokot 2.

Re: Konvertierte ICBM - Rokot, Titan 23G und Co
« Antwort #24 am: 12. November 2019, 15:54:42 »
Roskosmos meldet die Ankunft der Oberstufe Bris-KM und der Nutzlastverkleidung  der Rokot in Plessezk.
Es scheint jetzt also doch voran zu gehen.

https://www.roscosmos.ru/27735/