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Raumfahrt => Konzepte und Perspektiven: Raumfahrt => Thema gestartet von: tomtom am 26. Februar 2010, 21:30:20

Titel: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 26. Februar 2010, 21:30:20
Die NASA hält sich ja im Moment schwer zurück mit irgendwelchen Zielen und Programmen. Gleichwohl gibt es die Erwartungshaltung, dass die privaten Anbieter es billiger und schneller können.

Fakt ist, dass die Shuttles dieses Jahr eingestellt werden sollen.
Plan ist, dass die Commercials irgendwann Astronauten ins All schicken sollen (schneller und billiger als bei Ares 1).

Die Frage nach der Umsetzbarkeit und des Zeitrahmens ist nicht nur eine technische, sondern vor allem auch eine organisatorische.

Auch wenn es noch keine Verträge oder feste Programme gibt, die Regierung hat sich hier eine Einschätzung zu eigen gemacht, die von den Commercials propagiert wird. Wir wissen eigentlich nicht, wer hinter dieser Vorstellung steckt, aber Spekulationen gehen in Richtung Lori Garver.

Hier ist nun eine schöne Nasa-Dokumentation aus dem Projektmanagement, der Untertitel ist schon Klasse:
"Hope is NOT a Valid Management Strategy".
Sie thematisiert, dass man optimistischen Schätzungen wenig glauben schenken sollte, vor allem, wenn man noch am Anfang steht, was bei den Commercials bzgl. Crew-Transport der Fall sein dürfte.
Projektbeispiele sind Apollo, Space Shuttle, ISS, etc.
Die Präsentation räumt auch auf mit der Vorstellung, dass früher alles besser war.

Witzig finde ich die Seite 15, wo ein bildlicher Vergleich gezogen wird zwischen Plan-Vorstellung und dem IST der Shuttle-Wartung. So hatte man sich diese "game-changing-technologie" Space Shuttle ursprünglich vorgestellt.
http://pmchallenge.gsfc.nasa.gov/docs/2010/Presentations/Glenn.Butts%20-%20Mega%20Projects%20Estimates.pdf

Die Commercials machen sicher einen tollen Job, aber mir scheint die Erwartunghaltung bei einigen bzgl. Zeit und Kosten doch etwas unrealistisch zu sein. Wenn man aber realistisch wäre, würde die Regierung so vorgehen, wie man es z.Zt. tut? Daher frage ich mich, ob und wann die Amis wieder einen Astronauten ins All schicken, sofern nicht mit der Sojus ?

Ob in der Präsentation die richtigen Schlußfolgerungen gezogen werden, um Schätzungen realistischer zu machen, ist dann nochmal eine andere Frage.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 26. Februar 2010, 21:34:25
Hallo tomtom,

an sich ist das Thema gut und interessant, auch hast du einige Aspekte sehr gut zusammengefasst. Aber warum dieser eigene Thread und warum im technologischen Konzeptbereich? Ich sehe, so wie es eröffnet ist, momentan kein Alleinstellungsmerkmal und keine Trennschärfe zu den Strategiediskussionen im bemannten Bereich.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: GlassMoon am 26. Februar 2010, 21:35:36
Bolden sagte letztens erst selber, dass das Shuttleprogramm ein "Beweis" dafür wäre, dass die kommerziellen Vertragspartner zuverlässig arbeiten.

Aber warum sollten ebendiese Vertragspartner in Eigenorganisation billiger, sicherer, zuverlässiger und schneller sein?
Gut, mit mehr Konkurrenz könnte billiger und schneller vielleicht eine Zeit lang erfüllt werden, aber sicher und zuverlässiger?
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 26. Februar 2010, 21:46:21
Hallo Schillrich,

ja, ich war mir auch unsicher wo ich das hinstelle. Es geht mir hier weniger um strategische Sichtweisen (auch wenn ich das hier erstmal so breitgetreten habe), sondern eher um den Aspekt -Aufwandschätzungen-.

Wirtschaftliche Aspekte führen unter den Strategiethread gerne schonmal zum zumachen und sind auch nicht auf bemanntes begrenzt. Es ist ein Versuch. Wenn es nur auf Strategiediskussion hinausläuft, kann man es auch vorhandenes anhängen.

Gruß tomtom
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 26. Februar 2010, 21:56:36
Ich bin skeptisch, da mir Trennschärfe und Inhalt noch fehlen.

Wenn hier pseudo-sozio-ökonomische Beiträge kommen und sich hinter "wirtschaftlichen Diskussionen" verstecken, wird auch hier zugemacht.

Ich lasse den Thread aber offen, da sich doch ein interessante Diskussion entwickeln kann. Das verlinkte Papier des GAO ist sehr interessant und auch kontrovers.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tobi453 am 27. Februar 2010, 12:35:21
Dieses Bild ist schon interessant:
(https://images.raumfahrer.net/up027701.jpg)

@tomtom: Beim kommerziellen Crewtransport muss kein 25 Tonnen Nutzlastträger entwickelt werden, 10 Tonnen LEO Nutzlast tun es auch, außerdem muss nur eine kleine LEO Kapsel entwickelt werden, nicht eine interplanetare Kapsel wie Orion. Laut HSF-Komitee kann eine solche Kapsel Ende 2016 einsatzbereit sein, das setzt natürlich voraus, dass jetzt schnell ein entsprechendes Programm auf den Weg gebracht wird. Als Referenz hat das HSF-Komitee hier das Geminiprojekt herangezogen, was vor 40 Jahren in einem ähnlichem Zeitraum  durchgeführt wurde.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 27. Februar 2010, 12:41:37
Naja, ein Bild sagt mehr als tausend Worte ... aber sagt es wirklich etwas aus?

Die beiden Bilder stehen schon für das was mit dem Shuttle passiert ist, aber das lässt sich durch Zahlen belegen, nicht durch diese Bilder. Die Bilder sind einfach nur plakativ. Ein volles Gerüst gegenüber einem leeren Hangar ist noch keine wertvolle Aussage.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: James am 27. Februar 2010, 13:06:55
Am Anfang eines Programmes sind die Vorstellungen immer etwas "einfach". Also: wir betreiben ein Raumfahrzeug wie ein Flugzeug, und damit haben wir die Kosten gesenkt, weil das Prozessing so super "flugzeug-like" einfach ist. Das Dumme dabei ist, das sich ein Flugzeug von einem Raumfahrzeug halt trotzdem so sehr unterscheidet. Schon auf dem linken Bild kann man sich fragen wie die Angestellten zum Montieren der Nutzlast in die Nutzlastbucht kommen. Über die Radiatoren steigen? Also baut man eine Plattform. Und für dort wo man noch öfter hin muß auch noch Eine. Das ist dann das rechte Bild. Das linke Bild war also kein lang überlegtes Operations Concept, so wie es dortsteht, sonder eine einfache (naive?) Wunschvorstellung. Erst wenn man ein Vorhaben ausarbeitet, sieht man welche Probleme es gibt, und was alles notwendig ist. Die frühen Erwartungen sind immer "einfach".
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: runner02 am 27. Februar 2010, 20:12:28
Ich hätte hinter das Shuttle im Bild ja noch zwei Shuttles in einer Schlange gestellt, die die hohen Startraten (1* pro Woche geplant!) andeuten hätten können...
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 01. März 2010, 20:47:21
@tobi453: thx für den Bildeinbau..
Das HSF-Komitee meinte, dass ein kommerziell bemanntes System Ende 2016 einsatzbereit sei. Wo kommt diese Einschätzung her? Du sagst, dass man die Erfahrungen aus dem Projekt Gemini genommen hat. Diese Ansicht dürfte auch von den Kommerziellen kommen, zumindestens vertreten sie dies auf ihrer Webseite, auch R. Burton zitierte es.

Wir können ja mal festhalten, dass die Analogiemethode für Schätzungen gar nicht so schlecht ist, allendings muß man untersuchen, wo die Gemeinsamkeiten und wo die Unterschiede, und zwar in positiver wie auch negativer Richtung liegen.

Es lohnt vielleicht mal ein Vergleich Gemini/TitanII/Martin+McDonnall mit Dragon/Falcon9/SpaceX. Da ich nicht so im Thema bin, beschränke ich mich hier mal auf eine Angabe aus Wickipedia:
Die US Air Force bestellte die TitanII beim Entwickler Mitte 1960; bemannter Erstflug dann März 1965, nach zwei unbemannten Gemini-Starts.
Die Infos von SpaceX für das HSF, dass wohl zu der Aussage 2016 geführt hat:
http://www.spacex.com/20090617_Elon_Musk_Augustine_Commission.pdf
die mittlerweile veraltet sind (sh. geplanter Start unbemannte DragonLab1 - ursprünglich 2010, jetzt 2012?).
Ich würde SpaceX jetzt eher so in das Jahr 1955 reinschätzen.

Die "Einfach"-Theorie ist auch interessant. Die NASA-Präsi thematisiert dazu ja, dass in frühen Projektphasen der geschätzte Aufwand nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Wenn man eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit haben will, muß man das Budget um einen Faktor höher multiplizieren.
Bei den Privaten kann man sicher davon ausgehen, dass zumindestens solange keine Verträge zu unterschreiben sind, eher sehr optimistische Einschätzungen gemacht werden.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 14. Juli 2010, 10:09:51
Bei der NASA wurden vom National Research Council Kostenschätzungen und -überwachung von Erdbeobachtungs- und Wissenschaftsprojekten analysiert. Den Gründen von Kostenüberschreitungen wollte man auf den Grund gehen und fordert eine Strategie zur verbesserten Planung und Kostenüberwachung dieser Missionen.

benannte Probleme: Verbesserungen:
http://www.nap.edu/catalog.php?record_id=12946
http://www.spaceref.com/news/viewpr.html?pid=31237
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 17. Juli 2010, 10:42:31
SpaceNews berichtet über eine Reaktion auf die Studie.
http://www.spacenews.com/civil/100716-cost-control-strategies-elusive.html

Ed Weiler, NASA associate administrator for science, meint, dass es noch andere Faktoren geben muß. Man mache viele Reviews und Design-Studien, doch Projekte wie das JWST ergeben dennoch eskalierende Kosten.
Er vermutet eher die unbekannte Anzahl von Unbekannten oder das menschliche Verhalten und zeigt sich ratlos. "Niemand hat uns in den letzten 50 Jahren die magische Lösung geben können, bei all den Projekten, dessen Kosten davonlaufen."
Beispiel JWST:
- genehmigt 1999
- geschätze Lifecycle Kosten 5 Mrd $, bis jetzt in 10 Jahren 2 Mrd $ verbraucht
- vor 3 Jahren wurden Kosten von 260 Mio für 2011 geschätzt, jetzt sind es 470 Mio.
- eine Kamara (NIRCam) wurde 2001 mit 50 Mio. geschätzt, heute sind es 200 Mio.

Interessanterweise wird als Positiv-Beispiel das GPS 3 Programm genannt. Erfolgsfaktoren seien 2 Lieferanten, die beide im Wettbewerb am System bauen. Man sei etwas dem Zeitplan voraus und innerhalb des Budgets.
Dagegen wird angeführt, dass man ein Flagschiff-Projekt wie JWST nicht mit einem inkrementellen Projekt wie GPS vergleichen könne.

Dann wird noch nach Einsparmöglichkeiten gesucht
(- Reduzierung der Anforderungen und )
(- Absenken der Zuverlässigkeit durch weniger Tests).
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: websquid am 17. Juli 2010, 10:47:48
Man mache viele Reviews und Design-Studien, doch Projekte wie das JWST ergeben dennoch eskalierende Kosten.
Vielleicht ist auch genau das das Problem. Wenn man eine machbare Lösung gefunden hat, sollte man vielleicht lieber dabei bleiben, statt noch diverse Umplanungen zu machen. Die kosten nämlich Zeit und damit Geld.

Kleines historisches Beispiel: Die ersten bemannten Raumflüge. In der UdSSR hat man sich überlegt: "Können wir eine Kugel als Rückkehrkapsel nehmen? Funktioniert! Gut nehmen wir!"

Währenddessen hat man in den USA monatelang Windkanaltests gemacht, bis man eine Entscheidung getroffen hat, für die beste erprobte Form (eine Kegelform). Das NASA-Problem sehe ich am ehesten da drin, immer die beste Lösung haben zu wollen, statt eine, die irgendwie auch funktioniert, aber vielleicht technisch nicht so elegant ist.

mfg websquid
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 17. Juli 2010, 11:31:41
Hallo websquid,

klingt plausibel, ich bezweifel allerdings etwas, dass das hier eine kulturelle Frage ist. Leider kenn ich keine Beispiele aus dem russischen Bereich, wär aber mal interessant.

Vielleicht kann man den Grund sehen in einer zu wissenschaftlich dominierten Projektweise, die dieses probieren und maximieren begünstigt, aber auch das glaube ich eigentlich nicht.

Zumindestens zeigt es, dass nicht bloß Großprojekte oder bemannte Projekte, sondern auch kleinere Science Projekte öfter mal mehr Geld benötigen als gedacht.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 17. Juli 2010, 11:38:15
Im Projektmanagement sind Reviews nicht zu unterschätzen. Gerade am Anfang muss man viel "Schmalz" reinstecken, auch wenn es übertrieben scheint. Wenn man Risiken und Probleme zu spät erkennt, hat man keine Chance mehr diese im ursprünglichen Rahmen zu lösen.
Und gerade "Flagship"-Missionen sind immer von einem relativ hohen technologischen Risiko begleitet. Wenn sich "die Lösung" nicht zeigt, muss man Vorstudien und Tests machen und Demonstratoren bauen.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: websquid am 17. Juli 2010, 16:09:40
Wenn sich "die Lösung" nicht zeigt, muss man Vorstudien und Tests machen und Demonstratoren bauen.
Das ist klar. Mir gings auch nur um Sachen, wo es mehr als eine mögliche Lösung gibt. Da ist es dann eine Frage des Entscheidungsprozesses - testet man aus , was das beste ist, oder sucht man einfach so was raus. (Dabei sind Diktaturen klar im Vorteil ::) ;D)

mfg websquid
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 17. Juli 2010, 16:15:40
Hallo,

naja, ich sehe da auch nicht "den kulturellen Unterschied". In der UdSSR wurde auch viel Aufwand im Wettrennen betrieben, nur ist das nicht "so bekannt", da man keinen Einblick gewonnen hat. Dabei gab es auch Grabenkämpfe zwischen den "Anbietern" und teilweise sinnlose Doppelentwicklungen.
Außerdem, aus heutiger Sicht sind die "paar Monate" zwischen den jeweiligen Erstleistungen der Seiten doch wirklich marginal und so letztendlich auch kein echter Bewertungsmaßstab.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 17. Juli 2010, 16:25:11
In allen Technologiebereichen sieht man heute ja die selben Symptome: Budget- und Zeitüberschreitungen. Dabei sind es meistens ja doch nur "Evolutionen" bspw. in Raum- und Luftfahrt. Trotzdem laufen Auftragnehmer und -geber quasi immer "sehenden Auges" ins offene Messer.
Abgesehen davon, dass die Komplexität hier das Risiko treibt, liegt das Problem wohl eher im kulturellen/politischen/rechtlichen/ökonomischen Bereich. Bei Ausschreibungen öffentlicher Aufträge muss es günstig sein, beherrschbar erscheinen und schneller gehen als bei den Konkurrenten. Beim Vertragsschluss wissen dann meist beide Seiten: Das wird nichts, den "Rest" entwickeln und bezahlen wir später. Hauptsache man hat erst mal den Vertrag ...

Im Rüstungsbereich kenne ich es, dass der Auftraggeber seine eigentlich existenten Vertrags- und Haftungsrechte nicht anwendet ... auß vielerlei Gründen. Ein Teil davon ist der menschliche Faktor, wo keiner für das Ende eines Projekt verantwortlich sein will ... eine Frage des Verantwortungsbewusstseins und des Führungsstils. "Sollen sich doch andere für so etwas opfern ... ich habe erfolgreich alles versucht."

(Insofern doch ein kulturelles Problem ... aber keins von  "Diktatur vs. nicht-Diktatur" ;))
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 01. September 2010, 23:22:28
Kostenschätzungen sind in der Raumfahrt immer ein Thema, dass man scheinbar oder tatsächlich nicht wirklich im Griff hat. Jetzt hat Lockheed in seiner Monatszeitschrift einen Bericht, wo man Besserung gelobt.

Man will weg von Schätzungen, wo für eine Aufgabe die Anzahl von Leuten geschätzt wird und eher zu Schätzungen, die auf vorhandenen Daten anderer Programme basieren. Man möchte auch mehr Standardisierung.
http://www.lockheedmartin.com/data/assets/corporate/documents/LMToday-Aug10.pdf

Interessant auch das Cost-Estimating-Handbuch der NASA von 2008:
http://www.nasa.gov/pdf/263676main_2008-NASA-Cost-Handbook-FINAL_v6.pdf

Da steht alles über Budgetierung und Kostenschätzung drin. Da dürfte dann eigentlich nichts mehr schief gehn. ;)
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: holleser am 06. September 2010, 07:55:24
Jedes Projekt, welches per Mehrheitsentscheidung zur ausführung kommt hat das Problem der Kostenexplosion.

Hintergrund ist, das die Befürworter sehr optimistisch und ohne Puffer kalkulieren, damit die Entscheidung zu gunsten ihres Projektes fällt. Merkt mann dann nach der Hälfte der Ausführung, dass das Projekt doppelt so teuer wird wie geplant, kann man meistens keinen Rückzieher mehr machen und das Geld wird halt nachgeschossen. Hätte man von Anfang an realistisch geschätzt, wäre das Projekt nicht zur Ausführung gekommen.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 21. September 2010, 20:39:28
Heute muß ich mal wieder dieses langweilige Thema hervor kramen. ;).

Kostenabschätzung und -kontrolle ist natürlich auch für die ESA ein Thema - dort heißt es Cost Engineering. Zur Erfassung und Überwachung der Kostenstrukturen gibt es die (selbstgemachte?) Software ECOS. Info unter: http://www.esa.int/esaMI/Space_Engineering/SEMTSNFWNZF_0.html
 
Die gibts auch schon länger, so zb. im Bulletin 81 und 115 vorgestellt. Wenn ich das recht sehe, ist das aber weniger eine Software zur Kalkulation, sondern ein Werkzeug im Beschaffungprozeß gegenüber Lieferanten, also Ausschreibungen. Die Grenzen und Funktionen mögen auch fließend sein, da müßte man ins Detail gehen.

Für mich trotzdem etwas ungewöhnlich, dass ein Lieferant mehr oder weniger seine Kalkulation strukturiert in einer Work-Breakdown-Struktur dem Kunden elektronisch zur Verfügung stellt. Grundsätzlich beschreibt man ja die angebotene Leistung anders, als man den Produktionsprozeß organisiert.

Sollte es hier jemanden geben, der das Tool kennt, kann mich ja mal anschreiben.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 22. September 2010, 23:07:07
Hallo tomtom,

nach meinem Wissen nutzt die ESA ECOS auch nur zum Sammeln der Anbieterdaten. Das wirkliche parametrische Cost Engineering wird dort wohl mit PRICE gemacht. Im DLR arbeitet man daran PRICE zu nutzen. Die Herausforderung ist die Datenlage zum "Anfangsfüttern" der Software, und wie Cost Engineering in die Projektprozesse integriert werden kann.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 28. September 2010, 23:37:17
Zum Thema PRICE habe ich mir jetzt mal dieses Dokument angeschaut:
www.iisc.im/documents/Space_Policy_2008_5C.pdf
Da wird auch die EVM-Methode erläutert, die ich allerdings mehr aus dem IT-Bereich recht gut kenne.
Mit berechneten Kostenschätzungen auf vergangenen Daten und EVM Fortschreibungen habe ich eigentlich nur schlechte Erfahrungen gemacht. Ein paar Vorteile, zb. dass man sich methodisch fortbilden kann. :) Da würde ich von Cost Engineering im Raumfahrtbereich doch mehr erwarten.

Eigentlich ist das Verständnis über die Kosten (Entstehung/Dynamik) und dann die Projektstabilität der Schlüssel zur soliden Schätzung. Beides wird ersetzt durch eine mehr oder weniger lineare Formel, die sich aber in innovativen Projekten selten an diese Logik hält. (Stattdessen führt sie eher zu einer gewissen Eigendynamik.)
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 11. November 2010, 11:15:45
Beispiel JWST:
- genehmigt 1999
- geschätze Lifecycle Kosten 5 Mrd $, bis jetzt in 10 Jahren 2 Mrd $ verbraucht

wow, nach ein paar Monaten sind es jetzt nicht 5 Mrd, sondern schon 6,5 Mrd $.

Als Gründe werden genannt:
- keine Buttom-up Schätzungen
- Risiken wurden im Budget nicht berücksichtigt
- schlechtes Programm Management konnte trotz der Mängel weitermachen.

Man habe zwar gut in Technologieentwicklung investiert, aber die Kosten nicht im Griff.
Bolden hat sich sofort einsichtig gezeigt und will das Projektmanagement neustrukturieren.

http://www.spacenews.com/civil/101110-webb-costs-rise.html
http://www.aviationweek.com/aw/generic/story_channel.jsp?channel=space&id=news/awx/2010/11/10/awx_11_10_2010_p0-268507.xml&headline=James
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: knt am 12. November 2010, 14:25:21
Das die Verantwortlichen nach so einer Blamage einen Kotau machen und Besserung geloben ist allerdings auch nichts neues ;)
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 15. November 2010, 01:49:16
Kostenkontrolle beim JWST:
http://www.raumfahrer.net/news/raumfahrt/14112010105629.shtml

Der Redaktionsartikel schließt mit dem Satz:
"Die NASA ist laut Bolden verpflichtet, einen gangbaren Weg zu finden, auf dem mit realistischen Finanz- und Zeitplänen gearbeitet wird."

Das Diagramm dort zeigt den Unterschied zwischen letztes, von Obama bereits erhöhtes Astro-JWST-Budget (schwarze Linie) und der neuen Schätzung der Kommission (violette Linie).

Schauen wir mal, was die Kommission gemacht hat: -  Die hat 10 Wochen gearbeitet und Interviews geführt.
1. man nahm die Schätzung aus dem Projekt (Center Estimation),
2. hat diese angepasst aufgrund von 4 Veränderungen (Puffer Reserven für die restlichen Jahre; Launch in 2015; Risiken und Garantien; Aufwand für rückständige Arbeiten)
3. man hat die Zahlen mit einem Komplexitätsfaktor hochgerechnet.
Die Center Estimation liegt bei 6.0 Mrd., die angepaßte bei 6,2 und die der Kommision dann bei 6,5 Mrd. (im Budget sind bisher aber nur 5,0 Mrd.)

Was will Bolden oder das Management da jetzt machen? Nur das ausgeben, was bisher jährlich geplant war und das Programm strecken? Das ist genau das, was man 2008/2009 getan hat. Man hat mit der Brechstange das Jahresbudget eingehalten, aber so sind die notwendigen Aufwände für die nächsten Jahre nur höher angestiegen und der verschobene Start verursacht Mehrkosten.

Das wird richtig schwer.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Collins am 17. November 2010, 10:01:10
Das die Verantwortlichen nach so einer Blamage einen Kotau machen und Besserung geloben ist allerdings auch nichts neues ;)
Das Problem ist aber, das bei solch großen Behörden nur jeder einen hohen Posten mit dem entsprechenden Gehalt haben will, aber nicht die Verantwortung.
Und die, die in diesen Positionen sind, haben von der eigentlichen Materie wenig Ahnung aber gute Beziehungen in der Partei oder sonst wo, um in die Position zu gelangen.

D.h.aber auch das sie den Teufel tun werden um mit irgend was fest genagelt zu werden, was dem eigennen weiter kommen schadet. Diese Posten dienen ihnen nur oft als Reverrenz für den nächst höhren Posten in dieser oder einer anderen Behörde.

Mfg Collins
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: websquid am 17. November 2010, 15:29:25
Und die, die in diesen Positionen sind, haben von der eigentlichen Materie wenig Ahnung

Das mag durchaus stimmen. Sollte die NASA ihre Führungspositionen also anders besetzen? Verdiente Ingenieure zu Wirtschaftsingenieuren weiterbilden, so dass sie sowohl von der Technik als auch von der wirtschaftlichen Führung Ahnung haben?

Wenn nur "Fachidioten" zur Verfügung stehen, kann das ganze scheinbar nicht funktionieren, also muss der Fokus darauf liegen, die Führungskräfte in mehreren Ebenen (technisch, organisatorisch, betriebswirtschaftlich) aus-/fortzubilden.

mfg websquid
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Crest am 17. November 2010, 19:10:00
Dann bleibt immer noch das Problem, dass aus (Projekt)-politischen Gründen die Kosten absichtlich zu niedrig angesetzt werden, um ein Projekt überhaupt durchzubringen.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Collins am 19. November 2010, 10:53:31
Wenn nur "Fachidioten" zur Verfügung stehen, kann das ganze scheinbar nicht funktionieren, also muss der Fokus darauf liegen, die Führungskräfte in mehreren Ebenen (technisch, organisatorisch, betriebswirtschaftlich) aus-/fortzubilden.

mfg websquid
[/quote]

1. Eine Ausbildung wie wir sie ihr in Deutschland kennen gibt es in der U.S.A. nicht.

2. Ein "ernannter" wird immer ihm getreue Leute auf wichtige Positionen setzen, wo er sicher sein kann das sie seine Liene durchsetzen. Egal wieviel sie von der Materie verstehn.
Es ist mehr ein politscher Akt als ein betreibswirtschaftlicher.

3. Die NASA ist ja nicht nur für den Weltraum zu ständig sondern auch noch für die Luftfahrt.

4.
Dann bleibt immer noch das Problem, dass aus (Projekt)-politischen Gründen die Kosten absichtlich zu niedrig angesetzt werden, um ein Projekt überhaupt durchzubringen.

Einige Projekte sind wirklich nur rein Politisch um Arbeitsplätze zu erhalten und damit dem Senartor die nächste Amtszeit zu sichern ( oder einen anderen Politiker).

Die wissen oft auch im voraus das einiges zu teuer ist, und offen durch weg lassen einiger Punkte (z.B. Starkosten), wenn das Projekt an gelaufen ist, das die weiter Finanzierung
irgendwie schon klappt.

Mfg Collins
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 20. November 2010, 16:20:23
Ich wollte anmerken,
- die Großindustrie ist zwar anders aber ähnlich bürokratisch angelegt wie eine Behörde.
- Fortbildung ist immer gut, aber ich glaub nicht, dass mit ein bisschen Fortbildung solche Fehlschätzung wie beim JWST und anderswo erklärbar/lösbar sind.
- zu den Kernkompetenzen von Führungskräften gehört es, ihre Kostenstellen zu überwachen, da sollte man meinen, dass das mit Budgets ganz gut klappt. Das Gegenteil ist aber der Fall.

Am meisten überzeugt mich noch das Argument, dass man zu Beginn große Ideen hat, deren Details und Auswirkungen man kaum abschätzen kann und den Verbindlichkeitscharakter einer Schätzung gar nicht zuläßt.
In der Industrie heißt das dann Risikobereitschaft und Unternehmertum. ;)
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Collins am 22. November 2010, 16:41:41
@tomtom
Eine Großindustrie muß aber auch am Jahresende einen Gewinn erwirtschaften um zu überleben, und eine Behörde nicht. Da zahlt ein Unbekannter (hier der Steuerzahler) die Rechnung egal wie hoch sie ist.

Mfg Collins
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tobi453 am 22. November 2010, 18:16:18
@tomtom
Eine Großindustrie muß aber auch am Jahresende einen Gewinn erwirtschaften um zu überleben, und eine Behörde nicht. Da zahlt ein Unbekannter (hier der Steuerzahler) die Rechnung egal wie hoch sie ist.

Mfg Collins

Das ist das Problem. Eine Behörde kann soviele Schulden machen wie sie will und wer muss das wohl ausbaden....? >:(
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: runner02 am 22. November 2010, 19:28:09
Der Administrator?

Der wird im Notfall politisch 'geköpft'.


Ansonsten meintest du sicher den Steuerzahler...  ;D
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Flandry am 22. November 2010, 19:43:31
@tomtom
Eine Großindustrie muß aber auch am Jahresende einen Gewinn erwirtschaften um zu überleben, und eine Behörde nicht. Da zahlt ein Unbekannter (hier der Steuerzahler) die Rechnung egal wie hoch sie ist.

Mfg Collins

Du "vergisst" da allerdings zwei Kleinigkeiten:

Eine Behörde darf keinen Gewinn machen.
Eine Behörde muss den ihr zugewiesenen Etat aufbrauchen.

Wenn sie das nicht tut, bedeutet das, dass ihr 'zuviel' Geld zugewiesen wurde -wurde ja nicht gebraucht-, und der Etat im nächsten Jahr entsprechend gekürzt wird.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Collins am 23. November 2010, 07:12:02
Und da liegt der Hase im Pfeffer.  8)

Mfg Collins
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 20. Dezember 2010, 17:03:20
The Space Review (http://www.thespacereview.com/article/1747/1) macht einen weiteren Erklärungsversuch, warum Budgets und Zeitpläne in der Regel überschritten werden, speziell beim JWST. Genannt werden aber auch NPOESS, TSAT, Mars Sciences Laboratory, u.a.

- innovatives Technologieprojekt (zumindestens JWST galt jedoch als technisch gut geführt)
- steigende Leistung führt zu größerer Komplexität
- man ist einfach schlecht im Schätzen. Leute im Raumfahrt-Geschäft neigen dazu zu optimistisch zu sein.
- Die Leute wollen die Wahrheit nicht hören! Besonders Manager und Politiker.

Da ist was dran. ;)
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Collins am 20. Dezember 2010, 21:33:04
Da stimme ich dir voll und ganz zu.   :)

Mfg Collins
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 18. Februar 2011, 14:20:58
Das US Government Accountability Office (also quasi was hierzulande der Bundesrechnungshof ist) hat einen Bericht abgeliefert, in der auch die NASA vorkommt und in dem die massiven Schwierigkeiten mit der Planung und Planeinhaltung von Projekten untersucht wird. Man fordert u.a. Verbesserungen für die Entscheidungsträger durch unabhängige Planungsinformationen. Quelle (http://www.spaceref.com/news/viewsr.html?pid=36108)
Zitat
- enhancing cost-estimating methodologies and as of 2009 ensuring that independent analyses are used to provide decision makers with objective representation of likely project cost and schedule results
- implementing a management review process in 2006 to enable it to more effectively monitor a project's performance, including cost, schedule, and cross-cutting technical and nontechnical issues.
Benannt ist natürlich auch das JWST-Projekt, dessen Review-Panel signifikatante Pannen im Management, Controlling und Kostenschätzung festgestellt hat.

Schaut man dann auf die Homepage von GAO, findet man sogar eine 420-seitige Guideline zum Thema Kostenschätzung! Quelle (http://www.gao.gov/products/GAO-09-3SP) (sogar recht aktuell von 2009). Diese ist dann zu einem großen Anteil geprägt durch die Forderung nach der Earned Value Methode (EVM), was auch im Zusammenhang mit der Nasa des öfteren gefordert und dort auch praktiziert wird.

Ich selbst habe nicht nur gute Erfahrungen mit EVM gemacht und halte sie von daher für etwas überschätzt. Allein schon aus dem Grund würde ich dann doch eher ein Fan der NewSpaceCommercial Fraktion werden. ;)
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 23. Februar 2011, 00:26:09
Gemäß diesem Report
http://www.nasa.gov/pdf/518642main_11-02_AuditFinance.pdf (http://www.nasa.gov/pdf/518642main_11-02_AuditFinance.pdf)
ist die Nasa seit April 2010 dabei, ein agenturweites System EVM Controlling einzuführen. Dabei hat man aber wohl erhebliche Problem und resultiert in der Aussage:
Nasa muß noch verstehen, wozu EVM bezüglich Kosten in der Lage ist oder nicht.

Na dann, viel Spass ;)
Zur Erläuterung, man verbindet damit gerne die Vorstellung, Projekte anhand von Kennzahlen zu steuern. Instrumente zur Steuerung machen natürlich Sinn, aber es ist jedoch ein bisschen so, als wolle man Autofahren nur nach Instrumenten durchführen, da fährt man dann allerdings sehr schnell gegen die Wand.

BTW: die Nasa will ihr Supply Management System auf SAP umstellen.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 26. April 2011, 00:28:13
hier eine wie ich meine bemerkenswerte Studie von Edgar Zapata/ Russel-E. Rhodes über die Erfahrungen mit Kostenentwicklungen u.a. beim Shuttle und der Saturn V.

Eine Kernaussage darin ist, dass die üblichen Prozesse zur Kostenkontrolle im Rahmen von Budgetprozessen, Reporting Prozessen (incl. Earned Value Methode) und Assessment Prozessen (review boards, unabhängige Studien etc.) nicht wirklich zur Kostenkontrolle taugen, da keine dieser Prozesse effektiv sind, um durch Designänderungen wirksame Ergebnisse in der Optimierung von Produktions- Herstell- und Betriebskosten zu bewirken. Das kann ich sehr gut nachvollziehen.

http://science.ksc.nasa.gov/shuttle/nexgen/Shuttle_Shortfalls.htm (http://science.ksc.nasa.gov/shuttle/nexgen/Shuttle_Shortfalls.htm)
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 24. August 2011, 12:45:46
Auf der NASA-Seite wurde jetzt ein interessanter Beitrag zum Thema beblogged:
http://blogs.nasa.gov/cm/blog/mattatnasa/posts/post_1314035416289.html (http://blogs.nasa.gov/cm/blog/mattatnasa/posts/post_1314035416289.html)

"Anleitung, wie man ein Projekt vor die Wand fährt"

Schritt 1: Definiere ein Projekt  mit den Zielen A, B und C. Sorge für eine solide Finanzierung dieser Ziele.

Schritt 2: Das Projekt muß jetzt unter dem Einfluß von mehr als einer Person gestellt werden, die dem Projekt eine Richtung geben sollen.

Das geht auf verschiedene Art, zb. durch Kommitees, Verantwortungsgremien, Berichterstattung an diverse Manager und/oder mit Center of Guidance. Wichtig ist nur, dass am Ende mindestens zwei Leute da sind mit verschiedenen Prioritäten, die im Projekt was zu sagen haben.

Schritt 3: Ein Manager fügt nun Ziel D und E hinzu. Das Projekt bekommt dafür aber kein zusätzliches oder ausreichendes Geld.

Anfängliche Erfolge werden optimistisch dargestellt und in die Zukunft extrapoliert.

Schritt 4: Verbinden und Kabelpflaster

Jetzt fangen die Probleme an, man hat Ziele A, B, C, D und E, aber keine klaren Prioritäten. Man macht jetzt an allem, aber eben nur noch mangelhaft.

Schritt 5: Das Management ist uneinig über die Prioritäten

Die Projektmitarbeiter eskalieren die Probleme ins Management. Sie können nicht weitermachen, wenn nicht Aufgaben gestrichen oder die Ressourcen erhöht werden. Daraufhin
- Manager1: Ressourcen sind ausreichend für ABC. D und E sind unwichtig. Also gibt es nicht mehr Geld.
- Manager2: Ressourcen sind ausreichend für ADE. B und C sind unwichtig. Also gibt es nicht mehr Geld.
- usw.

Schritt 6: Rettungsmaßnahmen und Moral

In dieser Phase arbeiten die Projektmitarbeiter von Monat zu Monat. Solange das Management keine Lösung schafft, wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die Projektmitarbeiter demotiviert werden und das Projekt verlassen. Wenn das Management in dieser Phase die Dinge ändert, könnte das Projekt gesichert werden. Wenn nicht, dann ...

Schritt 7: Es ist zu spät

Nach diesem Schritt ist es wahrscheinlich zu spät, das Projekt zu retten. Auch wenn das Management Änderungen herbeiführt, können keine Verbesserungen eintreten, weil zwischenzeitlich zu viele Verluste an Personal, Goodwill, Reputation, etc. im Projekt eingetreten sind.

Projekt gescheitert.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Collins am 26. August 2011, 10:57:59
Schritt 8 :
Achte darauf das der andere und nicht du der schuldige ist.  8)

Mfg Collins
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 04. Juli 2012, 00:48:06
Ich zitiere hier mal einen Bericht des Focus, der über die Probleme beim Flughafenbau Berlin berichtet. Es geht da also nichtmal um Raumfahrt. Der Flughafen soll zu 1,2 Mrd € Mehrkosten führen. Schlagzeilen machen andere Großprojekte. Raumfahrt scheint nicht mehr vorne in den Schlagzeilen zu stehen.

Der Focus gibt dabei der Politik die Schuld an Budget und Zeitüberschreitungen und läßt dabei auch den Wirtschaftswissenschaftler Werner Rothengatter zu Wort kommen. Auch in dem Bericht wird festgestellt, dass oft zu optimistische Annahmen vorangestellt werden, zuviel Optimismus in der Ausschreibungsphase zum Auftrag führen sollen und später Nachberechnet wird.

Das beim Flughafen BER als auch bei Stuttgard 21, u.a. diverse Probleme auftreten, ist leicht verständlich, aber offensichtlich hat wohl am meisten die Politik ihre Hausaufgaben zu überarbeiten.

Immerhin scheinen Raumfahrtprojekte noch nicht mit den Widerständen zu rechnen, mit denen Infrastrukturvorhaben wie neue Verkehrswege und Energietrassen zu kämpfen haben.

http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-26329/kosten-steigen-um-milliarden-die-luegenbilanz-der-deutschen-grossbauprojekte_aid_773780.html (http://www.focus.de/politik/deutschland/tid-26329/kosten-steigen-um-milliarden-die-luegenbilanz-der-deutschen-grossbauprojekte_aid_773780.html)
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Kryo am 04. Juli 2012, 11:32:02
Raumfahrt ist überhaupt nicht präsent genug um auf Widerstand zu treffen. Und da für Raumfahrt keine wirklichen Großbaustellen notwendig sind, zumindest nicht in Europa bzw in dicht-besiedelten Teilen Europas, sondern höchstens große Firmengelände, gibt es keinen Grund, dass irgendwer Widerstand organisiert.

Selbst die Geldmengen, die zwar groß sind, sind verglichen zu anderen aktuellen Ausgaben so gering, dass auch hier kein Widerstand nie nicht zu erwarten ist.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Collins am 06. Juli 2012, 23:23:38
Raumfahrt ist überhaupt nicht präsent genug um auf Widerstand zu treffen. Und da für Raumfahrt keine wirklichen Großbaustellen notwendig sind, zumindest nicht in Europa bzw in dicht-besiedelten Teilen Europas, sondern höchstens große Firmengelände, gibt es keinen Grund, dass irgendwer Widerstand organisiert.

Selbst die Geldmengen, die zwar groß sind, sind verglichen zu anderen aktuellen Ausgaben so gering, dass auch hier kein Widerstand nie nicht zu erwarten ist.

Ich glaube nicht das sich tomtom darauf bezog.
Er wollte damit sagen, das es sich mache zu einfach machen. Sie setzen Dinge vorraus, die dann in der Wirklichkeit nicht funktionieren oder nur nach einem total Umbau bzw. einer sehr aufwändigen Anpassung. Dies treibt dann den Preis in die Höhe.
Auch wird wie jetzt z.B. beim Flughafen BER die Zeit zu knapp kalkuliert. Da braucht nur einer ein Problem nicht in der vorgegebenen Zeit lösen, schon kommt das ganze Projekt in Zeit Not, weil der Rest auf Stand By gehalten werden muß.

Mfg Collins
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 28. August 2014, 12:11:17
Das SLS soll 7 Mrd $ kosten. Ein Anlaß, diese Thread mal wieder hervorzuholen :)
 
Leider gibts keine Detailinfos oder falls die jemand findet, bitte posten.

Aber ich fand eine Präsentation über Kostenschätzungen allgemein und siehe da:
Das NASA/USAF Schätztool NAFCOM gibt es nicht mehr, wird ersetzt durch "PCEC-Initiative (Projekt-Kosten-Schätzungs-Fähigkeit).

Außerdem wird dort das Key Decision Point C als Genehmigungsereignis zwischen PhaseA/B und Phase C/D erläutert.

Und dann werden da noch diese unsäglichen Sandbox-Diagramme für Projekt-Budgetverlaufe kritisiert.

http://nia-cms.nianet.org/RASCAL/PDFs/nASA-Cost-Estimating_14.aspx (http://nia-cms.nianet.org/RASCAL/PDFs/nASA-Cost-Estimating_14.aspx)

Die NASA macht offensichtlich doch noch Fortschritte. :)
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 17. Juli 2017, 23:18:43
Warum fallen Zeit-/Aufwandsschätzungen, auch oder gerade in der Raumfahrt, zu optimistisch aus?
https://futurism.com/new-tech-may-temper-space-companies-overly-optimistic-timelines/ (https://futurism.com/new-tech-may-temper-space-companies-overly-optimistic-timelines/)

Der Artikel erklärt es an einem Teilaspekt, das zu sehr best-case geschätzt wird, die eigenen Fähigkeiten überschätzt und zuwenig externe Faktoren berücksichtigt werden.

Was ursprünglich mal vor allem den staatlichen Projekten angelastet wurde, dass ihre Planungen meist nicht stimmen, trifft nun wohl auch auf die privaten Raumfahrtprojekte, die ja mal angetreten sind, es besser/schneller/billiger zu machen.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Haus Atreides am 21. Juli 2017, 11:58:05
Guter Artikel und das Video darin sollte sich wirklich jeder mal anschauen.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 15. Juni 2018, 16:03:19
Der Kongress und die NASA befassen sich mal wieder mit Zeit- und Budgetüberschreitungen, deren Gründe und wie man es vermeiden könnte. Das wäre schon nicht mehr erwähnenswert, weil eigentlich jeder schon mitbekommt, dass es laufend irgendwelche Verzögerungen oder Mehrkosten gibt.

https://gizmodo.com/congressional-subcommittee-grills-nasa-on-skyrocketing-1826839383 (https://gizmodo.com/congressional-subcommittee-grills-nasa-on-skyrocketing-1826839383)
http://spacenews.com/hearing-identifies-wide-range-of-causes-for-nasa-cost-and-schedule-woes/ (http://spacenews.com/hearing-identifies-wide-range-of-causes-for-nasa-cost-and-schedule-woes/)

Neben den üblichen Erklärversuchen (Rocketscience, Man-sei-zu-dämlich, gute-Kostenschätzungen-zu-machen, es-ändert-sich-so-viel-im-Laufe-der-Zeit, etc.), sind ein paar Sachen dennoch bemerkenswert:

- Zunächst mal scheint das GAO festzustellen, dass das Problem immer größer wird. (noch längere Verzögerungen, noch höhere Mehrkosten in vielen verschiedenen Projekten). (Obwohl man ja nach der Constellation-Kündigung formal aus dem Planungsdruck raus wollte, hat man nicht viel auf die Kette bekommen).

- Von der Politik wird gefragt, ob der JCL-Ansatz (joint confidence level) richtig sei oder andere Werkzeuge zur Planung erforderlich wären. (JCL ist eigentlich wegen der Planungsprobleme erfunden worden, wurde aber zb. beim SLS nur sehr defensiv eingesetzt).

- Als Beispiele für Ursachen werden u.a. genannt:
--- die Mentalität "Kultur des Optimismus" - positiv Denken führt zur Unterschätzung von Aufwänden
--- die Mentalität "to-big-to-fail" - etwas ist zu groß, enthält zu viel Investments um noch Scheitern zu können und führt zu grenzenlosen Überschreitungen.
--- "Vermeidbare menschliche Fehler",
--- "Probleme bei Zulieferen",
--- Überalterung/Nachwuchssorgen ("die Hälfte der Mannschaft ist über 50"). Hab ich in der Raumfahrt so noch nicht gehört, scheint aber auch da angekommen zu sein. "Man braucht den Enthusiasmus von jungen Mitarbeitern". Und die sind dann frustriert von Paperwork anstatt motiviert von Hardware Erfahrungen. Die NASA ist dann gegenüber der Industrie unattraktiv.

Am Ende applelliert die Politik, Leistung zu bringen.

Man darf gespannt sein, wie es mit SLS/Orion/CCDev/JWST etc. und neuen Projekten LOP/WFIRST/EuropaClipper bezüglich Kosten/Zeitaufwand weitergeht.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: MillenniumPilot am 15. Juni 2018, 17:47:14
Das ist genau das, was ich bei der ESA/EU ziemlich lauthals bemängelt habe. Dieses hearing erinnert mich so stark an 2015, als man ULA und SpaceX vor den Kongress unter die Lupe nahm. Damals wurde die ULA wegen den Launchkosten in der Luft zerrissen und es sind hinterher große Koepfe gerollt. Von SpaceX wollte man damals lediglich, dass man etwaige Versprechungen bezüglich Terminen einhaelt. Außerdem hatte SX kurz danach seinen Zugang zu militärischen Aufträgen. Die US Steuerbehörde jagt seine Buerger um den gesamten Globus, um jeden Steuercent einzutreiben. Die Politik kann es sich deshalb gar nicht leisten, Multimilliarden in staatliche Unternehmen zu stecken, wenn der private Anbieter nebenan innovativer und guenstiger ist. Im Gegensatz zur EU passiert nach solchen Hearings etwas und ich wuerde mir das auch fuer Europa wuenschen. Ich glaube Klakow hat geschrieben, “wenn SLS eingestampft wird”. Ich hab nix dazu gesagt, aber ich stimme dem zu. Der Kongress wuerde noch den Countdown auf der Rampe stoppen, wenn es finanziell als sinnvoll erachtet wuerde. Ich kann sowieso keinen Sinn darin erkennen, warum die USA mehrere Superheavy Launcher haben muss.

Und wie kriegt man junges frisches Personal? In dem man junge frische Projekte angeht. Aber das ist weniger Sache der NASA, als die der Politik.

Als NASA wuerde ich das hearing sehr ernst nehmen und hoffe, dass man da die Kurve irgendwie kriegt.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: MpunktApunkt am 15. Juni 2018, 19:04:44
- Als Beispiele für Ursachen werden u.a. genannt:
....
--- die Mentalität "to-big-to-fail" - etwas ist zu groß, enthält zu viel Investments um noch Scheitern zu können und führt zu grenzenlosen Überschreitungen.
....

Dieser Punkt scheint mir die SLS Problematik zu 100% zu beschreiben. :-X
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 15. Juni 2018, 20:04:28
Dieser Punkt scheint mir die SLS Problematik zu 100% zu beschreiben. :-X

Auch wenn es nahe liegt, glaube ich, dass es hier genau nicht der Fall ist.

Die "to-Big-to-fail"-Mentalität meint eher ein quasi überhebliches Projektmanagement nach innen, weil man ja irgendwie zu wichtig ist im Vergleich zu anderen und am Ende der Erfolg alles überstrahlt. Vor einiger Zeit stand das Mars-2020 Programm im Fokus. Aktuell ist es das JWST. Man beklagt, dass dort alles möglich zu sein scheint und andere Projekte von 150 Mio. einfach gecancelt werden.

Beim SLS trifft alles Mögliche zu, aber wirklich sicher waren die sich wohl nie, und dahinter steht aus welchen Gründen auch immer durchaus der politische Wille für das Projekt.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: MillenniumPilot am 16. Juni 2018, 10:12:58
Dieser Punkt scheint mir die SLS Problematik zu 100% zu beschreiben. :-X

Auch wenn es nahe liegt, glaube ich, dass es hier genau nicht der Fall ist.

Die "to-Big-to-fail"-Mentalität meint eher ein quasi überhebliches Projektmanagement nach innen, weil man ja irgendwie zu wichtig ist im Vergleich zu anderen und am Ende der Erfolg alles überstrahlt. Vor einiger Zeit stand das Mars-2020 Programm im Fokus. Aktuell ist es das JWST. Man beklagt, dass dort alles möglich zu sein scheint und andere Projekte von 150 Mio. einfach gecancelt werden.

Beim SLS trifft alles Mögliche zu, aber wirklich sicher waren die sich wohl nie, und dahinter steht aus welchen Gründen auch immer durchaus der politische Wille für das Projekt.

Sicher, dass die NASA noch in dieser Scheinwelt lebt? Oder kranken sie an den gleichen Problemen wie die ESA? Schwerfaellig und ein Spielball der Politik und Lobbyisten. Lediglich der Ruf der NASA ist immer noch prestigetraechtig. Die Regierung wird deshalb die NASA solange an der SLS bauen lassen, bis etwas Besseres auf dem Markt ist.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 18. Juni 2018, 06:03:27
Der Kongress und die NASA befassen sich mal wieder mit Zeit- und Budgetüberschreitungen, deren Gründe und wie man es vermeiden könnte.
...

Gibt es dazu, neben der Meldung aus dem Kongress, einen Bericht, wo man mehr nachlesen kann?
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: aasgeir am 18. Juni 2018, 09:58:46
Gibt es dazu, neben der Meldung aus dem Kongress, einen Bericht, wo man mehr nachlesen kann?

Hallo Daniel,

es gibt zB den Bericht des Government Accountability Office (GAO) vom Mai 2018:
NASA : Assessment of Major Projects, als 127-Seiten-PDF unter:

https://www.gao.gov/assets/700/691589.pdf (https://www.gao.gov/assets/700/691589.pdf)

   Gruss   aasgeir
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 18. Juni 2018, 11:31:45
Danke :) ... kann ich gut gebrauchen
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 25. Juni 2018, 21:12:11
Ich habe den Bericht jetzt gelesen ... zumindest kam jede Seite mal an meinen Augen vorbei.

ich habe den Eindruck, dass die "executive summary" nur wenig direkt/konkret mit dem eigentlichen Bericht zu tun hat. Ich mache es an Folgendem mal fest:

- Von der Politik wird gefragt, ob der JCL-Ansatz (joint confidence level) richtig sei oder andere Werkzeuge zur Planung erforderlich wären. (JCL ist eigentlich wegen der Planungsprobleme erfunden worden, wurde aber zb. beim SLS nur sehr defensiv eingesetzt).

Bis auf eine Grundsatzaussage, dass es ein JCL gibt und knapp wie es zustande kommt, wird das Thema später nie wieder aufgegriffen oder gar kritisiert.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 26. Juni 2018, 10:42:07
Aus dem Bericht habe ich folgende Grafik kopiert, in der man sehen kann, wie NASA derzeit ihre Projektkosten managt und plant:

(https://www2.pic-upload.de/img/35536379/25-06-_2018_14-25-54.jpg)

Man erzeugt eine Kostenverteilung für das Projekt. Beim Kostenniveau des 50%-Quantils gibt man dem Projekt konkret Mittel an die Hand, samt operativer Projektreserve für ungeplante Arbeiten. Im Headquarter (großer Haushalt) plant man aber das Projekt mit dem Kostenniveau beim 70%-Quantil. Das ist das JCL. Die Differenz der beiden Kostenniveaus ist die Projektreserve im HQ. Das Projekt kann diese mit Begründung anfordern.

Die Kosten im oberen 30%-Quantil sind offenbar akzeptiertes Risiko ... dafür sind keine Mittel geplant/vorgesehen.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: MillenniumPilot am 26. Juni 2018, 11:17:21
Muesste so eine Kostenschaetzung nicht fuer jedes Projekt individuell erstellt werden? Bei jedem Projekt gibt es andere Risikofaktoren. Das sieht fuer mich ziemlich stark nach “gewollt und nicht gekonnt” aus.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 26. Juni 2018, 11:29:12
Es gibt einen Policy-Grundsatz, dass man "beim 70%-Quantil" plant ... und dass man die oberen 30% der möglichen Fälle einfach nicht einplant. Das ist einfach eine Risk-Policy.

Die Projektspezifik steckt dann in der konkreten Kostenverteilung des Projekts, d.h. auch seine Risiken. Die Kostenverteilung wird im Projekt individuell ertellt und führt dann zu einer projektindividuellen Spannweite und damit verknüpften Eintrittswahrscheinlichkeiten.

Wenn man Risikoklassen hat (NASA hat die), könnte man natürlich unterschiedliche "Fundinglevel" damit verbinden ... scheint hier aber nicht so zu sein.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: MillenniumPilot am 26. Juni 2018, 12:25:07
Es gibt einen Policy-Grundsatz, dass man "beim 70%-Quantil" plant ... und dass man die oberen 30% der möglichen Fälle einfach nicht einplant. Das ist einfach eine Risk-Policy.

Die Projektspezifik steckt dann in der konkreten Kostenverteilung des Projekts, d.h. auch seine Risiken. Die Kostenverteilung wird im Projekt individuell ertellt und führt dann zu einer projektindividuellen Spannweite und damit verknüpften Eintrittswahrscheinlichkeiten.

Wenn man Risikoklassen hat (NASA hat die), könnte man natürlich unterschiedliche "Fundinglevel" damit verbinden ... scheint hier aber nicht so zu sein.

Habs kapiert. Weißt Du wie oft man in die 30 Prozent Risiko reinrutscht und dann umplanen muss?
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 26. Juni 2018, 14:15:46
Keine Ahnung an der Stelle. Aber offenbar übt man ja implizit Kritik an diesem JCL ... also meint man wohl, dass dies nicht gut genug ist, um sein Budget verlässlich zu planen. Dann gibt es natürlich zwei Quellen für Probleme:
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: MillenniumPilot am 27. Juni 2018, 00:45:38
Keine Ahnung an der Stelle. Aber offenbar übt man ja implizit Kritik an diesem JCL ... also meint man wohl, dass dies nicht gut genug ist, um sein Budget verlässlich zu planen. Dann gibt es natürlich zwei Quellen für Probleme:
  • die 70% sind zu niedrig/zu hoch --> man plant zu häufig zu niedrig/zu hoch --> man muss nur das Quantil anpassen
  • die Grundidee der probabilistischen Kostenverteilung und eines JCL ist falsch --> man muss die Methoden umkrempeln

Offensichtlich geht man meist von zu niedrigen Kosten aus, sonst wuerde sich das ueber die Zeit ausgleichen und man koennte Projekte aus einem fixen Budget quer finanzieren. Dass man damit irgendwann Probleme bekommt, ist klar.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: dksk am 10. Juli 2018, 11:43:45
Ich möchte mal gemäß der "Zuruffrage/Methode" mal einen Aspekt einbringen, der mir seit ca. 1 Jahr im Projektmanagement auffällt. Im "maschinenbaunahen" Bereich kommt es, soweit ich das im direkten und erweiterten Umfeld beobachten kann, gerade zu einer Art Paradigmenwechsel.
Wo bisher wie selbstverständlich auf einem sequentiellen Projektmanagment mit Meilensteinen, zugehörigen Budgets und regelmäßigen Projektmeetings a la Wasserfallmodell gearbeitet wurde, ist seit ca. 1 Jahr ein neues "Zauberwort/e" zu vernehmen.
Agiles Projektmanagement, Scrum etc. sind jetzt intern, wie extern (auch Berater) das neue Zauberwort. In den Grundlagenvermittlungen zu dieser neuen Zauberei wird der historische Erfolg und deren Etablierung hauptsächlich in Software/Programmierung gesehen. Nun wird das quasi auf den "Rest" mit starkem Hardwareinhalt ausgebreitet.

Nun stellt sich eine teilweise paradoxe Situation ein. Wo auf das neue "Tool" umgestellt werden muss - ohne, dass die "alten Dinge" ungeeignet waren.
Das Ganze wird noch durch den noch etwas jüngeren Hype "Künstliche Intelligenz" getoppt.

Bei entsprechend großen und/oder komplexen Projekten kann es da potentiell eine (zwischenzeitlich) ordenliche Verwirrung
geben.

In Summe werden damit ganz neue Wege und Ergebnisse bezüglich Projektabarbeitung erzeugt oder vorgeschlagen, die teilweise nicht mehr interpretiert werden können. Will damit sagen es kommen Prios, Inhalte raus, die verfolgt werden sollen, aber mit menschlicher Analyse nicht ausreichend bewertet werden können.
Bei menschlichen Entscheidungen gibt es ja mindestens eine Diskussion, Risikobewertung, etc. bei deren Pro und Con meistens eine Erklärung des Vorschlagenden herauskommt. Bei den neuen Zauberdingern ist das nur noch teilweise so...

Für die Luft- und Raumfahrbranche kann ich da aber keine Aussage treffen.
Ggf. könnte da die Spezis mal was andeuten oder zum Besten geben. Das ganze hat Potential in beide Richtungen.

dksk
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 10. Juli 2018, 11:55:53
Hallo dksk,

beziehst du dich bei deinen letzten Aussagen
- keine Diskussion
- keine Risikobewertung
- nicht-interpretierbare Ergebnisse

auf KI oder Agile Methoden?
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 10. Juli 2018, 12:03:30
Agile, produktorientierte Iterationen in kleinen Teams kann man in der Raumfahrt wohl schon sehen. Ich denke allerhand CubeSat-Programme laufen so von Generation zur Generation, oder zumindest in Anlehnung so. Planet brachte alle paar Monate neue Generationen ihrer Flock-Cubesats raus und in den Orbit. Das hört sich sehr nach "Sprints" à la "Scrum" an, also agiles Entwickeln.

Ihre Grenzen finden agile Methoden in großen Projekten, da man ja schnell riesige, verteilte Teams hat. Da sind "gemeinsame Sprints" kaum möglich. Außerdem, wenn es um sicherheitskritische Entwicklungen geht, dürfte man sich kaum auf Iterationen verlassen, sondern bleibt wohl beim klassischen Wasservall-/V-Modell, um das Richtige richtig zu designen, im ersten Anlauf.

Aber es gibt ja Synthesen von rigider Klassik und agiler Moderne, z.B. "Feature Driven Development", mit einem rigiden Breakdown oben "im Problem" und mit der Erlaubnis zur agilen/flexiblen Lösungssuche unten für die Teilprobleme.

(sind jetzt eine Menge Buzz-Words eng hintereinander geworden ...)
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: dksk am 10. Juli 2018, 12:30:17
Die letzten Aussagen beziehen sich hauptsächlich auf KI. Da ist aber auch eine Grenzbereich hin zu den Projektmanagementmethoden. Z.B. Dinge, die man bisher "von Hand" oder mit "advanced Excel" noch grundsätzlich nachvollziehen konnte, werden dann in eine "System" eingegeben und ein Ergebnis kommt heraus.
Wenn ich z.B. mit mehreren parallel zeitnah oder auch zeitversetzen Projekten gemeinsame Kapazitäten brauche, kann ich mit Matrizen und Spaltenwichtungsverfahren relativ einfach und schnell eine optimale Staffellung/Abarbeitungsreihenfolge erzeugen, die die Gesamtzeitbedarfe (und darauf läuft es meistens hinaus) minimiren kann.
Bei den KI Systemen ist aus meiner Erfahrung auch das Problem, daß mit zuviel "positivem" Input in der Anlernphase gearbeitet wird, da ja ein Ideal rauskommen soll. Bzw. die Verständnisgrenze von Projekt/Produktseite zu der KI Systematik ist sehr fest und schlecht zu überwinden (in beide Richtungen)
Mir kommt es so vor, als ob immer irgenwie ein "Bild" erzeugt werden soll, welches dann analysiert wird. Bei bildbasierenden Systemen kann man aber manchmal auch sehr "lustige" Ergebnisse bekommen.

Zum Thema "sicherheitskritische Themen" ist da eh eine endlose Diskussion schon da. Alleine wenn man in der FMEA konsequent mit Risiko, Auftreten etc. umgeht hat man bei 8 Teilnehmern 9 Meinungen. Da gibt es ja auch Bewertungskataloge, LL und das ganze Geraffel. Oft bringt dann die menschliche Diskussion nicht gleich eine gemeinsame Bewertung - ABER - oft wird die Funktion/Fehlfunktion bzw. das Produkt durch die angrenzenden Abteilungen überhaupt erst verstanden.


dksk
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 11. Juli 2018, 00:06:43
Der Paradigmenwechsel Klassisch vs. Agil ist in der Raumfahrt ja auch durch SpaceX geprägt, die angetreten sind, Vorgehensweisen der Softwareindustrie in die Raumfahrt zu übertragen. Dementsprechend war die Zusammenarbeit zwischen NASA und SpaceX streckenweise sehr schwierig. (Legendär der Spruch von SpaceX: unsere Software hat keine Fehler). Nach vielen Jahren hat sich das Verhältnis wahrscheinlich normalisiert.

In Summe werden damit ganz neue Wege und Ergebnisse bezüglich Projektabarbeitung erzeugt oder vorgeschlagen, die teilweise nicht mehr interpretiert werden können.
Interessant, dass du eine Verbindung von Projektmanagement und KI ziehst. "KI" ist ein Oberbegriff, sofern du Methoden wie Monte Carlo Tree Search, Deep Learning und Neuronale Netze meinst, würde ich dir zustimmen. In diesem Zusammenhang liefert KI Ergebnisse(Output) auf Basis von Massendaten(Input), die der Mensch nicht mehr selbst ermitteln könnte, aber die Interpretation(Erklärung) des Ergebnisses liegt beim Mensch.

Zitat
Will damit sagen es kommen Prios, Inhalte raus, die verfolgt werden sollen, aber mit menschlicher Analyse nicht ausreichend bewertet werden können.
Da würde ich widersprechen.

Zitat
Bei menschlichen Entscheidungen gibt es ja mindestens eine Diskussion, Risikobewertung, etc. bei deren Pro und Con meistens eine Erklärung des Vorschlagenden herauskommt. Bei den neuen Zauberdingern ist das nur noch teilweise so...

Um mal den Dreh zum Topic zu finden - die o.g. Joint-Confidence-Level Methode ist vielleicht auch so ein Ding. Mit der Risikoanalyse für jeden Vorgang und einer Simulation werden mögliche Projektverläufe simuliert (BigData), die dann in 70% aller Fälle einen entsprechenden Budget/Zeitbedarf erfordern.
Warum das so ist, weiß man dann eigentlich nicht, aber man muß es interpretieren.

Wenn du Einsatzbereiche von KI im Projektmanagement siehst, kann du die ja ggf. noch mal konkretisieren.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 11. Juli 2018, 06:09:21
Hallo tomtom,

...
Joint-Confidence-Level Methode ist vielleicht auch so ein Ding. Mit der Risikoanalyse für jeden Vorgang und einer Simulation werden mögliche Projektverläufe simuliert (BigData), die dann in 70% aller Fälle einen entsprechenden Budget/Zeitbedarf erfordern.
Warum das so ist, weiß man dann eigentlich nicht, aber man muß es interpretieren.
...

Da widerspreche ich jetzt ;).

Bei einer KI mit neuronalen Netzen ändert sich "die Denkstruktur" der Simulation, sodass man nach x Durchläufen "den Sinn" der Struktur nicht mehr nachvollziehen kann, außer, dass sie ein bestimmtes Ergebnis liefert.
Bei einer stochastischen / MC- Simulation bleibt "die Denkstruktur" immer stabil und ist sogar vom Menschen angefertigt, d.h. der Mensch hat festgelegt, welche Größen eingehen, hat deren Verteilungen quantifiziert und wie sie zusammenwirken. Die Simulation "füllt" diese Struktur einfach nur mit Daten, ändert aber nie die Struktur selbst.

Eine stochastische Simulation kann man nachvollziehen, da Struktur und Sinn stabil zusammenwirken. Bei einer KI geht das verloren. Auch hier kann ich schon jeden Rechnzyklus quantitativ nachvollziehen, aber das "warum denn so" ist nach x Durchläufen nicht mehr erkennbar. Sie wird zur Black-Box.
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: tomtom am 11. Juli 2018, 12:37:32
Ja, stimmt. JCL gehört wohl auch in die Kategorie, die man "grundsätzlich noch nachvollziehen kann". Aber trotzdem vielleicht auch in die Kategorie "Zauberding", wo nur noch viele Daten "in ein System eingegeben und ein Ergebnis heraus kommt" (quantifiziert wird).
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 11. Juli 2018, 13:22:24
Das stimmt. Wenn dann mit solchen Konfidenzaussagen auf Managementebene sinnlos* argumentiert und postuliert wird, passieren solche "Sicherheitsaussagen" zu Erfolg wie bei Schiaparelli ... über die man sich später wohl etwas schämt.


*ohne sinngebende und einschränkende Verbindung zur Modellierung und Simulation
Titel: Re: Aufwand-Schätzungen - der Unterschied zwischen Plan und Ist
Beitrag von: Schillrich am 16. Juli 2018, 13:09:49
Bzgl. Kosten- und Zeitmanagement in Projekten hat die NASA eine Erfahrung aus dem COTS-Programm für diese Art von Programmen:

Nutze "firm-fixed-price"-Verträge zusammen mit klaren Leistungs-Zahlungsmeilensteinen.


"Firm-Fixed-Price" (FFP) fixiert das Volumen und den Gewinn absolut, im Unterschied zu "cost-plus" (C+). Kombiniert man den FFP mit klaren Leistungs-Zahlungsmeilensteinen, motivert das die Industrie den Zeitplan und die Leistung einzuhalten, sonst bekommen sie ihr Geld später oder nicht. Das Leistungsrisiko geht auf die Industrie über. Kostenrisiko für die Agentur besteht nur, wenn unbekannte Risiken auftreten und zu Aufstockungen führen. FFP geht aber auch nur bei "gut planbaren Beschaffungen" mit reifen Technologien, wie eben COTS und CRS, da die Kosten und der Preis sehr gut kalkulierbar sein müssen.

Bei C+ steigt die Gewinnmenge mit den Kosten, bzw. würde auch mit ihnen sinken. Dadurch motiviert C+ eigentlicht nicht zu Sparsamkeit und Geschwindigkeit. Eine technologische Neuentwicklung wird man wohl trotzdem besser mit C+ managen, sonst macht da keiner mit ... mit den dann innenwohnenden, strukturellen Problemen von C+.