Ich bin nun mit der Rohfassung der Szene fertig und wollte sie euch gerne mal vorstellen. Mir ist bewusst, dass ihr keine Literaturkritiker seid, würde mich aber sehr über Kritik vor allem im Hinblick auf den Realismusgrad freuen.
Er zieht Liliam noch näher an sich heran, schließt seine Augen und will gerade seine Lippen auf die ihren pressen, als ein heftiger Knall durch die Kabine sowie Mark und Knochen dringt und die beiden beim Austausch amouröser Zärtlichkeiten unterbricht.
"Was ist hier los?", kreischt Liliam mit weit aufgerissenen Augen, während ein gewaltiges Beben die Raumstation erschüttert. Das Licht flackert; erlischt dann vollends. Dunkelheit. Dann schaltet sich die Notstromversorgung und mit ihr die rote Notfallbeleuchtung ein.
"Alarm! Beschädigung der Station. Ziehen Sie umgehend die Notfallraumanzüge an!", schallt es durch die Lautsprecher, gefolgt von einem schrillen Warnsignal. Immer noch perplex stehen Liliam und Neto Arm in Arm in dessen Suite. Schließlich kann er sich aus dem Schockzustand lösen. Er rennt zu seinem Kleiderschrank und wühlt darin herum. "Wo sind die verdammten Anzüge?" Er kramt weiter, bis sie ihm entgegenfallen. "Gott sei Dank gibt es in jedem Zimmer zwei von den Dingern." Er wirft Liliam einen zu und schält sich selbst schnellstmöglich in den anderen.
Seine Beine und Arme hat er bereits in den Anzug gezwängt, als er sieht, dass Liliam Probleme beim Anziehen hat. Er stülpt sich den Helm über und will ihr zur Hilfe eilen, doch eine neuerliche Erschütterung reißt ihn und Liliam zu Boden. Etwas hat ein knapp einen halben Meter durchmessendes Loch in die Außenwand geschlagen. Kleinteile fliegen um sie herum und werden kurz darauf durch den Riss gesaugt. Das ohrenbetäubende Rauschen des nach außen gerichteten Luftstroms erfüllt das Zimmer. Geistesgegenwärtig hält sich Neto mit der rechten Hand an der Klinke des Kleiderschranks fest, während er mit der rechten Liliams Hand ergreift. Im Gegensatz zu ihm, hat sie es nicht geschafft, komplett in den Raumanzug zu schlüpfen. Wie eine Fahne im Wind hängen die beiden in der Luft, während der durch den Unterdruck verursachte Sog unablässig an ihnen zieht. "Halt dich fest! Bloß nicht loslassen!", schreit er durch seinen Helm hindurch auf sie ein.
Unbändige Schmerzen durchziehen Netos Arme. Doch schlimmer als dieses Leid erscheint ihm, was er nun bemerkt: Liliams Finger lösen sich langsam Glied um Glied von seinen. "Festhalten!", brüllt er noch einmal voller Inbrunst. "Ich... Ich kann nicht mehr...", wimmert Liliam mit tränenverquollenem Gesicht. Doch rührt ihre Aufgedunsenheit nicht allein daher. Der Unterdruck macht sich an ihrem bis vor kurzem so wunderschönen Gesicht zu schaffen. Äderchen platzen. Die Luft im Raum geht langsam zuneige und Liliams Haut verfärbt sich zunehmend ins Bläuliche.
Dann verliert sie vollends den Halt. Neto möchte nachgreifen, doch erwischt er sie nicht. Die Barkeeperin der Avalon wird von dem Sog erfasst und schleudert gegen die Wand. Bereits beim Aufprall muss sie sich etliche Knochen gebrochen haben. Doch als wäre dies nicht bereits grauenvoll genug, bietet sich Neto nun ein noch abscheulicheres Bild, sodass er sofort seinen Blick abwenden muss. Liliams Körper blockiert das Loch, jedoch nur kurzzeitig. Dann deformiert sich ihr Leib auf grässlichste Weise und wird schließlich in die erbarmungslose Kälte des Alls hinausgezogen. Auch Neto kann sich nun nicht mehr länger halten. Schnell versucht er eine gestreckte, senkrechte Position einzunehmen und wie ein Turmspringer in Figur einer Kerze das Leck zu durchstoßen, um nirgends dagegen zu prallen.
Es gelingt ihm. Als Neto seine Augen öffnet, befindet er sich in der schwarzen Leere des Weltraums.