Treibstoffe

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Treibstoffe
« am: 21. April 2010, 21:04:54 »
Hallo

Mal eine Frage zu diversen Raketentreibstoffen:
Daß es da eine gewisse Auswahl gibt, ist ja nix neues. Nach einiger Überlegung ist mir aber die Frage gekommen, welche Unterschiede es eigentlich gibt, bzw. nach welchen Kriterien aus Auswahl getroffen wird, welcher Sprit in welche Rakete kommt.
Ein paar Dinge sind mir zwar schon eingefallen, aber manches passt nicht.

Wasserstoff/O2 = Hoher Energiewert, schlecht Lagerfähig. Sollte doch eigentlich für Startstufen sinnvoll sein. Trotzdem gibt es kaum Raketen die alleine mit LH/LOX starten.

Kerosin/O2: Schien früher erste Wahl bei Startstufen gewesen zu sein, heute nicht mehr. Warum?

Hydrazin: Gut zu lagern, aber "ungesund", und schlechtere Energieausbeute. Also in meinen Augen sinnvoll für Manövertriebwerke oder Militärische Raketen die lange in Silos einsatzbereit warten müssen. Was haben die Arianes für einen Grund den Stoff zu fliegen?

Wie sieht es mit den übrigen Treibstoffen aus? Das es normalerweise bestimmt Gründe für den einen oder anderen Treibstoff gibt ist mir klar. Gibt es irgendwo eine Aufstellung über Treibstoffe und welche Treibstoffe für was (und auch warum) hergenommen werden? Es dürfte ja kaum so sein, daß die Ingenieure am Tisch sitzen und sagen: "Ach wir haben da noch etwas Kerosin übrig, lasst und sie Rakete heute damit Tanken...

Würde mich über etwas Klarheit zu dem Thema freuen...

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Ich weiß jetzt nicht ob es ein passendes Thema schon gibt, gefunden hab ich jedenfalls nichts. Falls doch, kann das ja dorthin verschoben werden.
:): Schrödingers Smilie

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Offline Nitro

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Re: Treibstoffe
« Antwort #1 am: 21. April 2010, 21:29:32 »
Puh, da hast du ein Thema angesprochen.

Wasserstoff vs. Kerosin: Man hat früher in erster Linie Kerosin genommen, weil es billiger und leichter zu handhaben war. Aber wie du schon sagst ist die Energieausbeute dabei nicht so hoch wie mit Wasserstoff. Was man jetzt benutzt hängt von den gegebenen Umständen ab: Wieviel Leistung will ich haben und was bin ich gewillt dafür zu investieren. Die Russen fliegen aus Kostengründen kaum Wasserstoff und nehmen dafür den Effizienzverlust in kauf. Ariane 5, Delta 4 und Shuttle dagegen benutzen Wasserstoff. Auch ein Wasserstofftriebwerk ist in der Regel teurer, da es höheren Druck und höhere Drehzahlen in den Pumpen bringen muss.

Was in der Ariane verwendet wurde war kein reines Hydrazin (welches in Manövertriebwerken verwendet wird) sondern Dimethylhydrazin (UDMH). UDMH ist im Vergleich zu reinem Hydrazin nicht ganz so giftig, etwas Leistungsfähiger, brauch aber auch einen stärkeren Reaktionspartner, in diesem Fall bietet Distickstofftetroxid besonders gut an. Diese Kombination aus N2O2 und UDMH ist sehr beliebt, weil billig und leicht zu handhaben. Die indische GSLV benutzt diese Kombi sogar in der zweiten Stufe.

Aber auch MMH (Monomethylhydrazin), eine einfachere Form von UDMH, lässt sich gut mit reinem N2O2 verbrennen.

Reines Hydrazin sollte man wirklich nur für Steuerdüsen verwenden, unter atmosphärischen Bedingungen ist es einfach zu giftig. Es hat auch für Steuerdüsen den Vorteil, dass es hypergol zünden kann, d.h. ohne Oxidator. In der Regel reich ein leichter Reaktant, wie z.B. ein Aluminiumgitter oder ähnliches schon aus.

Ich hoffe das hat jetzt etwas Klarheit verschafft. Pauschal kann man einige Aussagen zu Pros und Kontras von Treibstoffkombinationen machen. Aber es gibt keine wirklich festen Regeln. Es kommt wirklich immer darauf an, was man an Leistung haben will und wie komplex das System sein darf. Alles weitere ergibt sich dann im Designprozess der Rakete.
Bevor man einen Beitrag letztendlich abschickt sollte man ihn sich noch ein letztes Mal durchlesen und sich dabei überlegen ob man ihn genau in diesem Wortlaut auch Abends seinem Partner und/oder Kindern ohne Bedenken vorlesen würde.

websquid

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Re: Treibstoffe
« Antwort #2 am: 21. April 2010, 21:38:30 »
Ein weiterer Grund für Hydrazinderivate ist der einfache Raketenaufbau. Diese Treibstoffe sind hypergol, man braucht also keine zusätzlichen Zünder. Das macht die Technik auch leichter zu beherrschen.

Dass Kerosin etwas aus der Mode gekommen ist, liegt auch am anderen Aufbau moderner Raketen. Früher hat man meist mehrere serielle Stufen verwendet. Heute hat sich eher eingebürgert, dass man Wasserstoff in einer Hauptstufe nimmt, die mit Boostern ausgestattet wird. Dadurch bringen Wasserstoff-Erststufen sehr viel höhere Geschwindigkeiten als alte Kerosin oder Hydrazin Erststufen. Man spart sich dadurch zusätzliche Stufen. Proton braucht zum Beispiel 4 Stufen für GTO, Ariane 5 kommt mit 2 1/2 aus (Booster als "halbe" Stufe gezählt). Dadurch muss man weniger teure und tendenziell unsicherere Triebwerke verwenden (Feststoffbooster sind nun mal sehr günstig und zuverlässig im Vergleich zu flüssigen Stufen).

mfg websquid

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Offline Schillrich

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Re: Treibstoffe
« Antwort #3 am: 21. April 2010, 23:40:36 »
Hallo,

noch etwas zur Stufentheorie und deiner Frage/Schlussfolgerung:

Wasserstoff/O2 = Hoher Energiewert, schlecht Lagerfähig. Sollte doch eigentlich für Startstufen sinnvoll sein. Trotzdem gibt es kaum Raketen die alleine mit LH/LOX starten.

Genau das Gegenteil ist der Fall. Die hochenergetischen Treibstoffe verwendet man idealerweise in den Oberstufen (s. Oberstufen Centaur und S-IVB). Das ergibt sich aus zwei Aspekten:

1.
Ziel eines Raketenstarts ist Geschwindigkeitsgewinn. Die ersten Stufen arbeiten noch viel gegen Gravitation und Luftwiderstand, und "verschwendet" ihre Leistung in diesen Verlusten. Es geht zuerst primär um Höhengewinn. Die Geschwindigkeit baut man später auf, und das eben mit hochenergetischen Oberstufen.

2.
Je höher das Verhältnis zwischen Anfangsmasse zu Endmasse einer Brennphase, desto höher ist der Geschwindigkeitsgewinn. Zusammen mit dem Stufenprinzip ergibt sich so, dass dieses Verhältnis bei Oberstufen, die nur die Nutzlast mitschleppen, am höchsten ist. Bei Unterstufen hingegen ist das Massenverhältnis schlecht, da diese noch die gesamten schweren und vollen Oberstufen mitschleppen.
Wenn man sich die logarithmischen Kurven der Raketengleichung aufzeichnet, macht man bei Oberstufen vom Ausgangspunkt "einfach" den größten Sprung nach rechts, bei Unterstufen den kleinsten.

In der Summe macht es somit Sinn, die effiziente Technologie (bzgl. Geschwindigkeitsgewinn) in die Oberstufen zu packen.
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Offline Schillrich

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Re: Treibstoffe
« Antwort #4 am: 22. April 2010, 00:20:42 »
Im Raketenflugthread hatte ich mal eine qualitative Grafik erstellt, die diese Zusammenhänge mit enthält, wobei ich da über die Brennzeiten der Stufen argumentiert hatte. Besser ist das gerade gegebene Argument über die Massenverhältnisse der einzelnen Stufen und der jeweiligen Nutzlast bzw. Restrakete.
https://forum.raumfahrer.net/index.php?topic=6836.msg134390#msg134390

Diesen Thread werde ich mit den Thread zum Raketenflug morgen zusammenführen.
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Offline Ruhri

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Re: Treibstoffe
« Antwort #5 am: 22. April 2010, 08:36:42 »
[...]
 Es hat auch für Steuerdüsen den Vorteil, dass es hypergol zünden kann, d.h. ohne Oxidator. In der Regel reich ein leichter Reaktant, wie z.B. ein Aluminiumgitter oder ähnliches schon aus.
[...]

Ein Wort zur Begrifflichkeit: Hypergol bedeutet meines Wissens nach nicht den Verzicht auf einen Oxidator, sondern die Fähigkeit, ohne Zündung auskommen zu können. MMH und UDMH, die als Oxidator NO2/N2O4 (technisch: MONx, wobei x den prozentualen Anteil von ebenfalls enthaltenem NO angibt) verwenden, benötigen ebenfalls keinen Zünder. Man bringt Treibstoff und Oxidator zusammen in die Brennkammer und das Gemisch zündet selbsttätig.

GG

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Re: Treibstoffe
« Antwort #6 am: 22. April 2010, 11:02:30 »
Benötigt man nicht ohnehin einen Oxydator oder zündet Hydrazin, wenn man es mit Hydrazin in Kontakt bringt? Irgendwie widersinnig, dann müsste ja jeder Hydrazintank von sich aus explodieren. :o

Oder ist nur die Anwesenheit eines Katalysators notwendig, der im Hydrazin eine exotherme Reaktion in Gang setzt? :-\

Offline Ruhri

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Re: Treibstoffe
« Antwort #7 am: 22. April 2010, 11:11:12 »
Letzteres, denke ich. Bei den Raumsonden und -satelliten spricht man doch immer von "katalytisch zersetztem Hydrazin". Ein Katalysator ist aber kein Oxidator.

Für eingefleischte Nicht-Chemiker: Ein Katalysator ist kein Bauteil an Automobilen, sondern prinzipiell ein Stoff, der eine chemische Reaktion fördert oder hemmt, selber aber nicht an dieser teilnimmt (und somit auch nicht verbraucht wird).

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Offline James

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Re: Treibstoffe
« Antwort #8 am: 22. April 2010, 11:45:30 »


Also ein Katalysator nimmt an der chemischen Reaktion schon teil. Sonst tät´ sich nichts. Der Reaktionspartner und der Katalysator reagieren miteinander, wodurch Folgeprodukte entstehen, aber eines der Endprodukte ist netterweise wieder das Ausgangsmaterial des Katalysators. Mit dem Katalysator beginnt also die Reaktionsfolge, oder wird in der Reaktionsfolge benötigt.
Das kann sicher HAL oder einer unserer anderen Chemiker ins rechte Licht bringen; hmmmm, falls es überhaupt Thema des Threads ist.

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Offline Nitro

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Re: Treibstoffe
« Antwort #9 am: 22. April 2010, 13:29:08 »
Ein Wort zur Begrifflichkeit: Hypergol bedeutet meines Wissens nach nicht den Verzicht auf einen Oxidator, sondern die Fähigkeit, ohne Zündung auskommen zu können. selbsttätig.

Ups, peinlich, mal wieder was im Hirn durcheinander gewürfelt.   :-\
Bevor man einen Beitrag letztendlich abschickt sollte man ihn sich noch ein letztes Mal durchlesen und sich dabei überlegen ob man ihn genau in diesem Wortlaut auch Abends seinem Partner und/oder Kindern ohne Bedenken vorlesen würde.

SteRo

  • Gast
Re: Treibstoffe
« Antwort #10 am: 22. April 2010, 13:43:53 »
Benötigt man nicht ohnehin einen Oxydator oder zündet Hydrazin, wenn man es mit Hydrazin in Kontakt bringt? Irgendwie widersinnig, dann müsste ja jeder Hydrazintank von sich aus explodieren. :o

Oder ist nur die Anwesenheit eines Katalysators notwendig, der im Hydrazin eine exotherme Reaktion in Gang setzt? :-\

Mal mein Senf dazu:
Bei Hydrazin als Monergol, d.h. Zersetzung mittel Katalysator, wird das Hydrazin durch einporöses Keramiksubstrat geleitet, welches mit dem Katalysator beschichtet ist. Als Katalysator wird meist Iridium auf einem Aluminiumoxidsubstrat verwendet.  Ergebniss ist ein Gemisch aus Ammoniak, Wasserstoff und Stickstoff. Zusätzlich entsteht Wärme, wodurch dann Ausströmgeschwindigkeiten von ca. 1200 m/s erreicht werden. Manchmal wird es noch elektrisch aufgeheizt (Power Augmented Hydrazin Thruster) was dann bis zu 2800 m/s ergibt.
Hydrazin als Diergol wird mit N2O4 verbrannt. Was deutlich bessere Ausströmgeschwindigkeiten als Hydrazin alleine ergibt (ca. 3000-3400 m/s).
Manchmal werden beide Systeme kombiniert. Beispiel Unified Propulsion System, bei dem der Apogeums-Kick-Motor als Diergolantrieb, die Lageregelungsdüsen als Monergol mit Hydrazin ausgestattet sind. Es gab auch mal Ansätze für Dual-Mode-Thrusters, die beide Systeme in einem Triebwerk hatten. Ich weiss aber nicht ob die jemals richtig im Einsatz waren.

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Offline Schillrich

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Re: Treibstoffe
« Antwort #11 am: 22. April 2010, 19:03:14 »
Ich habe den Thread in "Treibstoffe" umbenannt, um hier in Zukunft Fragen und Diskussionen zu Treibstoffen zu sammeln.
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runner02

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Re: Treibstoffe
« Antwort #12 am: 10. Oktober 2011, 13:12:47 »
So,

zu Treibstofffen hätte ich auch mal eine Frage, bezuglich elektrothermischen/nuklearthermischen   Triebwerken.

Sagen wir mal es wird Stickstoff als Arbeitsmedium verwendet.


Die thermische Energie ist gegeben durch Eth= c * T * m , somit hätte Stickstoff bei 1000K 1041kJ/kg Energieegehalt.


Mit der kinetischen Energie e = m*v^2/2    kriegt man dann raus 2082000=v^2 darum v=1442,9

D.h durchschnittlich bewegn sich die Stickstoffteilchen mit rund 1,5 km / sek bei 1273°C. Soweit richtig?




Gehe ich nun einen Schritt weiter, ist dies - eine optimale Düse vorausgesetzt - die effektive Ausströmgeschwindigkeit (spez. Impuls) ceff?


Mfg

ilbus

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Re: Treibstoffe
« Antwort #13 am: 14. Oktober 2011, 06:58:44 »
Jein. Je nach Druckbereich.

 Etwas vereinfacht dargestellt: Bei viskosen Gasstromverhältnissen in der Düse, wenn man die thermodynamische Gesetzmäßigkeiten konsequent weiter im Auge behält, so darf der Druckverlauf in der Düse nicht vernachlässigt werden. Wenn ich mich nicht täusche kommt es auf die Größe "Temperatur/Düseneingangsdruck" an. Erst bei Molekularen Strömen, kann man grob das mit der Temperatur annemen, wobei auch hier ist es nicht so einfach: eine Düse kann eine molekularstrahlformende Funktion haben und den Schub (eq. mittlere effektive Austrittsgeschwindigkeit) merklich beieinflussen.

guten Morgen und Privet.