Gravity Turn- Eine Erklärung ist nötig!!!

  • 6 Antworten
  • 9842 Aufrufe

Dimanoid

  • Gast
Gravity Turn- Eine Erklärung ist nötig!!!
« am: 12. März 2009, 16:06:19 »
Hi!

Ich verstehe die Einzelheiten gar nicht! :-[
Und habe keine vernünftige Quellen auf Deutsch gefunden. Kann jemand mir helfen?!

Kreuzberga

  • Gast
Re: Gravity Turn- Eine Erklärung ist nötig!!!
« Antwort #1 am: 12. März 2009, 17:43:51 »
Hallo Dimanoid, willkommen im Forum!

Welche Einzelheiten meinst du?

Geht es dir um Manöver beim Start von Raketen, wie beispielsweise beim Shuttle oder um Manöver von Raumsonden? Beides wird manchmal als "Gravity Turn" bezeichnet.

Dimanoid

  • Gast
Re: Gravity Turn- Eine Erklärung ist nötig!!!
« Antwort #2 am: 12. März 2009, 17:58:40 »
Es geht um die Aufstiegphasen einer Rakete:
1. Phase. Vertikalaufstieg
2. Phase. Übergangsbahn zur Gravity-Turn
3. Phase. Gravity-Turn und an der Stellle ensteht eine Menge von Fragen.
Welche Regeln soll man bei Gravity Turn beachten, um die Rakete nicht zu zerstören? Wie soll die Geschwindigkeitsvektor ausgerichtet werden?

In einer Woche habe ich meine letzte Prüfung (Ortung und Navigation), mit dem Thema Gravity Turn bin ich unsicher....

Danke für Eure Hilfe!

*

Offline Schillrich

  • Moderator
  • *****
  • 19575
Re: Gravity Turn- Eine Erklärung ist nötig!!!
« Antwort #3 am: 14. März 2009, 19:14:27 »
Hallo,

also ich verstehe die Frage auch nicht ganz.
Den Gravity-Turn (GT) muss man im Zusammenhang mit der gesamten Aufstiegsoptimierung sehen. Allgemein fuehrt er zu einer Flugbahn mit Anstellwinkel 0 durch die Amtosphaere. Durch einen frueh und durch ein starkes Pitch-Manoever eingeleiteten GT minimiert man zwar die Gravitationsverluste, erkauft sich aber evtl. hoehere aerodynamische Verluste, da man die dichte Atmosphaere nicht so schnell verlaesst. Ausserdem wird so im allgemeinen die aerodynamische Belastung (max-Q) erhoeht, wenn man in den tiefen Luftschichten schon sehr schnell wird.
Fuer die Optimierung muss man also abwaegen, wie stark und wann der GT eingeleitet wird.
\\   //    Grüße
 \\ ///    Daniel

"We are following you ... but not on twitter." (Futurama)

Cosmo

  • Gast
Re: Gravity Turn- Eine Erklärung ist nötig!!!
« Antwort #4 am: 23. März 2009, 23:15:25 »
Hallo,
Welche Regeln soll man bei Gravity Turn beachten, um die Rakete nicht zu zerstören? Wie soll die Geschwindigkeitsvektor ausgerichtet werden?
Auch wenn es wohl zu spät ist und du deine Prüfung bereits erfolgreich gemeistert hast (davon gehe ich mal aus :)), versuche ich es mal ein wenig zu erläutern:
Kurze Antwort: beim Gravity Turn zeigt der Geschwindigkeitsvektor immer in Längsrichtung der Rakete (= Anstellwinkel 0°), auch der Schubvektor ist so ausgerichtet. Die Gravitation übernimmt den Rest.


Doch nun etwas ausführlicher. Erstmal ein paar Begriffe:
angle of attack (Anströmwinkel): Winkel zwischen Körperlängsachse und Geschwindigkeitsvektor
pitch angle (Nickwinkel): Winkel zwischen Körperlängsachse und Horizont
flightpathangle (Flugpfadwinkel): Winkel zwischen Geschwindigkeitsvektor und Horizont
Ausserdem gilt: pitch = flightpathangle + angle of attack

Beim Lift-Off steht die Rakete senkrecht auf dem Starttisch, pitch ist 90°, flightpathangle und angle of attack sind nicht definiert (keine Geschwindigkeit!). Nach dem Lift-Off hebt die Rakete senkrecht nach oben ab, pitch ist weiterhin 90°, angle of attack ist 0°, flightpathangle ebenfalls 90° (Geschwindigkeit v zeigt wie Rakete nach oben). Hat die Rakete eine bestimmte Höhe erreicht kann sie gekippt werden. Dies kann z.B. etwas mehr als die Höhe des Startkomplexes sein (Blitzableiter, Serviceturm etc.) oder deutlich mehr. Die Mindesthöhe wird eingehalten um eine Kollision der Rakete mit dem Startkomplex zu verhindern weil man die Rakete dreht und damit deren "Hintern" ausschert.

Das Kippen der Rakete ist das Pitch-Over Manöver, pitch wird hier verkleinert, z.B. von 90° auf 80°. Diese Phase dauert nur kurz. Da der Geschwindigkeitsvektor etwas "träge" ist und sich nicht sofort neu ausrichtet (Vektoraddition), stimmen pitch und flightpathangle hier nicht überein. Folglich hat man einen kleinen Anstellwinkel (selbst grössere Anstellwinkel wären kein Problem solange die Rakete noch relativ langsam ist). Ist Pitch auf 80° angekommen, wird der Winkel noch kurz beibehalten um die Anstellwinkel wieder auf 0° zu bekommen. Man wartet also bis der Geschwindigkeitsvektor wieder in Richtung Raketenlängsachse zeigt (nach ein paar Sekunden Beschleunigung): angleofattack=0°, pitch=flightpathangle. Real ist der Übergang in die nächste Phase jedoch fliessend. Sobald der Flugpfadwinkel ungleich 90° ist (also nicht mehr vertikal), kommt die Gravitation ins Spiel und es folgt der

Gravity-Turn: Hier gilt immer pitch = flightpathangle. Also kein Anstellwinkel. Ohne Anstellwinkel wird die Rakete also nur direkt von vorn angeströmt, minimale Querschnittsfläche, minimaler aerodynamischer Widerstand, aber viel wichtiger: keine seitlichen aerodynamischen Kräfte! Diese würde nämlich die Rakete mit ihrer dünnen Aussenhaut sofort zerstören (oder man müsste die Wände deutlich stabiler bauen --> schwere Rakete --> wenig Nutzlast).
Sicher hast du schon einmal beim Speerwurf gesehen wie der Speer sich von allein dreht. Obwohl er mit der Sitze nach oben abgeworfen wird, landet die Spitze wieder als erstes auf dem Boden. Genau das gleiche passiert mit der Rakete. Die Gravitation erzeugt ständig eine senkrechte Fallbeschleunigung und damit Geschwindigkeitskomponente nach unten. Addiert man eine "schräg nach oben" gerichtete Geschwindigkeit vektoriell mit der nach unten gerichteten Fallgeschwindigkeit, ergibt sich eine neue Geschwindigkeit welche etwas horizontaler ausgerichtet ist. Also dreht sich der Geschwindigkeitsvektor der Rakete und die Rakete selber.
Auf Planeten mit einer dichten Atmosphäre ist es wichtig die Atmosphäre möglichst schnell zu überwinden, also senkrecht aufzusteigen, dann relativ spät ankippen damit die Gravitation die Rakete dreht. Man kann zwischendurch auch antriebslos gleiten bis die Rakete horizontaler ausgerichtet ist (besonders sinnvoll wenn man lange vertikal aufgestiegen ist und der Treibstoff bereits knapp ist). Dabei steigt die Rakete weiterhin auf, gewinnt somit an Höhe. Irgendwann ist die Geschwindigkeit nur noch horizontal und der Gipfelpunkt ist erreicht. An diesem Punkt sollte die Rakete bereits ausserhalb der dichten Atmosphäre sein. Somit kann hier die Rakete prinzipiell in jede Richtung gedreht werden (irgendein pitch) in die sie beschleunigen soll: Keine Atmosphäre, kein Luftwiederstand! Praktisch beschleunigt man hier aber horizontal um die Rakete in den Orbit einzuschiessen. Beim realen Flugprofil kann man hier oft nochmals ein Höhenverlust feststellen. Da hier die Orbitgeschwindigkeit noch zu klein ist für einen Kreisorbit, fällt die Rakete wieder ein bisschen nach unten (in Richtung Perizentrum).

Das Gravity Turn Manöver verwendet man übrigens nicht nur zum Aufstieg sondern auch zum Landen auf Körpern ohne Atmosphäre (z.B. Apollo auf Mond). Es hat sich einfach als sehr praktisch erwiesen :D


Cosmo

Dimanoid

  • Gast
Re: Gravity Turn- Eine Erklärung ist nötig!!!
« Antwort #5 am: 19. April 2009, 18:15:08 »
Hallo,

die Erklärung ist einfach prima und war für mich sehr hilfreich!!!!

Vielen Dank!!

Re: Gravity Turn- Eine Erklärung ist nötig!!!
« Antwort #6 am: 10. Oktober 2016, 22:12:45 »
Sehr gut. Abgesehen davon, dass die Rakete ihre Ausrichtung (im Inertialsystem) durch die Gravitationseinwirkung nicht automatisch ändert (das gilt allenfalls, solange aerodynamische Einflüsse sich stabilisierend auswirken). Und bei Apollo-Mondlandungen war es spätestens ab dem High Gate mit dem Gravity Turn vorbei. Dafür hat die Sicht-Einschwebephase allerdings auch ziemlich viel Sprit verbraucht. Idealerweise (im Sinne einer ökonomischen Treibstoffnutzung) lässt man aber in der Tat am besten die Gravitation ans Ruder und verwendet möglichst wenig Sprit für Lenkmanöver.
Ich bin allerdings noch in einer Zeit groß geworden, als es darum ging, den Antriebsbedarf mit möglichst wenig Raketenmasse zu erfüllen. New Shepard und Falcon 9 verzichten bewusst auf einen beträchtlichen Teil ihrer Nutzlastkapazität, um ihre Startstufen wieder an den Startort zurückzusteuern und dort senkrecht zu landen. Die Zeiten ändern sich!