Raumcon
Raumfahrt => Fragen und Antworten: Raumfahrt => Thema gestartet von: Ruhri am 26. August 2010, 23:26:25
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Aus gegebenem Anlass würde ich gerne einmal über die frühen sowjetischen Missionen diskutieren. Die Sowjetunion hat damals eine schier endlose Reihe von Erstleistungen erzielt, aber wie weit waren das substanzielle und nachhaltige Erfolge oder bloße Propagandaeffekte?
Als erstes Beispiel möchte ich direkt Sputnik 1 anführen. Was wurde erreicht, wie groß war der Show-Effekt?
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Hallo,
in gewisser Form stimme ich dir zu. Es scheint so zu sein, dass Chruschtschow die Raumfahrt sehr gut als Propagandavehikel nach innen und außen verstanden hat. Damit hat er es dann auch geschafft, dass die Ingenieurbüros gerade solche Projekte entwickelt haben, um quasi überhaupt Raumfahrt machen zu können.
Daher kann man es im Rückblick etwas ambivalent sehen: Für die sowjetische Entwicklung an sich war das dann schon "nachhaltig", denn ohne diese Missionen wären sie wahrscheinlich gar nicht geflogen. Aus der heutigen Sicht waren einzelne Missionen quasi sinnlos.
Ziemlich kritisch finde ich "Wostok on Steroids" ... aka Woschod. Während man in den USA mit dem kleinen Gemini wirklich Test- und Entwicklunsarbeit bei jeder Mission im Orbit gemacht hat, hat Woschod nur gezeigt wie es nicht geht.
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Als erstes Beispiel möchte ich direkt Sputnik 1 anführen. Was wurde erreicht, wie groß war der Show-Effekt?
Was erreicht wurde? Der erste künstliche Satellit in einer Umlaufbahn wurde erreicht. Sputnik 1 hat bewiesen das es funktioniert, vorher war alles nur pure Theorie.
Sputnik 1 war die Geburtsstunde der Raumfahrt an sich. Er hat tausende Menschen inspiriert sich mit Raumfahrt Technologie zu beschäftigen, davon zu träumen was möglich wäre. Er hat auch die USA dazu bewegt ihr eigenes Raumfahrtprogramm vorranzutreiben.
Nicht nachhaltig? Ohne einen Sputnik 1 - gleich welcher Nation, gleich welchen Namens hätten wir kein Shuttle, keine ISS, keine Satelliten Fernsehen, kein GPS - kurzum garkeine Raumfahrt.
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Hallo knt,
natürlich stimmt diese "große" Perspektive (an sich). Aber sie ist vielleicht auch etwas (zu) weit von der Realität weg. Man muss das etwas relativieren.
Wie ist die Mission an sich zu bewerten? Welchen Sinn hat es wenn Nord Korea heute einen Satelliten starten möchte, der Revulotionslieder sendet? Wenn man das mit Explorer 1 vergleicht, kann man Ruhris Frage schon stellen. Explorer 1 hatte bereits Instrumente an Bord. Auch Koroljow wollte mit Sputnik 1 mehr ... und die R-7 hätte noch viel mehr gekonnt. Aber nur wegen des Termins wurde alles gestrichen und die piepende und einfache Metallkugel um die Erde geschossen.
Hätten sie ein wenig gewartet und ihre Technologie ausgearbeitet, wären sie ein paar Monate später auch geflogen, mit einer "sinnvollen" Nutzlast.
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Hätten sie ein wenig gewartet und ihre Technologie ausgearbeitet, wären sie ein paar Monate später auch geflogen, mit einer "sinnvollen" Nutzlast.
Aber auch hier muss man wieder relativieren: der Sputnik 1 war Teil des Testprogrammes der R-7 ICBM. Das heisst man haette den Flug auch ohne Satelliten durchgefuehrt, wie auch bei den 3 Fluegen der R-7 vorher. Es war ein Entwicklungsflug, bei dem man den Showeffekt mitgenommen hat.
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Siehst du, knt, genau das hatte ich gemeint. Als reiner Test einer Trägerrakete war Sputnik 1 ein riesiger Erfolg. Eine Raketenstufe samt "Demonstrationsnutzlast" (wie man es heute nennen könnte) wurde in einen Orbit befördert. Die verwendete Rakete wurde weiter entwickelt und ist auch nach über 60 Jahren immer noch im Dienst.
Der Satellit selber hat allerdings lediglich bewiesen, dass die Sowjetunion einen batteriebetriebenen Funksender herstellen konnte, der "Piep - piep - piep" machen konnte. Explorer 1 dagegen hat den Van-Allen-Gürtel entdeckt. (Ironischerweise haben damals viele Leute gemeint, Sputnik am Himmel entdeckt zu haben. Dazu war er aber viel zu klein. Was sie in Wirklichkeit gesehen haben, war die ausgebrannte Raketenstufe, die den Sputnik ausgesetzt hatte.) Der Showeffekt war also schon bei Sputnik 1 recht groß.
Um auf Schillrichs "Wostok on Steroids" zu sprechen zu kommen: Was hat das Woschod-Programm für neue Erkenntnisse gebracht, außer weiteren Testdaten des Trägersystems? Mit einem bodenlosen Leichtsinn wurde das Leben von fünf Kosmonauten riskiert, nur um die Erstleistungen "Drei Mann im Kosmos" und "Erste EVA" durchzuführen. Das gleiche kann man natürlich auch fragen in Hinsicht auf Wostok 5 und 6...
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Hätten sie ein wenig gewartet und ihre Technologie ausgearbeitet, wären sie ein paar Monate später auch geflogen, mit einer "sinnvollen" Nutzlast.
Sicher. Hätte Lilienthal noch "ein wenig" gewartet hätte er auch gleich den motorisierten Flug demonstrieren können, anstatt diese "bedeutungslosen" und "nicht nachhaltigen" Hopser zu machen. Was ist das den für ein Argument? So funktioniert Wissenschaft und technologische Entwicklung nicht. Es wird gemacht, was machbar ist. Darauf wird aufgebaut.
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Im großen Kontext waren die Erstleistungen sicher bedeutend, weil sie für eine große Motivation bei beiden Weltraummächten (UdSSR, USA) gesorgt haben. Im Rahmen der einzelnen Programme kann man bei den Sowjets aber sicher von einem Mangel an Nachhaltigkeit sprechen. Während die Amerikaner meistens ganze Serien von ähnlichen Missionen geflogen sind, haben die Russen nach einer Mission meistens was neues angefangen. Dadurch fehlte es den Sowjets unter Umständen etwas an Routine, um neue Projekte zu beginnen.
Ein Beispiel dafür ist die Mond-Sojus. Man hat kaum Kopplungsmanöver erprobt, also musste man mit einem möglichst einfachen System arbeiten. Dadurch musste man aber eine EVA einplanen, um umzusteigen. Sicher war das wohl auch nicht unbedingt, sondern eine aus der Not geborene Lösung.
mfg websquid
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@knt
Was ist das den für ein Argument? So funktioniert Wissenschaft und technologische Entwicklung nicht. Es wird gemacht, was machbar ist. Darauf wird aufgebaut.
Das bestreitet doch hier niemand. Man darf aber den Sinn des einen oder anderen bewerten. Wenn man "nur" Ersttaten als Ziel hat, bleiben naturgemäß andere Zwecke auf der Strecke ... und um mehr geht es hier nicht.
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Das es nicht nachhaltig wäre, wenn man nur Ersttaten im Sinn hat bestreite ich nicht, Daniel. Das sich dafür Beispiele in der sowjetischen Raumfahrt finden lassen auch nicht - wie in der aller anderer Nationen. Aber woraus schließt ihr das gerade die Sowjets "nur Ersttaten" im Sinn hatte?
Auch bei der von dir erwähnten Woschod ist das nicht der Fall. Haben die Sowjets im Zuge dieses Programms nicht die "weiche" Landung (Hauptfallschrim + Bremsraketen) entwickelt, welche seid dem und bis heute weiterentwickelt in der Sojus Anwendung findet - ja im PPTS sogar "auf die Spitze getrieben" werden soll? Wenn das keine nachhaltige Folge der "drei Mann"-Missionen ist. Ein weiterer Grund der "drei Mann" Mission war, das man in Zukunft Wissenschaftskosmonauten einsetzen wollte, was natürlich eine Crew > 1 erfordert. Wahrscheinlich ist das aber auch nur Showeffekt *augenroll*
Bewerten kann man alles, wie man mag, Daniel - und bei Sinnfragen gibt es da eh den üblichen Spielraum. Den nutzt ihr hier meiner Meinung nach definitiv auch aus. ;)
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Da hast du einen interessanten Punkt angesprochen. Gut, dann hat man also bei der Weiterentwicklung der Wostok-Kapsel zur Woschod an der Landetechnik gearbeitet. Völlig überflüssig waren sie also nicht. Wieso hat man aber drei Mann in Woschod 1 gesetzt? Zwei Kosmonauten in Fluganzügen wären völlig ausreichend gewesen, aber man wollte die Erstleistung "Drei Mann in einem Boot, äh Kapsel" inszenieren.
Und Woschod 2 hat vor allem gezeigt, wie man eine EVA nicht angehen darf. Bekanntlich hat Alexej Leonow in echter Lebensgefahr geschwebt, da er Probleme hatte, in seine aufblasbare Luftschleuse zu kommen, und nach Abtrennen der Schleuse war die Kapsel überdies noch leck und hat beide Männer gefährdet. Ich nenne das ein unnötiges Risiko zwecks Erzielen eines Propagandagewinns. Leonow war angeblich stinksauer, dass man die Probleme verschwiegen hat. Seiner Meinung hätte man offen dazu stehen sollen, denn immerhin hat man sie in der Tat überwunden.
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Ich würde den thread in "Nachhaltigkeit durch Showeffekt - die frühe sowjetische Raumfahrt" umbennenen ;D
ich meine, wie hätte sich denn die Amerikanische Raumfahrt entwickelt ohne die ganzen sowjetischen Erstleistungen?
Auf jeden fall deutlich langsamer.
Die ersten Venera sonden wurden wohl auch aus prestigegründen zur venus geschickt,
aber spätestens nachdem venera 9 die ersten bilder der oberfläche zur Erde geschickt hatte, gab es für die sowjets keine Prestigegründe mehr zur venus zu fliegen.
Dennoch folgten weitere 7 Veneras und 2 Vegasonden.
2016 wird dann hoffentlich Venera D folgen.
Spätestens mit einer (bevorstehenden) chinesischen Mondlandung wird auch der bemannten US-Raumfahrt neues leben eingehaucht werden.
Was ich damit sagen will, ist dass Erstleistungen und dass daraus resultierende Konkurenzdenken sicher nicht dass schlechteste für die erforschung des Weltraums sind.
mfg :)
Ensi
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Naja, das hatten die hohen Herren in der Sowjetunion bestimmt nicht im Sinn gehabt, als sie ihren kapitalistischen Erzfeinden einen (Pseudo-) Rekord nach dem anderen um die Ohren gehauen haben. ;D
Dazu zwei Bemerkungen meinerseits: Zum einen bleibt in der Tat festzuhalten, dass sich die sowjetische Raumfahrt später, als sie von der amerikanischen bereits weit abgehängt worden war, gut entwickelt hat und teils wirklich beeindruckende Leistungen abgeliefert hat. Ich denke da etwa an die beiden Lunochods, die man trotz erfolgter bemannter US-Mondlandung losgeschickt hat und die noch heute wertvolle Dienste zu leisten imstande sind.
Zum anderen hast du ein Thema angesprochen, dass ich schon mehrfach den "amerikanischen Leidensdruck" genannt habe. Die Sowjets haben die Amerikaner mit ihrem Weltraum-Propaganda-Krieg zur Mondlandung getrieben, und die amerikanische Seele wird es auch heutzutage nicht lange aushalten, kein eigenständiges System für bemannte Missionen zu besitzen.
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Ich finde, hier werden von einigen Diskutanten die Ideen und Anstrengungen vieler fleißiger Arbeiter und Ingenieure herabgewürdigt. Da gab es tatsächlich Leute, die versucht haben, was möglich ist. Da der ursprünglich geplante Messsatellit bis Oktober 1957 nicht zu schaffen war (man hatte ehrgeizige Ziele, die den Satelliten dann viel zu schwer gemacht hätten), hat man eben erstmal einen Sender hochgeschickt. Die Messsatelliten folgten wenig später. Die USA wollten auch zuerst Vanguard starten (06.12.1957). Das war auch nichts anderes als ein Sender mit Batterie.
Wer die Nase vorn hat, bringt sich mit neuen Leistungen natürlich gern immer wieder ins Gespräch. Das hätten die Amerikaner auch gemacht, wenn sie den ersten Gruppenflug, die erste Frau im All oder die erste mehrköpfige Besatzung gehabt hätten. Sie hätten es sogar noch viel stärker ausgeschlachtet. Auch Deutschland resp. Europa würde das machen.
Das Primat hatte natürlich das Militär, es war eben Kalter Krieg. Da mussten sich alle anderen unterordnen. Aber auch heute stellt der Militärisch-industrielle Komplex eine Macht dar, an der man kaum vorbeikommt, vor allem in den "Supermächten".
Die Sowjetunion hatte einen Dreißigjahresplan für die Entwicklung der Raumfahrt, vor allem der bemannten. Auch in den USA gab es Pläne zur weiteren Entwicklung (Mond, Mars). In den Sechziger Jahren wurde zunächst offiziell einzig das große Ziel verfolgt, die SU zu überholen. Auch hier gab es Wissenschaftler, die eine umfassende Monderforschung im Blick hatten. Hat es etwas genützt? Als das Geld aufgrund eines Krieges knapp wurde und das Interesse der Öffentlichkeit nachließ (schon bei Apollo 13 hat man auf dem Hinflug die für das Fernsehen vorgesehenen Demonstrationen der Astronauten nicht mehr ausgestrahlt und es den Astronauten nicht einmal gesagt), hat man den Rest des Mondprogramms gestrichen.
Der Shuttle hat vor allem wegen der Militärs diese gewaltigen Ausmaße bekommen. Sonst hätten die USA jetzt vielleicht eine kleine Raumfähre mit Rettungssystem, die an der Spitze einer Trägerrakete startet und bei der beide Shuttle-Unfälle so nicht hätten passieren können.
Soweit meine Thesen zu den hier geäußerten Meinungen.
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Stimme mit GG vollkommen überein...
Wenn man den Thread-Titel
"Nachhaltigkeit oder Showeffekt - die frühe Raumfahrt" genannt hätte - aber so ist es eindeutig, in welche Richtung es zielt...
Ein Versuch von sachlichen Argumente, wie knt, ist doch hier gar nicht gewollt...
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(Leute, Leute ...)
Lasst doch mal Raum für Meinungen. Hier wird doch niemand angegriffen. Jeder darf sie sich seine Meinung bilden, ohne dass man in irgendeine Ecke gestellt werden muss (was man spiegelbildlich anwenden kann).
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Andreas und Günter haben doch auch nur ihre Meinung gesagt. Warum die Ermahnung?
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Bitte Günther mit h. So viel Zeit muss sein. ;)
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Nicht wegen der fachlichen Meinung, sondern wegen des etwas pauschalen "Abstempelns" aus meiner Sicht:
aber so ist es eindeutig, in welche Richtung es zielt...
Aus meiner Sicht kann man ruhig mal provokativ fragen, unterstellen und spekulieren, ohne gleich wirklich "böse zu sein", aber evtl. um Standpunkte zu testen und zu entwickeln.
Nun gut, lassen wir die Metadiskussion ... da reagiert jeder von uns vielleicht etwas "stark".
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Wenn hier einer abgestempelt wird, dann sind es die sowjetischen Raumfahrtpioniere. Abgestempelt als Propagandisten und Showmaker im Deckmantel des technologischen Fortschritts. "Ernsthafte Forschung" - so gnädig war Ruhri immerhin - gab es vielleicht später einmal nach dem sie schon "weit abgehängt" (sic!) waren. Das ist doch die Meinung die Ruhri und du hier unmissverständlich äußern. Günther und Andreas haben nur ausgesprochen was davon zu halten ist.
Keiner kann bestreitet, das die Erfolge in der Raumfahrt propagandistisch verwertet werden. Im kalten Krieg wurde sogar die Produktion von Würstchen propagandistisch verwurschtet! Meine Güte, es gab Idioten die aus der Geburtenrate eine Systemüberlegenheit abgelesen haben wollen.
Im Gegensatz zu euch bin ich aber der Meinung das dies nicht die Motivation war. Man wollte ICBM. Man wollte Spionagesatelliten. Man wollte Kommunikationssatelliten. Man wollte bemannte zivile Raumfahrt. Man wollte eine Raumstation. Man wollte auf den Mond. Man wollte den Mars und die Venus erforschen.
Diese Visionen waren die Motivation von Menschen wie Braun oder Koroljow (ja, auch die massenmörderischen Visionen!) und ihren vielen Mitarbeitern. Das Aufstellen von Rekorden, der Showeffekt die unweigerliche Folge der Erfolge.
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Wenn hier einer abgestempelt wird, dann sind es die sowjetischen Raumfahrtpioniere. Abgestempelt als Propagandisten und Showmaker im Deckmantel des technologischen Fortschritts.
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Das ist doch die Meinung die Ruhri und du hier unmissverständlich äußern.
So? Tat ich dies?
In gewisser Form stimme ich dir zu
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Damit hat er Chruschtschow) es dann auch geschafft, dass die Ingenieurbüros gerade solche Projekte entwickelt haben, um quasi überhaupt Raumfahrt machen zu können.
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Daher kann man es im Rückblick etwas ambivalent sehen.
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Aus der heutigen Sicht waren einzelne Missionen quasi sinnlos.
...
etc
Damit ist die komplette sowjetische Raumfahrt vollkommen, absolut und unmissverständlich abgeurteilt ... ::)
So, und jetzt lasst uns aufhören uns Interpretionen und Gegeninterpretationen vorzuhalten. Wir schaukeln uns hoch, abseits der Raumfahrt.
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Über allen schwebte in erster Line der kalte Krieg.
Sie wollten den andern zeigen wo zu mann in der Lage war und die anderen nicht.
Die Show war Mittel zum zweck diesen zu gewinnen.
Nach dem Motto : Überlegen im All = Überlegen auf der Erde.
Mfg Collins
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Stimme mit GG vollkommen überein...
Wenn man den Thread-Titel
"Nachhaltigkeit oder Showeffekt - die frühe Raumfahrt" genannt hätte - aber so ist es eindeutig, in welche Richtung es zielt...
Ein Versuch von sachlichen Argumente, wie knt, ist doch hier gar nicht gewollt...
Da liegst du leider daneben, aber - wie Schillrich schon sagte - wir sollten uns wirklich nicht in Metadiskussionen verstricken. Ich belasse es mit dem Beispiel von Woschod 1, bei dem knt uns erläutert hat, wie zum ersten Mal eine Landetechnik eingesetzt wurde, die doch in ähnlicher Form noch heute bei der Sojus verwendet wird. Das ist dann in der Tat Nachhaltigkeit, wie man sie sich nur wünschen kann, und selbst die Amerikaner, die nach ASTP ihre gesamte Apollo-Technologie auf den Schrotthaufen der Geschichte geworfen haben, könnten sich davon eine Scheibe abschneiden.
Allerdings haben die Sowjet damals nicht gesagt, "wir testen gerade eine verbesserte Version der Wostok mit einer neuen Landetechnik", sondern sie haben der Welt gegenüber beteuert, dass ihre Raumfahrttechnik so sicher sei, dass ihre Kosmonauten nun ohne Druckanzüge Missionen fliegen könnten und dass sie zum ersten Mal in der Geschichte der bemannten Raumfahrt drei Männer gleichzeitig losgeschickt haben. Wie Jahre später die tragisch verlaufene Mission Sojus 11 (http://de.wikipedia.org/wiki/Sojus_11) gezeigt hat, war das bodenloser Leichtsinn. Diese Mission, die natürlich nicht zu den ganz frühen zu zählen ist und auch nach den ersten Mondlandungen geflogen wurde, war aber auch Teil eines nachhaltigen Konzepts, da damals Saljut 1 (http://de.wikipedia.org/wiki/Saljut_1) angeflogen wurde. Diese allererste menschliche Raumstation war nicht nur eine sowjetische Erstleistung, sondern führte über die Nachfolgestationen Saljut 2 - 7 und Mir direkt zur ISS, auch wenn sie mit einer gescheiterten Mission (Sojus 10) und dem Unglück von Sojus 11 selbst nicht besonders erfolgreich gewesen ist.
Dagegen ist der erste Einsatz einer Frau auf der Mission Wostok 6 ein gutes Beispiel für reine Effekthascherei. Wurde damit irgendein wirklicher Erkenntnisgewinn erzielt? Eine echte Tradition wurde damit jedenfalls nicht begründet, und im heutigen russischen Kosmonautenkorps befindet sich meines Wissens nach keine einzige Frau. Wieviele sind insgesamt eingesetzt worden? Drei? Bei einer schnellen Zählung der US-Astronautinnen kam ich auf 32...
Aber wie Collins (Nachname der US-Astronauten Michael und Eileen Collins) schon sagte, war da vieles dem Kalten Krieg geschuldet.
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Dagegen ist der erste Einsatz einer Frau auf der Mission Wostok 6 ein gutes Beispiel für reine Effekthascherei. Wurde damit irgendein wirklicher Erkenntnisgewinn erzielt?
Natürlich nicht. Es war eine Symbol-Mission - leider ein Symbol das man in den folgenden Missionen nicht erfüllen konnte/wollte.
Ich würde Symbol-Missionen aber nicht (mehr) als Effekthascherrei werten. Sie erfüllen eine wichtige Rolle. Auch das "Teacher in Space" Projekt der NASA - und eine ganze Reihe anderer Projekte der internationalen Raumfahrt erfüllen einen ähnlichen Zweck. Daran ist also nichts spezifisch sowjetisches.
Raumfahrt ist nicht NUR technisch wissenschaftliche Entwicklung. Im Rahmen unserer "Sinn der bemannten Raumfahrt"-Diskussionen habe ich für mich entdeckt, das bemannte Raumfahrt viel mit der kulturellen Entwicklung zu tun hat, mit unser Gesellschaft, unserer Zivilisation. Die "Forschung" im Bereich der bemannten Raumfahrt ist dieser Position folgend, "nur" Mittel - anders als in der "wissenschaftlichen Raumfahrt" eben nicht Zweck, das Ziel.
In diesem Rahmen sehe ich auch in dieser Mission eine große Bedeutung, selbst wenn sie keine neue Technik, kein neues Wissen produziert hat. Wenn du aber den Rahmen selber ablehnst, meine Position das bemannte Raumfahrt eher Kulturgut, den Wissenschaft ist - wirst du alsbald Probleme bei der Rechtfertigung der bemannten, ob weiblicher oder männlicher - Raumfahrt bekommen. :)
Vielen Dank das du nach meinem Rant wieder sachlich argumentierst.
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Das sehe ich genauso. Es gibt verschiedene Nutzen-Kategorien und die wissenschaftliche ist nur eine. Ginge es nur um diese, ist die Rechtfertigung der Kosten auch sehr schwierig. Daher würde die sogenannte unbemannte Raumfahrt nicht mehr Geld bekommen, falls man auf die bemannte verzichten wollte.
Prestige ist auch eine Nutzenkategorie. Andernfalls sollte man keine iPhones, Markenklamotten oder Automarken kaufen, aber wir tun es alle jeden Tag.
Sputnik war, rückblickend sowieso, von ganz erheblichem Nutzen (Demonstration der technischen Fähigkeiten einer Nation), die zum einen solange nachhaltig war, wie man diese technologische Führung inne hatte, zum anderen ist es eine bleibende Kulturleistung. Ich wüßte nicht, was nachhaltiger wäre.
Ein anderes Beispiel für Effekthascherei wäre für mich der Robonaut. Ich gebe zu, er befördert die öffentliche Aufmerksamkeit und auch das ist ja eine bestimmte Nutzenkategorie, die manchmal notwendig und gewollt ist. Ob der Robonaut2 nachhaltig ist, muß sich erst noch erweisen.
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Allerdings haben die Sowjet damals nicht gesagt, "wir testen gerade eine verbesserte Version der Wostok mit einer neuen Landetechnik", sondern sie haben der Welt gegenüber beteuert, dass ihre Raumfahrttechnik so sicher sei, dass ihre Kosmonauten nun ohne Druckanzüge Missionen fliegen könnten und dass sie zum ersten Mal in der Geschichte der bemannten Raumfahrt drei Männer gleichzeitig losgeschickt haben. Wie Jahre später die tragisch verlaufene Mission Sojus 11 gezeigt hat, war das bodenloser Leichtsinn.
Dieses Argument hatst du schon einigemale vorgebracht. Ich versuche es noch einmal mit meiner Gegenperspektive.
Deine Gegenüberstellung "nicht gesagt...sondern gesagt.." impliziert, das sie nur etwas anderes hätten sagen müssen um die Mission in deinen Augen aufzuwerten. Das ist meiner Meinung nach aus mehreren Gründen problematisch.
1. liegt die Bedeutung einer Leistung, ihre Nachhaltigkeit doch in der Leistung selbst, und nicht darin was, oder wie darüber geredet wird.
2. liegt zwischen dem sowjetischen Mund und deinem (wahrscheinlich) westeuropäisch, amerikanischen Ohr der Kalte Krieg. Das meine ich nicht als Metapher, sondern ziemlich wörtlich: Aus dem was du hast "sie sagen hören" kannst du nicht schließen, was "sie gesagt haben". Nimm das Gegenteil und verkorkse es wie du magst, dann liegst du wahrscheinlich näher an der Wirklichkeit.
Was die Leichtsinnigkeit betrifft - nun natürlich war das Leichtsinnig. Die ganze frühe Raumfahrt war maximal leichtsinnig. Auch daran ist nichts spezifisch sowjetisches.
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Naja, nicht ganz. Auch wenn Woschod 1 offiziell "nur" der Test einer neuen Landevorrichtung gewesen wäre, müsste man einen großen Leichtsinn konstatieren. Und mal ehrlich, was macht es für einen Unterschied, wenn man jetzt drei, vier oder fünf Leute in ein Raumfahrzeug setzen kann? Viele Jahre später war das beim amerikanischen Space Shuttle auch kein Thema mehr, dass man regulär mit 7 und einmal mit 8 Astronauten geflogen ist. Wie du schon sagtest, ist Raumfahrt gefährlich und war damals noch um einiges gefährlicher. Unnötige Risiken einzugehen nur zur Erreichung eines propagandistischen Zieles, hinterlässt ein ziemlich ungutes Gefühl.
(Leichtsinn durch zu große Routine und daraus resultierender Sorglosigkeit wäre da ein ganz anderes Thema. Im Grunde sind alle tödlichen Unfälle mit Raumfahrzeugen darauf zurück zu führen, wobei die Russen bekanntlich besser abgeschnitten haben als ihre amerikanischen Kollegen.)
Wenn man es genau betrachtet, hat die so erfolgreiche sowjetische Erfolgspropaganda ein Gutteil des Fundaments gelegt für diese unselige Verschwörungstheorie. Damals in den 50er und 60er Jahren müssen die Menschen (außerhalb der Raumfahrtprogramme) das Gefühl gehabt haben, die Sowjets lägen uneinholbar weit in Führung. Diese Meinung ist auch heute noch sehr weit verbreitet. Wenn man genau hinsieht, weiß man es natürlich besser, denn die amerikanische Mondlandung ist eben nicht plötzlich vom Himmel gefallen. Wenn es ein Leben nach dem Tod für alte Kommunisten geben sollte, wird Chruschtschow sich jedes Mal königlich amüsieren, wenn wieder jemand die Leistungen der Amerikaner anzweifelt. Naja, das nur so nebenbei.
Aber mal etwas weniger weit zurück in die Vergangenheit geschaut: Ist mein Eindruck korrekt, dass die sowjetische Raumfahrt nach der (Propaganda-) Niederlage im Zusammenhang mit der Mondlandung erwachsener wurde und die Missionen damit an Nachhaltigkeit gewonnen haben? Interessanterweise kam es zwischen den Missionen von Woschod 1 und 2 zum Sturz von Nikita Chruschtschow. Hatte das tatsächlich so große Auswirkungen auf die sowjetische Raumfahrt? Hm, wer weiß?
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@Ruhri: Deinem Eindruck, dass die Missionen nachhaltiger wurden, sobald das Rennen zum Mond verloren wurde, stimme ich zu. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das an der Niederlage lag. Mit den ganzen frühen Missionen hat man ja vor allem Technologien demonstriert. Irgendwann kam dann der Punkt, an dem man diese Technologien auch einsetzen wollte.
Ich denke eher, dass es (auf beiden Seiten) Anfang der 70er die Einsicht gab, dass immer teurere Propagandamissionen keinen praktischen Nutzen haben. Statt der großen Visionen (Marsflug etc) wurden jetzt praktische Programme umgesetzt, die einen echten Erkenntnisgewinn brachten, aber nicht immer teurer wurden. Auf beiden Seiten fehlte dann der Wille, mit allen Mitteln weiterzumachen. Bis heute.
mfg websquid
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Ich hatte da auch nur einmal so vor mich hinsinniert. Bei den Sowjets kann man das eigentlich auch schon etwas früher sehen. Die hatten ja auch so eine "Gap" zwischen Wostok/Woschod und Sojus. Die Sojus war bereits in Entwicklung, als die letzten Woschod-Missionen geflogen wurden, und dann hat man sich erst einmal zurück genommen. Da gab es natürlich das Mondlandeprogramm, mit dem man mit den USA konkurrieren wollte, aber im Grunde hatten die Verantwortlichen wohl erkannt, dass sich jetzt etwas ändern müsse.
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Ich habe die 60er-Jahre ja schon sehr bewußt erlebt, und vieles, was damals in den frühen Jahren der Raumfahrt gemacht wurde, geschah in erster Linie aus Propagandagründen. Auf beiden Seiten. Es war halt ein kalter Krieg der ideologischen Systeme. Wie Collins schon geschrieben hat:
Sie wollten den andern zeigen wo zu mann in der Lage war und die anderen nicht.
Die Show war Mittel zum zweck diesen zu gewinnen.
Nach dem Motto : Überlegen im All = Überlegen auf der Erde.
Bis zum großen Umbruch Anfang der 90er wußten wir im Westen ja kaum etwas über die inneren Vorgänge in der "UdSSR", aber seither ist vieles, was uns damals verwunderte, erklärbar geworden.
Ich bleibe jetzt mal bei Woschod: als im Oktober 1964 Woschod-1 mit drei Kosmonauten ohne Raumanzügen startete, sprach die Prawda von einem "riesigen neuen Raumschiff, das so komfortabel ist, daß Raumanzüge nicht mehr erforderlich sind". Nun, heute wissen wir, daß es nicht so war, weder was Größe noch die Gründe für das Weglassen der Suits angeht. Und wir wissen, daß Sergei Koroljow ja entschieden gegen das gesamte Woschod-Programm war, und unbedingt alle (knappen) Mittel auf die Fertigstellung des in Entwicklung stehenden Sojus-Raumschiffs konzentrieren wollte. Aber da die NASA angekündigt hatte, Ende 1964 die erste Gemini-Kapsel mit 2 Leuten zu starten, wollte Nikita C. dies übertrumpfen und befahl Koroljow, die Amerikaner mit 3 Personen in einem Raumschiff zu übertreffen.
Aber ohne diese frühen (vielfach propagandistischen) Erfolge der Sowjetunion hätten die USA niemals so viel Geld in die Raumfahrt gepumpt, hätte es kein Apollo-Programm mit einer "Mondlandung bis 1970" gegeben und wir ständen heute nicht da, wo wir heute stehen. Und das ist für mich das Entscheidende, und ich bin persönlich sehr dankbar dafür, daß die russischen Kollegen damals imstande waren, solche tollen Erstleistungen zu erbringen.
Gruß
roger50