Raketenflug

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klausd

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Re: Raketenflug
« Antwort #150 am: 08. Oktober 2013, 23:18:10 »
Ein häufig gemachter Fehler. Wenn man schon die Analogie des "Anfassens" haben will, dann muss man den Besenstiel in der Mitte anpacken und dann die Impulse zum korrigieren am Ende des Besenstieles machen.

Sowas passiert aber auch den vermeintlich geschulten...


Und weitere Infos dazu hier: https://forum.raumfahrer.net/index.php?topic=6836.0

Gruß, Klaus

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Offline ZiLi

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Re: Raketenflug
« Antwort #151 am: 08. Oktober 2013, 23:28:08 »
Ja, Kraftvektoren nutzen eben nix, wenn man nicht auch ihre Angriffspunkte in Betracht zieht. Man siehts, selbst 'de Exberde' sind nicht perfekt, und auch ich hab 'ne Zeitlang gebraucht, das zu kapieren. Aber so um 1969 rum hats dann Heinrich Schiemann so erklärt, dass ichs verstanden habe. Die falsche Besen-Balancier-Analogie gabs nämlich damals schon...

-ZiLi-

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Offline Schillrich

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Re: Raketenflug
« Antwort #152 am: 09. Oktober 2013, 07:37:06 »
@Klaus

Das Bild den "Besenstiel in der Mitte anzufassen"*, ist wirklich gut. Das hätte uns damals in der Diskussion auch gut geholfen.

*intern jetzt abgelegt unter: doppelplusgut
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Offline Kelvin

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Re: Raketenflug
« Antwort #153 am: 09. Oktober 2013, 12:03:29 »
Ja, Kraftvektoren nutzen eben nix, wenn man nicht auch ihre Angriffspunkte in Betracht zieht. Man siehts, selbst 'de Exberde' sind nicht perfekt, und auch ich hab 'ne Zeitlang gebraucht, das zu kapieren. Aber so um 1969 rum hats dann Heinrich Schiemann so erklärt, dass ichs verstanden habe. Die falsche Besen-Balancier-Analogie gabs nämlich damals schon...

Also Leute, danke für die aufgewendete Mühe und die Links, es hat aber bei mir bisher nur teilweise Früchte getragen  ;)

Manches ist mir klar, oder ist klar geworden, so z.B. daß die Drehachse eine andere ist oder daß im Vorwärtsflug aus einem Kippen natürlich ein Bogen wird. So weit sollte aber meine Besenanalogie eigentlich nicht gehen, sie hat sich hauptsächlich auf die vier von mir aufgezählten Betriebszustände (1..4) eines schwebenden Grasshoppers bezogen (Kommentar von 8.10. 22:37:20) Dazu hat bisher leider niemand Stellung bezogen, obwohl ich hier eigentlich bewußt keine Drehachse nenne und nur von der Auslenkung  und Kippbewegungen rede. Hier scheint mir die Ähnlichkeit doch gegeben zu sein, auch wenn wie gesagt z.B. die Drehachse unterschiedlich ist.

Die Drehachse eines balancierten Besens ist übrigens meinem Verständnis nach auch oben, nur die Drehachse eines fallenden Besens - wenn man die Bemühungen einstellt - ist der Finger. Aber das nur nebenbei.  ;-)  Ich stelle aber viel mehr auf die relative Lage des Schwerpunktes und des Fußpunktes ab und die in beiden Fällen instabile Lage - ganz unabhängig davon, wo sich der Schwerpunkt nun genau befindet. Mit der meiner Meinung nach gegebenen Notwendigkeit aktiver Steuerung der Lage des Fußpunktes. So gesehen würde die Analogie wieder ungefähr stimmen.

Die einleuchtenden Ausführungen von Daniel Schillrich im Ares-Thread habe ich vermutlich begriffen und habe damit auch kein Problem, so weit es sich um einen regulären Flug handelt. Auch damit nicht, daß man eine in 2m Höhe schwebende Rakete mit einem seitlichen Tritt schwerer umwerfen kann, als eine auf dem Boden stehende. Der Hebel ist wegen dem veränderten Drehpunkt einfach kürzer.

Meine Probleme beginnen dort, wo es um einen Schwebezustand geht oder den Übergangsbereich dazu. Dort gibt es so gut wie keine "aerodynamischen Störungen" aber auch die kleinste Anomalie des Triebwerksschubes erzeugt meiner Meinung nach doch einen Kippmoment. Die Trägheit einer startenden Rakete ist natürlich so enorm, daß sich das bei einem realen Start nicht auswirken kann.

Anders bei einem Schwebflug der länger aufrecht erhalten werden soll, oder bei welchem eine seitliche Bewegung möglich sein soll. Hier muß man sich meiner Meinung nach von "der Schwerpunkt erzeugt keinen Moment" verabschieden - für eine Seitwärtsbewegung braucht man ihn sogar.

Es scheint mir nicht anders zu gehen, als daß in diesem Flugzustand das Triebwerk den Schwerpunkt nicht nur axial  "stützt", sondern zusätzlich durch die horizontale Verlagerung des unteren Endes des Gebildes ihn auch aktiv manipuliert, um so z.B. eine Horizontalbewegung einzuleiten.

Das entspricht auch im Prinzip auch den zwei Einstellungen des Triebwerkes des alten Lunarmoduls wie hier erwähnt wurde: eine starre Einstellung für den Start, und die vorhandene Steuerbarkeit beim Landen, mit der Möglichkeit dann auch horizontale Bewegungen im Schwebeflug auszuführen.

Ich entschuldige mich für meine Hartnäckigkeit und bin natürlich einverstanden, wenn das Thema hier gelöscht oder sonstwohin verschoben wird - Kelvin

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Offline Schillrich

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Re: Raketenflug
« Antwort #154 am: 09. Oktober 2013, 12:20:50 »
Hallo Kelvin

...
Anders bei einem Schwebflug der länger aufrecht erhalten werden soll, oder bei welchem eine seitliche Bewegung möglich sein soll. Hier muß man sich meiner Meinung nach von "der Schwerpunkt erzeugt keinen Moment" verabschieden - für eine Seitwärtsbewegung braucht man ihn sogar.
...

Das darfst du so aber nicht. Ein freier, ungefesselter, unverankerter Körper rotiert immer um seinen Schwerpunkt. Damit kann der Schwerpunkt (bzw. das Gewicht) kein Moment für eine Rotation (um sich selbst) erzeugen.


Zitat
Es scheint mir nicht anders zu gehen, als daß in diesem Flugzustand das Triebwerk den Schwerpunkt nicht nur axial  "stützt", sondern zusätzlich durch die horizontale Verlagerung des unteren Endes des Gebildes ihn auch aktiv manipuliert, um so z.B. eine Horizontalbewegung einzuleiten.

Eine horizontale Bewegung wird eingeleitet, aber nicht durch das Gewicht im Schwerpunkt selbst, sondern durch entsprechend gesteuerten/geschwenkten Schub, der den Schwerpunkt zur Seite drückt.
« Letzte Änderung: 09. Oktober 2013, 13:39:29 von Schillrich »
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Offline ZiLi

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Re: Raketenflug
« Antwort #155 am: 09. Oktober 2013, 13:15:59 »
Kelvin ich geh jetzt mal nicht auf alles ein, möchte aber zuerst anmerken, dass es mich freut, dass jemand etwas nicht einfach beiseite wischt, sondern wirklich lernen und verstehen will. Klasse, weiter so!

Jetzt nur kurz eine Anmerkung dazu, dass Du einen Unterschied zwischen Vorwärtsflug, Schweben, und Sinkflug siehst. Die Antwort ist genauso kurz - es gibt keinen, da die Geschwindigkeit und deren Richtung selbst bei der Betrachtung der Fluglage irrelevant ist.

Wichtig sind nur Kräfte, ihre Richtung, und die Punkte, auf die diese wirken. Und wenn man (was zulässig ist, wenn man nur die FlugLAGE und deren Änderungen bestimmen will), auch noch alle Kräfte, die durch den Schwerpunkt gehen (und damit auch die Position im Raum) ignoriert, also auch die Schwerkraft, und den Körper quasi in leeren Raum ohne Bezugspunkt schwebend betrachtet, wirds vielleicht klarer.

Der Besenstiel der balanciert wird, hat dann eben sehr wohl ein anderes Verhalten, weil der eben nicht im Raum schwebt, und somit die Schwerkraft in die Betrachtung seiner Lage einbezogen werden muss, weil sie eine Kraft um den Drehpunkt herum erzeugt - bei der schwebenden, vorwärts, rückwärts oder seitwärts fliegenden Rakete ist dies eben nicht gegeben.

Wie gesagt, diese Aussagen beziehen sich jetzt alle NUR auf die LAGE des Geräts, die bei der Rakete prinzipiell einfacher als beim Besen ist - dafür hats der Besen bei der POSITION und den BEWEGUNGEN im Raum einfacher, was die eigentliche Schwierigkeit bei der Rakete ist...

-ZiLi-

P.S.: Wenn wirs immer noch nicht haben, können wirs gern auch nochmal mit nem Hubschrauber als Analogmodell durchspielen - falls gewünscht.

Offline Kelvin

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Re: Raketenflug
« Antwort #156 am: 09. Oktober 2013, 13:29:56 »
Das darfst du so aber nicht. Ein freier, ungefesselter, unverankerter Körper rotiert immer um seinen Schwerpunkt. Damit kann der Schwerpunkt (bzw. das Gewicht) kein Moment für eine Rotation (um sich selbst) erzeugen.


Hallo Daniel, klar, meine Begriffe sind sehr problematisch. Ich meinte ein Moment "relativ zur Stützkraft", es ist aber im Prinzip doch egal, wie rum man das betrachtet. Wenn das Ding nicht genau in der Schwerpunktachse abgestützt oder angetrieben wird, gibt es einen Drehmoment, das man entweder kompensieren muß oder ausnutzen kann.

Eine horizontale Bewegung des wird eingeleitet, aber nicht durch das Gewicht im Schwerpunkt selbst, sondern durch entsprechend gesteuerten/geschwenkten Schub, der den Schwerpunkt zur Seite drückt.

Jetzt nähern wir uns dem Kern des Pudels ;-) Ich sehe es so ähnlich wie Fahradfahren. Um nach rechts zu fahren, lenke ich znächst nach links, um die Stützkraft nach links zu verlagern, und den Schwerpunkt relativ dazu nach rechts. Dann muß ich darauf achten, daß der Schwerpunkt nicht zu weit nach rechts abrutscht und ich auf der Nase lande - ich folge ihm also. Wenn ich wieder geradeaus fahren will, "überhole" ich den Schwerpunkt und balanciere wieder mit möglichst kleinen Lenkausschlägen

Des schräggestellte, bei Horizontalbewegungen oben in Flugrichtung geneigte Grasshopper spricht meiner Meinung schon dafür, daß es dort auch so ähnlich gemacht wird. Das Triebwerk drückt doch nicht (seitlich) im Schwerpunkt, es kann aber das "natürliche Verhalten" des Schwerpunktes ausnutzen, indem es "ihn in die richtige Richtung lockt" ;-)

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Offline Schillrich

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Re: Raketenflug
« Antwort #157 am: 09. Oktober 2013, 13:58:06 »
Des schräggestellte, bei Horizontalbewegungen oben in Flugrichtung geneigte Grasshopper spricht meiner Meinung schon dafür, daß es dort auch so ähnlich gemacht wird. Das Triebwerk drückt doch nicht (seitlich) im Schwerpunkt, es kann aber das "natürliche Verhalten" des Schwerpunktes ausnutzen, indem es "ihn in die richtige Richtung lockt" ;-)

Für die Modellierung des Flugverhaltens ist das schon so. Die Schubkraft greif physikalisch "unten" an. Äquivalent dazu ist es, die Schubkraft in den Schwerpunkt parallel zu verschieben und "exzentrische" Hebelwirkungen durch äquivalenten Momente um den Schwerpunkt zu ersetzen. Das ist jetzt kein mathematischer Trick, sondern eine äquivalente physikalische Transformation des Problems in ein (rechnerisch) einfacher handhabbares Problem.

Die Bewegung wird dann nur von Größen bestimmt, die am Schwerpunkt angreifen. Der Schub erzeugt eine Translation des Schwerpunkts (also auch die Bewegung zur Seite). Die Momente erzeugen eine Rotation.
Es ist aber nicht so, dass der Schwerpunkt selbst, von sich aus, eine seitliche Translation oder eine Rotation durchführt/anregt.
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Offline Kelvin

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Re: Raketenflug
« Antwort #158 am: 09. Oktober 2013, 18:13:15 »
Für die Modellierung des Flugverhaltens ist das schon so. Die Schubkraft greif physikalisch "unten" an. Äquivalent dazu ist es, die Schubkraft in den Schwerpunkt parallel zu verschieben und "exzentrische" Hebelwirkungen durch äquivalenten Momente um den Schwerpunkt zu ersetzen. Das ist jetzt kein mathematischer Trick, sondern eine äquivalente physikalische Transformation des Problems in ein (rechnerisch) einfacher handhabbares Problem.

Ok, das Flugverhalten kann man so wohl modellieren und es wird sicher auch einen Sinn haben, auch wenn ich den jetzt nicht verstehe.

Es ist aber nicht so, dass der Schwerpunkt selbst, von sich aus, eine seitliche Translation oder eine Rotation durchführt/anregt.

Stimmt natürlich, für eine beabsichtigte seitliche Translation muß die Schwerpunkt gezielt "verschoben" werden, natürlich nur relativ zum Stützpunkt. (Oder es muß eben der Stützpunkt verschoben werden, wenn man den Schwerpunkt als unveränderlich betrachtet.) Jedenfalls aber so, daß sich dann der Schwerpunkt nicht über dem Stützpunkt befindet. Deswegen schrieb ich ja schon in meinem ersten Post zum Thema:

Zitat von: Kelvin
3) Eingeleitet wird die Seitwärtsbewegung durch das Auslenken des unteren Endes der Stufe in die entgegengesetzte Richtung.

Wenn auf diese Weise eine Schrägstellung erzeugt wurde, "kippt" die Stufe (bzw. deren Schwerpunkt) in die beabsichtigte Richtung. Wenn nun der Stützpunkt diese Kippbewegung folgt, indem das Triebwerk gleichzeitig das Unterteil der Stufe (den Stützpunkt) in die vorgesehene/gleiche Richtung drückt, haben wir eine Horizontalbewegung. Die Geschwindigkeit ist dabei direkt proportional der jeweiligen Schräglage.

Am Ziel angekommen feuert das Triebwerk noch mehr entgegen der Bewegungsrichtung und "schiebt/drückt" so den Stützpunkt wieder möglichst genau unter den Schwerpunkt. Die Stufe steht wieder senkrecht, befindet sich im "Balanciermodus" und kann landen.

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Offline Schillrich

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Re: Raketenflug
« Antwort #159 am: 09. Oktober 2013, 18:19:43 »
...
für eine beabsichtigte seitliche Translation muß die Schwerpunkt gezielt "verschoben" werden, natürlich nur relativ zum Stützpunkt. (Oder es muß eben der Stützpunkt verschoben werden, wenn man den Schwerpunkt als unveränderlich betrachtet.) Jedenfalls aber so, daß sich dann der Schwerpunkt nicht über dem Stützpunkt befindet. Deswegen schrieb ich ja schon in meinem ersten Post zum Thema:

...

Wenn auf diese Weise eine Schrägstellung erzeugt wurde, "kippt" die Stufe (bzw. deren Schwerpunkt) in die beabsichtigte Richtung. Wenn nun der Stützpunkt diese Kippbewegung folgt, indem das Triebwerk gleichzeitig das Unterteil der Stufe (den Stützpunkt) in die vorgesehene/gleiche Richtung drückt, haben wir eine Horizontalbewegung. Die Geschwindigkeit ist dabei direkt proportional der jeweiligen Schräglage.

Am Ziel angekommen feuert das Triebwerk noch mehr entgegen der Bewegungsrichtung und "schiebt/drückt" so den Stützpunkt wieder möglichst genau unter den Schwerpunkt. Die Stufe steht wieder senkrecht, befindet sich im "Balanciermodus" und kann landen.


Du gehst in die falsche Richtung (muss ich so deutlich sagen). Die Rakete balanciert nicht. Teilweise reden wir vielleicht ein wenig aneinander vorbei, da wir Begriffe unterschiedlich nutzen.

Um dein Modell zu testen: Was passiert in deinem Modell mit diesen "Pendelraketen" von Goodard? Dort liegt der Schwerpunkt tief, unter dem Triebwerk. Wie reagiert diese Rakete auf eine Störung, z.B. einen Windstoß, der sie "auslenkt"?
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Offline Kelvin

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Re: Raketenflug
« Antwort #160 am: 09. Oktober 2013, 20:49:35 »
Du gehst in die falsche Richtung (muss ich so deutlich sagen). ... Teilweise reden wir vielleicht ein wenig aneinander vorbei, da wir Begriffe unterschiedlich nutzen.
Hallo Daniel, rede unbesorgt offen, damit habe ich kein Problem. Im Gegenteil, ich bin froh, daß ich das Thema mit einem solchen Spezialisten diskutieren kann. Diese tolle Skizze zur Mond-Transferbahn habe sogar ich begriffen, obwohl mir das Thema ja eher fremd ist. Und ich glaube schon, daß es teilweise ein Verständigungsproblem ist - mein Physikunterricht liegt nicht nur sehr weit zurück, er wurde auch in einer anderen Sprache abgehalten und er war wohl auch noch sehr dem Herrn Newton verpflichtet. Hoffen wir mal, daß diese Unterhaltung auch andere Leser interessiert. Was mich betrifft würde ich mich freuen das zu klären, andererseits will ich aber nicht zu sehr nerven. Wenn das der Fall sein sollte, bitte einfach abbrechen oder eine Pause machen.

Die Rakete balanciert nicht.
Gut, dann nenne ich es Schwebeflug. ;-) Der funtioniert aber in der Realität nicht, wenn nicht irgendwelche Klappen oder schwenkbare Triebwerke dafür sorgen, daß der Stützpunkt schön unter dem Schwerpunkt bleibt. Ist das richtig? Und wenn ja, wie nennst Du dieses Verhalten?

Um dein Modell zu testen: Was passiert in deinem Modell mit diesen "Pendelraketen" von Goodard? Dort liegt der Schwerpunkt tief, unter dem Triebwerk. Wie reagiert diese Rakete auf eine Störung, z.B. einen Windstoß, der sie "auslenkt"?
Ich will nicht mogeln, ich bin bereits gestern diesem Link gefolgt ;-) Ich verstehe aber nicht, welchen Zusammenhang das mit meiner "Horizontalflugtheorie" hat. Die kommt ja ohne eine überaus schlaue Steuerung  nicht aus. Und ich glaube nicht, (ohne jetzt alles noch einmal zu lesen) daß ich empfohlen hätte, den Schwerpunkt nach unten zu verlagern.


PS @GalacticTraveler: Deine letzte Aussage zu SpaceX kann ich im vollen Umfang unterschreiben.

ilbus

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Re: Raketenflug
« Antwort #161 am: 10. Oktober 2013, 10:33:25 »
Kelvin, es ist interessant eure Diskussion zu verfolgen, da ich selbst häufig in der Situation bin, in der man erstmal eine gemeinsame Basis schaffen muss, bevor man sich sachlich und konstruktiv unterhalten kann. Der Prozess des auf gemeinsamen Nenner Kommens und die Denkweisen davor und danach sind es. Ich freue mich auf die Fortsetzung. :)

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Offline Schillrich

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Re: Raketenflug
« Antwort #162 am: 10. Oktober 2013, 11:35:15 »
Hallo Kelvin,

ich antworte schon mal hier. Unsere anderen Beiträge aus dem Falcon-9R-Thread werden hier bald landen ...

Ich habe dieses Bild hier gemacht, um Kräfte, Momente, Fluglage und Bewegung darzustellen, wie sie bei einer Schwebetranslation durch ein schwenkbares Triebwerk ablaufen. Das "Problem" der Darstellung ist: Die Kräfte/Momente regen Beschleunigungen an, die sich in Geschwindigkeiten (Translation und Rotation) übersetzen (nicht explizit dargestellt), die sich wiederum in Wege/Lagen übersetzen (dargestellt). Das kann zu Problemen in den Begriffen und Bildern führen. Stimmig wird das ganze erst durch Differentialgleichungen formuliert/dargestellt, wo all diese Größen und ihre zeitlichen Änderungen zusammenspielen.

Das Bild zeigt einmal die Rakete und wie dort die Kräft angreifen. Daneben ist jeweils das äquivalente Modell der Kräfte am Schwerpunkt dargestellt, samt Ersatzmoment, dass dann im Schwerpunkt wirk.




0.
Schub und Gewicht wirken antiparallel gleichstark. Die Rakete schwebt.

1.
Die Rakete schwebt immer noch. Der Schub wird aber kurz nach rechts ausgelenkt. In der Summe addieren sich die Kräfte jetzt in eine nach links unten schiebende Komponente und in ein rechtsdrehendes Moment. Das heißt jetzt, es bauen sich zwei Bewegungen auf: die Stufe (ihr Schwerpunkt) beschleunigt nach links unten und die sie rollt nach rechts.

Das Rollen würde jetzt immer weiter gehen, auch bei neutraler Schubstellung, aber nicht weil der Schwerpunkt "weiter kippt", sondern weil das Moment eine Rechtsrotation um den Schwerpunkt angeregt hat. Die hört von alleine nicht auf.

2.
Die Rechtsrotation muss gestoppt werden. Der Schub wird nach links gelenkt. Die Kräfte addieren sich jetzt zu einer nach rechts unten schiebenden Komponente und zu einem linksdrehenden Moment. Die Rechtsbewegung des Schwerpunkts aus 1. wird gestoppt und umgekehrt. Endlich geht es nach rechts. Die Rechtsrotation wird auch gestoppt. Die Stufe nimmt eine konstante schräge Lage ein.

3.
Der Schub wirkt wieder neutral entlang der Längsachse. Die Kräfte addieren sich zu einer kleinen Komponente, die weiter nach rechts unten schiebt. Die Stufe hat eine schräge Lage.

Es geht jetzt immer schneller (beschleunigt) nach rechts unten. Die Rakete driftet nach rechts. Es gibt aber keine Rotation mehr.

Die Driftbewegung soll gestoppt werden und die Rakete soll sich aufrichten.

4.
Der Schub wird nach links ausgelenkt. Um den Schwerpunkt wirkt jetzt ein linksdrehendes Moment, das eine Linksrotationanregt. Die Kräfte addieren sich zu einer erneuten, stärkeren Komponente und Beschleunigung nach rechts unten.

5.
Die Rakete hat sich aufgerichtet, will aber weiter nach links rotieren. Der Schub wird nach rechts ausgelenkt. Die Kräfte addieren sich jetzt zu einer nach links unten wirkenden Komponente . Diese bremst endlich die Drift nach rechts. Das rechtsdrehende Moment stoppt auch die Linksrotation aus 4.

6.
Alle Rotationen sind gestoppt. Die Drift nach rechts ist auch gestoppt. Schub und Gewicht sind wieder antiparallel. Aber (da ich hier die Schubstärke nie variiert habe): die Rakete sinkt immer weiter. Wir haben nie die Abwärtsbeschleunigung kompensiert.





Soooooo .... ich hoffe im Text bei allem rechts und links nicht mal was vertauscht zu haben. Im Bild sollte es aber eindeutig sein.

Was man hier schön sieht: Steuern von Translation und Rotation nur mit dem Schubvektor, ist reichlich komplex. Man regt allerhand Bewegungen an, die man dann wieder durch passendes Timing, passende Winkel und passende Schubstärke kompensieren muss. Das kann auch mal außer Kontrolle geraten, da man manche Bewegungen nicht steuern kann, ohne gleichzeitig andere Bewegungen anzuregen, die man dann auch wieder kompensieren muss ...usw. Am einfachsten (aus Sicht der Regelung/Steuerung) wären getrennte Systeme: Ein festes Triebwerk, das stur "nach unten" schiebt, und ein RCS, dass die Rotation steuert. So war das bei den Mondfähren und deren Testvehikeln.
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Offline Schillrich

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Re: Raketenflug
« Antwort #163 am: 10. Oktober 2013, 11:56:10 »
Es gibt in dem Ablauf noch eine Reihe Spielvarianten. Für die fortgesetzte Translation nach rechts muss die Rakete nicht so schräg bleiben wie in 3. Nachdem sie mit 3. nach rechts beschleunigt, kann sie sich in 4. und 5. komplett aufrichten, ohne die Translation nach rechts komplett zu stoppen. Sie würde dann aufrecht immer weiter nach rechts driften (mit konstanter Geschwindigkeit), bis man nochmal gegensteuert.

Das kann man auch gut hier bei Grasshopper sehen, ca. ab t=00:15s. Grasshopper ist nach der Initierung der Translation wieder komplett aufgerichtet, driftet aber weiter zu Seite:
ws

Auf dem Rückweg ab t=00:30s macht Grasshopper dann genau das, was ich dargestellt habe, samt "ständigem Sinkflug" ... am Ende rollte Grasshopper aber noch mal "richtig" nach links, um mit seinem Triebwerk die Drift nach rechts zu bremsen.
« Letzte Änderung: 10. Oktober 2013, 13:27:43 von Schillrich »
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Offline Kelvin

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Re: Raketenflug
« Antwort #164 am: 10. Oktober 2013, 19:11:32 »
Hallo Daniel, zunächst einmal herzlichen Dank für die sehr schöne ausführliche Darstellung der Problematik. Ich werde natürlich nicht auf ähnliche Weise antworten können, würde aber gerne auf bestimmte Details eingehen bzw. Fragen stellen.

Zuerst noch zum Begriff "Balancieren": Ich verstehe darunter, wenn ich das möglichst abstrakt formuliere "das permanente gezielte Verlagern des Stützpunktes eines Objektes in der Weise, daß das Objekt das labile Gleichgewicht beibehält". Wahlweise auch, daß das "Objekt in der gewünschten Weise bewegt wird". (Das ist eine "erdbezogene, klassische" Sichtweise, klar.)

Der Grasshopper ist doch mit Sicherheit ein Objekt, welches sich beim Landen im labilen Gleichgewicht befindet und in diesem bleiben soll bis er nach der Landung ausreichend abgestützt wird.  Nun kann man streiten, ob das Triebwerk ein Stützpunkt ist oder einen erzeugt. Ein klassischer Stützpunkt ist es sicher nicht, man denkt da ja eher an diesen Finger als feste Auflage. Für mich als Laien kann es aber eben auch eine Kraft sein, statt einem Gegenstand - das ist für mich in diesem Fall austauschbar.  Daher habe ich diesen Begriff mit reinem Gewissen verwendet. ;-)

Aus Deiner Zeichnung geht ja auch sehr schön hervor, daß auch hier der Stützpunkt (bzw. das untere Ende der Rakete) ständig relativ zum Schwerpunkt der Rakete verlagert wird, und das es "Konsequenzen" für das Verhalten des ganzen Objektes hat. Genau das ist es, was ich damit meine - der ständige, indirekte, heroische Kampf mit dem Schwerpunkt. ;-)

Ich verstehe schon, daß Raketentechniker sagen "eine Rakete balanciert nicht" - weil man mit dem Begriff unterschlägt, daß keine feste Auflage zur Verfügung steht und so deutlich mehr (insbesondere wohl das jeweilige Rotationsmoment) zu beachten ist, als bei diesem Besenstiel. Bei diesem werden ja manche Kräfte (das Rotationsmoment z.B.) quasi nebenbei durch die Auflage sicher übertragen, können also "bei praktischer Anwendung" vernachlässigt werden. Man muß im Grunde nur den die Schwerpunktlage relativ zur Auflage und seine Lateralbewegung beachten. Am Prinzip ändert sich aber meiner Meinung aus einem gewissen Abstand nicht sehr viel.

Sind wir uns da einig? Bzw.- gibt es für dieses beschrieben Verhalten einen besseren Begriff?

*

Offline Schillrich

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Re: Raketenflug
« Antwort #165 am: 11. Oktober 2013, 08:10:27 »
Guten Morgen,

Zuerst noch zum Begriff "Balancieren": Ich verstehe darunter, wenn ich das möglichst abstrakt formuliere "das permanente gezielte Verlagern des Stützpunktes eines Objektes in der Weise, daß das Objekt das labile Gleichgewicht beibehält".

...

Nun kann man streiten, ob das Triebwerk ein Stützpunkt ist oder einen erzeugt. Ein klassischer Stützpunkt ist es sicher nicht, man denkt da ja eher an diesen Finger als feste Auflage. Für mich als Laien kann es aber eben auch eine Kraft sein, statt einem Gegenstand - das ist für mich in diesem Fall austauschbar.  Daher habe ich diesen Begriff mit reinem Gewissen verwendet. ;-)
Hier sind wir wieder bei den Begriffen. Es gibt keinen "Stützpunkt". Mechanisch gesprochen verstehe ich deine Worte als ein Auflager. Dieses würde Kräfte aufnehmen und ableiten (wohin eigentlich?*) und als solches die Freiheitsgrade der Bewegung einschränken. Ein fliegendes Objekt ist ungebunden. Es ist vollkommen frei in seiner Bewegung, quasi ein Spielball aller Kräfte und Momente. Es ist nicht gelagert.

*Hier kann man aber streiten, wie man das betrachtet: Die Kraft wirkt per Impulserhaltung zwischen ausgestoßenem Treibstoff und Düse, und wird so "abgeleitet".

Zitat
Der Grasshopper ist doch mit Sicherheit ein Objekt, welches sich beim Landen im labilen Gleichgewicht befindet und in diesem bleiben soll bis er nach der Landung ausreichend abgestützt wird. 
Eine Rakete ist labil, solange es keine Aerodynamik gibt. Das bessere Wort ist aber "neutral". Sie hat keine natürliche Tendenz eine Bewegung aufzuschaukeln oder zu dämpfen. Sie folgt einfach jeder Kraft direkt. Bringt man die Atmosphäre mit rein und den Druckpunkt der aerodynamischen Kräfte, kann eine Rakete stabil oder instabil werden, je nachdem wo der Druckpunkt relativ zum Schwerpunkt liegt.


Zitat
Aus Deiner Zeichnung geht ja auch sehr schön hervor, daß auch hier der Stützpunkt (bzw. das untere Ende der Rakete) ständig relativ zum Schwerpunkt der Rakete verlagert wird, und das es "Konsequenzen" für das Verhalten des ganzen Objektes hat. Genau das ist es, was ich damit meine - der ständige, indirekte, heroische Kampf mit dem Schwerpunkt. ;-)
Hier interpretierst/analogisierst du in die falsche Richtung. Nicht die Lage des "unteren Endes" ist wichtig, sondern die Richtung, in die der Schub ausgelenkt ist, also allein die Richtung der angreifenden Kraft. Das zeigt sich jeweils auch im Kraftdreieck daneben. Es geht nicht darum, die Triebwerke "unter" dem Schwerpunkt zu haben.
Schau dir Bild 3 an. Dort ist der Schub nicht "unter" dem Schwerpunkt, geht aber "durch ihn". Die Rakete behält ihre Lage bei. Sie wird hier nicht rotieren ("kippen"). Sie wird nur driften.
Umgekehrt bei 1. und 5. Hier ist der Schub "unter" dem Schwerpunkt, geht aber nicht "durch ihn". Daher kommt es hier zur Rotation. Diese wird nicht durch den "kippenden" Schwerpunkt angeregt, sondern allein durch den schrägen Schub mit seinem Hebelarm.


Quintessenz: Eine Rakete kippt nicht. Es gibt keinen "Kampf mit/gegen den Schwerpunkt". Der Schwerpunkt regt keine Rotation an und muss deswegen auch nicht "kompensiert" werden.
« Letzte Änderung: 11. Oktober 2013, 18:29:15 von Schillrich »
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Offline ZiLi

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Re: Raketenflug
« Antwort #166 am: 11. Oktober 2013, 18:23:15 »
Sorry - ich sehe den Raketenflug nicht als labiles Gleichgewicht an (das wär der balancierte Besenstiel), sondern eher als ein meist indifferentes Gleichgewicht. Ich denke das war auch gemeint, nur mangels Wort nicht verwendet - der Kontext 'neutral' scheint zumindest drauf hinzudeuten.

Zur Definition von stabil, indifferent und labil: Stabil ist ein Gleichgewicht, wenn eine Abweichung zwangsläufig zu einem Gegenmoment führt, welches den Urzustand wieder zu erreichen versucht (=quasi selbstkorrigierend) - indifferent, wenn ein durch eine Störung verursachter Bewegungszustand dazu tendiert, im veränderten Zustand zu beharren, und somit eine Gegenaktion nötig ist, um den Urzustand wiederherzustellen, sich selbst aber nicht weiter verändert - und labil, wenn ein Rückkopplungseffekt dazu führt, dass eine Störung dazu tendiert, sich selbstständig zu vergrößern, so dass jegliche Verzögerung einer notwendigen Gegenaktion zu erhöhtem notwendigen Korrekturaufwand führt.

Meines Erachtens ist der reine Raketenflug physikalisch fast immer mit einem indifferenten Gleichgewicht gleichzusetzen - erst wenn andere Faktoren wie z.B. Aerodynamik mit reinspielen, kommen auch noch andere Sachen mit ins Spiel, welche die Gleichgewichte verschieben - Stichworte sind hier z.B. Leitflossen zur Stabilisierung, aber auch Einflüsse von grossen Fairings auf die Flugbahnstabilität.

-ZiLi-

Offline Kelvin

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Re: Raketenflug
« Antwort #167 am: 12. Oktober 2013, 10:23:28 »
Hier sind wir wieder bei den Begriffen. Es gibt keinen "Stützpunkt". Mechanisch gesprochen verstehe ich deine Worte als ein Auflager. Dieses würde Kräfte aufnehmen und ableiten (wohin eigentlich?*) und als solches die Freiheitsgrade der Bewegung einschränken. Ein fliegendes Objekt ist ungebunden. Es ist vollkommen frei in seiner Bewegung, quasi ein Spielball aller Kräfte und Momente. Es ist nicht gelagert.
Ok, das ist klar. Ich schrieb ja auch "bei diesem [Besenstiel] werden ja manche Kräfte (das Rotationsmoment z.B.) quasi nebenbei durch die Auflage sicher übertragen, können also 'bei praktischer Anwendung' vernachlässigt werden." Ich verwendete "Stützpunkt", weil ich es wohl irgendwo aufgeschnappt hatte und weil es relativ gut ausdrückt, daß es die Stelle ist, an der die "aktiven Kräfte" wirksam werden. Und weil ich keinen besseren hatte, "Auflager" impliziert ja noch mehr eine mechanische Verbindung, die natürlich nur bei diesem Besen gegeben sind.

Ich brauche in meinem Modell dafür einen handhabbaren Begriff und meine damit also immer "die Stelle, an der in das Objekt die zur Steuerung benötigten und die nebenbei unabsichtlich eingeleiteten Kräfte wirksam werden".

Eine Rakete ist labil, solange es keine Aerodynamik gibt. Das bessere Wort ist aber "neutral". Sie hat keine natürliche Tendenz eine Bewegung aufzuschaukeln oder zu dämpfen. Sie folgt einfach jeder Kraft direkt. Bringt man die Atmosphäre mit rein und den Druckpunkt der aerodynamischen Kräfte, kann eine Rakete stabil oder instabil werden, je nachdem wo der Druckpunkt relativ zum Schwerpunkt liegt.
Aerodynamik, aerodynamische Kräfte und deren Druckpunkt haben wir ja beim idealen Schwebeflug (zumindest was die reguläre Flugrichtung einer Rakete betrifft) keine. Die Rakete ist also in diesem Sinne im Schwebflug neutral=labil bezüglich der Aerodynamik, sie wird weder gestört noch gestützt. Auch davon bin ich eigentlich immer schon ausgegangen, sonst häte ich ja auch nicht das "Besenbild" verwendet. Ich meinte mit "labil" also nie die Aerodnamik, immer nur die Labilität bezüglich Schwerpunkt, Gravitation und eben "Stützpunkt".

Nein, hier interpretierst/analogisierst du in die falsche Richtung. Nicht die Lage des "unteren Endes" ist wichtig, sondern die Richtung, in die der Schub ausgelenkt ist, also allein die Richtung der angreifenden Kraft.
Das sehe ich ganz anders. Der Ort an dem die "einleitende Kraft" (=der Schub) wirkt entscheidet doch über das Rotationsmoment (="Kippbewegung" in meinem Text) der in das Objekt eingeleitet wird. Und "das untere Ende" ist hier eben dieser Punkt. Würde der Schub im Schwerpunkt wirken, egal in welcher Richtung, würde doch keine Rotation, kein "Kippen" entstehen. Daher benötige ich auch dringend diesen "Stützpunkt", wie immer man den auch bezeichnet. Aus meiner Sicht ist es nicht egal, wo er sich relativ zum Schwerpunkt und der Gravitationsrichtung liegt. Das ist jetzt wohl ein Punkt, der noch zu klären wäre.

Deine Skizzen entsprechen übrigens sehr weitgehend auch meiner Sichtweise, wenn ich alles richtig interpretiere. Die dargestellten Rotationsmomente sind ohne einen "Hebelarm" nicht denkbar.

Ich muß an diese Stelle jetzt leider unterbrechen, möchte aber das Einstellen nicht weiter verzögern.

Offline Kelvin

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Re: Raketenflug
« Antwort #168 am: 13. Oktober 2013, 10:32:34 »
Hallo Daniel,

bitte entschuldige daß ich mit den Antworten nicht nachkomme. Es beschäftigt mich stark, aber ich komme nicht so richtig dazu, meine Antworten so zu formulieren,daß ich selber damit zufrieden sein kann und keine Mißverständnisse entstehen. Die unterschiedliche Betrachtung bezüglich

Zitat
Nicht die Lage des "unteren Endes" ist wichtig, sondern die Richtung, in die der Schub ausgelenkt ist, also allein die Richtung der angreifenden Kraft.

besteht bei mir immer noch, wobei ich gerne etwas ergänzen würde um Mißverständnisse auszuschließen. (Ich habe mir jetzt auch ein Zeichenprogramm installiert aber da muß ich mich erst noch etwas einarbeiten.)

 - die Lage de "unteren Endes" ist bei mir natürlich ein Synonym für diesen von mir so genannten "Stützpunkt", also den Ort, an dem der Triebwerksschub in das Objekt eingeleitet wird.
 
 - die Lage des "Stützpunktes" zum Schwerpunkt und der Richtung der Erdanziehung ist für mich eindeutig zusammen mit der "Richtung der angreifenden Kraft" dafür verantwortlich, ob die Stufe kippt/rotiert und in welcher Richtung. Bei gleicher "Richtung der angreifenden Kraft", die "allein" verantwortlich sein soll, ist aus meiner Sicht sowohl kein eingeleitetes Rotationsmoment denkbar ("genau unterhalb des Schwerpunktes in Richtung der Erdanziehung") als auch ein Rotationsmoment in beliebiger Richtung.
 
 - dieses Verhalten ist hier auch deswegen so ausgeprägt, weil dieser stützende aerodynamische Druckpunkt (wie ich inzwischen gelernt habe) in dieser Betriebsweise und unmittelbar nach dem Start einer Rakete nicht wirksam ist und kleinere Rotationsmomente damit nicht automatisch aerodynamisch kompensiert werden.
 
 Das nur zu Klarstellung meiner letzten Antwort, damit wir nicht aneinander vorbei reden. Diese meine Sichtweise bildet den Kern meiner Betrachtungsweise und es ist offenbar auch den Punkt den wir klären müssen, wenn wir zu einem Ergebnis kommen wollen.   
 
 Jetzt möchte ich zu den verschiedenen von Dir skizzierten Flugzuständen noch etwas schreiben, mache es aber in einen getrennten Kommentar.

Herzlichen Gruß, Kelvin.

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Offline Schillrich

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Re: Raketenflug
« Antwort #169 am: 13. Oktober 2013, 10:45:58 »
Keine Eile :). Ich finde es interessant, das zu diskutieren.

Für mich liegt die Crux zwischen uns in Bild 3. Die Rakete steht "schräg" im Flug und hat dort noch keine Rotation. Die Kräfte wirken in die dargestellten Richtungen.

Was passiert? Wie bewegt dich die Rakete unter diesen Kräften?
Zu welcher Lösung kommst du? Meine Lösung habe ich dort schon formuliert.
Zitat
3.
Der Schub wirkt wieder neutral entlang der Längsachse. Die Kräfte addieren sich zu einer kleinen Komponente, die weiter nach rechts unten schiebt. Die Stufe hat eine schräge Lage.

Es geht jetzt immer schneller (beschleunigt) nach rechts unten. Die Rakete driftet nach rechts. Es gibt aber keine Rotation mehr.
\\   //    Grüße
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Offline Kelvin

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Re: Raketenflug
« Antwort #170 am: 13. Oktober 2013, 13:15:35 »

Zu welcher Lösung kommst du? Meine Lösung habe ich dort schon formuliert.
Zitat
3.
Der Schub wirkt wieder neutral entlang der Längsachse. Die Kräfte addieren sich zu einer kleinen Komponente, die weiter nach rechts unten schiebt. Die Stufe hat eine schräge Lage.

Es geht jetzt immer schneller (beschleunigt) nach rechts unten. Die Rakete driftet nach rechts. Es gibt aber keine Rotation mehr.

Das ist tatsächlich der interessanteste Fall in unserem Disput, auch wenn ich den in meiner "Eingangsbetrachtung" nur als einen Zustand unter unendlich vielen betrachtete, der bei der Steuerung der Horizontalbewegung vorkommen kann. (Und daher nicht besonders hervorgehoben.) 

Also - meine Sicht: Der voreilende Schwerpunkt, erzeugt zusammen mit der Vertikalkomponente des Schubes (und der Gravitation natürlich) eine Rotation in Flugrichtung (im Uhrzeigersinn, besser gesagt), die möglicherweise aber genau durch die Aerodynamik (Die Stufe hat oberhalb des Schwerpunkts eine größere Angriffsfläche) kompensiert wird. Die horizontale Komponente der Schubkraft schiebt die Stufe vorwärts, wobei hier die Summe des auftretenden Luftwiderstandes dem entgegenwirkt. Im Ergebnis kann das also schon eine gleichmäßige Seitwärtsbewegung ergeben, sowohl aber auch eine Rotation in beliebiger Richtung als auch ein laterales Beschleunigen oder Bremsen.

Ich vermute, daß es u.A. mindestens einen Sensor für die augenblickliche Neigung der Stufe gibt, der dann (zusammen mit anderen Größen natürlich) zur Bestimmung des gerade erforderlichen Schwenkwinkels des Triebwerkes verwendet wird. Diese gerade Ausrichtung nach Bild 3) ist dann eben ein möglicher Zustand unter vielen.

Das ganze muß man sich dann natürlich räumlich vorstellen, wir tun ja hier so, als ob die Welt nur zweidimensional wäre ;-)  Und noch etwas - ich vernachlässige die ganze Zeit das Steigen oder Absinken, aber natürlich kann man die Seitwärtbewegung mit dem Absinken kombinieren, so wie Du das darstellt. Ich habe es nicht erwähnt, um es nicht zu kompliziert zu machen. Für die Vertikalbewegung ist bei mir immer die Vertikalkomponente des Schubes verantwortlich. (Möchte man horizontal fliegen und neigt das Triebwerk, muß man gleichzeitig den Schub um die "abgezweigte" Horizontalkomponente erhöhen.)

Ich bin mathematisch ziemlich unbegabt und in meine Ausbildungszeit (eine Art vierjährige FOS in Fachrichtung Maschinenbau) fiel in Tschechien die Umstellung von kg auf kp (und so manche Einheiten- und Begriffs- und Kürzelumstellungen mehr) zusammen. Die Lehrer hatten wohl auch noch Umstellungsprobleme. Irgendwann habe ich das frustrierende Thema wenig erfolgreich verabschiedet, habe aber dennoch (glaube ich) ein relativ gutes Gespür für die "irdische" Physik. Ich würde mir z.B. schon zutrauen ein grobes Programmgerüst einer solchen Steuerungssoftware zu entwerfen - umsetzen könnte ich es allerdings nur nach einem intensiven Nachhilfeunterricht um die vielen wichtigen Details korrekt zu implementieren. ;-) 

Bei Dir ist es so, vermute ich, daß Du die Sache gewohnheitsmäßig eher aus der "außerirdischen" Perspektive betrachtest, die mir ziemlich fremd ist. Im Orbit wird die Schwerkraft ja sowieso kompensiert und Raketen/Sateliten werden ja immer auch so gebaut und betrieben, daß der "Stützpunkt" kraftmäßig  "unter" dem Schwerpunkt liegt. Den relativ kleinen Rest besorgt die Lagesteuerung und "unten" zusätzlich die Aerodynamik. Und "umkippen" kann sie im richtigen Flug da oben sowieso nicht - ganz grob gesprochen. (Daher kommen wohl die Kommunikationsprobleme.)

Im Seitwärtsflug unter Einflus der Gravitation aber, für den die Rakete ja eigentlich nicht gebaut ist, sieht es aber meiner Meinung so aus, wie ich es beschrieben habe. Es ähnelt eher einem Hubschrauberflug, aber unter weit ungünstigeren Bedingungen ;-)

Herzlichen Gruß, Kelvin

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Offline Schillrich

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Re: Raketenflug
« Antwort #171 am: 13. Oktober 2013, 20:46:44 »
Hallo Kelvin

Also - meine Sicht: Der voreilende Schwerpunkt, erzeugt zusammen mit der Vertikalkomponente des Schubes (und der Gravitation natürlich) eine Rotation in Flugrichtung (im Uhrzeigersinn, besser gesagt), die möglicherweise aber genau durch die Aerodynamik (Die Stufe hat oberhalb des Schwerpunkts eine größere Angriffsfläche) kompensiert wird.

Hier ganz klar: nein. In Zustand 3 wirkt kein Moment durch den Schwerpunkt selbst. Da unterliegst du einer falschen Analogie. Wenn dort ein Moment durch den Schwerpunkt möglich wäre, hätte Goddards Pendelrakete funktioniert. Dort hat er ja ein (Rückstell-)Moment des Schwerpunkt erwartet ... da war aber nichts und die Raketen war nicht stabil.


Zitat
Und noch etwas - ich vernachlässige die ganze Zeit das Steigen oder Absinken, aber natürlich kann man die Seitwärtbewegung mit dem Absinken kombinieren, so wie Du das darstellt. Ich habe es nicht erwähnt, um es nicht zu kompliziert zu machen. Für die Vertikalbewegung ist bei mir immer die Vertikalkomponente des Schubes verantwortlich. (Möchte man horizontal fliegen und neigt das Triebwerk, muß man gleichzeitig den Schub um die "abgezweigte" Horizontalkomponente erhöhen.)
Ich habe das nicht kompliziert gemacht. Ich habe es sogar einfach gemacht, da ich alle Kräfte gleichgroß gelassen habe. Das beschleunigte Absinken ist dann eine einfache Konsequenz.


Zitat
Im Orbit wird die Schwerkraft ja sowieso kompensiert und Raketen/Sateliten werden ja immer auch so gebaut und betrieben, daß der "Stützpunkt" kraftmäßig  "unter" dem Schwerpunkt liegt.
Ob Orbit oder nicht, ist egal. Die Gravitation wirkt.
Wie gesagt: der Schwerpunkt hat kein Moment. Was du hier meinst (gravitationsstabilisierte Satelliten), kommt durch etwas anderes zu Stande: Durch das kugelsysmmetrische Gravitationsfeld sind die Feldlinien (und damit die Kraftlinien) nicht ganz parallel. Dadurch erzeugt die Gravitation hier ein (sehr kleines) Moment an verteilten Massen, das hier als Rückstellmoment wirkt, so dass die schwere Teilmasse "Richtung Erde" pendelt. Dazu hatte ich auch mal eine Grafik ... mal schauen, ob ich die noch finde.
Theoretisch wirkt das auch auf die Massenverteilung der Rakete, ist aber praktisch nicht relevant, da unheimlich klein im Vergleich zu allen anderen im Flug wirkenden Kräften.

Um es zu betonen: hier erzeugt nicht der Schwerpunkt ein Moment, sondern die detaillierte Massenverteilung um den Schwerpunkt in einem nicht-parallelen Kraftfeld. Ein massensymmetrischer Kugelsatellit spürt davon nichts.
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Offline Schillrich

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Re: Raketenflug
« Antwort #172 am: 15. Oktober 2013, 07:06:19 »
Dieses Video, gefunden dank Gertrud, sollte auch nicht verloren gehen:



Die Cruise Missile steigt senkrecht auf, dann zündet das RCS an der Spitze, um sie nach rechts zu rotieren. Dann zündet das RCS nochmal, um die Rotation bei 90° zu stoppen. Von da an beschleunigt die Cruise Missile horizontal weiter (ohne weiter zu "kippen"). Bei diesen Flugkörpern greift dann aber auch schnell die Aerodynamik und sie erzeugen dynamischen Auftrieb.
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Re: Raketenflug
« Antwort #173 am: 15. Oktober 2013, 07:46:20 »
Dieses Video, gefunden dank Gertrud, sollte auch nicht verloren gehen:

Sehr beeindruckend, wirklich. Ein Musterbeispiel perfekter Kontrolle. Seit den unbeholfen scheiternden Startversuchen in den 1950er Jahren, wir kennen alle die Videos, hat die "Rocket Science" doch ganz hübsche Fortschritte gemacht. :)

Offline Kelvin

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Re: Raketenflug
« Antwort #174 am: 15. Oktober 2013, 10:13:36 »
In Zustand 3 wirkt kein Moment durch den Schwerpunkt selbst.
...
der Schwerpunkt hat keinen Moment

Hallo Daniel, ich bin renitent, wir müssen leider zuerst wieder die Begriffe klären, sonst reden wir womöglich aneinander vorbei.

Ein Schwerpunkt "hat" auch in meiner Begriffswelt keinen Moment, niemals, schon mangels Hebelarm kann er keinen haben. Er kann aber, als "Vertreter der ihn umgebenden Masse" zusammen mit mindestens einer Kraft und einem Hebelarm einen Moment erzeugen, der sich auf das Gebilde (dessen "Massevertreter" der Schwerpunkt ja ist) auswirkt. Die beiden anderen Komponente sind dafür unbedingt erforderlich. Ein Moment muß also imer von einer Kraft erzeugt werden.

Ein Beispiel: Eine Kugel die ganz langsam über die Tischkante rollt. In dem Augenblick, an dem sich der Schwerpunkt außerhalb der Tischfläche befindet, entsteht ein Hebelarm zwischen der senkrechten Kraft der Gravitation und dem Auflagepunkt, der an der Tischkante "hängen bleibt". So erzeugt die Gravitation einen Drehmoment der sich auf das "Gebilde" auswirkt. Die Kugel dreht sich im im freien Fall schneller als zuvor.

Sind wir uns darin einig?

PS: Das oben verlinkte Video kann ich übrigens mit "meiner Sicht der Dinge" mühelos vereinbaren.