HVC / Hochgeschwindigkeitswolken

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H.J.Kemm

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« am: 08. September 2009, 04:34:00 »
Moin,

da gibt es die Galaxie *HVC 127-41-330*, ø 20.000 Lj, 2,3x106 Lj, zwischen *M 31* und *M 33*. Es wird angenommen, dass sie ein Überrest aus der Entstehungszeit der lokalen Gruppe darstellt oder Fragment von Satellitengalaxien ist, die durch gravitative Wechselwirkung bei der Verschmelzung mit der Andromeda-Galaxie herausgerissen wurde. Diese Galaxie enthält keine Sterne!

Ihre Bewegung ist nicht mit der galaktischen Rotation vereinbar. Sie bewegt sich auf einer anderen Bahn und mit höherer Geschwindigkeit. Sie besteht hauptsächlich aus neutralem Wasserstoff und besitzt eine geringere Metallizität als die interstellare Wolken in der Milchstraße bzw. der Andromeda-Galaxie.

*HVC 127-41-330* rotiert so schnell, dass sie eigentlich auseinanderfliegen müsste, doch Wissenschaftler vermuten, eine andere Erklärung scheint es nicht zu geben, dass diese *dunkle Galaxie* neben dem Wasserstoff aus mindestens 80 % *Dunkler Materie* besteht. Sterne entstehen in ihr nicht, weil sie das Wasserstoffgas einfach nicht dicht genug zusammenpressen kann. Auch ein *schwarzes Loch* ist in ihr nicht vorhanden.

Ob noch Untersuchungen stattfinden können liegt an der Weiternutzung des Radioteleskop in Arecibo (Puerto Rico).

Jerry




 

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Offline -eumel-

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #1 am: 08. September 2009, 09:04:16 »
Keine Sterne, kein Schwarzes Loch - man vermutet nur, daß noch etwas anderes da sein muß (Schwarze Materie)?

Aber dann ist es doch nur eine Wolke aus Gas!
Wieso wird das als Galaxie bezeichnet?

H.J.Kemm

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #2 am: 08. September 2009, 09:27:35 »
Moin,

Hochgeschwindigkeitswolken (HVC) sind ein astronomisches Phänomen. Sie bestehen fast nur aus aus extrem heißem und dünnem Plasma (ionisiertem Gas) und werden deshalb, wenn sie sich im intergalaktischen Raum befinden, *Dunkel Galaxie* genannt und das trifft ja bei *HVC 127-41-330* zu.

Jerry 

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Offline -eumel-

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #3 am: 08. September 2009, 09:34:33 »
Ahh, - Plasma!  ;) ;D 8)

Kreuzberga

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #4 am: 08. September 2009, 10:03:13 »

Hochgeschwindigkeitswolken (HVC) [...] bestehen fast nur aus aus extrem heißem und dünnem Plasma (ionisiertem Gas) und werden deshalb, wenn sie sich im intergalaktischen Raum befinden, *Dunkel Galaxie* genannt und das trifft ja bei *HVC 127-41-330* zu.  

Es gibt sowohl ionisierte HVCs , als auch solche, die vorwiegend aus neutralem Wasserstoff bestehen. In letzteren ist die Temperatur deutlich geringer. Viele HVC sind also eher eine Hochgeschwindigkeits-H I-Region als eine H II-Region. In der Regel sind Wolken aus neutralem Wasserstoff gemeint, wenn von HVCs die Rede ist.


Hier gibt es eine Himmelskarte mit der Verteilung der bekannten HVCs: http://www.atnf.csiro.au/people/Tobias.Westmeier/research_hvcsky.php
« Letzte Änderung: 08. September 2009, 21:04:21 von Kreuzberga »

A1942D

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #5 am: 08. September 2009, 10:06:58 »
Zitat
Aber dann ist es doch nur eine Wolke aus Gas!
Wieso wird das als Galaxie bezeichnet?

Da liest man in WIKIPEDIA: Als eine Galaxie wird in der Astronomie allgemein eine gravitativ gebundene große Ansammlung von Materie wie Sternen und Planetensystemen, Gasnebeln, Staubwolken und sonstigen Objekten bezeichnet.
Und diese Dunkel Galaxie besteht eben nur aus Gasnebel. Alle anderen Objekte konnten aus bestimmten Gründen nicht entstehen und deshalb ist sie doch eine Galaxie. A.D.

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Offline -eumel-

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #6 am: 08. September 2009, 10:23:18 »
Wodurch wurden die Wolken beschleunigt?

Wenn die Temperatur in HVC aus neutralem Wasserstoff niedriger ist, besteht dann die Möglichkeit, daß einzelne Regionen sich gravitativ zusammenziehen und Sterne entstehen können?

Kreuzberga

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #7 am: 08. September 2009, 10:56:34 »
Wodurch wurden die Wolken beschleunigt?

Wahrscheinlich gibt es mehrere Typen von HVCs, die auf unterschiedlich Weise entstanden sind. Der erste Typ besteht aus Materie, die aus unserer Galaxie selbst stammt und durch hochenergetische Ereignisse wie Supernovae hinausgeschleudert wurde (Galaxy Fountain-Modell).
Der zweite Typ ist durch die Wirkung von Gezeiten zwischen unserer Galaxie und den Magellanschen Wolken und anderen Zwerggalaxien entstanden (Tidal Stripping-Modell) und beim dritten Typ schließlich, vermutet man, dass diese Überreste aus der Entstehung der Lokalen Gruppe sind, wie von Jerry schon erwähnt und möglichweise von Dunkler Materie dominiert werden.
 
Wenn die Temperatur in HVC aus neutralem Wasserstoff niedriger ist, besteht dann die Möglichkeit, daß einzelne Regionen sich gravitativ zusammenziehen und Sterne entstehen können?

Ja. Gute Frage. Möglicherweise spielt die Anwesenheit von Dunkler Materie eine Rolle bei der Verhinderung der Sternentstehung. Auch könnte eine große Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Wolke und intergalaktischem Medium zu Störungen in der Wolke führen, die einer Sternentstehung entgegenstehen. Sollten dennoch Sterne im Kern der Wolken entstehen, kann es sein, dass diese aus der Wolke ausgestoßen werden.

A1942D

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #8 am: 08. September 2009, 11:02:27 »
Zitat
besteht dann die Möglichkeit, daß einzelne Regionen sich gravitativ zusammenziehen und Sterne entstehen können?
Da sie es in ihrem gesamten langen Leben nicht geschafft haben muss es wohl an der hohen Geschwindigkeit liegen die das verhindert. Da mögen wohl die Gezeitenkräfte der grßeren Muttergalaxien eine Rolle spielen. Ein Beispiel ist ja die Smith-Wolke, das ist auch eine High Velocity Cloud. Sie besteht aus Wasserstoffgas mit einer Masse von rund einer Million Sonnenmassen. Sie bewegt sich mit einer Geschwindigkeit von 240 Kilometern pro Sekunde in Richtung der Scheibe der Milchstraße. A.D.  

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Offline -eumel-

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #9 am: 08. September 2009, 11:33:29 »
Auch könnte eine große Geschwindigkeitsdifferenz zwischen Wolke und intergalaktischem Medium zu Störungen in der Wolke führen, die einer Sternentstehung entgegenstehen.

Ich dachte, daß gerade diese Umstände den Sternenstehungsprozess einleiten könnten.

Das mit der Geschwindigkeit ist ja relativ.
Auch wenn die HVCs als Objekte mit großer Geschwindigkeit durch die Galaxie brausen, sollte die Geschwindigkeits-Differenzen der Gasmoleküle innerhalb der Wolken doch eher gering sein.
Aber die Gravitation wirkt doch!
Und wenn noch ein paar Störungen von außen hinzukommen...
...sollten sich unter solchen Umständen doch eigentlich Sterne bilden, oder?

Müssen wir zur Erklärung dieses Phänomens vorläufig den mysteriösen Einfluß Dunkler Materie bemühen?
Wenn aber gar nicht in allen HVCs Dunke Materie vorhanden ist?

Welcher Umstand verhindert dann die Sternbildung?

Kreuzberga

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #10 am: 08. September 2009, 12:21:53 »

Auch wenn die HVCs als Objekte mit großer Geschwindigkeit durch die Galaxie brausen, sollte die Geschwindigkeits-Differenzen der Gasmoleküle innerhalb der Wolken doch eher gering sein.

Also, sie brausen ja nicht durch die Galaxie, sonder zwischen den Galaxien. Nur um den Effekt des "Fahrtwindes" mal bildlich zu verdeutlichen: http://www.iop.org/EJ/article/1538-4357/555/2/L95/015252.fg2.html

Auf dem Bild ist eine Simulation zu sehen, also keine Abbildung. Auf den Streifen c und d sieht man die Dichte- und Temperaturverteilung innerhalb der Wolke, die sich mit hoher Relativgeschwindigkeit durch das heiße intergalaktische Medium bewegt.

Und wenn noch ein paar Störungen von außen hinzukommen...
...sollten sich unter solchen Umständen doch eigentlich Sterne bilden, oder?

Hm, vielleicht liegt das daran, dass die Störungen/ Turbulenzen permanent auftreten und das System sich daher nicht "beruhigen" kann. Manche Leute nehmen allerdings an, dass die Kollision von HVCs (das sind dann die Galactic Fountain HVCs) mit der Scheibe der Milchstrasse, Sternenentstehung innerhalb der Milchstrasse anregen kann.

Ansonsten gibt es ja viele Gründe die eine Sternentstehung verhindern können: Magnetische Eigenschaften, Verhältnis zwischen Temperatur, externem Druck und Volumen. Aber wenn ich es mir recht überlege, brauch es zumindest in unserer Galaxie ersteinmal molekulare Wolken, um Sterne entstehen zu lassen. In diesen HVC scheinen die Bedingungen noch nichtmal so zu sein, dass sich Moleküle bilden könnten, was auf eine zu geringe Dichte hindeutet, was wiederum durch den beständigen Abfluss an Materie bedingt sein könnte.

Kurz: Ich hab keine Ahnung!  ;)

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Offline -eumel-

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HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #11 am: 08. September 2009, 12:39:06 »
Dafür hast Du´s aber gut erklärt! :D
Sogar ich kann es mir jetzt etwas besser vorstellen!

Ich danke Dir für Deine Antworten und Recherchen! :)
Danke auch an A1942D!
Klasse, ich liebe dieses Forum! :D

Vieles im Universum ist uns noch nicht klar.
Aber mitzudenken und sich die Vorgänge in unserer Umwelt vorzustellen, macht unheimlich Spaß! 8)

Bei den nüchternen und teilweise rätselhaften Meldungen über neue wissenschaftliche Erkenntnisse ist es doch erfrischend, wenn man mal nachfragen und darüber diskutieren kann.

H.J.Kemm

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Re: HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #12 am: 08. September 2009, 14:09:29 »
Moin,

nun haben wir ja einen Wissensstand!

Noch einmal zur *Smith Wolke*. Sie ist ~ 8000 Lj von der Erde entfernt, also im Halo der Milchstraße, 11.000 Lj lang und 2.300 Lj breit, also etwa so breit ist wie das Sternbild Orion, aber sie ist wegen ihrer geringen Helligkeit mit dem bloßen Auge nicht sichtbar. Aber sie ist eindeutig eine interstellare Wolke hoher Geschwindigkeit, also eine *HVC*.


Bild: Green Bank Telescope / GBT image of Smith's Cloud, which is headed toward a collision with the Milky Way
(ist hier seitenverkehrt!)

Hier die Zukunftsperspektiven dieser *HVC* >>>



Artist's conception of Smith's Cloud approaching, then colliding with, our own Milky Way Galaxy in approximately 40 million years. Sequence of images shows the approach and collsion. Detail: GBT image of Smith's Cloud / NRAO/AUI/NSF

Am Crashpoint im Perseusarm könnten ~ 1 Mio neuer Sterne entstehen, viele der dann neu entstandenen Sterne werden sehr massereich und damit kurzlebig sein und deshalb explodieren sie schon nach kurzer Zeit wieder als Supernova.

Auch da wieder ein Feuerwerk und wir können es nicht miterleben.

Jerry

H.J.Kemm

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Re: HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #13 am: 10. September 2009, 04:12:53 »
Moin,


Bild: High Velocity Clouds and the Milky Way
B. Wakker (U. Wisconsin-Madison) et al., NASA, 1999.

Auf diesem Bild aus 1999 ist eine *HVC* zu sehen (im Kreis) die sich im Halo unserer Milchstrasse befindet. Ob es sich hierbei um die *Smith-Wolke* handelt konnte ich nicht herausfinden.

Jerry


A1942D

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Re: HVC / Hochgeschwindigkeitswolken
« Antwort #14 am: 10. September 2009, 11:28:06 »
Das müsste der Complex H sein. Diese HVC kontaktiert gerade mit den äußersten Teilen unserer Milchstrasse. Ihr Orbit verläuft retrograd. Complex H hat einen Abstand von ~ 108.000 Lj zu dem Zentrum unserer Galaxie und besitzt selber einen Durchmesser von 33.000 Lj. Ihre Umlaufbahn ist um 45 ' gegen die Ebene unserer Milchstrasse geneigt und sie beinhaltet ~ 6 x 106 MasseSo Wasserstoff.
A.D.