Chinas Raumfahrt

  • 1031 Antworten
  • 344920 Aufrufe

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #875 am: 29. Februar 2024, 15:08:39 »
Neben der mittelschweren kommerziellen Trägerrakete Langer Marsch 12, bislang bekannt unter dem Arbeitstitel "XLV" ...

Hier noch einige Details zur Changzheng 12:
Die zweistufige Rakete der Shanghaier Akademie für Raumfahrttechnologie, die mit einer verschiedenen Zahl von Boostern kombiniert werden kann, ist 59 m hoch, die Kernstufe besitzt einen Durchmesser von 3,8 m. Es stehen zwei Nutzlastverkleidungen von 4,2 m und 5,2 m zur Auswahl. In der boosterlosen Version besitzt die Rakete ein Startgewicht von 430 t. In der ersten Stufe kommen vier Kerosintriebwerke vom Typ YF-100K zum Einsatz, mit einem Schub von jeweils 1250 kN auf Meereshöhe, was einen Startschub von 5000 kN ergibt. In der zweiten Stufe kommen zwei Triebwerke von Typ YF-115 zum Einsatz, mit einem Vakuumschub von jeweils 182 kN. Die Nutzlast für erdnahe Orbits beträgt 10 t. Für eine sonnensynchrone Umlaufbahn von 700 km Höhe beträgt die Nutzlast 6 t.

Interessant ist der Durchmesser der Rakete, der während der Entwicklungsphase heftig umstritten war. An sich besitzen die kleineren chinesischen Raketen aus transporttechnisch-historischen Gründen einen Standarddurchmesser von 3,35 m. Dort bringt man aber nur zwei Triebwerke vom Typ YF-100 unter. Dieses Triebwerk muss als Ganzes geschwenkt werden und benötigt daher mehr Platz. Mit der überarbeiteten, hinter der Turbopumpe schwenkbaren Version YF-100K, die auch bei der Mondrakete Changzheng 10 zum Einsatz kommt, ist bei 3,8 m Stufendurchmesser nun Platz für vier Triebwerke.

Die Rakete wird in einer Halle waagrecht montiert und waagrecht an die Rampe gefahren, wo sie dann aufgerichtet wird. Ab der zweiten Jahreshälfte 2024 soll sie zunächst von der Startrampe 2 des Kommerziellen Kosmodrom Hainan abheben. Mit 3,8 m passt die in Transportcontainer verpackte Rakete aber auch gerade noch durch die Gitterbrücken und Tunnel der chinesischen Eisenbahn und kann daher - falls zum Beispiel Hainan beim Taiwankrieg bombardiert werden sollte - auch von allen drei Inlandskosmodromen (Jiuquan, Taiyuan, Xichang) starten:
https://www.cnsa.gov.cn/n6758823/n6758838/c10478220/content.html

Offline rok

  • *****
  • 3236
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #876 am: 01. März 2024, 11:25:27 »
Hallo Regnart, ich wollte dich bitten, mal eine Liste der diversen "Langer Marsch"- Raketen zu erstellen, aber ich habe sie bereits bei Wikipedia gefunden:

https://de.wikipedia.org/wiki/Langer_Marsch_(Rakete)

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #877 am: 06. März 2024, 12:28:04 »
Auf Spacenews habe ich einen interessanten Gastkommentar über die Schwierigkeiten gefunden, die drei Interessengruppen der Wissenschaftler, Ingenieure und Raumfahrer bei Moon to Mars zusammenzubringen:
https://spacenews.com/bridging-cultural-divide-moon-to-mars/

In China werden diese Dinge seit langer Zeit diskutiert, nur dass dort seit Shenzhou 2/2001 die wirtschaftliche Nutzung des Weltraums dazukommt. Letzten September hat das Chinesische Raumfahrer-Ausbildungszentrum im Zusammenhang mit der ab 2060 zu errichtenden Bemannten Lunaren Experimentierstation (载人月球科研试验站, nicht zu verwechseln mit der unbemannten Internationalen Mondforschungsstation/国际月球科研站) zur Erprobung von für die bemannte Marserkundung notwendigen Technologien (regenerative Lebenserhaltung, lokale Nahrungsproduktion) die Problematik näher ausgeführt:


Bild: ACC

- Im Zentrum steht die Strategie (战略), durch die die Richtung (方向) vorgegeben wird, hier der politische Wille zur bemannten Marserkundung

- Die Wissenschaft (科学) fungiert, indem sie Forschungsziele wie das Verständnis des inneren Aufbaus und der Entwicklung des Mondes formuliert, als Zugkraft (牵引) mit der Aussicht auf ruhmbringende Forschungsergebnisse

- Die wirtschaftliche Nutzung (经济) durch Abbau von in China knappen Ressourcen wie Uran fungiert als Antriebskraft (动力)

- Das Ingenieurwesen (工程) ermöglicht durch den Bau von Messgeräten, lunaren Raffinerien etc. einerseits die Umsetzung der Ziele von Wissenschaftlern und Bergbauunternehmen, schränkt aber andererseits diese Ziele durch die Notwendigkeit zur technischen Machbarkeit ein (约束). So sind zum Beispiel bemannte Landungen jenseits der äquatorialen Mare prinzipiell nicht möglich, man kann das Problem aber durch das robotische Anlegen von planierten und gepflasterten Landeplätzen mit Zielmarkierungen umgehen.


Zhou Jianping, der Technische Direktor des bemannten Raumfahrtprogramms und Wu Ji, ehemaliger Direktor des Nationalen Zentrums für Weltraumwissenschaften, haben das bereits letzten Mai in einem vielfach nachgedruckten Grundsatzartikel diskutiert:


Bild: CMSA

- Die Weltraumtechnologie (空间技术) unterstützt Weltraumwissenschaft (空间科学) und Weltraumnutzung (空间应用)

- Die Weltraumwissenschaft fordert von der Weltraumtechnologie Messgeräte und liefert die theoretischen Grundlagen für die Weltraumnutzung, die ihrerseits von der Weltraumtechnologie Gerätschaften fordert

Die beiden alten Herren bemängeln jedoch, dass bei diesem Kreislaufgeschäft die Wissenschaft zu kurz kommt und fordern, beim Zentralkomitee der KPCh die Stelle eines Weltraumkoordinators einzurichten, der dafür sorgt, dass bis 2030 bei der Förderung von Raumfahrtprogrammen (Mond, Mars etc.) 15 % der Mittel für weltraumwissenschaftliche Grundlagenforschung ausgegeben werden. Derzeit sind es 5 % (bei der NASA ist es laut den Autoren fast 1/3 des Gesamtetats).


Dazu gäbe es viel zu sagen - das bemannte Raumfahrtprogramm wurde 1992 vom Ständigen Ausschuss des Politbüros gestartet; ein Weltraumkoordinator beim Zentralkomitee würde sicher nicht die Wissenschaft, sondern die praktische Weltraumnutzung stärker fördern, um der Partei Wählerstimmen zu sichern - aber ich möchte das erst mal so unkommentiert und direkt übersetzt stehen lassen.

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #878 am: 08. März 2024, 15:40:39 »
Eine kurze Ergänzung zu dem was ich hier über die kommerziellen Raketen der staatseigenen China Aerospace Science and Technology Corporation geschrieben habe:
https://forum.raumfahrer.net/index.php?topic=12217.msg559515#msg559515

Premierminister Li Qiang hat am 5. März in seinem Rechenschaftsbericht und Ausblick gesagt, dass eine der Aufgaben der chinesischen Regierung im Jahr 2024 die Förderung der kommerziellen (nicht zwangsläufig privaten!) Raumfahrt (商业航天) ist:
https://www.gov.cn/yaowen/liebiao/202403/content_6936260.htm

Zur Einordnung:
Von den 67 Starts im Jahr 2023 waren 26 kommerzielle Starts, bei denen insgesamt 126 kommerzielle Satelliten ins All gebracht wurden. Das waren 54 % aller in jenem Jahr gestarteten Satelliten. Im Januar 2024 waren insgesamt mehr als 350 kommerzielle Satelliten im Orbit:
https://export.shobserver.com/baijiahao/html/724555.html

Offline failsafe

  • *****
  • 751
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #879 am: 09. März 2024, 08:31:45 »
Es zeichnet sich ab, dass die bisher für 2028 (Start) geplante chinesische Mars-Probenrückführungsmission (Tianwen-3) sich wohl auf 2030 verschiebt. Als mögliche Landegebiete werden Amazonas Planitia, Utopia Planitia und Chryse Planitia genannt, wobei Chryse Planitia die ruhigsten Atmosphärenbedingungen bei Landung bzw Wiederaufstieg bieten würde.  Für jedes dieser Gebiete wurden Landezonen von 50 km x 20 km ausgewiesen.

https://spacenews.com/china-targets-2030-for-mars-sample-return-mission-potential-landing-areas-revealed/

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #880 am: 09. März 2024, 09:24:22 »
Einige Dinge, die bei dem Spacenews-Bericht zu ergänzen sind:

- Die Autoren der Studie zu den Landegebieten kommen mehrheitlich von der Shandong-Universität, mit Qu Shaojie (曲少杰) ist aber ein Vertreter der Hauptentwicklungsabteilung der Herstellerfirma von Tianwen-3 beteiligt. Der Artikel ist zunächst einmal ein akademischer Beitrag im Rahmen der letztes Jahr ergangenen Aufforderung, Vorschläge für Landegebiete zu machen, ist aber durchaus in technischer Machbarkeit begründet.

- Für den Starttermin spielt das Hohmann-Fenster eine untergeordnete Rolle. Wesentlich wichtiger ist das Vermeiden der Staubsturm-Saison:
https://de.wikipedia.org/wiki/Tianwen-3#Marskalender
Die Aussage von Sun Zezhou, dem Chefkonstrukteur der Sonde, dass der Start "vor und/oder nach 2030" (2030年前后) stattfinden wird, ist genau so zu verstehen. Je nach Risikoabwägung wird eventuell der Lander 2030 gestartet, der Orbiter kommt 2031 nach, oder umgekehrt, oder was auch immer.

- Der sechsbeinige Roboter soll nicht krabbeln, sondern rollen. Seine Aufgabe ist, zusätzlich zu den mit Bohrer und Bagger aufgenommenen Regolithproben Felsbrocken zu sammeln. Regolith, umgangssprachlich bekannt als "Sand", ist ein Gemisch verschiedenster Materialien. Felsbrocken müssen vor der Analyse zwar abgestaubt werden, liefern dann aber weitgehend sortenreine Mineralien.

- Der in Erwägung gezogene Helikopter dient, so er denn mitfliegt, nur als Kameradrohne. Gesteinsproben sind schwer wie Stein. Natürlich kann eine Drohne, die sich in der dünnen Luft des Mars gerade mal mit Müh und Not selbst in der Luft halten kann, keine Lasten transportieren, für die es ja zusätzliche, extra schwere Greifmechanismen etc. geben müsste.

- Der Orbiter führt zwar mit dem von der kleinen Rakete ausgesetzten, spinstabilisierten Probenbehälter ein Rendezvous- (交会), nicht aber ein Koppelmanöver durch. Der Probenbehälter wird entweder mit einem Netz (das sich verheddern kann) oder mit einer Greifvorrichtung eingefangen (捕获):
https://de.wikipedia.org/wiki/Tianwen-3#Orbiter_und_Wiedereintrittskapsel


Bild: DSEL
« Letzte Änderung: 10. März 2024, 08:36:00 von Regnart »

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #881 am: 09. März 2024, 09:31:02 »
Hier ist eine interessante Mitteilung des Labors für Tiefraumerkundung über den Besuch einer Delegation unter der Leitung von Hou Weigui (侯为贵, * 1942), Gründer und Miteigentümer des Telekommunikationsausrüsters ZTE, in der Zweigstelle Peking des Labors (die Hauptstelle befindet sich in Hefei, Provinz Anhui):
https://weibo.com/5027345285/O4bdvdIrr


Bild: Pekinger Kommission für Entwicklung und Reform

Das ist vor allem deswegen interessant, weil es bedeutet, dass diese Außenstelle stillschweigend wie geplant Ende 2023 in Betrieb genommen wurde. Zumindest Tiandu 1 und Tiandu 2 werden dann möglicherweise ab Ende März von dort gesteuert. Bei den Besprechungen mit ZTE ging es recht allgemein um die Kommerzialisierung, Internationalisierung und Digitalisierung der Raumfahrt. ZTE bringt sich offensichtlich bereits als Ausrüster für das interplanetare Internet in Stellung :D

Offline Steffen

  • *****
  • 1206
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #882 am: 10. März 2024, 21:25:14 »
Hallo,

ich habe hier zufällig ein paar aktuelle Photos vom Bauplatz des kommerziellen Kosmodroms Hainan gefunden. Die erste Startanlage ist im Prinzip fertig (wird getestet), am zweiten Startplatz wird fleißig gebaut.

http://german.china.org.cn/txt/2024-03/08/content_117048536.htm


viele Güße
Steffen

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #883 am: 11. März 2024, 10:55:36 »
Auf diesem Bild von der Startrampe 1 kann man gut sehen, dass dort kein Gleis für ein Raketentransportfahrzeug, sondern eine Straße zur Rampe führt:


Bild: Pu Xiaoxu

Anders als auf dem Kerngelände des Kosmodroms Wenchang, von wo die großen Raketen starten, wird hier die Rakete nicht in einer Halle fertig montiert und dann an die Rampe gefahren, sondern die Stufen werden einzeln herangebracht und dann mit dem orangen Kran oben auf dem Turm übereinandergesetzt. Hier ein Foto von einer Übung am 1. Februar:


Bild: Yuan Chen

Was auf dem Foto hochgehoben wird, ist ein Modell  der 1. Stufe der boosterlosen Changzheng 8A:


Bild: Shu Jianyang

Hauptsächlich soll von der Startrampe 1 jedoch ab Ende Juni die überarbeitete Changzheng 8G starten, hier rechts:


Bild: Song Zhengyu

In einer Halle werden zuerst die beiden Booster an die 1. Stufe montiert (alles senkrecht) und getestet. Dann werden die 1. Stufe mit den Boostern und die 2. Stufe separat in senkrechtem Zustand an die Startrampe gefahren und übereinandergehoben. Oben drauf kommt dann noch die in einem Reinraum montierte Nutzlastlastverkleidung mit dem/den darin verpackten Satelliten. Die Montagearbeiten direkt an der Rampe dauern 7 Tage. Nach dem Start dauert es noch einmal 7 Tage, alles zu putzen und für den nächsten Start herzurichten. Unter Einkalkulierung von unvorhergesehenen Reparaturarbeiten und des schlechten Wetters während der Regenzeit geht man davon aus, dass von der Rampe 1 etwa 16 Starts pro Jahr erfolgen können:
https://m.weibo.cn/detail/4993120125061775

Auf den Computerbildern hier kann man die geplante Montage einer beboosterten Erststufe sehen:
https://weibo.com/5658451754/N0rv6oiDo

Das Kommerzielle Kosmodrom Hainan wird nicht - wie das Kerngelände - von der Volksbefreiungsarmee betrieben, sondern von der Internationalen Gesellschaft für kommerzielle Raumfahrtstarts mbH, Hainan. Das ist eine GmbH im Staatsbesitz, Gesellschafter sind die Provinzregierung von Hainan, die China Aerospace Science and Technology Corporation, die China Aerospace Science and Industry Corporation und die China Satellite Network Corporation; letztere drei sind alles Zentral Verwaltete Unternehmen. Private Raumfahrtunternehmen, die in Wahrheit Raumfahrtunternehmen von Lokalregierungen sind, haben bereits Interesse angemeldet, wären dort aber nur Kunden, die für die Nutzung des Kosmodroms Startgebühren zu entrichten haben.

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #884 am: 12. März 2024, 15:38:24 »
Südwestlich des Kommerziellen Kosmodroms, das wiederum südwestlich des Kerngeländes liegt, befindet sich die Internationale Raumfahrtstadt Wenchang. Hierbei handelt es sich um ein Gewerbegebiet, auf dem die Provinzregierung von Hainan Hochtechnologiefirmen mit Bezug zur Raumfahrt ansiedeln will. Neben derzeit gut 200 größeren und kleineren Firmen sind dort auch eine Reihe von Institutionen wie das Labor für Tiefraumerkundung vertreten, das in der Internationalen Raumfahrtstadt seit Juli letzten Jahres eine "Basis Wenchang" betreibt. Am 30. Januar hat sich dort nun auch das Moskauer Energetische Institut angesiedelt, das mit einer Investition von 2,4 Milliarden Yuan auf einer Fläche von 395.000 m² eine Außenstelle mit Schwerpunkt Luft- und Raumfahrttechnik für 10.000 Studenten und Dozenten baut. Die Unterrichtsgestaltung wird allein von der Moskauer Mutterschule durchgeführt, Studiengebühren sollen nicht erhoben werden:
http://www.stdaily.com/index/kejixinwen/202402/c47ab2317f23413bbaf0e4e6d9545c0d.shtml

Zum Vergleich: in Moskau studierten 2022 rund 15.000 Studenten. Hier ein Foto von der Grundsteinlegung am 30. Januar:


Bild: Internationale Raumfahrtstadt Wenchang

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #885 am: 13. März 2024, 08:32:16 »
Nachdem der chinesische Premierminister am 5. März in seiner Regierungserklärung die Förderung der kommerziellen Raumfahrt betont hat (siehe #878), häufen sich derzeit die Berichte über das Kommerzielle Kosmodrom Hainan und die Internationale Raumfahrtstadt Wenchang. In einem Nachrichtenbeitrag des Provinzfernsehens Hainan von gestern abend ist mit 2659 Firmen in der Raumfahrtstadt, die 2023 zusammen einen Umsatz von 22,1 Milliarden Yuan erzielten, eine mehr als zehnmal so große Zahl angegeben wie die 205 Firmen aus dem Bericht des China News Service vom 28. Juni 2023, den ich oben zitiert habe (dort wird der vereinigte Umsatz im ersten Quartal mit 4,065 Milliarden Yuan angegeben). Des Rätsels Lösung ist, dass CNS speziell Firmen mit Bezug zur Raumfahrt (航天类企业) gezählt hat, während das Hainaner Fernsehen wohl jede Tankstelle und jedes Restaurant mitgerechnet hat. Hier ist das Video des Nachrichtenbeitrags, wo man sehen kann, wie es dort aktuell aussieht (die Website ist sicher):
https://weibo.com/7743278955/O4Ogv9rrE

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #886 am: 14. März 2024, 10:32:14 »
Was die kommerziellen, senkrecht landenden Raketen mit 4,16 m und 5 m Durchmesser betrifft, so kursiert dort derzeit im Internet älteres Videomaterial, das die Dinge falsch darstellt. Hier das Prinzip der Fangvorrichtung:



Die für den tatsächlichen Einsatz gedachte Vorrichtung kann zusätzlich noch auf einem Schienenkreis rotieren, um die Raketenstufe auch dann auffangen zu können, wenn sie sich durch Seewinde oder warum auch immer um ihre Längsachse gedreht haben sollte. Eine Verdrehung um bis zu 15° ist ohne weiteres Nachjustieren verkraftbar:



Die Raketenstufe hat vier beim Start nach oben angeklappte Greifarme, die kurz vor der Landung entriegelt und von einer Feder nach unten gedrückt werden, bis sie von ihrem Fixierungsseil (限位绳) gestoppt werden. An der Rakete sind sie an dem Verbindungsstück zwischen Kerosin- und Sauerstofftank befestigt. Die Greifarme sind gut 3 m lang. Etwa jeden Meter ist ein wie in einer Vorhangschiene gleitender Haken mit Karabiner-Lasche angeordnet, letzteres damit die Raketenstufe, falls es zu Trampolin-Hüpfbewegungen kommt, nicht von den Seilen springt:



Anders als in dem Internet-Video haben die Raketenstufen unten keine Flossen, um die Sicherheit beim Einfädeln in das innere Seilquadrat zu erhöhen. Seit 2019 werden bei den Erststufen der Changzheng-2C, -2D und -4B schwenkbare Gitterflossen zur Einengung des Absturzgebiets verwendet. Bei der Chinesische Akademie für Trägerraketentechnologie geht man davon aus, dass man im Zusammenwirken mit schwenkbaren Triebwerken auch größere Raketenstufen mit einer Präzision im Meterbereich herunterbringen kann. Bei der 4-m-Rakete hat das Seilquadrat eine lichte Weite von 8 x 8 m. Wenn die Rakete um bis zu 2 m außerhalb der Mitte herunterkommt, funktioniert das Auffangen immer noch. 2021 hat man das mit einem Modell im Maßstab 1:8 ausprobiert:


Bilder: CALT

Eine Schlüsselfunktion beim sanften Auffangen der Raketenstufe haben die Magnetpulverbremsen in den vier Seilwinden links und rechts an den unteren Querträgern. Mit diesen Seilwinden kann man auch das Fangquadrat innerhalb der Gitterträgerkonstruktion verschieben, falls die Rakete stark exzentrisch herunterkommen sollte. Bei Tests mit einer Ankunftsgeschwindigkeit von 5,4 m/s (die Triebwerke werden etwas über der Anlage abgeschaltet, um die - an sich feuerfesten - Seile nicht zu beschädigen) betrug die maximale Bremsverzögerung 1,8 g, der Raketenkörper wurde von den Seilen auch bei exzentrischer Landung nicht berührt.
« Letzte Änderung: 14. März 2024, 16:04:11 von Regnart »

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #887 am: 22. März 2024, 16:35:35 »
Hier ist eine SAR-Satellitenaufnahme vom Kerngelände des Kosmodroms Wenchang (momentan ist es dort ständig bewölkt):


Bild: Vony7

Das Grüne sind die existierenden Einrichtungen, ganz unten die Startrampe 101 für die Changzheng 5, rechts etwas oberhalb daneben die Startrampe 201 für die Changzheng 7 und Changzheng 8. Chinesische Kommentatoren sagen, dass das Orange ein zusätzliches Raumfahrzeugmontagegebäude für die CZ-7 ist, es könnte meiner Meinung nach aber auch für die kommerziellen Raketen mit 4 m und 5 m Durchmesser gedacht sein. Das Gelbe ist ein Doppelhaus für die Mondmissionen, wo in den ersten Jahren jedesmal ein Raumschiff und eine Landefähre mit separaten Raketen gestartet werden müssen.

Hier die unmarkierte Originalaufnahme in höherer Auflösung:
https://soar.earth/maps/asia-china-wenchang-space-launch-site---2024-03-22-18365?pos=19.627522405437887%2C110.950975314117%2C14.10

Offline startaq

  • ***
  • 170
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #888 am: 27. März 2024, 09:55:44 »
In der South China Morning Post gibt es einen Artikel über einen erfolgreichen Test eines Prototypen eine Nuklearantriebs: https://www.scmp.com/news/china/science/article/3255889/starship-rival-chinese-scientists-build-prototype-engine-nuclear-powered-spaceship-mars



Er soll einmal eine Leistung von 1,5 MW haben und nach einer Entfaltung im Weltraum die Größe eines 20-stöckigen Gebäudes erreichen. Zusammengefaltet soll er die Größe eines Schiffscontainers bei weniger als 8 Tonnen Gewicht haben und die Flugzeit zum Mars auf bis zu 3 Monate verkürzen.

Der Artikel scheint ein bisschen eine Reaktion auf die Starship-Tests von SpaceX zu sein. Es wird explizit ein Vergleich zu diesem gezogen: Das Starship soll stattdessen mindestens 7 Monate brauchen mit seinem "fossilem" Antrieb (ob man Methan wirklich zu den fossilen Brennstoffen zählt weiss ich nicht).

Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #889 am: 27. März 2024, 11:04:30 »
Um sich das mit den "Größe eines 20-stöckigen Gebäudes " vorzustellen.




Quelle:
https://images.raumfahrer.net/up080741.jpg

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #890 am: 27. März 2024, 11:31:46 »
Hier ist der Original-Artikel:
https://www.sciengine.com/SST/doi/10.1360/SST-2023-0202

Die South China Morning Post vermischt hier wieder einmal Wahres und Falsches. Der lithiumgekühlte Reaktor existiert tatsächlich; er wurde am Institut für Sicherheit der Kernenergie, einem der sieben Hefeier Institute für physikalische Wissenschaften entwickelt (man beachte das Datum):
https://www.cas.cn/yx/201908/t20190819_4710412.shtml

Der am Shanghaier Institut für Weltraumantriebe entwickelte Brayton-Generator existiert auch:
https://baijiahao.baidu.com/s?id=1759994446925078592

Bislang hieß es, dass der Brayton-Generator mit seinen beweglichen Teilen noch nicht ausgereift genug ist, aber den Artikel in den Scientia Sinica Technologica muss man zur Kenntnis nehmen. Das Wesentliche hier ist, der Brayton-Generator erzeugt Strom, der Hall-Effekt-Ionentriebwerke wie dieses versorgt:
https://forum.raumfahrer.net/index.php?topic=6408.msg558301#msg558301



Bild: Institut 801

Eine Schubkraft von einigen Dutzend Newton ist für bemannte Missionen zum Mars absolut nicht geeignet. Das steht in dem Original-Artikel auch gar nicht drin. Was drinsteht ist, dass mit dem nuklear-elektrisch angetriebenen Raumschiff Material für eine bemannte Marslandung transportiert werden soll (载人火星探测运舱飞行). Dabei geht es um die robotische Erschließung von für eine bemannte Landung auf dem Mars nötigen Ressourcen (primär Wassereis, das dort im Gegensatz zum Mond tatsächlich in industriellem Maßstab abgebaut werden kann). Die Chinesische Akademie für Weltraumtechnologie geht davon aus, dass sie bei Erteilung eines entsprechenden Auftrag 2043 damit beginnen könnte:


Bild: Yang Mengfei

Bemannte Flüge zum Mars werden ab 2120 mit nuklear-thermisch angetriebenen Raumschiffen durchgeführt:
https://de.wikipedia.org/wiki/Marsprogramm_der_Volksrepublik_China#Raumtransportsystem_f%C3%BCr_bemannte_Marserkundung

Das ist eine ganz andere Hausnummer

Zu dem chinesisch-russischen Reaktor siehe meine Klarstellung hier:
https://forum.raumfahrer.net/index.php?topic=12217.msg559604#msg559604

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #891 am: 27. März 2024, 11:55:27 »
Um sich das mit den "Größe eines 20-stöckigen Gebäudes " vorzustellen.




Quelle:
https://images.raumfahrer.net/up080741.jpg

Die Erkundung der Heliopause mit zwei nuklear-elektrisch angetriebenen Sonden soll wohl tatsächlich Ende der 2020er Jahre beginnen (da ist man in einer guten Position um den Jupiter für ein Vorbeischwungmanöver nutzen zu können:
https://www.yhxb.org.cn/thesisDetails#10.3873/j.issn.1000-1328.2024.02.014&lang=zh

So stellt sich das Labor für Tiefraumerkundung die Sonden vor (vorne der Reaktor, dann die Kühlflächen, dann die Xenon-Tanks, dann die eigentliche Sonde):


Bild: DSEL

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #892 am: 29. März 2024, 12:27:42 »
Eine Erklärung der prinzipiellen thermodynamischen Vorgänge in einem Brayton-Generator findet sich hier:
https://de.wikipedia.org/wiki/Joule-Kreisprozess#Beschreibung

Hier die praktische Umsetzung für Tiefraumanwendungen:


Bild: Wu Yican

Ganz links ist als Wärmequelle in lithiumgekühlter schneller Reaktor (反应堆), der mit übereinandergestapelten, durchlöcherten Scheiben aus Uranmononitrid (93 % UN, ein keramisches Material) im Gesamtgewicht von 215 kg als Brennstoff arbeitet. Die Regulierung des Reaktors, der einen Durchmesser von 49 cm und eine Höhe von 53 cm besitzt, erfolgt über zwei dicke Steuerstäbe (控制棒) mit Lithiumhydrid und in etwas dünneren Röhren aufbewahrtes, nach einigen Jahren mit einem einfachen Federmechanismus (预储能装置) in den Reaktorkern gedrücktes Borcarbid. Das flüssige Lithium, hier grün dargestellt, strömt durch Löcher mit - um eine gleichmäßige Wärmeabfuhr zu gewährleisten - von innen nach außen abnehmendem Durchmesser. Dieses Kühlmittel wird vom Reaktor mit seiner thermischen Leistung von 6 MW auf 1550 K erwärmt:


Bild: Jiang Jieqiong

Um bei einer Schwankung der Reaktortemperatur Druckschwankungen im Kühlkreislauf zu verhindern, ist hinter dem Kühlmittelausgang (冷却剂出口, oben am Reaktor) ein Druckminderer (压力缓冲装置) eingebaut, dahinter ein Gasabscheider (气液分离器), der durch den Neutronenbeschuss im Lithium gebildetes Heliumgas aus der Flüssigkeit entfernt. Anschließend strömt das von zwei elektromagnetischen Pumpen (电磁泵) in Schwung gehaltene Lithium in einen aus einer Wolfram-Rhenium-Legierung bestehenden Wärmetauscher (W-Re 换热器), wo es auf 1400 K abkühlt. Die Wärme wird an eine Mischung aus Helium- und Xenon-Gas im Brayton-Kreislauf abgegeben. Dieser hinter dem Reaktor (反应堆) angeordnete Wärmetauscher ist gleichzeitig Teil der Strahlenschutzwand (屏蔽系统) für die restlichen Komponenten des mobilen Kernkraftwerks:



Bild: Song Yong

Bei dem Arbeitsgas des Brayton-Generators (布雷顿发电一体机) stellt der Strömungswiderstand der Leitungen ein Problem dar. Daher besitzen diese einen großen Durchmesser, um den Strömungswiderstand zu reduzieren. Aus Redundanzgründen gibt es den Brayton-Generator in zweifacher Ausfertigung. Es arbeitet immer nur einer, der andere ist Reserve. Die Helium-Xenon-Mischung strömt mit 1500 K und einem Druck von 1,95 MPa in eine Turbine (透平), die auf einer gemeinsamen Achse den Stromgenerator (发电机) und den Verdichter (压缩机) antreibt. Bei dem konkreten Weltraumreaktor, über den wir hier reden, wird der Wirkungsgrad des Joule-Kreisprozesses durch einen hinter der Turbine angeordneten rekuperativen Wärmetauscher (回热器) erhöht.

Danach strömt das Arbeitsgas, das die Turbine mit 1,05 MPa und 1199 K verlassen hat, mit 1,025 MPa und 831 K in den Kühler (冷却器), wo die Wärme an einen durch die großen Kühlflächen führenden Quecksilber-Kalium-Kreislauf übertragen wird. Anschließend strömt das Arbeitsgas mit 1 MPa und nur noch 560 K in den Verdichter, von wo aus es mit 2 MPa und 766 K zum rekuperativen Wärmetauscher und schließlich mit 1,975 MPa und 1134 K wieder zur Aufnahme von neuer Wärme zum Reaktor-Wärmetauscher strömt.

Der Stromgenerator erzeugt eine elektrische Leistung von 1,55 MW. Ein Teil davon wird - wie bei einem terrestrischen Atomkraftwerk - zum Betrieb der Pumpen und Steuerungselektronik verbraucht. Am Ausgang des inklusive Kühlflächen 7,866 t schweren Weltraumkraftwerks stehen 1,5 MW für die Ionentriebwerke, die Instrumente der eigentlichen Sonde sowie deren Bordrechner, Funkanlage etc. zur Verfügung. Das vom Institut für Sicherheit der Kernenergie und zahlreichen weiteren Einrichtungen konstruierte Kraftwerk hätte mit zusammengefalteten Kühlflächen einen Durchmesser von 4,4 m und wäre 12 m lang. Damit würde es auch mit Triebwerken und eigentlicher Sonde in die Nutzlastverkleidung einer Changzheng 5B passen. Das Foto von der Anlage in startaqs ursprünglichem Beitrag zeigt einen Prototyp mit viel Luft zwischen den Komponenten. Das wird später mal kompakter gebaut.

Offline FlyRider

  • *****
  • 1447
    • Mein Makerspace
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #893 am: 29. März 2024, 17:06:26 »
Um noch mal auf die erste (?) geplante Anwendung des Reaktors zurück zu kommen: ich hatte keine Ahnung, was die Chinesen so alles planen und auch die Mission zur Erforschung der Heliopause hatte ich bislang nicht auf dem Schirm.

Es gibt dazu aber sogar einen deutschen Wikipedia – Artikel. Wenn die Chinesen das alles so umsetzten wie beschrieben, dürfte das nicht weniger als ein Meilenstein der Raumfahrt werden. So sehe ich das wenigstens. Nicht nur die Antriebstechnik wäre ein gewaltiger Schritt, lt. Wikipedia soll die Sonde auch weitgehend autonom Ziele aussuchen und autonom anfliegen können!! Ich weiß zwar nicht genau was man in einer Entfernung von 100 AE noch anfliegen kann, aber so steht es zumindest auf Wikipedia. Vermutlich wird sich das eher auf Kuipergürtelobjekte (ca. 30 bis 50 AE) beziehen.

Ich finde es jedenfalls gewaltig, was die Chinesen da planen – und das Gute ist: die ziehen das meistens auch durch!  8)

Der Wikipedia Artikel:

https://de.wikipedia.org/wiki/Erkundung_der_Heliopause

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #894 am: 29. März 2024, 19:26:33 »
Der Wikipedia-Artikel stammt von mir. Nachdem ich mittlerweile nicht mehr die Zeit habe, mich um Wikipedia zu kümmern, ist er etwas veraltet.

Der Grund, warum Du das nicht auf dem Schirm hattest, liegt darin, dass die Heliopausen-Mission - wie auch das Kuafu-Programm und das Lauschprojekt zur (optischen!) Erkundung von Exoplaneten - seit 2022 beim Arbeitsbereich "Sonnensystemerkundung" des Labors für Tiefraumerkundung angesiedelt ist. Daher wird sie keine Tianwen-Nummer bekommen:


Bild: Andrew Jones

Was die Realisierungswahrscheinlichkeit der Planungen betrifft, so musst Du Dir darüber im Klaren sein, dass Chinesen aus kulturellen Gründen nicht zur Prahlerei tendieren. Das mit der Angst, das Gesicht zu verlieren, wenn man eine Ankündigung nicht umsetzen kann, ist zwar ein Klischee, aber wie alle Klischees hat es einen wahren Kern. Das Foto mit dem Prototyp des Antriebs habe ich schon vor einigen Jahren auf der Website des Instituts für Sicherheit der Kernenergie gesehen, und hier ist eine Mitteilung des Instituts vom Juni 2022, wo auf dem oberen Bild das Prinzip schon recht gut zu erkennen ist:
http://english.inest.cas.cn/2022RESEARCH/2022RP/202206/t20220601_306096.html

Du kannst davon ausgehen, dass man mittlerweile schon deutlich weiter ist. Wu Yican und seine Kollegen würden keinen Artikel in den Scientia Sinica Technologica, einer sehr reputablen Fachzeitschrift, veröffentlichen, wenn sie nicht nach bestem Wissen und Gewissen sagen könnten, dass aus dem Forschungsprojekt eines Tages ein einsatzfähiger Weltraumreaktor wird.

Was den doch schon relativ nahen Zeitpunkt der Heliopausenmission betrifft, so hat mich das ehrlich gesagt auch verblüfft. Aber man muss diesen, am 21. Februar 2024 im ebenfalls sehr seriösen Journal of Aeronautics erschienenen Artikel von Ingenieuren der Hauptentwicklungsabteilung der Herstellerfirma der Sonden zur Kenntnis nehmen:
https://www.yhxb.org.cn/thesisDetails#10.3873/j.issn.1000-1328.2024.02.014&lang=zh

Der Plan lautet jetzt, mit zwei Sonden zu fliegen. Eine genau in die Nasenspitze der Heliopause (das quadratische Symbol), die andere in den hypothetischen Helioschweif (das dreieckige Symbol). Man nimmt an, dass die Heliosphäre eine ähnliche Form hat wie die irdische Magnetosphäre, aber dazu gibt es bis jetzt noch keine Beobachtungsdaten. Deswegen fliegen die Chinesen hin, um vor Ort nachzusehen:


Bild: Zhang He

Beide Sonden sollen nach dem Start von der Erde (地球) am Jupiter (木星) mit einem Vorbeischwungmanöver beschleunigen. Der Jupiter hat als schwerster Planet des Sonnensystems eine Fluchtgeschwindigkeit von 59,6 km/s (die Erde 11,2 km/s). Das bedeutet, man kann vorher schon kräftig Gas geben und wird trotzdem noch in das Schwerefeld des Jupiter gezogen. Diese Initialbeschleunigung erfolgt bei der Nasensonde mit einer noch in Erdnähe abgeworfenen chemischen Antriebsstufe (近地点加速), die Schweifsonde führt nach dem Start ein erstes Vorbeischwungmanöver an der Erde durch (地球借力). Nach dem Jupiter lässt sich die Schweifsonde noch einmal vom Neptun beschleunigen (海王星借力), während die Nasensonde nur mit dem Nuklearantrieb weiterfliegt.

Bei den Zielen, die autonom angeflogen werden sollen, sofern sie nicht allzuweit vom Weg ab liegen, handelt es sich in der Tat um Kuipergürtel-Objekte. Die Frage, wie der Reaktor geregelt wird, ist noch nicht abschließend geklärt. Wenn Kernbrennstoff einmal hergestellt ist, unterliegt er auch ohne Kettenreaktion einem natürlichen Zerfall; man kann den Reaktor nicht einfach hinter der Heliopause abschalten und dann bei der Oort'schen Wolke in 1000 AE Entfernung wieder einschalten, um zu sehen, ob die wirklich existiert. Der derzeitige Plan lautet, erst mit Vollgas loszufliegen und dann hinter dem Kuipergürtel den Reaktor um 80 % zu drosseln, die Ionentriebwerke abzuschalten und den Strom nur noch für die Instrumente, Funkanlage etc. der nun antriebslos dahintreibenden Sonde zu verwenden.

Offline FlyRider

  • *****
  • 1447
    • Mein Makerspace
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #895 am: 29. März 2024, 20:21:47 »
@Regnart: Erstmal vielen Dank für einen weiteren deiner unglaublich wertvollen Beiträge zur Chinesischen Raumfahrt.

Nun würde vermutlich nicht nur mich interessieren woher du dein Wissen über die Chinesischen Raumfahrt hast. Ich denke, dass niemand hier im Forum auch nur annähernd so einen Background zu dem Thema hat. Ist natürlich eine sehr persönliche Frage, auf die man nicht antworten muss, aber interessieren würde es mich schon  ;)

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #896 am: 30. März 2024, 08:20:22 »
Ich bin auch nur ein Fan und habe keine Geheiminformationen. Aber weil ich Sinologie studiert habe, kann ich die chinesischen Veröffentlichungen ohne Übersetzungsprogramme lesen (die bei nicht-europäischen Sprachen manchmal etwas seltsame Ergebnisse liefern). Der Vorteil bei der chinesischen Raumfahrt (im Gegensatz zum Beispiel zur indischen) ist, dass das Thema dort einen ähnlich hohen Stellenwert hat wie bei uns die Autoindustrie. Die Informationen kommen nicht nur von den Raumfahrtbehörden (das erste Bild in #894 oben), sondern auch von den Herstellerfirmen (das zweite Bild dort). Das chinesische Fernsehen berichtet ausführlich über Raumfahrtthemen. Das ist für eine technophile Bevölkerung gedacht und deutlich über dem Niveau populärwissenschaftlicher Sendungen in Deutschland - viele Fachausdrücke muss ich googeln - aber andererseits erweitert das den Wortschatz und man kann dann vor Ort im Teehaus gleich besser mitreden :D

*

Offline alepu

  • *****
  • 10885
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #897 am: 30. März 2024, 10:48:29 »
Und gerade das läßt dann erwarten, daß in China, im Gegensatz zum "Westen", die Raumfahrt von weiten Teilen der Bevölkerung getragen wird, was wiederum u.a. einen ständigen breiten Zustrom von bestens ausgebildeten Fachkräften bewirkt.
Um Chinas Zukunft in der Raumfahrt ist mir nicht bang.

Offline FlyRider

  • *****
  • 1447
    • Mein Makerspace
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #898 am: 30. März 2024, 14:54:02 »
Um Chinas Zukunft in der Raumfahrt ist mir nicht bang.

Aktuell spricht alles dafür, dass China in wenigen Jahren die Nr. 1 in der Raumfahrt werden wird. Vor paar Jahren noch hat mich dieser Diskussionsfaden kaum interessiert, weil ich die Chinesen als reine Kopierer westlicher Technologie gesehen habe. Aber wie in vielen anderen Bereichen setzen sie aktuell zum Überholen an...

Für mich ist leider die ganze Struktur der chinesischen Raumfahrt (- Akteure) schwer zu greifen, um so schöner, dass es hier Leute wie Regnart gibt, die da Einblick haben.

Offline Regnart

  • *****
  • 1031
Re: Chinas Raumfahrt
« Antwort #899 am: 30. März 2024, 16:00:40 »
Das mit der Nr. 1 ist keine Absicht. Weltraumrennen sind in China streng verboten. Der wesentliche Unterschied zu anderen Raumfahrtnationen ist, dass in China Planungssicherheit besteht. Der Bau der Chinesischen Raumstation wurde 1992 beschlossen und dann Schritt für Schritt durchgezogen: Raumschiff -> Raumlabor -> Raumstation. Die Finanzierung war gesichert. Das Mondprogramm wurde 2004 beschlossen - was die CNSA jetzt macht, wurde bereits damals festgelegt. Die chinesischen Ingenieure bleiben einfach immer dran und nagen solange an einem Problem herum, bis sie es gelöst haben

Fachkräfte kann man nie genug haben, aber mittlerweile besteht kein akuter Mangel mehr. Neben dem breiten gesellschaftlichen Konsens dass Fortschritt gut und Technik schön ist, hat das eine Reihe weiterer Gründe. Einer der wichtigsten ist: Erfolg macht attraktiv. Durch Dinge wie die weltweit erste Landung auf der Rückseite des Mondes, oder jetzt die Raumstation, wählen mehr Abiturienten raumfahrtbezogene Studienfächer. Neben der klassischen Raumfahrttechnik vor allem auch Nachrichtentechnik (die Universität für Elektrotechnik und Elektronik Xi’an ist eine Partnerhochschule der China Aerospace Science and Technology Corporation) und Informatik. Daraus suchen sich die Akademien der CASC (CALT, CAST etc.) nach dem Vordiplom die besten der Besten aus.

Firmen wie Huawei oder Lenovo zahlen zwar ein Mehrfaches der Staatskonzerne, aber dort werden regelmäßig unbezahlte Überstunden erwartet. Bei CASC gibt es zwar auch Überstunden, aber die Abteilungsleiter achten darauf, dass das nicht überhand nimmt und dass die Leute zwischen den Missionen ausreichend Urlaub nehmen. Übermüdete Ingenieure machen Fehler. Insofern ist die staatliche Raumfahrt durchaus ein attraktiver Arbeitgeber.

Ein weiterer Faktor ist das relativ niedrige Renteneintrittsalter in China: Männer 60, Akademikerinnen 55, Arbeiterinnen 50. Dadurch wird immer wieder mal ein Platz an der Spitze frei. Zhang He, die Ingenieurin, die das Heliopausenprojekt bei CAST leitet, ist jetzt 53. In zwei Jahren wird sie das Zepter in jüngere Hände übergeben. Natürlich bleiben manche auch länger. So ist zum Beispiel Wu Yansheng, seit 2018 Vorstandsvorsitzender von CASC, erst jetzt am 15. März mit fast 61 Jahren und ein Jahr jenseits der üblichen fünfjährigen Amtszeit in den Ruhestand getreten. Sein fünf Jahre jüngerer Nachfolger Chen Mingbo ist übrigens ein Solarzellenexperte (Wu war Experte für die Elektrik in Raketen). Ich könnte mir vorstellen, dass die ersten Orbitalversuche zum Orbitalen Sonnenkraftwerk nun eher früher als später stattfinden.