Neues von den "Strings":
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VERBORGENE DIMENSIONEN
Forscher zupfen am Zipfel der String-TheorieLänge, Breite, Höhe - oder noch mehr? Extra-Dimensionen im All konnte bisher keiner nachweisen. Europas neuer "Planck"-Satellit soll das bald ändern. Wie, das zeigen US-Astrophysiker schon jetzt: mit Simulationen, die vielleicht sogar die String-Theorie beweisen.
Irgendwo an keinem Ort und irgendwann zu keinem Zeitpunkt entsprang das uns bekannte Universum, ohne Licht und ohne Laut. Bis heute ist das genaue Wie unerklärlich: Aus einem unendlich kleinen Punkt (Singularität) von unvorstellbar hoher Energiedichte und Temperatur traten im Zuge des Urknalls Materie, Raum und Zeit heraus - und fast 400.000 Jahre später auch das Licht und jenes geheimnisvolle Strahlungsrauschen, das heute noch das ganze Universum durchflutet: die Mikrowellen-Hintergrundstrahlung.
Der Urknall, die Ur-Sache aller Ursachen dieser Welt, bahnte mindestens einer Lebensform den Weg, die heute über das wahre Wesen von Raum und Zeit sinniert. Auf der Suche nach der Weltformel, welche Quantenmechanik und Allgemeine Relativitätstheorie vereinheitlichen soll, haben Astrophysiker den vertrauten dreidimensionalen Raum (plus Zeit als vierte Dimension) mathematisch und gedanklich längst verlassen. Einer davon ist Gary Shiu von der University of Wisconsin in Madison, der sich tief in die String-Theorie hineindenkt.
Er will als erster Physiker mit harten Fakten aufzeigen, was diese ebenso bekannte wie unverständliche Theorie taugt. Schwarze Löcher, Stephen Hawking, Stringtheorie - das sind die drei Begriffe, die auch jeder Astro-Laie im Wortschatz trägt, freilich ohne intime Kenntnisse der Materie.
Selbst eine simple Beschreibung übersteigt jegliches Vorstellungsvermögen: Alle Elementarteilchen sollen aus unvorstellbar winzigen, eindimensionalen Fäden von wenigen Milliardstel Billionstel Billionstel Metern Länge bestehen, den Strings. In einem zehndimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum schwingen diese in verschiedenen Frequenzen - und erzeugen durch ihre Vibrationen alle Eigenschaften der Partikel wie Masse, Ladung und Spin.
Mehr noch: Mindestens sechs weitere Raumdimensionen besitzt unser Universum neben den hinlänglich bekannten laut String-Theorie. Noch verrückter: Obwohl wir sie nicht sehen können, befinden sie sich an jedem Punkt des Universums - als klitzekleine Figuren von unbekannter Geometrie. Jede der sechs Extradimensionen könnte zehntausende mögliche Formen annehmen, wobei jede Form aus der Perspektive imaginärer Bewohner ein eigenes Universum repräsentieren würde.
Solche Beschreibungen scheinen aus dem Niemandsland zwischen extremer theoretischer Physik und blanker Esoterik zu stammen. Anfang der achtziger Jahre wurde die String-Idee bereits entwickelt, bis heute ist sie eine unbewiesene Theorie, mehr nicht. Doch das könnte sich bald ändern. Im US-Fachmagazin "Physical Review Letters" (Nr. 98, Bd. 5, 051301) veröffentlichten Shiu und sein Mitarbeiter Bret Underwood einen Beitrag, mit dem sie gleichsam am Zipfel der Stringtheorie zupfen: Sie stellten einen Weg vor, mit dem Extradimensionen aufgespürt und deren Formen via Computersimulation veranschaulicht werden könnten.
Dazu muss Gary Shiu die kosmische Uhr allerdings sehr weit zurückdrehen - und zwar bis zu dem Zeitpunkt, als die Welt gerade einmal 10-43 Sekunden alt (Planck-Zeit) und nur 10-35 Meter groß (Planck-Länge) war. Denn bevor sich der Raum in der so genannten Inflationsphase binnen einer Quintillionstel (eine Zahl mit 30 Nullen) Sekunde mit unglaublicher Macht um den gigantischen Faktor 1029aufblähte, tummelten sich in ihm möglicherweise noch andere Dimensionen: welche String-Theoretiker vorhersagen - und Shiu lokalisieren will.
"Unsere Idee war es, in die Zeit zurückzugehen und zu sehen, was damals wirklich geschah", sagt Shiu zu SPIEGEL ONLINE. Weiter als 13,3 Milliarden Jahre in die Vergangenheit können die Historiker des Universums allerdings nicht blicken, da erst zu dieser Zeit das Weltall kühl genug war, um Atome und somit Licht zu generieren. Im Jahr 2003 schoss die Nasa-Sonde "Wilkinson Microwave Anisotropy Probe" (WMAP) eine 360-Grad-Karte von der Mikrowellenhintergrundstrahlung, die aus jener Zeit übrig ist - ein Fingerabdruck des Urknalls. Es ist das schärfste und älteste Bild aus der Urzeit unseres Universums, in dem viele Informationen eingefroren sind.
Wo, wenn nicht hier, sollten auch Hinweise auf die Existenz zusätzlicher Dimensionen eingeschlossen sein? Schließlich war der Einfluss der sechs winzigen Dimensionen unmittelbar nach dem Urknall am größten - und könnte sich auf die für den Menschen quantifizierbare Verteilung der Masse im Universum ausgewirkt haben. "So wie der Schatten einen Anhaltspunkt auf die Form eines Objektes gibt, kann das Muster der kosmischen Strahlung auf die Gestalt der anderen sechs Dimensionen hinweisen", sagt Shiu.
Doch nach welchen Spuren im WMAP-Panorama sollten sie suchen? Die Forscher experimentierten mit zwei unterschiedlichen Typen mathematisch einfacher Geometrien. Wie würden solche Dimensionen die Energieverteilung im All beeinflussen? Das visualisierten sie auf einer Computer-Karte. Dann, beim Vergleich der fiktiven Karte mit dem WMAP-Original fanden Shiu und Underwood kleine, aber signifikante Unterschiede. Auf der computergenerierten Darstellung zeigen diese sich in Gestalt von kleinen, fleckenartigen Schattierungen, welche auf eine völlig andere Temperatur- und Energieverteilung hindeuten.
Nach Ansicht beider Wissenschaftler geben diese speziellen Strahlungsmuster deutliche Hinweise auf die Geometrie der sechsdimensionalen Form. "Unsere Resultate beweisen, dass die Geometrie der versteckten Dimensionen durch die Muster der kosmischen Energie entschlüsselt werden kann", so Shiu. "Dadurch bietet sich die seltene Gelegenheit, die String-Theorie zu testen."
Dazu brauchen die Forscher aber feinere Daten als jene der WMAP-Messungen. Nun hoffen sie auf das neue hochsensible Esa-Weltraumteleskop "Planck", das selbst Temperaturunterschiede von einem Fünfmillionstel Grad Celsius erfassen kann. "'Planck' wird in der Lage sein, die kosmische Hintergrundstrahlung mit beeindruckender Präzision zu messen", sagt Shiu. "Bis vor kurzem wurden versteckte Dimensionen noch als völlig unzugänglich betrachtet. Nun aber liegen bereits mehrere Ideen und Szenarien vor, wie diese aufgespürt werden können."
"An der Theorie von Shiu und Underwood könnte etwas dran sein", sagt der Münchner Astrophysiker Harald Lesch zu SPIEGEL ONLINE. "Es ist halt nur die Frage, inwieweit sich die räumlichen Eigenschaften in der kosmischen Hintergrundstrahlung niedergeschlagen haben, als das Universum nur 10-35Meter groß war." Ab nächstem Jahr könnte diese Frage beantwortet werden. Dann wird die hochempfindliche Sonde ins All geschossen - und die Stringtheorie kommt endlich auf den kosmischen Prüfstand.
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Quelle:
http://www.spiegel.de/wissenschaft/weltall/0,1518,druck-483305,00.html