Der Bericht von Theodore Postol „A Technical Assessment of Iran´s Ballistic Missile Program “ (
http://docs.ewi.info/JTA_TA_Program.pdf ) beruht im wesentlichen auf den Analysen von Dr.Markus Schiller und Prof. Robert Schmucker aus München, die bereits in Raumfahrt Concret Nr. 54/55 ( Scud-Rakete) und Raumfahrt Concret Nr.57 ( iranische Trägerrakete Safir) veröffentlicht wurden.
Allerdings ist die Analyse in Postol´s Bericht wesentlich detaillierter und daher sehr lesenswert. Hier eine Zusammenfassung der wichtigsten Punkte.
Die Raketenprogramme von Nordkorea und Iran sind eng miteinander verknüpft.
Beide Länder verfügen über keine eigene Raketentechnologie. Schlüsselelemente wie Antriebe stammen aus der ehemaligen Sowjetunion. Die Industrien beider Länder sind nicht in der Lage, solche Baugruppen selbst zu produzieren, d.h. es werden erworbene Bestände verwendet. Allerdings sind die Ingenieure, vor allem Nordkoreas, in der Lage, aus den vorhandenen Baugruppe neue Raketen zu schaffen. Selbstständig wurden neue Zellen und Tanks gefertigt.
Im wesentlichen beruhen die nordkoreanischen und iranischen Langstreckenraketen auf folgenden sowjetischen Raketentypen: R-17 (Scud-B) ,R-18, R-27 (SS-N-6), S-200 (SA-5) und OTR-21 Totschka (SS-21).
Nun der Reihe nach.
Die bislang erfolgreichste Konstruktion ist die iranische Trägerrakete Safir. Sie brachte am 2.2.2009 den Satelliten Omid in eine erdnahe Umlaufbahn.
Die Rakete verfügt über zwei Stufen. Die erste Stufe verwendet das Triebwerk der R-18/Nodong. Ihre Treibstofftanks wurden auf maximal mögliche Größe verlängert, um die Schubreserven des Triebwerkes vollständig zu nutzen. Ausgangsmodell der 1.Stufe ist die ballistische Rakete Shahab-3, was wiederum der iranische Name für die nordkoreanische Nodong ist. Die Nodong ist nichts anderes die russische Rakete R-18 aus dem Makejew-Konstruktionsbüro (R-17 und R-18 wurden gemeinsam entwickelt, R-18 hat den stärkeren Raketenmotor, ist größer als R-17).
Als Antrieb der 2.Stufe der Safir dienen die beiden Steuerdüsen der sowjetischen U-Boot-Rakete R-27 . Auf das Haupttriebwerk wurde verzichtet, vermutlich, weil dessen hoher Schub durch die in Leichtbauweise gefertigte 2.Stufe konstruktiv nicht zu bewältigen wäre. Allerdings bedeutet das auch, dass die Safir in der vorliegenden Konstruktion an ihrer absoluten Leistungsgrenze ist. Mehr als die 27 kg des Satelliten Omid oder höhere Umlaufbahnen sind mit dieser Konfiguration nicht möglich. Daraus resultiert die gute Nachricht: sollte der Iran tatsächlich vorhaben, aus der Safir eine atomar bestückte Interkontinentalrakete zu machen , müsste die 2.Stufe völlig neu konstruiert werden. In der gegenwärtigen Konfiguration kann sie keine schweren Atomsprengköpfe tragen, sondern nur einen sehr leichten Erdsatelliten.
Im Satelliten Omid wurden übrigens zahlreiche elektronische Bauelemente made in USA verwendet. Auch auf diesem Gebiet besteht als keine Unabhängigkeit des Iran.
Interessanterweise sind die Nordkoreaner einen etwas anderen Weg als die Iraner gegangen.
Ihre erste Trägerrakete aus dem Jahr 1998 hieß Taepodong 1. Sie entsprach in ihrer Leistungsfähigkeit der iranischen Safir, hatte aber 3 Stufen. Als 1.Stufe diente die bereits erwähnte Nodong ( die nordkoreanische Bezeichnung für eine sowjetische Rakete aus dem Makejew-Konstruktionsbüro, die dort R-18 hieß und in ihren Leistungen der R-17 ähnelte, allerdings einen stärkeren Motor hat). Im Gegensatz zur iranischen Safir wurde die Nodong unverändert übernommen. Deshalb brauchte die Taepodong 1 auch drei anstelle von zwei Stufen.
In der 2.Stufe der Taepodong 1 wurde in eine Zelle der R-17 das Marschtriebwerk der Luftabwehrrakete S-200 Wega eingebaut. Dieses Triebwerk ist regelbar und bietet daher Vorteile beim Einsatz als Satellitenträger gegenüber dem Originaltriebwerk der R-17. Ein regelbares Triebwerk, das in der letzten Phase des Betriebes der 2.Stufe heruntergeregelt wird, lässt die Stufe zum Betriebsende weniger schwanken und erleichtert damit die Ausrichtung der 3.Stufe im Raum vor der Zündung zur Injektion in den Erdorbit erheblich.
Als 3.Stufe diente wahrscheinlich das Feststofftrieb der sowjetischen Kurzstreckenrakete OTR-21 Totschka. Zumindestens passen deren Leistungsdaten und die Verfügbarkeit für Nordkorea in die Rekonstruktion der Taepodong-1.
Die Rakete war in der Lage, ein ähnlich schweres Objekt wie den iranischen Omid in eine hochelliptische Bahn mit einem Apogäum von ca. 7000 km (Safir nur knapp 400 km Apogäum) zu transportieren, was vor allem auf die vergleichsweise hohe Schubkraft der 3.Stufe zurückzuführen war. Allerdings versagte die 3.Stufe beim ersten und einzigen Startversuch im September 1998.
Eine wesentlich fortgeschrittenere Konstruktion ist die neue nordkoreanische Trägerrakete Unha-2, die am 4. April 2009 den ersten und weitgehend erfolgreichen Startversuch unternahm. Mit ca. 90 t Startmasse ist sie rund dreimal so schwer wie Taepodong-1 und Safir. Eine völlig neuentwickelte und deutlich größere 1.Stufe verwendet erstmals das Prinzip der Triebwerksbündelung: vier Triebwerke der Nodong-Rakete treiben die Stufe an. Als zweite Stufe wird die russische U-Boot-Rakete R-27 verwendet. Laut Pavel Podvig wurden rund 2000 Exemplare dieser Rakete gebaut, von denen ca. 800 nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion noch vorhanden waren und zum Verkauf standen (natürlich nicht offiziell). Nordkorea könnte also durchaus einige Dutzend R-27 erworben haben, die nun gemeinsam mit dem Iran utilisiert werden. Die 3.Stufe der Unha-2 ist mit der 2.Stufe der Safir identisch. Obwohl die Stufe zu diesem Zeitpunkt bereits einmal erfolgreich geflogen war, versagte sie in der Unha-2. Dennoch, 1. und 2.Stufe arbeiteten einwandfrei.
Auch wenn kein Satellit in den Orbit gelangte, kam Nordkorea der Interkontinentalrakete damit deutlich näher als der Iran: schon eine 2stufige Unha-2 kann knapp 2 t Nutzlast über 6000 km Entfernung schleppen und auch die Konstruktion der Rakete erlaubt nukleare Gefechtsköpfe. Die dreistufige Unha-2, wenn voll funktionstüchtig, könnte knapp 1 t fast 10.000 km weit transportieren. Damit könnte Nordkorea theoretisch große Teile der USA treffen.
Realistisch gesehen, geht aber von der Unha-2 keine Bedrohung aus: die Startvorbereitungen dauern Tage, wenn nicht Wochen, die Rakete steht auf einer offenen Rampe, ist leicht aufzuklären und anzugreifen und damit als Waffe genauso wenig wert wie damals die sowjetische R-7 Semjorka.
Und damit sind wir bei der wichtigsten Schlussfolgerung der Analyse: auch wenn Nordkorea und Iran bei der Meisterung der Raketentechnik gewisse Fortschritte gemacht haben – selbstständig sind sie nicht, der Nachschub an Schlüsseltechnologie stammt im wesentlichen aus Russland und der erreichte (und künftig erreichbare) technische Stand stellt keine militärische Bedrohung (maximal eine politisch-psychologische) dar.