Akzeptanz des Raumflugs
Wichtig zu verstehen ist, warum wir das Raumfahrzeug nach und nach so akzeptieren sollten, wie unsere Vorfahren sich schließlich an Rad und Schiff gewöhnt haben. Es gab Zeiten - die Odyssee beweist es - , in denen es für den gewöhnlichen Menschen nahezu unvorstellbar war, seine Halbinsel oder Insel zu verlassen und über den Horizont hinaus ins Unbekannte zu segeln. Und im Prinzip haben wir uns bis heute nicht sehr verändert, denn auch heute können sich viele von uns die Erde nicht (höchstens auf eine ganz allgemeine Weise) als eine Insel vorstellen, von der eines Tages viele Menschen zu fernen, uns noch unbekannten Orten aufbrechen werden, oder die eines Tages von Menschen aus fernen Welten besucht werden könnten wie ein Amerikaner heute das Land seiner eingewanderten Väter besucht.
Als Beitrag zur Beantwortung der großen Frage schlage ich eine breite Perspektive als Grundlage vor, indem wir drei Grundgesetze der Astronautik formulieren und dann die Implikationen dieser Gesetze untersuchen.
Erstes Gesetz: Unter dem Naturrecht dieses Universums erlegt nichts und niemand dem Menschen irgendwelche Beschränkungen auf außer er sich selbst.
Zweites Gesetz: Das rechtmäßige Betätigungsfeld des Menschen ist nicht nur die Erde, sondern das ganze Sonnensystem und soviel vom Universum, wie er unter den Naturgesetzen erreichen kann.
Drittes Gesetz: Indem er sich im Universum ausbreitet, erfüllt der Mensch seine Bestimmung als Element des Lebens - ausgestattet mit der Macht der Vernunft und der Weisheit des Moralgesetzes in sich.
Diese Gesetze sind die Grundpfeiler der Raumfahrt, der Entwicklung moderner Raketentechnik (sowie anderer Technologien, vor allem der atomaren) und unserer ehrgeizigen Pläne und Hoffnungen bezüglich der Zukunft der Astronautik.
Das erste Gesetz
Das erste Gesetz ist die Aufforderung der Astronautik an den Menschen, eine neue "Unabhängigkeitserklärung" zu schreiben: die Unabhängigkeit von apriorischem Denken, von unkritisch akzeptierten Bedingungen, oder anders gesagt, von einer vergangenen und grundsätzlich anderen prätechnologischen Welt, die ihm noch anhängt.
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Das riesenhafte Ausmaß der Astronautik ist zweifellos einer der unmittelbaren Gründe, warum sie eine so faszinierende Herausforderung darstellt. Sie verheißt es dem Menschen, dahin zu gelangen, wo er noch nie gewesen ist, und wendet sich deshalb unmittelbar an seine angeborene Neugier, Abenteuerlust und Forscherdrang. Doch der wohl tiefste Grund ruht in einer Vergangenheit, die so fern liegt, daß es die Lebensspanne der menschlichen Gattung noch weit übersteigt. Ein Kennzeichen des Lebens auf diesem Planeten, den Menschen eingeschlossen, ist das Streben zu expandieren, sich auszudehnen, instinktiv in aggressiver Weise auf Unbekanntes zu reagieren und das scheinbar Unerreichbare als Provokation aufzufassen, die nicht unbeantwortet bleiben darf.
Die erste große Antwort dieser Art kam, als sich das Leben von den Meeren auf das Land ausdehnte.
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Dann behinderte eine neue Grenze das Leben, der Weltraum. Es gibt keine biologischen Mittel, die es Lebewesen direkt erlaubten, den Weltraum zu betreten und sich darin zu bewegen. Es ist eine faszinierende Vorstellung, daß das Leben vielleicht auf diese Herausforderung reagierte, indem es eine neue Amphibie - den Menschen - hervorbrachte, dessen ruheloser Geist über die Beschränkungen seiner biologischen Welt hinausreicht. Das menschliche Gehirn allein ist in der Lage, bestimmte höhere Eigenschaften anorganischer Materie zu nutzen, um den Weltraum zu betreten.
Damit beginnt der nächste Akt in dem gigantischen Drama, und der Mensch spielt eine Hauptrolle. Von schützenden Hüllen umgeben macht sich das Leben auf, andere Welten zu erobern. Möglicherweise geschieht dies von mehreren Kernen im All aus, die viele Lichtjahre voneinander entfernt sind.
Aus dieser Perspektive erscheint es schwer vorstellbar, daß unsere Antwort auf die Herausforderung der Raumfahrt sich auf den Bau von Erdsatelliten begrenzen sollte - es sei denn, wir erlegen uns diese Begrenzung selbst auf. Es gehört zu unserem Erbe als Kinder dieses Planeten, nach anderen Welten zu suchen und mit unseren Fähigkeiten in neue Grade der Freiheit und Unabhängigkeit hineinzuwachsen, gegenüber denen die heutigen Gesellschaften wie die unsäglichen Beschränkungen mittelalterlicher Siedlungen oder afrikanischer Stammesregeln erscheinen. Es ist eine historische Tatsache, daß Geist und Verstand des Menschen mit dem Raum wachsen, in dem er agieren kann.
Das zweite Gesetz
Die Bedeutung des zweiten Gesetzes läßt sich an den Folgen auf die zivilisatorische Entwicklung ermessen, die es hatte, als sich der europäische Mensch über die ganze Welt ausbreitete. Die europäische Zivilisation des Mittelalters, eingepfercht in der Enge ihrer kleinen, streng kontrollierten Gemeinwesen und in ein allmächtiges Glaubensdogma, war im 12. und 13. Jahrhundert gefährlich nahe daran, eine statische Zivilisation zu werden, wie das alte China, Japan, Indien oder die Inkas. Es sah aus, als läge vor ihr eine lange düstere Folge von Generationen, die immer dasselbe starre, wenn nicht gar tyrannische, soziale und philosophische System durchliefen und nur existieren durften, um dieses System zu erhalten. Die plötzliche Erkenntnis, daß die weite und schöne Erde nur darauf wartete, vom Menschen in Besitz genommen zu werden, bestürmte und ermutigte die großen Denker der damaligen Zeit, besonders Giordano Bruno, Nikolaus Kopernikus, Galileo Galilei und Johannes Kepler. Das war die krönende Errungenschaft der Renaissance, und die Welt der dogmatischen Scholastik war für immer zertrümmert.
Jetzt beginnen wir uns darüber klar zu werden, daß das Sonnensystem und wahrscheinlich sogar Teile dieser Galaxis unser sein kann. Die Konsequenzen der praktischen Anwendung des zweiten Gesetzes der Astronautik auf alle Phasen des menschlichen Daseins in den kommenden Jahrhunderten spotten beinahe unserer Vorstellungskraft, so wie die heutige Welt den Pionieren der Renaissance praktisch unvorstellbar war. Wir bauen heute lediglich die Schiffe für jene Männer und Frauen, die in eine neue Ära der Entdeckungen eintreten werden und damit die Grundlagen für die legen, die nach ihnen kommen und planetare Technologien entwickeln und kosmische Zivilisationen schaffen werden.
Das dritte Gesetz
Das dritte Gesetz bezeichnet diesen anthropologischen Charakter von Weltraumunternehmen, wie wir Menschen ihn verstehen können. Es impliziert nicht, daß eine brutale Eroberung anderer Welten, wie bei der Kolonisierung unserer Welt häufig geschehen, wünschenswert wäre. Es proklamiert aber das natürliche Recht des Menschen, alle Teile des Universums, die ihm erreichbar sind, zu entdecken und mit menschlicher Fertigkeit und Weisheit zu befruchten - ob sie von intelligenten Wesen bewohnt sind oder nicht. Dieses Recht steht genausogut anderen Zivilisationen im Universum zu, wenn sie uns zuerst erreichen können oder wenn sie im Zuge ihrer Expansion andere Welten vor uns erreichen.
Über das Resultat eines menschlichen Zusammentreffens mit anderen Zivilisationen im Weltall, wenn und zu welchem Zeitpunkt dies überhaupt jemals eintreten wird, läßt sich nur spekulieren. Heute ist lediglich maßgebend, daß der Mensch die einzige uns bekannte Quelle intelligenten Lebens ist und daß dies ihm das Recht gibt, die Grundlagen seiner Existenz bis an die Grenzen seiner Fähigkeiten zu erweitern, zu entwickeln und zu bereichern. Im Lichte dieser Perspektive sind, so fortgeschritten uns das schon erscheinen mag, Expeditionen zu anderen Planeten (das "Zeitalter der Entdeckung") nur ein Anfang.
Wenn alle notwendigen Erkenntnisse beisammen sind, könnten zukünftige Generationen Lösungen für das Problem finden, an anderen Orten in unserem Sonnensystem oder sogar im interstellaren Raum zu leben, womit die Raumfahrt ihre endgültige anthropologische Bedeutung erhielte. Daß wir den Nutzen eines Lebens an anderen Orten im Weltraum heute nur sehr allgemein angeben können, ist dabei nicht besonders wichtig, denn wir sind heute etwa so kompetent, dies zu beurteilen, wie Demokrit den Nutzen des Wissens über die Atome beurteilen konnte, dem er so eifrig nachging.
Das soll nicht heißen, daß man den praktischen Nutzen völlig außer acht lassen sollte. Im Gegenteil. Dennoch hat die Astronautik, wie alle großen Unternehmungen, sowohl einen unmittelbar-utilitaristischen als auch einen langfristig-grundsätzlichen Aspekt. Die Nützlichkeit eines bestimmten Projekts wie etwa eines künstlichen Satelliten, einer Mondsonde oder eines künstlichen Kometen festzustellen, ist nicht nur sinnvoll, sondern unabdingbar. Wir können auch den Nutzen eines bemannten Erkundungsfluges zur Venus oder zum Mars bestimmen. Aber alle diese Nützlichkeiten beschränken sich auf spezifische wissenschaftliche oder technische Überlegungen oder Argumente militärischer oder politischer Zweckdienlichkeit. Sie stellen eine professionelle Herausforderung für eine begrenzte Gruppe von Menschen dar, so wie ein Überschallflugzeug, das Teleskop auf dem Mount Palomar, ein unbezwungener Berggipfel oder ein Sandsturm auf dem Mars.
Wenn das alles wäre, könnte man die Raumfahrt nach Belieben tun oder bleiben lassen. Doch die anthropologische Herausforderung der Raumfahrt reicht viel tiefer. Ihre Perspektive und Bedeutung, die allein ihr diese quasi magnetische Anziehungskraft verleiht, läßt sich nur aus den langfristigen Aspekten ableiten, die sie in eine Reihe mit den Höhepunkten des Lebens auf diesem Planeten überhaupt stellen.
Realismus der Vision
Wir müssen realistisch sein; aber es gibt einen falschen Realismus, einen ängstlichen und statischen, der dem Menschen aufträgt, nur für seine Existenz zu leben und nicht am Althergebrachten zu rütteln. Der Realismus, den wir brauchen, ist ein Realismus der Vision - der Realismus eines Kolumbus und der amerikanischen Verfassung, eines Benjamin Franklin, eines Albert Einstein, eines Konstantin Ziolkowskij und eines Hermann Oberth.
Das ist der Realismus, der von unserem ersten Gesetz lebt, der eigentlichen Grundlage der menschlichen Entwicklung: dem Gesetz, welches besagt, daß wir frei in diesem unseren Universum wachsen können, solange wir uns nicht selbst das Joch um den Hals legen. Handeln wir in diesem Geist, dann wird es nicht schwer sein, mit den unmittelbaren Nützlichkeiten umzugehen, die zu Recht die formale Rechtfertigung für jede der aufeinander folgenden Phasen der astronautischen Entwicklung bilden.
Wie immer wir die Astronautik betrachten, wir kommen nicht umhin zu spüren, welche Herausforderung für das menschliche Schicksal sie ist. Aus diesem Grund braucht die Raumfahrt die Unterstützung aller zivilisierten Nationen, und sie wird sie auch finden, während wir uns mühsam und schrittweise auf das kosmische Zeitalter des Menschen zubewegen.