Ein Startplatz in Europa brächte wenig Vorteile, aber viele Probleme und wäre unflexibel und überflüssig. Es sprechen höchstens Einzelinteressen von Staaten oder Regionen dafür. Europa insgesamt hätte nichts davon.
i) Europa ist dicht besiedelt, im Süden und Osten liegt besiedeltes und politisch nicht notwendigerweise freundlich gesinntes Land. Dadurch wird der Startbetrieb eingeschränkt: Man kann viele wichtige Bahnen nicht direkt ansteuern und muss eventuell die Rakete um die verfügbaren Abwurfzonen herumkonstruieren.
ii) Europa hat mit Kourou bereits ein Startgebiet, wie man es besser kaum haben kann. Nahe am Äquator, nahezu jede interessante Inklination erreichbar und die Infrastruktur ist bereits vorhanden. Wenn man einen neuen Startplatz aufbaut, schafft man bloß Doppelstrukturen.
iii) Kourou ist zwar ein ganzes Stück von dem europäischen Kernland entfernt, dadurch wird die Startdurchführung etwas teurer und langwieriger. Aber Korou ist sowohl per Schiff als auch per Flugzeug zu erreichen, und der zusätzliche Transport im Vergleich zu einem Startplatz in Europa fällt von Aufwand/Kosten her nicht stark ins Gewicht.
Höchstens Kleinstträger im Marktsegment "Starts in polare Umlaufbahnen" könnten eventuell von einem Startplatz in Europa profitieren. Der würde dann aber auch eher in Norwegen oder auf den Azoren liegen (dann kann man aber auch gleich von Kourou aus starten).
@Therodon&andere:
"Interessant wäre wie groß die Einsparung mit dem Start gen Osten ist."
Das hängt von verschiedenen Faktoren ab, unter anderem vom Raketentyp und der Zielbahn.
-ist das für die Mission benötigte delta-v (Orbitgeschwindigkeit+Maneuvriermanöver-delta-v+ Aufstiegsverluste) nahe an dem theoretisch möglichen delta-v der Rakete, und/oder hat die letzte Stufe im Vergleich zu Nutzlast eine hohe Masse, dann reagiert die Nutzlastmasse der Rakete sehr "empfindlich" auf einen ungünstigeren Startplatz. Paradebeispiel: Das Spaceshuttle. Das Starship fällt auch in die Kategorie, hier sind die Leistungsreserven aber größer.
-ist man noch lange nicht an der Delta-v-Grenze der Rakete angekommen, dann ist der Effekt gering. Paradebeispiel: Saturn-V, Delta IV Heavy in LEO-Missionen (LEO=niedriger Erdorbit)
Noch ein paar Fakten/Informationen dazu:
-Erdrotationsbeitrag bei Start direkt nach Osten: 465 m/s*cos(Breitengrad)
-direkt/mit einem Schuss kann man nur Orbits mit einer Inklination erreichen, die größer als der aktuelle Breitengrad ist! Von Deutschland aus kommt man unmöglich direkt "in einem Schuss" in einen Orbit mit 0° Inklination. Man muss entweder während des Fluges umlenken oder später Orbitmaneuver durchführen. Beides kostet massiv delta-v und verlangt Wiederzündbarkeit der Oberstufe, was nicht jeder Träger kann! Darum ist die Lage von Kourou für den GTO-Startmarkt so ein Wettbewerbsvorteil (GTO=geostationärer Transferorbit)
-für Starts in Orbits mit hoher Inklination wie SSO (sonnensynchroner Orbit) ist der Breitengrad des Startorts nahezu egal. Weiter nördlich (aber nicht zu weit nördlich) gelegene Starplätze sind einen kleinen Tick besser als Äquatornahe, aber der Effekt ist gering und rechtfertigt keinen zweiten Starplatz
Wer mal selber ein bisschen rechnen möchte, kann das mit diesen drei Exceltabellen tun (10 Minuten Geduld bitte, ich muss sie erst hier einstellen):
i) Raketengrundgleichung für mehrstufige Raketen (auch Parallelstufung/Booster):
https://drive.google.com/open?id=1WjDkYT39uoSZUnhEsvsY2dD1XWIK2cwdDer Raketenschub ist nur wichtig, wenn die zu berechnende Rakete Booster hat, denn es wirkt sich ja der Abwurfzeitpunkt der Booster auf das delta-v aus.
ii) Auswirkung der Erdrotation und notwendiges Delta-v für Orbit:
https://drive.google.com/open?id=1RMMQAwyPpZ4L7Q_vMEELvJVURV1lN5FPv_rot ist die von der Rakete aufzubringenge Geschwindigkeit nach Einbeziehung der Erdrotation, v_eff_Erdrotation ist der Geschwindigkeitsgewinn/Verlust durch Erdrotation. Mehr Infos zu den Formeln hier:
https://www.orbiterwiki.org/wiki/Launch_Azimuth#Rotation_of_the_EarthWichtig: Zusätzlich zu v_rot muss die Rakete auch noch die anfallenden Aufstiegsverluste aufbringen, man muss die Werte addieren. Die hängen von dem Raketentyp ab, eine erste Näherung sind 1600m/s.
iii) Hiermit kann man auch noch das Delta-v für Änderungen des Orbits aus einer Parkbahn heraus berechnen:
https://drive.google.com/open?id=1eAWjVpR3C7STgCF8XlXb6yy0jWcEU4CGAngenommen wird ein ein-Impuls-Manöver, das am höchsten Bahnpunkt die Inklination anpasst und den niedrigsten Bahnpunkt auf die gewünschte Höhe anhebt.
"Auch da stellt sich natürlich wieder die Frage nach der Masse der zusätzlichen Kosten. Umso günstiger Raketen werden (auch vom Treibstoff) umso mehr könnten sich ja auch nicht ideale Startplätze trotzdem lohnen."
Der optimale Startplatz hängt natürlich von allem Möglichen ab, aber wenn man nur Bahnmechanik&operationelle Kosten nimmt, folgende Überlegungen:
-je geringer der Anteil des Trägersystems an den gesamten Missionskosten, desto weniger wichtiger ist ein Startort mit minimalem delta-v. Der Trend ist hier uneindeutig: Startsysteme werden günstiger (Ariane-6, Falcon-9), für die zukünftig wichtigen Satellitenkonstellationen ist der Anteil der Startkosten an den Gesamtkosten aber höher als bei traditionellen Missionstypen
-je geringer der Anteil der Transport- und reinen Startkosten an den Gesamtkosten des Trägersystems, desto attraktiver wird ein entlegener Startort mit minimalem delta-v
-je höher die Inklination der anzusteuernden Bahnen, desto weniger wichtig wird ein äquatornaher Startplatz