Risikomanagement

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Offline tomtom

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Risikomanagement
« am: 24. Februar 2017, 01:37:05 »
Keith Cowing, NasaWatch schlägt Wayne Hale als NASA Administrator vor, weil der in seinem neuen Blog analysiert, welche strukturellen und kulturellen Probleme die NASA jetzt lösen muß:
1. interne Rivalität
2. geistig-hemmende Bürokratie
3. erstarrender Hang zum Perfektionismus

Hale erzählt aber auch von seiner Freude, einen Fensterplatz im Flugzeug zu haben und erinnert sich an die Transitionphase 2008/09, als Flexible Path erfunden wurde, dass sehr schnell zu dem Nicknamen "Path to Nowhere" mutierte.

https://waynehale.wordpress.com/2017/01/14/the-triumph-of-the-flexible-path/

Sehr aufschlußreich,
und ja, Hale sollte NASA-Chef werden auch wenn es sicher nicht dazu kommen wird.
Im Zweifel hilft die Such-Funktion:
https://forum.raumfahrer.net/index.php?action=search

Re: Risikomanagement
« Antwort #1 am: 24. Februar 2017, 09:39:25 »
Na gut, die drei Probleme sind allerdings schon ewig bekannt.  ;)

(MINDESTENS seit 30 Jahren.)

Hale hat bei vielen Sachen recht, aber wir reden hier über einige der Hauptgeburtsfehler der NASA.

tobi

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Re: Risikomanagement
« Antwort #2 am: 24. Februar 2017, 09:43:25 »
Scheint so als gäbe es weder "ein" DLR noch "eine" NASA. ;)

Re: Risikomanagement
« Antwort #3 am: 24. Februar 2017, 09:54:44 »
Hier übrigens der Hale Blogpost auf den Cowing hingewiesen hat.

https://waynehale.wordpress.com/2017/02/22/king-for-a-day/

xwing2002

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Re: Risikomanagement
« Antwort #4 am: 24. Februar 2017, 12:26:39 »
Der dritte Punkt seines Blogbeitrages ist hochbedenklich. Im Grunde sagt er: hey, Raumfahrt ist gefährlich, das wissen wir alle und wir sollten dieses Risikio akzeptieren, so haben wir's beim Apollo-Programm erfolgreich auch gemacht.

Damit hat er sowohl recht, als auch unrecht.

Wir alle wissen, dass bemannte Raumfahrt Leben kosten kann und wird. Es ist wie bei der Formel 1. Es ist nicht die Frage OB es wieder einen tödlichen Unfall geben wird, sondern WANN.
Und es ist die Aufgabe aller Beteiligten dafür Sorge zu tragen, dass dieses WANN möglichst lange vermieden und herausgezögert wird.

Es gab keine beheizten O-Ringe vor der Challenger-Katastrophe, niemand hat vor dem Columbia-Unglück abgeplatzten Isolierschaum als Gefahr betrachtet oder hätte aufwendige Post-Launch-Untersuchungen des Hitzeschutzschildes im Weltraum veranschlagt.
Aber sobald man die Konsequenzen von etwas kennt wäre es fahrlässig es nicht zu tun.
Die Kriterien für bemannte Raumfahrt sind heute andere als 1969 - weil es mehr Erfahrungen gibt.
Hale zieht daraus den Schluss wieder zur Metalität zurück zu kehren, es im Weltraum einfach mal wieder mehr drauf ankommen zu lassen. Und bemäntelt das mit "Ja, schwer, da eine Balance zu finden zwischen Unglückvermeidung und einfach mal machen.".
Wie man diese Balance findet - um die Antwort drückt er sich.
Groundtests und Datenerhebungen sind vielleicht hemmend, zugegeben, aber wer entscheidet wie und wann es genug es? Das ist die Kernfrage.

Natürlich kann es bei der Raumfahrt keine 100%ige Sicherheit geben. Niemals. Aber wie entscheidet man, was sicher genug ist um Menschenleben davon abhängig zu machen? Dafür liefert er keine Kriterien.
Er sagt nur: Leute, wenn ihr's zu perfekt machen wollt, dann fliegt ihr nicht.
Mag ja stimmen... aber wie entscheidet man, was noch unternommen werden sollte VOR dem bemannten Test und was überflüssig ist?

Tatsache ist... es sind Unfälle, die einen das lehren. Danach weiß man immer, was man hätte anders machen sollen.
Das ist die Wahrheit, um die er sich drückt - und für die er keine Entscheidungshilfe anbietet.
Und das ist das Dilemma in dem NASA steckt.
Unglücke, die ein Projekt Minimum zwei Jahre am Boden halten wenn es Menschenleben gekostet hat. Oder zum Erliegen bringen.

In Punkt drei kritisiert er ohne Lösungen anzubieten. Das ist mir zu einfach.

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Offline Therodon

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Re: Risikomanagement
« Antwort #5 am: 24. Februar 2017, 12:44:31 »
Wir alle wissen, dass bemannte Raumfahrt Leben kosten kann und wird. Es ist wie bei der Formel 1. Es ist nicht die Frage OB es wieder einen tödlichen Unfall geben wird, sondern WANN.
Und es ist die Aufgabe aller Beteiligten dafür Sorge zu tragen, dass dieses WANN möglichst lange vermieden und herausgezögert wird.

Das Problem dabei ist, das "sehr sicher" und wirklicher Fortschritt sich oft ausschließen.
Raumfahrt ist gefährlich und da stellt sich durchaus die Frage, ob man nicht mehr Risiko geht, wenn es eben notwendig ist.
Das fängt ja schon bei der Frage der Technik an. Nimmt man jetzt nur Technik die endlos lange getestet wurde? Auch auf die Gefahr hin das sie in dem Moment wo man sie freigibt, im Grunde schon wieder "alt" ist?

Mehr Risiko oder zumindest weniger Perfektionismus könnten die Raumfahrt durchaus stark voran bringen.

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Offline Pham

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Re: Risikomanagement
« Antwort #6 am: 24. Februar 2017, 13:21:24 »
...

Die Administration sucht Raumfahrtprojekte, die man innerhalb 4 Jahren, also noch während Trumps Amtszeit vollenden kann.

Viel Glück bei dieser Suche! ;D
Was mich dabei beruhigt, ist das was da zwischen den Zeilen steht:
Das Trump durchaus damit rechnet, nach 4 Jahren nicht wieder Präsident der USA zu werden. Wäre er sich dessen in seiner unnachahmlichen Art der Selbstüberschätzung sicher, würde dort "8 Jahre" stehen.

Trump kann und darf froh sein, wenn innerhalb von 4 Jahren das SLS mit Orion das erste Mal zu einem unbemannten Flug abhebt.
Müssten wir allein dem gesunden Menschenverstand vertrauen, so wäre die Welt noch immer eine Scheibe.

xwing2002

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Re: Risikomanagement
« Antwort #7 am: 24. Februar 2017, 13:49:29 »
Mehr Risiko oder zumindest weniger Perfektionismus könnten die Raumfahrt durchaus stark voran bringen.

Ich teile Deine Meinung. Mein Problem... und scheinbar auch das von Hale, denn er gibt darauf keine Antwort... ist: wer legt fest wieviel Risiko akzeptabel ist und wann genug Perfektionismus betrieben wurde?

Wann halte ich lediglich Ingenieure und Analysten davon ab sich zu umfangreich auszutoben - und wann mache ich den gleichen Fehler wie bei Challenger und sollte ihnen genau zuhören?

Wer legt das fest? Wer hält dafür seinen Kopf hin? Hale? Falls er berufen wird?
DAS ist das Problem - und es wird durch diesen Aufsatz nicht gelöst.

Re: Risikomanagement
« Antwort #8 am: 24. Februar 2017, 14:01:59 »
Das Problem ist halt, dass gerade weil bemannte Raumfahrt immer noch extremst teuer ist und ohne staatliche Projekte nichts wirklich läuft tote Astronauten ein no go sind.

Hale hat hier scheinbar eher eine "Omlett und Eier" Mentalität. Aber die ist, da hast du vollkommen recht, extrem fahrlässig, siehe die von dir genannten Katastrophen.

@Trump:

Vor allem eines, dass man ihm schön bunt per Powerpoint präsentieren kann.  ;D

(Es gibt ja vermehrt Hinweise, das er möglicherweise funktioneller Analphabet ist. Falls ihr jetzt denkt, wie zum Teufel ist er dann so reich geworden.... tja, das wäre schon komplett OT.....)


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Offline tomtom

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Re: Risikomanagement
« Antwort #9 am: 24. Februar 2017, 14:19:15 »
Mir gefiel die Diskussion über Risikoakzeptanz und -grenzen in dem Thread Trump nicht so gut und mache einen neuen auf.
Im Zweifel hilft die Such-Funktion:
https://forum.raumfahrer.net/index.php?action=search

Re: Risikomanagement
« Antwort #10 am: 24. Februar 2017, 14:26:07 »
Wir alle wissen, dass bemannte Raumfahrt Leben kosten kann und wird. Es ist wie bei der Formel 1. Es ist nicht die Frage OB es wieder einen tödlichen Unfall geben wird, sondern WANN.
Und es ist die Aufgabe aller Beteiligten dafür Sorge zu tragen, dass dieses WANN möglichst lange vermieden und herausgezögert wird.

Das Problem dabei ist, das "sehr sicher" und wirklicher Fortschritt sich oft ausschließen.
Raumfahrt ist gefährlich und da stellt sich durchaus die Frage, ob man nicht mehr Risiko geht, wenn es eben notwendig ist.
Das fängt ja schon bei der Frage der Technik an. Nimmt man jetzt nur Technik die endlos lange getestet wurde? Auch auf die Gefahr hin das sie in dem Moment wo man sie freigibt, im Grunde schon wieder "alt" ist?

Mehr Risiko oder zumindest weniger Perfektionismus könnten die Raumfahrt durchaus stark voran bringen.
Einfach zu sagen, wenn es nicht um das eigene Leben geht und man im Zweifelsfall auch keine Verantwortung für den Tod anderer trägt.
"Dragon 2 is designed to be able to land anywhere in the solar system. Red Dragon Mars mission is the first test flight." - Elon Musk

xwing2002

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Re: Risikomanagement
« Antwort #11 am: 24. Februar 2017, 16:32:43 »
Erinnert Euch mal an das "Mars One" Projekt. Oder wie ich es auch sarkastisch nenne "Mars sehen und sterben".
Von allen technischen Unmöglichkeiten und dem Realitätscheck des Projektes mal abgesehen - da wurden Menschen für eine Marsmission ohne Rückfahrkarte gesucht.
Und da gab es keinen Mangel an Bewerbern. Überhaupt nicht.
Und natürlich können wir viel früher Fußabdrücke auf dem roten Planeten feiern, wenn wir uns nicht um das lästige überleben dort kümmern müssten und die Rückkehr der Marsastronauten auf ihren Heimatplaneten.
Sollten wir es deswegen so handhaben?

Man findet Bewerber für so gut wie jedes Risiko. Man findet sie sogar für Missionen, die ihr Leben ganz sicher auf's Spiel setzen.
Bedeutet das, dass solche Missionen gerechtfertigt sind... weil Menschen sie eingehen?

Es ist eine extrem schwierige technische und ethische Antwort zu finden auf die Frage "Wieviel Risiko darf sein?"

Und wieviel Risiko ist dem Verständnis nach als akzeptabel einzurechnen?
Die Luftfahrt macht das. Technische Ausstattung gegen menschliche Verluste aufzurechnen. Das ist unethisch, aber es ist so.
Und die Frage ist - wie viel von dieser Mentalität will ich bei Raumfahrt zulassen zugunsten von Innovation.

Ich finde diese Frage sehr komplex... weswegen mir der Hale-Beitrag zu einfach gefasst ist.

McPhönix

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Re: Risikomanagement
« Antwort #12 am: 24. Februar 2017, 18:59:50 »
Ich finde Mars One kann man nicht als Mass nehmen. Klar, wer da mitmacht weiss was Sache ist.
Aber Astronauten auf einer "normalen" Mission möchten heil zurück und auch ihre Familie. Die wissen aber auch dass nicht mehr Apollozeiten sind und dass die technischen Mittel für eine ungleich höhere Sicherheit vorhanden sind. Und sie wissen, dagegen stehen nur politische und Management Probleme. Und sie wissen auch, dass es am Geld genau nicht liegt angesicts dessen,  was zu menschenschädigenden Zwecken verschleudert wird. Also denen braucht man mit "geht nicht" garnicht kommen. Die dürfen fordern.

xwing2002

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Re: Risikomanagement
« Antwort #13 am: 24. Februar 2017, 20:46:46 »
Ich finde auch dass Astronauten das fordern und erwarten dürfen.
Was also meint Hale?

Er schreibt in seinem Blog:
https://waynehale.wordpress.com/2017/02/22/king-for-a-day/

Zitat
But these days, after Columbia, the agency is paralyzed by requiring too much:  too much data, too many tests, too much analysis.

Zitat
In diesen Tagen, nach Columbia, war die Behörde gelähmt davon zu viel zu wollen: zu viele Daten, zu viele Tests, zu viel Analyse.

Und:

Zitat
But real space flight is actual flight, not studies and ground tests.  It is difficult to find the balance of having done enough to be reasonably sure of success and safety and to get on with a project and actually fly.  I hate the term ‘risk averse,’ but as much as it makes my teeth grate, the effect of wanting to make every detail perfect has the same outcome as cowardice: never flying.

Zitat
Aber wirkliche Raumfahrt heisst wirklich fliegen, nicht Studien anstellen und Bodentests. Es ist schwierig die Balance zu finden zwischen vernünftiger Gewissheit alles für Erfolg und Sicherheit getan zu haben und dem Vorankommen eines Projektes und dem tatsächlichem Flug. Ich hasse den Begriff "risikoscheu" aber ich muss zähneknirschend sagen, alles bis ins kleinste Detail perfekt zu machen hat das gleiche Ergebnis wie Feigheit: niemals zu fliegen.

Und ich finde das ins Blaue geredet.

Die Columbia wurde im März 1979 an die NASA ausgeliefert. Es hatte gute Gründe, warum sie erst im April 1981 gestartet ist... und es war Risiko genug Young und Crippen mit einem nur in Einzelkomponenten getesteten STS starten zu lassen.
Das hat doch nichts mit risikoscheu zu tun... die Buran ist unbemannt geflogen.

So lange  Ingenieure und Wissenschaftler finden, dass es noch unbekannte und denkbare Fehlerquellen gibt, so lange fliegt man nicht bemannt. Das hat Challenger gelehrt.

Außerdem tut Hale so, als könne die NASA übermorgen Astronauten in eine Kapsel setzen... wenn sie nur etwas risikofreudiger unterwegs wäre und weniger testwütig. Und auch das fällt mir schwer das nachzuvollziehen.

Schneefüchsin

  • Gast
Re: Risikomanagement
« Antwort #14 am: 24. Februar 2017, 21:08:01 »
Was mich dabei beruhigt, ist das was da zwischen den Zeilen steht:
Das Trump durchaus damit rechnet, nach 4 Jahren nicht wieder Präsident der USA zu werden.

Nicht zwangsweise. Es kann auch als Wahlkampfhilfe in 4 Jahren gedacht/gewünscht sein.

---
Aber zum Thema rasch.

Und wieviel Risiko ist dem Verständnis nach als akzeptabel einzurechnen?
Die Luftfahrt macht das. Technische Ausstattung gegen menschliche Verluste aufzurechnen. Das ist unethisch, aber es ist so.

Dies ist Zwangsweise so.
Beispiel: Es werden gelegentlich Leute an Straßenübergängen überfahren oder auch nur angefahren. Ethische Lösung zum Schutz der querenden Fußgänger. Alle Straßenübergänge werden durch Fußgängerbrücken oder Fußgängertunnel ersetzt.
Oder allgemein, ist der Straßenverkehr gefährlich. Lieber gleich sämtliche Autos und so abschaffen.

Der Punkt ist, dass die Lösungen die das beste Ergebnis bringen entweder unbezahlbar wären, jedenfalls in unserer Gesellschaft, oder absolut unerwünscht.


Zu der Frage, wie viel Risiko man eingehen sollte ist immer auch eine Frage, wie einfach es sich eindämmen lässt.
Eine Rakete, die bei der Hälfte der Starts scheitert, wäre recht teuer, da man für jede Mission statistisch 2 starten müsste. Wäre ein möglicher Performancegewinn oder günstiger Preis bei einer solchen Rakete diese hohe Fehlerquote wert? höchstwahrscheinlich nicht.
Bei einer solchen Rakete lässt sich bestimmt einfach und ohne große Nachteile die Sicherheit steigern.
Wenn aber eine Rakete sagen wir nur alle 20 oder mehr Starts scheitert und die Verringerung des Risikos etwa den Preis zig Prozent aufschlägt, oder die Nutzlast der Rakete drastisch reduziert, wäre eine Risikoverringerung nicht mehr wirklich sinnvoll, da die Verbesserungskosten dafür die Umkosten eines Versagens deutlich übersteigen würden.

Mit Besatzung wird die Sache schon heikler. Natürlich kann man runterrechnen, was die Crew wert ist. Ausbildungskosten und Zeit, Witwenrenten und ähnliches für Hinterbliebene und so weiter. Der Blick auf diese Zahlen wird auch sicher genommen, denn wenn diese Umkosten die kosten einer sichereren Mission übersteigen ist klar, das man sicherer bauen muss.

Aber wie weit man ansonsten die Sicherheit hochsetzt ist freie Wahl der Entscheidungsträger, die sie dann mit irgendwelchen Statistiken und ähnlichem untermauern, damit es sinnvoll klingt.

Meine persönliche Meinung ist erschreckenderweise, dass solange Raumfahrt noch rar ist (Berufsastronauten und ein paar Wagemutige, die das Risiko gut kennen), man  ruhig nahe der finanziell errechneten Sicherheitsgrenze bleiben sollte. Auf diese Weise gibt es mehr Missionen und mehr Missionen bedeuten auch, das die Entwicklungskosten für Sicherheitsupgrades besser verteilt werden können und somit die Sicherheit auch so schon höher ist, als man im ersten Moment denken würde.
Hacken nur, die Entwicklungskosten müssen vor geleistet werden und sind sehr viel. Wo der optimale Sicherheitswert liegt lässt sich auch nicht sagen. Einerseits werden Risiken übersehen, überschätzt und unterschätzt. Zum anderen aber ist es im Bereich der Raumfahrt auch so, das die verschiedenen Raketen und Nutzlasten so unterschiedlich teuer sind, das man für jede Mission einen anderen Wert erhalten würde. Sogar wenn man die Missionen eines Raketentyps vermittelt wäre der Wert für verschiedene Raketentypen unterschiedlich.

@xwing2002:
Hale kritisiert nicht, wie viel vor dem erststart der der Columbia getestet wurde. Damals wurde einiges riskiert.
Er kritisiert, wie sehr man nach dem Columbiaunglück es mit Tests und Studien übertreibt. Ob sie übertreiben muss jeder für sich entscheiden. Anscheinend ist er jedenfalls der Meinung.

Grüße aus dem Schnee

xwing2002

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Re: Risikomanagement
« Antwort #15 am: 24. Februar 2017, 22:48:22 »
Ich bin mir bewusst, dass er die Zeit nach dem Columbia-Unglück meint.

Ich habe das Beispiel mit Young/Crippen angegeben, weil die Columbia numal (erschreckenderweise) der letzte Raumfahrzeugtyp ist, den die NASA in der bemannten Raumfahrt neu in Dienst genommen hat.
Ich habe es als Beispiel dafür genommen, dass man damals den Erststart mehrfach verschoben hat und trotzdem noch veritable Risiken eingegangen ist.
Diese Balance war erfolgreich.
Ich erwarte sie ebenso für jedes neue bemannte Raumfahrzeug - unter Einbeziehung des heutigen Kenntnisstandes um alle möglichen und denkbaren Fehlerquellen.
Ich erwarte, dass dieser Kenntnisstand ausgetestet wird.

Niemand kann Unglücksursachen ausschalten, derer man sich nicht bewusst ist - siehe Isolierungsschaumstoff bei STS-107.
Aber ich erwarte in der bemannten Raumfahrt, dass die denkbaren nach heutigem Wissensstand eliminiert werden. Bevor man fliegt - nicht learning by doing im Weltraum.
Deswegen gefällt mir Hales Gedankengang so wenig.

Jedes neue Raumfahrzeug ist auf seinen ersten Missionen Überraschungsei genug.
Wer sich mal den Spaß machen will - das sind die mission anomalies allein von STS-1:
https://www.jsc.nasa.gov/news/columbia/anomaly/STS1.pdf

Mir ist bewusst, dass man am Boden nicht alles testen kann. Ich bin aber auch nicht dagegen, dass man alles testet, was man am Boden testen kann. Selbst wenn es ein Projekt, besonders ein bemanntes, verzögert.
Im Weltraum kommen eh noch genug Erfahrungswerte dazu.

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Offline MR

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Re: Risikomanagement
« Antwort #16 am: 25. Februar 2017, 01:03:47 »
Hale kritisiert nicht, wie viel vor dem erststart der der Columbia getestet wurde. Damals wurde einiges riskiert.
Er kritisiert, wie sehr man nach dem Columbiaunglück es mit Tests und Studien übertreibt. Ob sie übertreiben muss jeder für sich entscheiden. Anscheinend ist er jedenfalls der Meinung.

Ich komme nicht umhin, ihm Recht zu geben. Bemannte Raumfahrt ist immer gefährlich. Man kann versuchen, das Risiko zu minimieren, aber irgendwann erreicht man einen Punkt, wo man es einfach nicht mehr bezahlen kann. Dabei bleibt selbst bei allen Tests der Welt immer noch ein Risiko. Was nützt es, wenn die Trägerrakete ein so hohes Sicherheitsniveau hat, das jeder Start 10 Milliarden kostet? Irgendwann wird auch eine Raumkapsel mal so von einem Mikrometeoriten oder Weltraummüll getroffen, das ein Fenster zerstört wird. Dann helfen alle Tests und alles Geld der Welt nicht mehr weiter. Wenn die Besatzung nicht zufällig gerade Druckanzüge trägt, wird sie diesen Vorfall nicht überleben.

In meinen Augen ist es sinnvoller, Opfer von Anfang an mit einzukalkulieren. Das wird bei jeden großen Bauprojekt von Anfang an getan. Egal ob Hochhäuser, Tunnelbau oder sonst etwas, man rechnet bereits vor dem Beginn der Arbeiten mit einer gewissen Zahl von Opfern. Das mag hart klingen, ist aber so. Warum soll es bei der bemannten Raumfahrt anders sein, als zb im Straßenverkehr? Einzige alternative wäre es, die bemannte Raumfahrt komplett einzustellen.

Re: Risikomanagement
« Antwort #17 am: 25. Februar 2017, 02:36:08 »
Wäre eine Risikominimierung nicht schon gegeben, wenn man am bewährten einfach festhält und dies ständig verbessert, siehe Sojus-Rakete. Das Space Shuttle Programm war doch im Grunde auch erfolgreich. Vielleicht hätte man es nicht aufgeben sollen, sondern aus den Fehlern lernen und es fortsetzen. Ich denke das wäre billiger gewesen, als wieder etwas neues und unbekanntes zu entwickeln. Ein Restrisiko wird es leider immer geben, aber ich denke jeder der bereit ist ins All zu fliegen, ist sich dessen bewußt. Deshalb stellt sich mir die ethische Frage nicht, ob man Menschenleben riskiert, solange alles getan wird um das Risiko so gering wie möglich zu halten. Noch fliegen wir in den Weltraum um zu forschen und zu entdecken, da gehört ein Restrisiko mit dazu.

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Offline MR

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Re: Risikomanagement
« Antwort #18 am: 25. Februar 2017, 02:51:23 »
Ich bin schon lange der Meinung, es war Irrsinn, das Shuttle-Programm einzustellen und alles einem neuen Mondflugprogramm zu opfern, das eh keine Chance hatte. Man hatte zuverlässige Triebwerke und Booster und eine Menge Erfahrung mit dem Betrieb einer bemannten, wiederverwendbaren Raumfähre. Klar, nach Columbia musste etwas geschehen. Es war klar, das die alten Orbiter langsam ausgemustert werden mussten. Sinnvoll wäre ein Shuttle-2.0 gewesen. Anstellen einem Typ Orbiter entwickelt man zwei Typen, die aber in den meisten Teilen identisch sind. Zum einen wieder einen bemannten Orbiter, mit geringer Nutzlast aber dafür mit Rettungssystem für die Besatzung. Um Unfälle wie den der Columbia auszuschließen, hätte man das Cockpit als eine Art Raumkapsel im Shuttle entwickeln können. Fallschirme brauchte man eh, warum also nicht gleich selbst stabilisierend mit ablativen Hitzeschild. Dann hätte die Besatzung bei Start und Wiedereintritt eine bessere Überlebenschance gehabt. Als zweiten Typ Shuttle dann einen unbemannten, der große Lasten (rund 40 t) in den LEO bringen kann. Bis auf die Besatzungskabine wären beide Typen in den meisten Bereichen identisch gewesen. Natürlich hätte man auch sonst einiges ändern bzw an den aktuellen technischen Stand anpassen müssen, unter anderem auch ein stabilerer Hitzeschild am Orbiter.

Natürlich wäre das nicht billig geworden, aber wenn man mal überlegt, was die NASA alles so in Ares, Orion, CCDev und die unbemannte ISS-Versorgung gesteckt hat, wäre das vermutlich nicht teurer gewesen.

xwing2002

  • Gast
Re: Risikomanagement
« Antwort #19 am: 25. Februar 2017, 09:57:25 »
In meinen Augen ist es sinnvoller, Opfer von Anfang an mit einzukalkulieren. Das wird bei jeden großen Bauprojekt von Anfang an getan. Egal ob Hochhäuser, Tunnelbau oder sonst etwas, man rechnet bereits vor dem Beginn der Arbeiten mit einer gewissen Zahl von Opfern. Das mag hart klingen, ist aber so. Warum soll es bei der bemannten Raumfahrt anders sein, als zb im Straßenverkehr? Einzige alternative wäre es, die bemannte Raumfahrt komplett einzustellen.

Ich lasse mich auf Deine unemotionale Kosten- Nutzenrechnung ein und argumentiere... wenn jemand (oder viele) vom Gerüst stürzt, überfahren wird oder mit dem Flugzeug abstürzt kommt nicht das Bauprojekt, der Straßen- oder Luftverkehr zum erliegen.

Aber wenn in der bemannten Raumfahrt eine Crew während der Mission stirbt, dann ist NASA rund zwei Jahre grounded.
Das ist kostenintensiv, gefährdet das Projekt an und für sich (sowie alle, die davon abhängig sind) und beschädigt das Image tiefgreifend.

Es macht deswegen für NASA keinen Sinn Opfer umfassender einzukalkulieren - wohl aber sie nach allen Kräften zu vermeiden.

McPhönix

  • Gast
Re: Risikomanagement
« Antwort #20 am: 25. Februar 2017, 12:01:03 »
Ja dieser Faktor des "Spektakuläääären" ist heute viel mehr zu beachten. Durch die Mediensch*** reagieren die Menschen ja viel weniger auf das langdauernde Leid der kleinen Leute. Aber so ein Astronautentod kann ja auch von den NASA Gegnern gleich wieder als Werkzeug benutzt werden.

Schneefüchsin

  • Gast
Re: Risikomanagement
« Antwort #21 am: 25. Februar 2017, 12:11:14 »
Dass sie so lange grounden, liegt mit daran, dass die Nasa beim Shuttle erst wieder unmengen Tests und Untersuchungen macht, anstatt einen erkannten (vielleicht auch nicht identifizierten) Teil des Restrisikos zu akzeptieren.
Dies ist genau der Punkt den Hale meint. Wenn etwas passiert ist die Nasa zu scheu bald weiter zu machen.

Ich sage nicht, das es keine Untersuchung geben soll, aber 2 Jahre unterbrechung und dann kam dabei fast nichts raus?
Ja, sie wussten was das Problem war, dies wurde aber nicht wirklich behoben, sondern nur ein Prüfungsplan erstellt. Dafür sind 2 Jahre sehr viel.

Wie das Image darunter leidet ist übrigens auch abhängig davon, wie die Verantwortlichen auftreten.
Sofort weiter machen ohne zu Untersuchung und ganz klar das Risioko beibehalten, tut dem Image weh.
Panisch sich zu verkrichen und am ende kaum etwas zu haben ist aber auch nicht besser.
Das beste ist eher, zu suchen und wenn man merkt, es geht kaum einzudämmen oder man findet sogar nichts, weiter zu machen und dies auch klar zu sagen, sowie, dass man sich des Risikos bewust ist. Bei letzterem ist das Wort der folgenden Asronauten besonders gewichtig.

Jeder der Mitfliegt, weiß, das er ein Risiko eingeht, und akzeptiert dieses.

Als Beispiel mal etwas aus der übrigen Welt.
Die toteswahrscheinlichkeit in Forstbetrieben der Schweiz (ich habs nicht für deutschland gefunden) liegt bei 0,79%. Ob jährlich, oder auf die gesammte Berufszeit weiß ich nicht.
https://janzz.technology/sie-lieben-das-risiko-top-ten-der-gefahrlichsten-jobs-der-schweiz/?lang=de

PS.: Zum Columbiaunglück frage ich mich auch immer, warum danach der Tank nicht mit einer Folie oder einem Netz überzogen wurde, um solche Bruchstücke zu verhindern.

Grüße aus dem Schnee

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Offline Sensei

  • Raumcon Moderator
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Re: Risikomanagement
« Antwort #22 am: 25. Februar 2017, 12:26:42 »
Zitat
So lange  Ingenieure und Wissenschaftler finden, dass es noch unbekannte und denkbare Fehlerquellen gibt, so lange fliegt man nicht bemannt. Das hat Challenger gelehrt.

Nein, das hat es nicht.
Es ist schlichtweg Unmöglich, alle unbekannten aber denkbaren Fehlerquellen auszuschließen.

Schon eine Vollpanzerung der Kapseln gegen Mikrometeoriten würde wohl deren Gewicht gut verdoppeln.

---
Auch sonst stimme ich eher Hale zu.
Die Risikoabwägung (und eine Abwägung wird es IMMER geben) wird schlicht von den zuständigen NASA Stellen geschehen müssen.

Ein gutes beispiel für die übertriebene Risikoscheue der NASA nach Challenger ist doch das geforderte LOC Risiko für Ares und das ganze HickHack welches darauf folgte  ::)

ps: laut NSF -  the design requirement numbers per the Architecture Requirements Document

Zitat
Constellation:
LUNAR LOM 1 in 20
ISS LOM 1 in 200
LUNAR LOC 1 in 100
ISS LOC 1 in 1000

Orion's Contribution will be limited to:
LUNAR LOM 1 in 50
ISS LOM 1 in 250
LUNAR LOC 1 in 200
ISS LOC 1 in 1700

Ares' Contribution will be limited to:
LUNAR/ISS LOM 1 in 500
LUNAR/ISS LOC tbd (not defined yet)

Alatair's Contribution will be limited to:
LUNAR LOM 1 in 75
LUNAR LOC 1 in 250

EDIT: Bernd hat einen wert von 2021 für LOC bei CLV/AresI
-
Wo ich Xwing allerdings vollständig recht geben muss, ist, dass man die Außenwirkung von Fehlschlägen als öffentliche Organisation zwingend mit einberechnen muss

xwing2002

  • Gast
Re: Risikomanagement
« Antwort #23 am: 25. Februar 2017, 12:31:44 »
@McPhönix
Es geht nicht um die "kleinen" oder "großen" Leute, sondern um die Fähigkeit des Menschen häufiges und andauerndes Leid als Normalität oder Tatsache zu akzeptieren, während "ungewöhnliches" ihm denkwürdiger in Erinnerung bleibt.

Deswegen akzpetieren wir bedeutend mehr Tote durch Autounfälle als verbesserungswürdige Normalität während uns spekatuläre Flugzeugabstürze im Gedächnis bleiben.


2003 explodierte eine VLS-1-Rakete in Brasilien und tötete 21 Menschen. Wer erinnert das?
Aber Challenger erinnern viele. Es ist keine Frage der Verluste, es ist auch eine der Umstände.
Wenn die NASA Menschen verliert, dann wird das weltweit von vielen registriert und erinnert. Ich will keine Wertigkeit von Menschenleben gegeneinander aufwiegen, sicher nicht - aber der Druck und die Auswirkungen von Crewverlusten sind für NASA schwerwiegend.
Und es macht deshalb Sinn, dass sie besonderen Wert auf maximale Sicherheit legt. Nicht aus humanitären Gründen, sondern aus dezidiert eigenem pragmatischen Interesse.

@Schneefüchsin

Ich bin ganz anderer Ansicht als Du. Nach einem Unglück mit einer nicht identifizierten Unglücksursache weiter zu machen und einfach zu hoffen, dass es eine einmalige Anomalie war ist fahrlässig.
Ich finde auch nicht, dass die Untersuchungen nach den beiden Shuttleunglücken ergebnislos waren - alles andere als das.

Unglücke sind Lehrstücke. Egal ob Auto, Zug, Flugzeug, Schiff oder Raumfahrzeug... nichts hat je die Sicherheit mehr verbessert als die Konsequenzen, die wir aus Unglücken gezogen haben.
Wenn wir uns nicht die Zeit nehmen ihre Lehren zu verstehen, dann nehmen wir ihnen den einzigen positiven Aspekt, den man aus ihnen ziehen kann und hemmen Verbesserung.

@Sensei
Ich sage nicht, dass alle Fehlerquellen auszuschließen sind. Da gibt es technische Grenzen, sinnvolle Grenzen - aber manchmal kann man auch einfach einen O-Ring beheizen. 
Das mögliche muss getan werden.

McPhönix

  • Gast
Re: Risikomanagement
« Antwort #24 am: 25. Februar 2017, 12:38:14 »
@XWing - schon klar, eigentlich hab ich nichts Anderes gesagt :) Irgendwie befriedigend ist es allerdings nicht. Aber das wäre jetzt OT....