Philae-Technikthread - Anflug, Landung, Verankerung, Power, Kommunikation

  • 119 Antworten
  • 65072 Aufrufe

tonthomas

  • Gast
Hier soll es um die technische Ausstattung und das Funktionieren des Landers hinsichtlich seiner raumflugtechnischen Einrichtungen gehen.

Gruß   Pirx

klausd

  • Gast
Warum hat man eigentlich nicht mal über eine Art Kontaktgel nachgedacht, möglichst weich und klebend?

Gruß, Klaus

*

Online MX87

  • *****
  • 1783
Die erzeugt man eigentlich den "Gegendruck" damit die Harpunen Philae nicht wieder vom Kometen "wegdrücken"?

Bei der geringen Gravitation reicht das Gewicht des Landers auf keinen Fall. Hat man chemische Triebwerke in Philae eingebaut?
"Whoopie! Man, that may have been a small one for Neil, but that's a long one for me."

*

Offline pikarl

  • Portal Redakteur
  • *****
  • 4673
    • AstroGeo Podcast
@Klausd: Gibt es sowas denn wie ein Gel, das auf einer potentiell eher staubigen Oberfläche haftet?

Offline Tuner

  • **
  • 82
Hallo Klaus,

die Frage meinst Du doch nicht ernst ;D , oder?

Aber es belebt das Forum!

LG
Sven

klausd

  • Gast
@Klausd: Gibt es sowas denn wie ein Gel, das auf einer potentiell eher staubigen Oberfläche haftet?

Nun sollte der Staub nicht von den "Bremstriebwerken" entfernt werden? Bei richtig viel Staub à la Sandkasten wird aber auch mit dem Bohrer schwer.

Fakt ist, man kennt die Oberfläche nicht an der Stelle, wo der Lander konkret aufsetzt. Ist sie Knochenhart, dann hat man mit den hier eingesetzten Werkzeugen ein Problem.

die Frage meinst Du doch nicht ernst ;D , oder?

Was ist denn an der Idee verrückt?

Gruß, Klaus

klausd

  • Gast
Hat man chemische Triebwerke in Philae eingebaut?

Yepp!

Gruß, Klaus

*

Offline Uwe

  • ****
  • 306
In einer der Liveübertragungen von der Kontaktaufnahme wurde ja drüber gesprochen.

Ich hab es jetzt so in Erinnerung:
Die vermuteten Bodenverhältnisse reichen von ziemlich staubig bis zur Konsistenz von festem Schnee - aber kein Fels. Die Harpunen dringen ein und können regenschirmartig Streben ausklappen und sollen dann auch in Staub genügend Halt bieten. Wenn's "Schnee" ist, klemmen sie ja auch so fest. Auf der Oberseite des Landers gibt es eine Kaltgasdüse, die den Lander an die Oberfläche drückt damit er beim Abschießen der Harpunen nicht weggedrückt wird.

Gruß Uwe

klausd

  • Gast
Durch welche Beobachtung / Erkenntnis konnte man die harte Oberfläche ausschließen?

Gruß, Klaus

Offline Liftboy

  • ****
  • 439
Ich meine in Erinnerung zu haben, dass er sagte, die Harpunen würden auch bei Gletschereis noch wirken - dort etwa 3cm eindringen und den Lander halten können. In einer meterdicken Schnee/Staubschicht würde es auch funktionieren, weil die Harpunen sich wohl in dem Falle nach dem eindringen wie ein Fächer ausbreiten können.
Wirklich ausschließen konnte man keine Oberfläche, man versucht einfach ein so großes Spektrum wie möglich abzudecken und hofft, das es klappt.

Getestet (und gefertigt?) übrigens in Österreich, die haben hoffentlich Erfahrungen mit Schnee und Eis :)

*

Offline Uwe

  • ****
  • 306
Wikipedias Meinung über die Zusammensetzung von Kometen:
Zitat
In großer Entfernung von der Sonne bestehen Kometen nur aus dem Kern, der im Wesentlichen aus zu Glas erstarrtem Wasser, Trockeneis, CO-Eis, Methan und Ammoniak mit Beimengungen aus meteoritenähnlichen kleinen Staub- und Mineralienteilchen (zum Beispiel Silikate, Nickeleisen) besteht.

Also kein festes Gestein. Das kann ja nur unter großem Druck entstehen, also auf großen Himmelskörpern. Diese "dreckigen Schneebälle" aus der Anfangszeit des Sonnensystems haben ja nie solche Drücke erlebt.  ;)
Andererseits klingt "zu Glas erstarrtes Wasser" auch ganz schön hart. :-\

Aber deshalb fliegen wir ja hin: um zu gucken, wie es wirklich aussieht.

*

Offline Schillrich

  • Raumcon Berater
  • *****
  • 19601
"Zu Glas erstarrtes Wasser" hört sich eigenartig an. Passt diese Analogie überhaupt?
\\   //    Grüße
 \\ ///    Daniel

"We are following you ... but not on twitter." (Futurama)

*

Offline Terminus

  • *****
  • 5093
Denke schon. Basalt oder Granit ist ja eigentlich auch nur "zu Stein erstarrte Lava". Genauso wie von erstarrtem Glas oder Eisen kann ich mir auch von Eis vorstellen, dass es Steine und Felsen bildet, die richtigen Temperaturen vorausgesetzt. Basalt, Granit oder überhaupt Lavagestein sind zwar nicht so "sortenrein" wie Glas, Eisen oder Eis, aber rein von der Physik her dürfte deren Verhalten ähnlich sein. :)

Terminus

PS: Ach so, jetzt sehe ich erst, dass das ein Zitat aus der Wikipedia ist. So für sich genommen ist die Aussage natürlich Quatsch, Wasser wird beim Erstarren nicht zu Glas.   ;D

*

Offline Schillrich

  • Raumcon Berater
  • *****
  • 19601
Wie wird Glas definiert? Bei Wikipedia steht einiges:

Zitat
Glas ist eine amorphe Substanz
Das passt erstmal nicht zu Eis. Eis ist irdisch ein Kristall/kristalliner Festkörper mit regelmäßiger Struktur. Es gibt aber auch "amorphes Eis", in dem die Moleküle unregelmäßig im Festkörper angeordnet sind. Das scheint im Weltall die dominante Form des Eis' zu sein. Schnelle Abkühlung/Unterkühlung von Wasser verhindert die regelmäßige Kristallanordnung.

Zitat
Thermodynamisch wird Glas als gefrorene, unterkühlte Flüssigkeit bezeichnet.
Das könnte für Kometen grob passen ... wobei der Begriff "Flüssigkeit" da draußen schwierig ist. Wann war das Wasser dort flüssig?

Zitat
Diese Definition gilt für alle Substanzen, die geschmolzen und entsprechend schnell abgekühlt werden. Das bedeutet, dass sich bei der Erstarrung der Schmelze zum Glas zwar Kristallkeime bilden, für den Kristallisationsprozess jedoch nicht genügend Zeit bleibt. Das erstarrende Glas ist zu schnell fest, um noch eine Umordnung der Bausteine zu einem Kristall zu erlauben. Vereinfachend dargestellt entspricht somit der atomare Aufbau eines Glases in etwa dem einer Flüssigkeit.
Das führt die Punkte nochmal zusammen. Hört sich konsistent und gut und .

Zitat
Der Unterschied zwischen Gläsern und anderen amorphen Feststoffen liegt darin, dass Gläser beim Erhitzen im Bereich der Glasübergangstemperatur in den flüssigen Zustand übergehen, während nicht glasartige amorphe Substanzen dabei kristallisieren
Wahrscheinlich trifft das auf Kometen auch zu, wobei hier anstelle von flüssig wohl eher gasförmig zutrifft ... offenbar ohne einen kristallinen Übergang.


"Glas" scheint zu passen, wobei einige der o.a. Begriffe bei Wikipedia entweder zu eng definiert sind oder zu unscharf benutzt werden. Wieder was gelernt ... :)
\\   //    Grüße
 \\ ///    Daniel

"We are following you ... but not on twitter." (Futurama)

SpaceMech

  • Gast
Hallo - bin neu hier im Forum.
Da ich an der Entwicklung der Subsysteme von Philae mitgearbeitet habe,
kann ich vielleicht einige Zusatzinformationen liefern :

- die Harpunen sind für einen Bereich der Druckfestigkeit des Oberflächenmaterials
  von 2 kPa bis 2 MPa ausgelegt worden. Für Werte unterhalb 2 kPa, bis ca 0,1 kPa,
  würde der Lander so weit einsinken, dass seine Bodenplatte aufsetzt - Drehung auf dem
  Landegestell wäre dann nicht mehr möglich; das Programm wäre aber noch voll durchführbar.
  Für Werte unterhalb 100 Pa würde der Lander so weit einsinken, dass sein Programm
  stark eingeschränkt würde.
 
  Link zur Originalpublikation : www.lpi.usra.edu/meetings/lpsc2013/pdf/1392.pdf‎

  Detaillierte technische Beschreibung der Harpunen : http://www.esmats.eu/esmatspapers/pastpapers/pdfs/2003/thiel.pdf

  Gruss    HHg

McFire

  • Gast
Beim ersten Link kommt leider "...canot be found"
Aber das PDF ist ja echt faszinierend.

Interessant für mich ist, daß man Molybdensulfid auch weit "nach unten" einsetzen kann. Erstaunlich, daß die Ebenenverschiebung erhalten bleibt. Man hat ja sonst nur immer die Hochtemperaturanwendungen.
Wird eigentlich der Zündstrom (und dann der Anlaufstrom des Motors) mit SuperCaps gestützt oder reicht die Bordenergie?
Aber jedenfalls - glühende und dann verspritzende Wolframdrähte sind doch immer was Solides ! Das wird klappen !

SpaceMech

  • Gast
Hallo McFire ,

  seltsam - wenn ich das Link von Hand eingebe, kommt das PDF...
  Sonst : googeln "Preparing for Landing on a Comet, Biele" - dann kommt's.
 
  MoS-2 als Dünnschicht (PVD = physical vapour deposition) geht sehr gut auch bei kalten Temperaturen
  - haben wir auch bei den Mechanismen der DAWN Framing Cameras eingesetzt. (Einziger Nachteil:
  man darf nicht an Umgebungsluft testen, sondern nur unter Schutzgas mit < 5 ppm Wasserdampf)

  Zünden der Treibladungen: ist nicht so einfach, wie es klingt. Es gibt nicht so viel Erfahrung mit der
  Langzeitstabilität der Chemie; deshalb wurden nach dem Start von ROSETTA Langzeituntersuchungen
  über 10 Jahre u.a. auch der Treibladungen der Harpunen durchgeführt, im Ultrahochvakuum und bei 
  Flüssigstickstoff-Kühlung (am MPI für Sonnensystemforschung in Lindau). Die Resultate deuten darauf hin,
  dass man den Zündstrom noch mal modifizieren (erniedrigen) muss...

  Gruss     HHg

tonthomas

  • Gast
.... auch der Treibladungen der Harpunen durchgeführt, im Ultrahochvakuum und bei 
  Flüssigstickstoff-Kühlung (am MPI für Sonnensystemforschung in Lindau). Die Resultate deuten darauf hin,
  dass man den Zündstrom noch mal modifizieren (erniedrigen) muss...

  Gruss     HHg
Hallo HHg!

Schön, dass Du hier schreibts!

Was wäre denn die Folge eines zu hohen Zündstroms für die Treibladungen der Harpunen? Anderes, unerwünschtes Verhalten der Treibladungen?

Gruß    Pirx

*

Offline Gertrud

  • Raumcon Moderator
  • *****
  • 8759
Hallo @McFire,
Beim ersten Link kommt leider "...canot be found"
dieser Link müßte eigentlich gehen und führt zu dem Schreiben, das @SpaceMech reingesetzt hatte.

http://www.lpi.usra.edu/meetings/lpsc2013/pdf/1392.pdf

Mit den besten Grüßen
Gertrud
die Erklärung zu meinem Avatar:
http://de.wikipedia.org/wiki/NGC_2442
http://antwrp.gsfc.nasa.gov/apod/ap070315.html
***
Die Gabe des Staunens lässt uns die Welt aufgeschlossener sehen und ihre Wunder würdigen. (Richard Henry Lee)

SpaceMech

  • Gast
Zitat
Was wäre denn die Folge eines zu hohen Zündstroms für die Treibladungen der Harpunen? Anderes, unerwünschtes Verhalten der Treibladungen?

Es sieht so aus, als ob der ursprünglich eingestellte Strom die fuse wires schneller durchbrennen lässt,
als die Treibladung jetzt zum sicheren Zünden benötigt. Vermutlich wird man nun beide Harpunen parallel
zünden, so dass der Zündstrom pro Harpune halbiert ist. Die dadurch verlängerte Zeit bis zum Durchbrennen
hat in mehreren Tests zuverlässig zu Zünden geführt.

Gruss   HHg

tonthomas

  • Gast
...
Es sieht so aus, als ob der ursprünglich eingestellte Strom die fuse wires schneller durchbrennen lässt, als die Treibladung jetzt zum sicheren Zünden benötigt. Vermutlich wird man nun beide Harpunen parallel zünden,..  Gruss   HHg
Man bräuchte also bei einem Treibsatz länger den Strom, der dann die Sicherungensdrähte durchbrennt, bevor der Treibsatz reagiert. Wieder was gelernt, das macht klar, wo die Schwierigkeit liegt. Prima, danke.

Gruß    Pirx

P.S.: Da fällt mit gleich die nächste Frage ein: Gibt es dann für den Lander evtl. ein zusätzliches Problem, wenn beide Harpunen gleichzeitig aktiviert werden?

McFire

  • Gast
Aber ist denn "verspritzendes" Wolfram nicht besser zur Zündung über evtl. Abstand ? Die Sicherungen kann man vlt träger machen. Z.B. nicht als Draht, sondern als dünne Folie ausbilden. Und dann das Schutzgas etwas unter Druck setzen. Da bleibt der Auslösestrom gleich, aber das Metall heizt nicht so schnell auf.

PS: Danke @Gertrud, das geht :)

SpaceMech

  • Gast
Die erzeugt man eigentlich den "Gegendruck" damit die Harpunen Philae nicht wieder vom Kometen "wegdrücken"?

Bei der geringen Gravitation reicht das Gewicht des Landers auf keinen Fall. Hat man chemische Triebwerke in Philae eingebaut?

Der Andruck beim Bodenkontakt wird über ein kleines Kaltgas-Triebwerk erzeugt: ein Hochdruck-Tank mit Inertgas
speist über ein kommandierbares Regelventil eine  kleine Expansiondüse. Bezeichnung : Active Descent System (ADS).
Mit diesem Subsystem kann man einmal die Abstiegszeit zur Kometenoberfläche beeinflussen (zusätzliche Sinkgeschwindigkeit bis zu 1 m/s), andererseits den Lander beim Aufsetzen gegen die Oberfläche drücken, bis der Aufwickelmechanismus das Seil der Harpune(n) gestrafft hat.
Hier zwei Aufnahmen dieses Subsystems vom Lander-Strukturmodell (STM) bei abgenommener Solarzellenhaube:
 oben sieht man die kleine Düse, darunter den torus-förmigen Hochdrucktank

http://www.pic-upload.de/view-22091743/ADS-STM-1.png.html
http://www.pic-upload.de/view-22091767/ADS-STM-2.png.html

(irgendwie klappt das mit dem Einbinden von Bildern bei mir noch nicht...)

Gruss   HHg

SpaceMech

  • Gast
Die Energieversorgung von Philae

beruht auf zwei sich ergänzenden Konzepten:
einmal einer Primärbatterie , Lithium-Thionylchlorid-Zellen von SAFT (LSH20) organisiert als 4 x 8 Zellen mit insgesamt 1500 Wh
zur Erstversorgung des Landers, zum anderen eine Sekundärbatterie mit Lithium-Ionen-Zellen von SANYO (18650), organisiert als
4 x 7 Zellen mit insgesamt 280 Wh (Angaben ohne Derating). Diese Sekundärbatterie kann im Unterschied zur Primärbatterie
von den Sonnenzellen des Landers wieder nachgeladen werden und soll den Betrieb des Landers über einen längeren Zeitraum ermöglichen.
 Die Primärbatterie war vor dem Start voll geladen und sollte bei der Landung auf dem Kometenkern noch mindestens zu 90% geladen sein.
Wie bereits vor der Hibernation festgestellt wurde, hat die Sekundärbatterie in einer der vier Säulen einen Wackelkontakt, so dass man sicher nur mit den übrigen 3 Säulen rechnen kann (also 210 Wh). Weiterhin wurde ein (sehr geringer) parasitärer Kriechstrom festgestellt, der die Sekundärbatterie schleichend entlädt – aus diesem Grund wurde die Sekundärbatterie vor der Hibernation voll geladen, um zu verhindern, dass die Zellenspannung im Laufe der Hibernation unter den kritischen Wert von 2,5 Volt/Zelle absinkt (unterhalb dieser Schwelle werden die Zellen permanent geschädigt).
Die Untersuchung des Zustands der beiden Batterien wird eine der ersten Aktivitäten beim Philae-Checkout im März 2014 sein.
Energieintensive Aktivitäten noch vor der eigentlichen Abtrennung, wie zB das Aufwärmen der Elektronik oder das Hochfahren des eingebauten Schwungrads auf 8.000 rpm werden von der Stromversorgung des Orbiters übernommen (über die Umbilical-Verbindung) und gehen so nicht auf Kosten der kostbaren eigenen Batteriekapazität.

Gruss          HHg

Offline chrisi01

  • ****
  • 293
    • Homepage
Hallo

@SpaceMech genau das sind die Infos die ich am allerliebsten lese, ich bin kein Wissenschaftler und irgendwelche Bodenproben o.ä. interessieren mich wenig aber ein absoluter Technikffreak. Am liebsten lese ich hier Technikbeiträge und deine sind eine von den besten in letzter Zeit hier. DANKE!

P.S. Hast du auch Infos zur Kommunikation und den Boardcomputer von Philae?

Gruß

Chris