Liebe Mit-Sternenfreunde und Mit-Weltraum-Enthusiasten,
im Thread 'Falsche Nachrichten in der Presse' wollte das Thema, da OT, nicht anschneiden:
https://forum.raumfahrer.net/index.php?topic=2379.msg#msgDie Idee Heribert Illigs vom 'erfundenen Mittelalter' und der 'Phantomzeit' hat sehr viel mit Astronomie zu tun.
Illig kam auf seine 'Theorie', da ihm eine - vermeintliche - Unstimmigkeit in der Geschichte der Kalenderreformen.
Er bemerkte, dass bei der Kalenderreform von Papst Gregor XIII. im Jahr 1582 eigentlich 13 Tage hätten gestrichen müssen, um die Frühlingstagundnachtgleiche wieder am 21. März feiern zu können. (Tatsächlich war das Problem die Berechnung des Osterdatums.) Nun wurden tatsächlich nur 10 Tage gestrichen worden.
Gregors Astronomen waren der Ansicht, dass die Tag- und Nachtgleiche 'richtigerweise' am 21. März liegen müsse - im Jahr 1582 lag sie nach dem Julianischen Kalender auf dem 11. März.
Ob nun rund 300 Jahre im Kalender 'zuviel' sind, hängt davon ab, ob das Frühjahrs-Äquinoktium im Jahre 44 v. u. Z. (Kalenderreform durch Julius Caesar) oder 325 u. Z. (Konzil von Nicäa, auf dem beschlossen wurde, dass Karfreitag am ersten Freitag nach dem ersten Vollmond im Frühling begangen werden sollte) am 21. März lag.
Wenn 325 der Frühlingsanfang am 21. März lag, ist die Welt der Historiker in Ordnung. dass frühe Mittelalter fand statt.
Illig ist aber der Ansicht, dass schon zu Caesars Zeit der Frühlingsbeginn am 21. März begangen wurde, und führt dafür historische Indizien an (etwa die Sonnenuhr des Augustus).
Allerdings gab es eine alte römische Tradition, den Frühlingspunkt auf den 25. oder 24. März zu setzen - Caesar hätte also die römische Tradition zugunsten etwa der griechischen Tradition ignorieren müssen. (Was ihm durchaus zuzutrauen wäre.)
Es gibt keinen Hinweis darauf, ob die Tag- und Nachtgleiche im Jahr 325 am 21. März begangen wurde - oder wegen der ungenauen julianischen Schaltregel am 18. März. Das Konzil ging einfach davon aus, dass der Frühlingsbeginn am 21 läge - unbekannt ist, ob aufgrund konkreten Beobachtung oder 'weil es im Kalender stand'. Dass die gregorianische Reform die Wiederherstellung 'der Himmelskonstellation zu Caesars Zeiten' (so Illig) zum Ziel hatte, ist ein populärer Irrtum, auch wenn er in vielen Nachschlagewerken und Astronomiebüchern steht.
Um die Frage, wer Recht hat, Illig oder die 'herkömmliche' Geschichtsschreibung, müsste man wissen, ob der Frühlingspunkt zu Zeit Caesars – auf den 24. oder 25. März gelegt wurde. Bis zum Konzil von Nicäa wäre er damit auf den 21. März vorgerutscht.
Es gibt dafür tatsächlich ein gutes Indiz - die Tatsache, dass Weihnachten am 25. Dezember gefeiert wird. Das tatsächliche Geburtsdatum Jesus Christus ist nicht überliefert. Nach der Christianisierung wurde das Weihnachtsdatum auf den Feiertag des 'Sol invictus', des unbesiegbaren Sonnengottes gelegt. Es ist bekannt, dass es diesen Feiertag schon zur Zeit des Kaisers Hadrian gab, wahrscheinlich ist er noch älter. Das logische Datum für eine Feier des Sieges des Sonnengottes ist die Wintersonnenwende, bzw. der Morgen nach der längsten Nacht. Das spricht dafür, dass im alten Rom die Wintersonnenwende am 24. oder 25. Dezember begangen wurde, Entsprechendes gilt auch für die Tag- und Nachtgleichen.
Ein anderes Argument sind die Aufzeichnungen der Sonnen- und Mondfinsternisse. Illig und seine Anhänger weisen zurecht darauf hin, dass es für die Spätantike praktisch keine exakt zurückrechenbaren Finsternisberichte gibt. Und ungefähre Übereinstimmungen gäbe es auch, wenn man den Kalender um 300 Jahre verschiebt.
Tatsächlich ist es aber so, dass sich, betrachtet man die Quellen aus unterschiedlichen Kulturen, sich das Netz der Beobachtungen von Finsternissen sehr gut stabilisiert, ungeachtet einige ungenauer Einzelbeobachtungen. Schließlich wurden nicht nur in Europa und im Nahen Osten astronomischen Ereignisse aufgezeichnet, die Astronomie der Inder und Chinesen war weit fortgeschritten, und auch die Priesterastromen der Mayas und Azteken waren in ihren Aufzeichnungen sehr gewissenhaft. Und außerhalb Europas konnten Illigs Kalenderfälscher nicht zuschlagen.
Alle anderen Indizien für Behauptung, dass 300 Jahre des Mittelalters nicht stattgefunden hätten, fanden Illig und seine Anhänger 'post festum', nachdem sie von ihrer Theorie überzeugt waren. (Übrigens sind die archäologischen Indizien Illigs ziemlich fadenscheinig. Z. B. gibt es sehr wohl eine karolingische Kulturschicht, die es, wäre das frühe Mittelalter eine Erfindung, nicht geben dürfte.)