Hallo,
Welche Regeln soll man bei Gravity Turn beachten, um die Rakete nicht zu zerstören? Wie soll die Geschwindigkeitsvektor ausgerichtet werden?
Auch wenn es wohl zu spät ist und du deine Prüfung bereits erfolgreich gemeistert hast (davon gehe ich mal aus
), versuche ich es mal ein wenig zu erläutern:
Kurze Antwort: beim Gravity Turn zeigt der Geschwindigkeitsvektor immer in Längsrichtung der Rakete (= Anstellwinkel 0°), auch der Schubvektor ist so ausgerichtet. Die Gravitation übernimmt den Rest.
Doch nun etwas ausführlicher. Erstmal ein paar Begriffe:
angle of attack (Anströmwinkel): Winkel zwischen Körperlängsachse und Geschwindigkeitsvektor
pitch angle (Nickwinkel): Winkel zwischen Körperlängsachse und Horizont
flightpathangle (Flugpfadwinkel): Winkel zwischen Geschwindigkeitsvektor und Horizont
Ausserdem gilt: pitch = flightpathangle + angle of attack
Beim
Lift-Off steht die Rakete senkrecht auf dem Starttisch, pitch ist 90°, flightpathangle und angle of attack sind nicht definiert (keine Geschwindigkeit!). Nach dem Lift-Off hebt die Rakete senkrecht nach oben ab, pitch ist weiterhin 90°, angle of attack ist 0°, flightpathangle ebenfalls 90° (Geschwindigkeit v zeigt wie Rakete nach oben). Hat die Rakete eine bestimmte Höhe erreicht kann sie gekippt werden. Dies kann z.B. etwas mehr als die Höhe des Startkomplexes sein (Blitzableiter, Serviceturm etc.) oder deutlich mehr. Die Mindesthöhe wird eingehalten um eine Kollision der Rakete mit dem Startkomplex zu verhindern weil man die Rakete dreht und damit deren "Hintern" ausschert.
Das Kippen der Rakete ist das
Pitch-Over Manöver, pitch wird hier verkleinert, z.B. von 90° auf 80°. Diese Phase dauert nur kurz. Da der Geschwindigkeitsvektor etwas "träge" ist und sich nicht sofort neu ausrichtet (Vektoraddition), stimmen pitch und flightpathangle hier nicht überein. Folglich hat man einen kleinen Anstellwinkel (selbst grössere Anstellwinkel wären kein Problem solange die Rakete noch relativ langsam ist). Ist Pitch auf 80° angekommen, wird der Winkel noch kurz beibehalten um die Anstellwinkel wieder auf 0° zu bekommen. Man wartet also bis der Geschwindigkeitsvektor wieder in Richtung Raketenlängsachse zeigt (nach ein paar Sekunden Beschleunigung): angleofattack=0°, pitch=flightpathangle. Real ist der Übergang in die nächste Phase jedoch fliessend. Sobald der Flugpfadwinkel ungleich 90° ist (also nicht mehr vertikal), kommt die Gravitation ins Spiel und es folgt der
Gravity-Turn: Hier gilt
immer pitch = flightpathangle. Also kein Anstellwinkel. Ohne Anstellwinkel wird die Rakete also nur direkt von vorn angeströmt, minimale Querschnittsfläche, minimaler aerodynamischer Widerstand, aber viel wichtiger: keine seitlichen aerodynamischen Kräfte! Diese würde nämlich die Rakete mit ihrer dünnen Aussenhaut sofort zerstören (oder man müsste die Wände deutlich stabiler bauen --> schwere Rakete --> wenig Nutzlast).
Sicher hast du schon einmal beim Speerwurf gesehen wie der Speer sich von allein dreht. Obwohl er mit der Sitze nach oben abgeworfen wird, landet die Spitze wieder als erstes auf dem Boden. Genau das gleiche passiert mit der Rakete. Die Gravitation erzeugt ständig eine senkrechte Fallbeschleunigung und damit Geschwindigkeitskomponente nach unten. Addiert man eine "
schräg nach oben" gerichtete Geschwindigkeit vektoriell mit der nach unten gerichteten Fallgeschwindigkeit, ergibt sich eine neue Geschwindigkeit welche etwas horizontaler ausgerichtet ist. Also dreht sich der Geschwindigkeitsvektor der Rakete und die Rakete selber.
Auf Planeten mit einer dichten Atmosphäre ist es wichtig die Atmosphäre möglichst schnell zu überwinden, also senkrecht aufzusteigen, dann relativ spät ankippen damit die Gravitation die Rakete dreht. Man kann zwischendurch auch antriebslos gleiten bis die Rakete horizontaler ausgerichtet ist (besonders sinnvoll wenn man lange vertikal aufgestiegen ist und der Treibstoff bereits knapp ist). Dabei steigt die Rakete weiterhin auf, gewinnt somit an Höhe. Irgendwann ist die Geschwindigkeit nur noch horizontal und der Gipfelpunkt ist erreicht. An diesem Punkt sollte die Rakete bereits ausserhalb der dichten Atmosphäre sein. Somit kann hier die Rakete prinzipiell in jede Richtung gedreht werden (irgendein pitch) in die sie beschleunigen soll: Keine Atmosphäre, kein Luftwiederstand! Praktisch beschleunigt man hier aber horizontal um die Rakete in den Orbit einzuschiessen. Beim realen Flugprofil kann man hier oft nochmals ein Höhenverlust feststellen. Da hier die Orbitgeschwindigkeit noch zu klein ist für einen Kreisorbit, fällt die Rakete wieder ein bisschen nach unten (in Richtung Perizentrum).
Das Gravity Turn Manöver verwendet man übrigens nicht nur zum Aufstieg sondern auch zum Landen auf Körpern ohne Atmosphäre (z.B. Apollo auf Mond). Es hat sich einfach als sehr praktisch erwiesen
Cosmo