Stabilisierungs-/Orientierungssysteme sowjetischer Satelliten

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Offline max-q

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Ich bin ja etwas scheu davor, hier auch mal ein neues Thema aufzumachen. Da ich aber mehr historisch interessiert bin und hier auch die sprachliche / technische Kompetenz versammelt ist, hoffe ich auf Hilfe bei einigen technischen Aspekten, die mich überfordern.
Ich bin beim stöbern im Netz auf diese Biographie http://www.rtc.ru/encyk/biogr-book/17S/2549.shtml gestoßen. Juri Saltykow war offenbar über Jahrzehnte an der Entwicklung von Verfahren zur Stabilisierung/Orientierung sowjetischer Satelliten beteiligt. Die aufgeführten Ersteinsätze der Verfahren hatte ich bisher so nicht gelesen. Allerdings habe ich bei einigen Verfahren Zweifel an meinen 25 Jahre zurückliegenden Schulrussisch-Kenntnissen und dem Ergebnis diverser Online-Übersetzungstools. Außerdem fehlt mir teils eine Vorstellung der konkreten technischen Umsetzung. Vlt. kann mir jemand helfen?
Hier meine "Erkenntnisse":
  • Kosmos 149 u. 320: Versuch der aerodynamischen Stabilisierung (es gibt diverse Fotos des "Strela" (dt. Pfeil) genannten Satelliten im Netz)
  • Kosmos 166, IK-1: Kreiselstabilisierung um eine Achse -> gibt es einen deutschen Fachterminus hierfür?
  • Kosmos 426: System zur Orientierung an den Vektorlinien des Erdmagnetfelds -> dt. Fachterminus, heißt sowas heute Magnetorquer?
  • Kosmos 389 u. 1603: lt. Gxxgle trägheitsloses Schwerkraft Orientierungssystem -> wenn es sich nicht um einen festen Fachbegriff handelt, kann ich das "trägheitslos" nicht nachvollziehen; was muß ich mir darunter wohl vorstellen? die beiden Kosmos Satelliten waren übrigens die ersten Tselina-D bzw. Tselina-2 Satelliten und haben für meine Begriffe einen Ausleger zur Gravitationsgradienten-Stabilisierung
  • Kosmos 1656 u. 1714: Astro-Kamera zur Bestimmung der räumlichen Orientierung -> das muß ja mehr als ein gewöhnlicher Sternensensor gewesen sein; worin besteht der Vorteil eines solchen Systems gegenüber einem einfachen Sensor?
So, Ende der Fragestunde. Freue mich über alles Erhellende. Was mich verwundert ist, daß viele dieser technischen Lösungen so viele Jahre früher bereits von den USA perfektioniert worden waren. Zeigt sich hier bereits im Detail der technologische Rückstand der Sowjetunion?
Fragt sich,
    Olaf
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GG

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Re: Stabilisierungs-/Orientierungssysteme sowjetischer Satelliten
« Antwort #1 am: 09. März 2013, 15:48:30 »
Zu den letzten Punkten kann ich etwas sagen. Ein einfacher Sternsensor verfügt nur über einen kleinen Sichtbereich und behält quasi immer einen hellen Stern im Blick und sammelt Lageinformationen aus Sensoren, die die Stellung des Sternsensors zur Achse des Raumfahrzeugs ermitteln. Dies sind gewöhnlich zwei Winkelangaben. Daher war ein solcher Sensor früher auf einem beweglichen Ausleger montiert. Verliert der Sternsensor sein Ziel aus dem Blick, wird es u. U. schwierig, den Stern wieder zu finden. Normalerweise gibt es dafür noch einen Sonnensensor, damit man nicht so lange suchen muss.

Ein Cäsium-Sensor hingegen ist eine Fotozellenmatrix. Die Dinger wurden früher als Aufnahmeröhren in Fernsehkameras verwendet und haben somit zumindest einige Tausend "Pixel". Er macht aus Licht elektrische Ladung und dies in einem Raster. Damit kann man verfolgen, wenn der helle Leitstern aus der Mitte wandert und wie schnell. Das ist dann Futter für den Steuercomputer, den es bei Voyager schon gab. Für Sonnen- und Sternsensor gibt es auch Reservesysteme in den Voyagers. So ähnlich wird das auch bei sowjetischen Raumsonden gewesen sein.

Diese Art der Navigation nennt man übrigens trägheitslos. Bei Trägheitssystemen hingegen erfasst man auf der Basis eines Kreiselsystems (Trägkeitsmoment) Beschleunigungen und Richtungsänderungen (sind ja auch Beschleunigen dazu notwendig) und berechnet daraus die aktuelle Geschwindigkeit und Lage. Ein solches System wird allerdings im Laufe der Zeit immer ungenauer, da sich die Fehler ja aneinander reihen. Daher wird bzw. wurde ein solches System gewöhnlich beim Start verwendet und bei größeren Beschleunigungsphasen. Zwischendurch wird es anhand anderer Orientierungssysteme geeicht.

Man kann die Trägheitsnavigation mit der Radsensor-Navigation beim PKW (mit eingebautem Navigationssystem) vergleichen und den Sternsensor mit GPS. Hat man in einem Tunnel keine GPS-Signale, so kann das Fahrzeug dennoch mit Hilfe von Radsensoren recht genau berechnen, wie weit und in welche Richtung man gefahren ist, auch bei Lenkmanövern, wenn die Werte für rechtes und linkes Rad getrennt gemessen werden. Der Fehler liegt bei einem 1-km-Tunnel bei angenommenen 2 Metern.

Ist der "Blindflug", also der Tunnel allerdings 100 Kilometer lang, dann wäre der Fehler beträchtlich größer. Hat man dazwischen aber wieder Gelegenheit zur Eichung (Abgleichung mit GPS), so kann man nacheinander auch 90 Tunnel von jeweils 1 km Länge durchfahren, ohne große Abweichungen befürchten zu müssen.

Heute verwendet man Matrizen aus Halbleitersensoren, also CCDs, in sogenannten Sternscannern (Weitwinkelteleskope mit CCD-Chip im Fokus sowie Steuerrechner). CCD wurden 1969 erfunden, 1974 gab es einen ersten 100-mal-100-Sensor als Labormuster, 1976 kam das erste CCD mit einem Spionagesatelliten ins All. Außerdem besitzt der Steuerungscomputer ein Modell des Sternenhimmels (ähnlich wie bei Teleskopen mit GoTo) z.B. mit Sternen bis 5. Klasse, so dass er nach einem kurzen "Blick nach draußen" sofort seine Lage im Raum kennt. ;)

Die Orientierung nach Magnetfeldlinien wird heute in der Flugzeugnavigation verwendet. Außerdem sind derartige Sensoren heute in elektronischen Kompasse und auch in vielen Smartphones eingebaut. Das muss dann eine "frühe Version" eines solchen Systems gewesen sein.

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Offline max-q

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Re: Stabilisierungs-/Orientierungssysteme sowjetischer Satelliten
« Antwort #2 am: 09. März 2013, 16:47:53 »
Danke Günther! Damit sehe ich schon etwas klarer. Vor allem die Frage Sensor vs. Kamera/CCD hatte ich mir schon ähnlich selbst "beantwortet". Mal schaun, ob ich noch was finde, was für Technik da eingesetzt wurde. CCDs würden für Kosmos 1656 (Start 1985) ja etwa passen.
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GG

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Re: Stabilisierungs-/Orientierungssysteme sowjetischer Satelliten
« Antwort #3 am: 09. März 2013, 18:28:43 »
Das muss nicht unbedingt zutreffen. In der Raumfahrt verlässt man sich oft auf Bewährtes. Auch die NASA/ESA-Jupitersonde Galileo hatte noch einen Star Scanner auf Röhrenbasis.

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Offline max-q

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Re: Stabilisierungs-/Orientierungssysteme sowjetischer Satelliten
« Antwort #4 am: 09. März 2013, 18:52:31 »
Das muss nicht unbedingt zutreffen. In der Raumfahrt verlässt man sich oft auf Bewährtes. Auch die NASA/ESA-Jupitersonde Galileo hatte noch einen Star Scanner auf Röhrenbasis.
Schon klar, aber ich meine in einem anderen Zusammenhang gelesen zu haben, dass Mitte der 1980er Jahre die ersten CCDs auf sowjetischen Satelliten geflogen sind. Und zu dieser Zeit nahm ja der Halbleitereinsatz auch in der Sowjetunion deutlich spürbar zu. Auch höher integrierte Schaltkreise waren nun verfügbar. Wie gesagt, ist das aber nur eine Annahme von mir vor dem Hintergrund, dass die Technik als Ersteinsatz herausgestellt wurde. 1985 noch Technik auf Röhrenbasis neu einzuführen halte ich für unwahrscheinlich.
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