Lebenserhaltungssysteme

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knt

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Lebenserhaltungssysteme
« am: 01. Mai 2011, 00:55:53 »
Lebenserhaltungssysteme sind wohl eine der Schlüsseltechnologien für die bemannte Raumfahrt. Da mich dieses Theme sehr interessiert, richte ich diesen Thread ein um Informationen darüber zu sammeln und darüber zu diskutieren.

Als Auftakt gebe ich einen Überblick über die US-amerikanische Systeme.

Das us-amerikanische System ist in Destiny und Tranquillity untergebacht. Das Environmental Control and Life Support System (ECLSS) besteht mehreren Komponenten:
  • Oxygen Generation System (OGS) befindet sich in Destiny und nutzt Electrolyse um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Das Wasser kommt dabei aus dem WRS.
  • Water Recovery System (WRS) recycelt Schmutzwasser aus der Toilette und dem THC. Das Wasser wird zu Trinkwasserqualität aufbereitet und kann direkt entnommen oder im OGS weiterverwendet werden.
  • Air Revitalisation System (ARS) entfernt CO2 und Bakterien aus der Atemluft. Das CO2 wird in den Weltraum abgelassen.
  • Temperature and Humidity Control (THC) befindet sich in Tranquillity. Es reguliert die Lufttemperatur und Luftfeuchtigkeit. Das der Luft entzogene Wasser wird in das WRS weitergeleitet.
Links:
Ein weiteres sehr interessantes System das jedoch derzeit nicht auf der ISS verwendet wird ist das europäische ARES: http://www.congrex.nl/09C13/01_01_Bockstahler.pdf

runner02

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Re: Lebenserhaltungssysteme
« Antwort #1 am: 01. Mai 2011, 10:14:04 »
Zitat
Das CO2 wird in den Weltraum abgelassen.

Das nenne ich mal Klima-Rettung  :D

Zitat
Oxygen Generation System (OGS) befindet sich in Destiny und nutzt Electrolyse um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten. Das Wasser kommt dabei aus dem WRS.

Der Wasserstoff wird auch in den Raum abgelassen?


Wäre es nicht sinnvoll, aus CO2 und Wasserstoff mittels der Bosch-Reaktion Sauerstoff und Methan zu machen? Dann würde man mehr Sauerstoff bekommen (weniger Nachfüllbedarf). Gibt es da keine Weltraumtauglichen Maschinen/Prozesse??

Und das Methan könnte man evt sogar als Treibstoff nehmen (zusätzlich zum Hydrazin-Stickstofftetroxid, also ein Dreistofftriebwerk) oder evt später für VASIMR...
Oder doch einfach ablassen.


EDIT: Bei Ares der ESA ist genau das geplant, hab ich grad gelesen ;)

knt

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Re: Lebenserhaltungssysteme
« Antwort #2 am: 01. Mai 2011, 11:33:33 »
Über ARES hat HAL einen Überblick im ISS-Forschungs Thread gegeben:

ARES - ein europäisches Air REvitalisation System für die ISS

Schon vor einiger Zeit bin ich auf das ARES-Projekt der ESA aufmerksam geworden, aber hatte bisher nichts greifbares zum posten gefunden. Nun, hier hab ich mal was nettes zum lesen....allerdings auf englisch.
http://www.congrex.nl/09C13/01_01_Bockstahler.pdf
(etwas über 2 MB, recht reich bebildert.)

Was ist ARES? Nun...hier nicht eine Raketenfamilie, sondern ein europäisches Lebenserhaltungssystem. Es soll durch Elektrolyse von Wasser und den Sabatier-Prozess aus Kohlendioxid Sauerstoff gewinnen, und somit die Lebenserhaltung auf der ISS unterstützen, bzw. weitere Redundanz bereitstellen.
Zunächst ist ARES nur ein Forschungsrack, das 2013 während wenigstens 6 Monaten laufen soll. Wenn es sich bewährt, wird man es aber in Betrieb behalten. :)

Als ISPR, also vollwertiges "Rack", müsste man es per HTV starten, vorgesehen wäre das für 2013. Es gibt aber auch Ersatzpläne, es "häppchenweise" per ATV und Progress als eine Art Bausatz zur ISS zu bringen. Seinen Platz fände es jedenfalls im Columbus-Modul. (...persönlich stand ich schon länger vor der Frage, was die ESA eigentlich mit ihrem Experiment-Rack-Platz 5 anfangen will....bisher ist da ein Lagerrack eingebaut, das/der ETC....)

Der Artikel ist wirklich ungemein ausführlich...ich picke mal ein paar Rosinen heraus.

-Jüngst wurde der Sabatier-Prozess auch ins amerikanische Lebenserhaltungssystem integriert, und läuft dort auf Probe. Zur Erinnerung: Kohlendioxid aus der Luft und Wasserstoff aus der Wasserelektrolyse werden miteinander umgesetzt, und so der Sauerstoff aus dem Kohlendioxid zurückgewonnen. Das ist der Sabatier-Prozess. Der neue Ansatz der ESA ist bemerkenswert: anstatt das Abfallprodukt Methan ins All zu entsorgen, denkt man an eine Rückgewinnung des Wasserstoffs - was den Kreislauf endgültig schliessen würde. Dies will man durch Pyrolyse des Methans erreichen - zu deutsch: Aufspaltung durch Hitze. Der dabei entstehende Kohlenstoff wäre dann das einzige Abfallprodukt. Ein unglaublicher Gewinn, denn da man auf einer heutigen Station wie der ISS die Nahrung sowieso noch nicht selbst gewinnen kann, ist es durchaus akzeptabel, den "verstoffwechselten" Kohlenstoff wegzuwerfen - solange man den Sauerstoffkreislauf einmal geschlossen halten kann. Das ist ein ganz wunderbarer Ansatz...der sich freilich erstmal bewähren muß....

-ARES braucht nun aber Wasser...
Was etwas hinderlich ist: Columbus hat kein System zur Wasserverteilung, etwa an ARES. Lediglich eines der drei Systemracks in Columbus verfügt über einen Raumluftentfeuchter, der sein Kondensatwasser normalerweise recht weit bis Tranquility/Node3 weiterleitet. Hier muß man wohl eine kleine Wasserleitung einbauen, die ARES' Durst stillt. Natürlich wird man auch ein Ventil für den Anschluß von transportablen Wasserbehältern in das Rack integrieren. Der tägliche Wasserbedarf(=Umsatz!!) kann hier um die 17 Liter betragen, denn es wird auch als Prozesswasser zur Dampferzeugung benötigt, nicht nur als Rohstoff.

-Im Normalbetrieb jenseits der Forschungs- und Erprobungsphase würde ARES für 3 "Mann" Besatzung Sauerstoff erzeugen und Kohlendioxid entsorgen. Die "halbe Miete", wenn man von 6 Personen Besatzung ausgeht.

-Ein ambitioniertes Vorhaben: dennoch ist es noch nicht sicher, das es auch wirklich umgesetzt wird. Der oben zitierte Artikel ist nicht mehr wirklich aktuell (Juni 2009), aber ich hoffe auf eine "Absegnung" durch die ESA als Auftraggeberin. Zu deutsch: Geld.....wie immer gehts um Geld....hier: Forschungsmittel. ;-)

Der zitierte Artikel gibt genaue Auskunft über tägliche Massenumsätze, Energiebedarf, Designerfordernisse etc, aber ich kann beim besten Willen nicht alles übersetzen. Lest euch mal rein, mich hat es jedenfalls gefesselt. Natürlich deutet man auch an, worauf man langfristig abzielt: Mond, Mars,.....

LG, HAL

Zitat
Wäre es nicht sinnvoll, aus CO2 und Wasserstoff mittels der Bosch-Reaktion Sauerstoff und Methan zu machen? Dann würde man mehr Sauerstoff bekommen (weniger Nachfüllbedarf). Gibt es da keine Weltraumtauglichen Maschinen/Prozesse??

Und das Methan könnte man evt sogar als Treibstoff nehmen (zusätzlich zum Hydrazin-Stickstofftetroxid, also ein Dreistofftriebwerk) oder evt später für VASIMR...
Oder doch einfach ablassen.
Den Bosch-Reaktion setzt ARES glaube ich nicht ein,oder? Stattdessen wird der Sabatier-Prozess genutzt (wie im amerikanischen System auch) - Hal hat das ja beschrieben, und auch geschrieben das man das Methan dann in einem zweiten Schritt in Kohlenstoff und Wasserstoff spalten will.

Die Bosch-Reaktion scheint mir aber besser geeignet zu sein, da er direkt Wasser und Kohlenstoff produziert, und auch weniger Wasserstoff benötigt (wenn ich die Formel richtig interpretiere)? Kennt jemand einen Grund dafür das man statt dessen den Sabatier-Prozess bevorzugt? Vielleicht braucht man eher Wasserstoff als Wasser um den Kreislauf flüssig..ehrm.. kreisen zu lassen?

Das Methan als Treibstoff zu benutzen hatten wir auch erst kürzlich in einem Thread angeschnitten. Ob das Sinn macht hängt meiner Meinung nach von der Menge des Methans ab die produziert wird. Wenn sich dadurch z.b. die Treibstofflieferung für den Reboost signifikant veringer ließe wäre das eine Überlegung wert. Auch die Abwegung der Energiedichte könnte helfen zu entscheiden ob das Methan sich besser als Treibstoff oder als Wasserstoff-Ressource nutzen lässt.

Ansonsten würde ich eher dazu tendieren den Kreislauf des Lebenserhaltungssystems zu schließen. Das der Prozess von ARES mit nur einem Abfallprodukt "endet" hat etwas geniales. In einer Zukünftigen Entwicklung findet sich für Kohlenstoff bestimmt auch noch eine Verwendung.

knt

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Re: Lebenserhaltungssysteme
« Antwort #3 am: 01. Mai 2011, 11:45:01 »
Noch ein Link mit einer grafik zur Verteiling der ECLSS Systeme in den einzelnen Modulen vom Februar 2010. Ausserdem ein Überblick über die US-Amerikanischen, russischen und europäischen Systeme - meh warum finde ich das erst heut *grml*: http://esamultimedia.esa.int/docs/hsf_research/ISS_User_Guide/30_ECLSS_web.pdf

Das europäische System wird dabei als Advanced Closed-Loop System (ACLS) identifiziert. Von der knappen Beschreibung ausgehen klingt es identisch zu ARES.

Der Wasserstoff wird auch in den Raum abgelassen?
Dazu habe ich zwei unterschiedliche Informationen: In http://resources.yesican-science.ca/iss07/ECLSS_Facts.pdf (von 2004) wird davon gesprochen das der Wasserstoff abgelassen wird. In http://esamultimedia.esa.int/docs/hsf_research/ISS_User_Guide/30_ECLSS_web.pdf (von 2010) wird davon geredet das der Wasserstoff im Sabatier-Prozess weiterverwendet wird.

knt

  • Gast
Re: Lebenserhaltungssysteme
« Antwort #4 am: 01. Mai 2011, 12:13:53 »
Hier gibt es ausführliche Informationen zum russischen Elektron System. http://www.jamesoberg.com/elektron2_tec.html

Elektron ist mit dem Oxygen Generation System zu vergleichen. Es nutzt Elektrolyse um Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff zu spalten.

runner02

  • Gast
Re: Lebenserhaltungssysteme
« Antwort #5 am: 01. Mai 2011, 15:09:58 »
Zitat
Ansonsten würde ich eher dazu tendieren den Kreislauf des Lebenserhaltungssystems zu schließen. Das der Prozess von ARES mit nur einem Abfallprodukt "endet" hat etwas geniales. In einer Zukünftigen Entwicklung findet sich für Kohlenstoff bestimmt auch noch eine Verwendung.


Stimmt.

Denn ein geschlossener Kreis ist auch ziemlich wertvoll...

Theoretisch könnte man in einem letzen Schritt folgendes machen: 6C + 6 H2O -> C6H12O6 Also Fruchtzucker aus Kohlenstoff und Wasser erzeugen. Das könnten die Astronauten essen und der Kreislauf wäre zu (Nur Vitamine und Proteine müssen dann halt noch angeliefert werden)

Ich denke, man kann Kohlenstoff aber auch ins ATV geben und verglühen lassen - oder einfach so über Bord werfen...

Oder evt könnte man auch VASIMR damit betreiben - wenn man den Kohlenstoff verdampft...

knt

  • Gast
Re: Lebenserhaltungssysteme
« Antwort #6 am: 01. Mai 2011, 15:17:46 »
Oder evt könnte man auch VASIMR damit betreiben - wenn man den Kohlenstoff verdampft...
Hmm, den Kohlenstoff als Stützmasse? Das ist ne Idee :)

runner02

  • Gast
Re: Lebenserhaltungssysteme
« Antwort #7 am: 01. Mai 2011, 18:58:58 »
Auf wikipedia steht ein Sublimationspunkt von 3642°C.... Da dürfte es schwer sein, Kohlenstoffgas durch die Leitungen zu pressen, ohne dass die Leitungen schmelzen...