Project HARP

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Lunar_Lander

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Project HARP
« am: 31. Juli 2008, 20:11:17 »
Hallo alle zusammen!
Ja, ich bin wieder zurück und ich beschäftige mich grad mit einem fast vergessenen Raumfahrtprojekt aus Kanada, Gerald Bulls Project HARP.

Project HARP hatte das Ziel, zunächst einmal Projektile mit einer 42cm-Kanone in große Höhen zu schießen. Dies waren die Martlet 1 und Martlet 2. Die Martlet 3 war eine Feststoffrakete, die aus der Kanone abgeschossen und dann gezündet wurde. Das ganze Projekt lief auf die Martlet 4 hinaus, eine dreistufige Feststoffrakete, die einen 25 kg schweren Satelliten in einen LEO-Orbit hätte befördern können. Leider wurde die Finanzierung 1967 eingestellt, kurz bevor ein Minisatellit von HARP in den Orbit geschossen werden konnte.

Auf Astronautix.com gibt es mehr Infos dazu, nur scheint die Seite gerade down zu sein. Schade :(.

Was meint ihr denn zu HARP? Grad heute, wo es viele Mikrosatelliten gibt, wäre dass doch eine günstige Alternative zu Großraketen, oder? Schließlich hätte man so täglich 6-8 Satelliten starten können!

Würd mich freuen, wenn ihr mal euren Senf dazu abgeben würdet ;)!

Re: Project HARP
« Antwort #1 am: 31. Juli 2008, 21:27:55 »
Wenn man sich Beschreibung der Person von Gerald Bulls bei Wikipedia (engl.) durchliest, bekommt man den Eindruck er sei ein "2. Wernher von Braun" gewesen. Damit meine ich nicht seine Leistungen, sondern seinen opportunistischen Charakter.
Natürlich ist Wikipedia jetzt keine historische Quelle und stellt das Ganze verkürzt dar. Aber bei wem er zur Verwirklichung seiner Ideen anheuerte und welche Projekte er dabei durchführte spricht eigentlich für sich ...
\\   //    Grüße
 \\ ///    Daniel

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Lunar_Lander

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Re: Project HARP
« Antwort #2 am: 01. August 2008, 11:56:21 »
Ja, Bull hat schon gute Arbeit geleistet. Schade, dass ihm die Finanzierung Mitte 1967 gestrichen wurde. Satelliten von 25-100 kg gibt es ja heute zuhauf und diese könnte man ja gut mit der Kanone starten. Und auch die Startrate pro Tag wäre natürlich traumhaft gewesen!

Ich habe auch eine weitere Idee, wie man die Kanone + Martlet 4 benutzen könnte. Diese Idee habe ich Forschungsprojekt Fire Rain genannt. Mehr Infos dazu später :)!
« Letzte Änderung: 01. August 2008, 11:56:44 von Lunar_Lander »

Re: Project HARP
« Antwort #3 am: 01. August 2008, 13:23:19 »
Zitat
Ja, Bull hat schon gute Arbeit geleistet. Schade, dass ihm die Finanzierung ...

Ich glaube du hast mich falsch verstanden. Ich wollte gerade nicht auf mögliche Leistungen ansprechen, sondern auf seinen Charakter und den mit Wenher von Braun vergleichen: Opportunisten (, die überall mitmachen, um ihren Traum zu verwirklichen).
\\   //    Grüße
 \\ ///    Daniel

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Lunar_Lander

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Re: Project HARP
« Antwort #4 am: 01. August 2008, 13:31:18 »
Ach so, ja. Da hab ich dich wohl wirklich falsch verstanden, sorry :).

Joa, Bull ist ja später dann in den Irak gegangen, um da seinen Traum von einer Orbitalkanone zu vollenden. Leider wurde er ja daraufhin erschossen. Aber dass er in den Irak ging, weil er dort die Möglichkeit sah, seit Projekt weiterzuführen...meinst du so etwas, Schillrich?

Was mich von der technischen Seite her noch interessieren würde: Könnte man die Kanone auf Barbados reparieren, oder müsste man eine ganz neue aufstellen? Hier sieht man die Kanone in ihrem jetzigen Zustand:
« Letzte Änderung: 01. August 2008, 13:31:36 von Lunar_Lander »

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Offline Chewie

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Re: Project HARP
« Antwort #5 am: 01. August 2008, 16:37:42 »
Bei einem Satelliten "Abschuss" treten ja extrem G-Kräfte auf. Da stellt sich für mich die Frage was für Satelliten man damit überhaupt in den LEO hätte bringen wollen?
"Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen." Niels Bohr

Lunar_Lander

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Re: Project HARP
« Antwort #6 am: 01. August 2008, 16:50:50 »
Das ist richtig. Bull hat aber festgestellt, dass bei größerem Kaliber und größerer Länge der Kanone, sowie hohem Geschossgewicht die Belastung abnimmt. Ein Schuss aus einer der 5-inch (12 cm) Kanonen brachte um die 50.000 G zusammen. Schüsse aus der großen 16-inch (42 cm) Kanone brachten es auf rund 12.000 G.

Für die Schüsse mit Martlet 1, 2 und 3 wurde die Bordelektronik in eine Mischung aus Epoxy und Sand eingegossen. Dadurch konnten sogar zwei Martlet 2 mit Langmuir-Sonden gestartet werden.

Bei der Martlet 3 gab es dann das Problem, dass der Feststoffantrieb vor der Beschleunigung geschützt werden musste, damit das Pulver nicht zu einer festen Masse komprimiert wurde. Dazu füllte man dann den mittleren Ausschnitt des Treibstoffs mit einer Flüssigkeit mit der gleichen Dichte wie der Treibstoff. Ich meine gelesen zu haben, dass diese Flüssigkeit Brom enthielt, bin mir aber nicht sicher.

Re: Project HARP
« Antwort #7 am: 02. August 2008, 11:14:41 »
Mit den Projekten aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts, die alle durch eine "geniale" Vereinfachung eine angeblich so wirtschaftliche Lösung bringen, habe ich so meine Probleme. Das Shuttle sollte ja auch die Kosten pro transportieren Kilo bei 100 Flügen pro Shuttle auf ein Zehntel reduzieren. Jetzt kann sich die Menschheit nicht mal mehr die 100 Flüge pro Shuttle leisten.

Da hat jemand eine pfiffige Idee, die es Wert ist, geprüft zu werden. Statt aber nach jedem Entwicklungsschritt zu prüfen, ob ganz neue Kosten (insbesondere Wartungskosten) entstehen könnten oder die angenommenen Stückzahlen erreicht werden, wird Koste was es wolle, das Projekt durchgesetzt oder scheitert am politischen Willen.  

M. E. taugt dieses Projekt nur für eine Kuriositätensammlung.
"Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen."
Immanuel Kant

Lunar_Lander

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Re: Project HARP
« Antwort #8 am: 03. August 2008, 14:44:58 »
Ja, STS und auch die OTRAG waren sicher solche Projekte.

HARP hat während der Zeit seines Bestehens (1961-1967) ja noch eine ganze Menge an Atmosphärendaten sammeln können. z.B. wurde Tri-Methyl-Aluminium aus den Projektilen abgelassen, welches einen 15 min sichtbaren Schweif gebildet hat, mit welchem man die Winde in der Ionosphäre bestimmen konnte. Man hat ja auch sogar zwei Langmuir-Sonden in die hohe Atmosphäre geschossen.

Ich finde es auch bemerkenswert, wie Bull seine Ansprüche zum Ende hin heruntergeschraubt hat. Erst wollte er noch einen 25 kg-Satelliten starten, dann wurde mit aller Eile der GLO-1A (Gun Launched Orbiter) vorbereitet und zum Schluss wollte Bull nur noch zum 200jährigen Bestehen von Kanada eine kanadische Flagge in den Orbit schießen. Des zeigt, wie er die Ansprüche reduziert hat, um überhaupt noch etwas in den Orbit zu bringen.

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Offline MX87

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Re: Project HARP
« Antwort #9 am: 03. August 2008, 15:10:22 »
Nach langer Forumsabstinenz melde ich mich zurück.

Das ganze erinnert stark an Jules Vernes "Von der Erde zum Mond". Ich denke diese Methode Satelliten in die Umlaufbahn zu bringen ist technisch durchaus möglich, allerdings nur für bestimmte Zwecke verwendbar. Hochempfindliche Forschungsapparaturen könnten beispielsweise nicht mit einer Kanone in die Umlaufbahn geschossen werden. Kleinere robuste Telekommunikationssatelliten allerdings schon.

Gerald Bull war sicherlich eine vielsichtige Persönlichkeit, der von Wernher von brauns sicherlich nicht unähnlich. Man könnte überspitzt sagen er ist der Wissenschaftler der seine Seele an den Teufel verkauft um seinen Traum zu erfüllen.

Im Fernsehen gab es mal eine äußerst interessante Doku zu Gerald Bull, man sah unter anderem auch sein ehemaliges Anwesen in Kanada. In den Umliegenden und zum Anwesen gehörenden Wäldern fand man  etliche Überreste von Bulls Kanonenversuchen.

"Whoopie! Man, that may have been a small one for Neil, but that's a long one for me."

Lunar_Lander

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Re: Project HARP
« Antwort #10 am: 05. August 2008, 13:07:58 »
Ja, Bull hat es eben mit allen Mitteln versucht, seinen Traum zu verwirklichen. Schade drum, dass er dabei an Hussein geraten ist...

Weißt du zufällig wie dieser Film heißt, wo die Highwater Range gezeigt wurde? Und ja, da in Highwater wurde eine zweite 16-inch-Kanone aufgestellt, aus der vor allem horizontale Schüsse abgefeuert wurden und das vor allem, um neue Techniken und Projektile zu testen, bevor sie auf Barbados eingesetzt wurden.

Zur Martlet 4 noch etwas: Für spätere Einsätze erwog man dann, die Nutzlast von 25 auf 100 kg zu steigern, vor allem dadurch, dass man erst die zweite und dritte Stufe und später dann die ganze Rakete auf Flüssigtreibstoff umgerüstet hätte. Durch den kleinen Antrieb hätte man dann auch verschiedenste Treibstoffkomponenten testen können, auch Flour.
Hätte man denn auch einen so kleinen Hybridantrieb bauen können? Ich weiß noch aus Die grenzenlose Dimension, dass der stärkste mögliche Antrieb aus Wasserstoff, Ozon und Beryllium bestehen würde. Wäre der Antrieb in der Martlet 4 möglich gewesen (mal abgesehen von der Giftigkeit des Berylliums)?

gorgoyle

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Re: Project HARP
« Antwort #11 am: 05. August 2008, 19:22:51 »
Zitat
... dass der stärkste mögliche Antrieb aus Wasserstoff, Ozon und Beryllium bestehen würde.

Interessant! Welchen Vorteil hat O3 gegenüber O2? Was macht das Beryllium?

Lunar_Lander

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Re: Project HARP
« Antwort #12 am: 06. August 2008, 10:01:47 »
Die drei Stoffe wären ein klassischer Hybridantrieb, wobei das H2 und das O3 flüssig wären und Beryllium die feste Komponente. Prof. Ruppe sagt, dass dieser Antrieb einige Probleme mit sich bringt, da O3 explosiv ist und das Beryllium zu BeO umgeformt wird, was seinerseits wieder sehr giftig ist.

In Die Grenzenlose Dimension, Band 2 befindet sich auf S. 28/29 eine lange Tabelle, die Dreifach-, Zweifach- und Einfach-Flüssigysteme vergleicht (unten steht dann noch etwas über Feststofftriebwerke).

Hier ist sie:

Name:         Verhältnis:      Energieinhalt E kWh/kg  1m3 wiegt [kg]
O3/Be/H2  47%/26%/27%             4,54                       225
O2/Be/H2  47%/26%/27%             4,25                       220
------------------------------------------------------------------------------
O3/H2              4:1                       3,96                       290
F2/H2               8:1                       3,65                       460
O2/H2              4:1                       3,35                       280
F2/N2/H4      2,22:1                      2,89                      1310
O2/N2/H4       0,9:1                      2,15                      1070
O2/Kerosin     2,56:1                     1,97                      1020
UDMH             1,34:1                      1,87                     1220
------------------------------------------------------------------------------
H2O2     90% H2O2+10% H2O       0,72                      1400
------------------------------------------------------------------------------
Hochleistungs-
Feststoff                                       1,71                      1770
------------------------------------------------------------------------------

Zwei Seiten später wird das System noch einmal genau erklärt, aber ich denke ich werde das einscannen um es euch hier zu zeigen :).

Lunar_Lander

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Re: Project HARP
« Antwort #13 am: 08. August 2008, 09:23:39 »
Nur kurz als Info: Der HARP-Artikel bei www.astronautix.com ist wieder erreichbar:


tonthomas

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Re: Project HARP
« Antwort #14 am: 08. August 2008, 17:21:17 »
Zitat
Ja, Bull hat es eben mit allen Mitteln versucht, seinen Traum zu verwirklichen. Schade drum, dass er dabei an Hussein geraten ist...

Weißt du zufällig wie dieser Film heißt, wo die Highwater Range gezeigt wurde?..

Evtl. ist es
"Gerald Bull - Des Teufels Ingenieur" bzw.
"Gerald Bull - A Deal with the Devil" / Discovery

Einen Spielfilm gibt es auch (von 1994):
"Doomsday Gun - Die Waffe des Satans" / e.m.s

Gruß   Thomas
« Letzte Änderung: 08. August 2008, 17:21:45 von tonthomas »

Crest

  • Gast
Re: Project HARP
« Antwort #15 am: 10. August 2008, 11:21:44 »
Weil Bull zu Beginn dieses Threads mit Werner von Braun verglichen wurde: Auch bei dieser Art von Waffe haben sich die Deutschen 'hervor getan'. Während des Zweiten Weltkriegs wurden in Deutschland ähnliche Projekte untersucht und auch gebaut.
Hier ein Wikipedia-Artikel dazu: http://de.wikipedia.org/wiki/V3

Lunar_Lander

  • Gast
Re: Project HARP
« Antwort #16 am: 12. August 2008, 09:38:09 »
Da gibt es schon eine interessante Parallele, denn die im Irak gebaute Kanone bestand wie schon die V3 aus einzelnen Segmenten, die zusammengeschraubt wurden.

Nur hat die V3 ja mit ihren am Lauf angelegten Pulverkammern eine andere Konstruktion als die HARP-Kanone, die ja ihre Ladung immer am Ende des Laufes hatte.