ein Interview der WELT mit der deutschen Wissenschaftsministerin auf
http://www.welt.de/daten/2001/11/07/1107ws293879.htx"Unbemannte Raumfahrt liefert mehr Erkenntnisse" (Teil I)
Interview mit Forschungsministerin Edelgard Bulmahn über die Zukunft der europäischen Raumfahrt
Die europäischen Forschungsminister werden sich Mitte November im schottischen Edinburgh zur Esa-Ministerratskonferenz treffen, um über die Zukunft der europäischen Raumfahrt zu beraten. Die deutsche Wissenschaftsministerin Edelgard Bulmahn wird dann turnusgemäß den Vorsitz übernehmen. Welche Weichen sie in dieser Position für die Raumfahrt stellen möchte, erläutert die Ministerin im Gespräch mit Norbert Lossau.
DIE WELT: Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ist der Anteil der Raumfahrtmittel, die der Esa zur Verfügung gestellt werden, in Deutschland mit 70 Prozent besonders groß. Bleibt da nicht zu wenig Spielraum für nationale Akzente in der Weltraumforschung?
Edelgard Bulmahn: Nein, denn gerade die Weltraumforschung ist eine europäische Aufgabe, und man sollte sie auch in enger europäischer Kooperation betreiben. Darin liegt eine große Chance. Außerdem haben wir unser eigenes nationales Raumfahrtprogramm, in dem wir speziell deutsche Stärken fördern. Diese Strategie klappt bisher sehr gut.
DIE WELT: Sind Sie also mit der derzeitigen Verteilung von 70 zu 30 Prozent zufrieden?
Bulmahn: Ich halte diese Aufteilung für richtig. Kein europäisches Land kann sich allein ein eigenes Trägersystem leisten oder eine Raumstation betreiben. Hier ist die Zusammenarbeit einfach unabdingbar. Parallel dazu fördern wir die wissenschaftliche Exzellenz in unserem Land.
DIE WELT: In welchen Bereichen sind denn hier die Deutschen besonders stark?
Bulmahn: Ganz sicher bei der Entwicklung von Satelliten und Messsystemen zur Erdbeobachtung. Deutsche Forscher haben zum Beispiel eine hervorragende Radarkamera entwickelt, die bereits erfolgreich eingesetzt wurde. Ein zweiter Bereich ist die Ariane. Deutschland hat die Verantwortung für die Oberstufe der Rakete. Das Know-how dafür gilt es zu erhalten. Außerdem hat Deutschland auch eine wichtige Rolle inne bei der Herstellung des europäischen Moduls der "Internationalen Raumstation" (ISS).
DIE WELT: Was muss man konkret tun, um die Wettbewerbsfähigkeit der Ariane zu erhalten?
Bulmahn: Wir haben mehrere Probleme mit der Ariane. Zum einen den massiven, auch verzerrenden Wettbewerb zwischen Europa und den USA. Wir haben aber auch einige hausgemachte Probleme. Wenn man diese lösen will, benötigen wir zum einen eine größere Verantwortung der Industrie. Und zum anderen brauchen wir eine klare Trennung zwischen Forschung und Entwicklung, zwischen Produktion und Controlling. Diese klare Teilung der Verantwortung gibt es zurzeit nicht, und das müssen wir ändern. Deshalb wollen wir zu einer Restrukturierung des Trägerraketensektors bei der Ariane kommen. Wenn wir das nicht machen, würden die Kosten ausufern, und wir würden immer wieder von einer Krise in die nächste rennen. Das darf nicht passieren.
DIE WELT: Heißt dies im Klartext, dass Sie lieber weniger Geld für Raumfahrt ausgeben würden?
Bulmahn: Nicht für die Forschung. Aber auch für die Raumfahrt muss gelten, was in anderen Bereichen der Forschung und Wirtschaft selbstverständlich ist. Es können für die Nutzung einer Technologie nicht ständig öffentliche Mittel zur Verfügung gestellt werden. Doch in der Raumfahrt ist noch sehr stark die Denkweise verbreitet, dass alles aus öffentlichen Mitteln finanziert werden müsste, die Forschungsphase, die Entwicklungsphase, die Bauphase und dann auch noch die Betriebsphase. So geht es aber nicht.
DIE WELT: Die Forschung wollen Sie aber auch künftig finanzieren?
Bulmahn: Natürlich. Für die Forschung werden auch in Zukunft in erheblichem Umfang öffentliche Mittel bereitgestellt werden. Ich halte es aber nicht für vertretbar, dass ein Forschungsministerium zum Beispiel die Nutzung eines Navigationssatellitensystems finanziert. Das ist Aufgabe der Nutzer. Auch die Nutzer von Umweltdaten sollten für diesen Service der Raumfahrt selber zahlen. Hier gilt es noch viel Überzeugungsarbeit zu leisten. Ich werde mit Beharrlichkeit und der notwendigen Härte diesen Weg verfolgen.
DIE WELT: In Ländern wie den USA oder Frankreich wird die Raumfahrt doch noch sehr viel stärker subventioniert. Verzerrt das nicht den Wettbewerb?
Bulmahn: Ja, das verzerrt den Wettbewerb. Aber wir stehen hier letztlich in allen Ländern vor einer vergleichbaren Situation. Auch die USA haben erhebliche finanzielle Probleme, ihre Mittel für den Betrieb und den weiteren Ausbau der "Internationalen Raumstation" aufzubringen. Sie versuchen ebenfalls, die Nutzung der "ISS" nicht mehr allein aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren. Das wird von vielen europäischen Ländern unterstützt. Wir wissen doch alle, dass dieses Geld sonst für die Erforschung und Weiterentwicklung bereits vorhandener Technologien fehlt. Deutschland vertritt hier keine Sonderposition. Wir sind uns beispielsweise mit Großbritannien oder Schweden vollkommen einig.
DIE WELT: In Zukunft sollen auch russische Raketen vom europäischen Weltraumbahnhof in Kourou starten dürfen. Was bedeutet dies für den Wettbewerb?
Bulmahn: Es gibt zurzeit Verhandlungen zwischen der Esa und Russland mit dem Ziel, eine bessere Zusammenarbeit in der Raumfahrt zu erreichen. Das bedeutet dann auch, dass russische Trägerraketen von Kourou aus starten könnten. Damit würde das europäische Angebot kommerzieller Starts größer. Es sind aber noch eine Reihe wichtiger Fragen offen.
DIE WELT: Die Europäer werden also die Starts der russischen Raketen vermarkten?
Bulmahn: Ja, wenn die offenen Fragen geklärt sind. Klar ist jedoch, die Ariane darf nicht gefährdet werden.
Teil 2 auf
http://www.welt.de/daten/2001/11/07/1107ws293880.htx"Unbemannte Raumfahrt liefert mehr Erkenntnisse" (Teil II)
Russische Raketen sollen in Kourou starten
DIE WELT: Wann wird die erste russische Rakete in Kourou starten?
Bulmahn: Ganz sicher noch in diesem Jahrzehnt.
DIE WELT: Nicht schon eher?
Buhlman: Die Verhandlungen sind ja noch nicht abgeschlossen. Man wird noch einige Wochen, wenn nicht sogar Monate dazu brauchen.
DIE WELT: Aus Moskau kam auch der Vorschlag, einen gemeinsamen bemannten Raumgleiter zu bauen. Ist das realistisch?
Bulmahn: Der Bau eines gemeinsamen Raumgleiters steht überhaupt nicht auf der Agenda. Im Moment ist es noch viel zu früh, dazu Aussagen zu machen.
DIE WELT: Deutschland trägt innerhalb Europas einen relativ großen Anteil an der Finanzierung der "Internationalen Raumstation". Andererseits hat man den Eindruck, dass im Moment händeringend nach Wissenschaftlern und Firmen gesucht wird, die da doch bitte in der Schwerelosigkeit irgendetwas forschen sollen. Für die Wissenschaft scheint die "ISS" also gar nicht so attraktiv zu sein?
Bulmahn: Doch, es gibt ein großes Interesse in der Wissenschaft selbst. Aber es ist schon enttäuschend festzustellen, dass die Bereitschaft von Firmen und Wissenschaftsorganisationen so gering ist, die Nutzung dieser Laborkapazitäten im All für die Forschung zu finanzieren. Es gibt bisher zu wenige wirkliche Zusagen, wo wir mit einer Gegenfinanzierung rechnen dürfen. Deutschland beteiligt sich nämlich sehr stark an der "ISS": Wir finanzieren 41 Prozent des europäischen Anteils. Außerdem haben meine Vorgänger Deutschland auch dazu verpflichtet, auf Dauer fast 38 Prozent unserer fixen Betriebskosten zu tragen. Ich habe es zwar in der letzten Ministerrunde geschafft, den Anteil an den variablen Betriebskosten immerhin auf 25 Prozent herunterzuhandeln, was eigentlich dem deutschen Anteil am europäischen Programm entspricht.
DIE WELT: Dieses Desinteresse an der "ISS" bestärkt Sie wohl nicht gerade in dem Gedanken, dass bemannte Raumfahrt sinnvoll ist?
Bulmahn: Unter Forschungsgesichtspunkten halte ich die unbemannte Raumfahrt in der Tat für erheblich interessanter. Sie können mit unbemannten Missionen wesentlich weiter in den Weltraum vordringen und dadurch viel mehr neue Kenntnisse gewinnen. Auch unter technologischen Gesichtspunkten bietet die unbemannte Raumfahrt - zum Beispiel für die Entwicklung von Robotern - ein attraktiveres Umfeld. Allerdings ist die bemannte Raumfahrt für viele Menschen einfach deshalb interessanter, weil sie sich mit ihr besser identifizieren können.
DIE WELT: Die Industrie hat ja vorgeschlagen, die "ISS" für Shows oder TV-Sendungen aus dem All zu nutzen. Wäre das eine denkbare Form der Refinanzierung?
Bulmahn: Ich gebe die Vorstellung noch nicht auf, die "ISS" vor allem für exzellente Forschung zu nutzen. Wenn sich aber herausstellt, dass wir tatsächlich sehr viel freie Kapazität haben, dann könnte ich mir auch andere sinnvolle Projekte vorstellen. Eine Wissenschaftsshow oder Bildungssendung aus dem All etwa. Das muss man aber im Einzelfall entscheiden.
DIE WELT: Auf der Esa-Ministerratskonferenz werden Sie den Vorsitz übernehmen. Was werden die wichtigsten Ziele sein, die Sie aus dieser Position heraus erreichen wollen?
Bulmahn: Der erste wichtige Punkt ist die bereits angesprochene Restrukturierung des Trägersektors. Mein zweites Ziel ist, dass die Nutzung von Raumfahrtechnologien nicht auf Dauer aus Forschungsmitteln finanziert wird. Das können wir jedoch nur Schritt für Schritt erreichen. Ein drittes Ziel ist, den Erfolg des europäischen Satellitennavigationssystems Galileo sicherzustellen. Und schließlich strebe ich eine bessere Koordinierung der EU-Forschungspolitik und der Aktivitäten der Esa an. Die Annäherung von Esa und EU ist kein leichtes Unterfangen, denn die Esa umfasst ja nicht nur EU-Mitglieder, sondern zum Beispiel auch die Schweiz und Kanada.
DIE WELT: Sie wollen sich für Galileo einsetzen. Fällt dies überhaupt in Ihre Zuständigkeit? Wäre dies nicht eine Sache der Industrie?
Bulmahn: Die Bundesregierung ist hier durchaus gefragt, weil es sich ja um ein völlig neues Satellitensystem handelt. Die Forschungs- und Teile der Entwicklungsphase werden daher über die Esa abgewickelt und auch finanziert. Der anschließende Betrieb soll hingegen Sache der Industrie sein.
DIE WELT: Doch es ist eine politische Entscheidung, dass die Europäer mit Galileo überhaupt ein eigenes Satellitennavigationssystem anstreben? Schließlich gibt es ja schon das GPS der Amerikaner, das wir ja nutzen können.
Bulmahn: Ja. Es ist letztendlich eine politische Entscheidung, und ich glaube, dass wir gerade in der heutigen Zeit ein ziviles Navigationssystem brauchen. Dieses hat nämlich den Vorteil, dass Daten wirklich in vollem Umfang zur Verfügung stehen und dass sie auch ohne zeitliche Unterbrechung zur Verfügung stehen.
DIE WELT: Warum wünschen Sie sich eine stärkere Annäherung zwischen Esa und der EU?
Bulmahn: Ich will das an einem Beispiel verdeutlichen. So macht es keinen Sinn, wenn wir in der EU ein groß angelegtes Umwelt- oder Verkehrsforschungsprogramm auflegen, das nicht mit der Esa koordiniert wird. Innerhalb der Esa wird nämlich auch ein großes Erdbeobachtungsprogramm durchgeführt, wo es teilweise um identische Fragestellungen geht.
DIE WELT: Verbinden Sie mit Weltraumtechnik auch den Begriff Big Brother?
Buhlman: Ich kann schon verstehen, dass sich hier einige Menschen Sorgen machen. Doch für die Weltraumtechnik gilt wie für viele andere Technologien: Man kann sie zum Nutzen, aber auch zum Nachteil der Menschen einsetzen. Wie wir gesehen haben, kann man sogar Passagierflugzeuge missbrauchen, um andere Menschen zu ermorden. Das verdeutlicht die Ambivalenz. Wichtig ist im Fall des Weltraums, dass wir internationale Vereinbarungen haben und dafür Sorge tragen, dass sie auch eingehalten werden. Das wird in Zukunft sicherlich eine noch viel größere Rolle spielen als im letzten Jahrhundert.
DIE WELT: Würden Sie selber gern einmal ins All fliegen?
Bulmahn: Was ich sicherlich gern machen würde, ist, einen Blick auf die Erde aus dem Weltall zu werfen. Diese Bilder finde ich faszinierend. Sie zeigen, wie einzigartig und verletzlich unser Planet ist und wie klein. Da leben viele Menschen und Kulturen eigentlich sehr nahe beieinander. Das wäre bestimmt ein Erlebnis, das man nie mehr vergisst.