Lieber Yevgen
Niemand wird sich wegen eines Pickels das Gesicht zerschlagen lassen. Allerdings wird dir jeder Chirurg bestätigen, dass es bei zu schweren Verletzungen unumgänglich ist, verletzte Körperteile zu amputieren.
Die ISS bereitet schon jetzt einen riesigen Nutzen? Wie das? Bisher ist die Station mit nie mehr als 3 Personen bemannt gewesen. Bei der Größe der ISS werden aber schon jetzt mindestens 2 Personen benötigt, um die Station überhaupt in Betrieb zu halten. Daneben konnten in den letzten 2,5 Jahren (seid dem Absturz der Columbia) kaum noch neue Experimente zu ISS transportiert werden. Was soll da bitte bisher an Experimenten durchgeführt wurden sein, die einen riesigen wissenschaftlichen Nutzen gebracht haben? In Bezug auf bemannte Raumfahrt (Langzeitaufenthalte) hat die wesentlich kleinere Mir 100-mal mehr Ergebnisse gebracht. Um mal die Kosten zu verdeutlichen: Bisher hat die ISS 85 Milliarden Dollar gekostet, dazu kommen jährlich mindestens weitere 4 Milliarden Dollar für den Betrieb der Shuttles und noch die Betriebskosten der Station. Ein Volumen von weit über 100 Milliarden Dollar also.
Niemand wird in Frage stellen, dass medizinische Forschung Sinnvoll ist. Aber wie schon geschrieben, hätte dazu eine wesentlich kleinere Station genügt. Keine Riesenstation, die auf ein derartig fragiles System wie den Shuttle angewiesen ist. Schon 1986 haben wir ja erlebt, wie Challenger das Shuttle System für 2,5 Jahre an den Boden gefesselt hat. Alle Forschungen, die keine Menschen benötigen, würden sich unbemannt wesentlich billiger betreiben lassen.
Der Vergleich ISS mit der Jupitersonde Galileo ist ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Bei Galileo konnte die Hauptantenne nicht entfaltet werden, dadurch musste die ganze Mission nur mit einer Niedriggewinnantenne durchgeführt werden. Im Gegensatz zur ISS hätte es für Galileo Hilfsmöglichkeiten gegeben, die allerdings aus Kostengründen nicht möglich waren. So hätte man für 400 Mio einen zusätzlichen Kommunikationsorbiter zum Jupiter schicken können, der die Signale von Galileo aufnimmt und mit voller Datenrate zur Erde sendet. Damit wäre die Mission in vollem Umfang durchführbar gewesen (und man hätte nicht nur 1/100 der geplanten Bilder bekommen). Aber wegen den Kosten eines einzigen Shuttlefluges wurde Galileo praktisch geopfert.
Was Rettungsmöglichkeiten für die ISS betrifft: Natürlich könnte man die Module auch ohne Shuttle starten (auf Proton, Ariane 5 oder Delta 4). Sogar das koppeln wäre noch machbar. Aber wer soll die Module dann an die ISS montieren (Leitungen zusammenfügen, die Module zentrieren usw)? Mit den EVA Kapazitäten der Station selber ist das nicht möglich.
Man kann es drehen wie man will. Die ISS ist aus politischen Gründen viel zu groß gebaut. Dazu ist ohne Shuttle ein Weiterbau, oder auch ein sinnvoller Betrieb (bei dem die Crew mehr zu tun hat als nur die Station zu warten), nicht möglich. Ehe man jetzt noch mal 10 Milliarden aus dem Fenster wirft, um ein völlig fehlgeplantes Konzept zu retten, sollte man es lieber zu den Akten legen und etwas neues, wirtschaftlich tragbares entwickeln. Man kann dazu soviel Know How der ISS verwenden wie möglich und sich an den erfolgreichen Skylab bzw. Salut / Mir Programmen orientieren.
Meiner Meinung nach werden die Shuttles nicht wieder fliegen. Man hat es in 2 Jahren nicht geschafft, das Problem zu beheben. Es ist auch nicht so einfach wie bei Challanger, als man die kritischen Dichtungen mit einer neuen Konstruktion ersetzen konnte. Anders als bei Challanger ist die Ursache eine generelle Designschwäche des Außentanks. In wie weit sich die ohne komplette Neuentwicklung des Tankes beheben lässt, kann man noch nicht beurteilen.
Vor allem gehen in den USA die Bestrebungen sowieso dahin, den Shuttle so schnell es geht aus dem Verkehr zu ziehen. Und auch der ISS kann die aktuelle Regierung überhaupt nichts abgewinnen.
Es gibt auch kein System, das den Shuttle ablösen könnte. Alle Entwicklungen in dieser Richtung sind gescheitert, weil man Ende der 90er auf ein System setzte, das technologisch nicht möglich war (Venture Star). Heute ist man so weit, das man einen Nachfolger nur noch zum Personentransport plant und nicht zum Transport der Nutzlast. Aber das hilft der ISS auch nicht weiter.
Man kann nur hoffen, dass die NASA so vernünftig ist, jetzt einen Schlussstrich zu ziehen und die Shuttles in Rente zu schicken. Ansonsten gibt es vielleicht noch vor dem Ende des ISS Aufbaus das nächste Unglück.