Hallo James,
Orbitmechanik ist leider sehr komplex und nicht leicht zu erklären und beschreiben. Ich versuche mal ein paar Dinge zu erläutern, auch wenn es sehr mathematisch wird. Roger hat schon einiges sehr gut erklärt.
Knotenlinie und deren DrehungDie Knotenlinie schaust du dir bitte am besten
hier an. Um es etwas zu vereinfachen nimm an das die dargestellte Sonne unsere Erde ist. Dann kannst du annehmen, dass die grüne Ebene die Äquatorebene ist, während blau die Orbitebene von Satelliten/ISS/Shuttle/Hubble darstellt. Der Schnittpunkt dieser beiden Ebenen ist die Knotenlinie. Die Neigung von blauer Ebene gegenüber grüner Ebene ist die Inklination. Dann müssen wir uns die z-Achse der Erde denken: diese beginnt im gelben Punkt, zeigt nach oben und steht senkrecht auf der grünen Ebene (und ist damit die Polachse welche zum Nordpol zeigt). Um die Knotenlinie zu drehen, kann man nun z.B. die blaue Ebene um die z-Achse drehen und erhält damit eine neue Orbitebene, sagen wir die hat die Farbe rot. Damit dreht sich auch die Knotenlinie in der blauen Ebene und es ändert sich der Winkel gross_omega (Druckbuchstabe). Die Achse mit dem seltsamen "Y" (das ist das Zeichen für den Frühlingspunkt) ist immer fest und zeigt stets in die gleiche Richtung zum Frühlingspunkt).
Zum delta-v BedarfDie neue gedrehte rote Orbitebene und die alte blaue Orbitebene schneiden sich ebenfalls in einer Linie. Und an zwei Punkten, den Schnittpunkten der beiden Orbits, können sich die Satelliten begegnen oder auch zusammenprallen (wir nehmen das erstere an). Das heisst, zu einem Zeitpunkt sind die Satelliten von Orbit blau und Orbit rot an der gleichen Position. Wir nehmen weiterhin an, beide Orbits sind kreisförmig und haben den gleichen Abstand zum Erdmittelpunkt. Damit ist die Geschwindigkeit der beiden Satelliten immer konstant und identisch. Und somit auch an der Stelle an welcher sie sich begegnen. Allerdings ist die Richtung verschieden. So könnte es z.B. sein dass sich beide rechtwinklig wie an einer Kreuzung begegnen. Der Winkel zwischen beiden Geschwindigkeiten ist nun entscheidend. Nennen wir den Winkel alpha. Ein Orbit definiert sich also immer aus Positionsvektor und Geschwindkeitsvektor!
Weiterhin sei die ISS der blaue Satellit und das Hubble der rote. Das Shuttle ist beim Hubble auf dem roten Orbit und möchte nun zur ISS auf dem blauen Orbit. Wenn sich Hubble und ISS begegnen, bietet sich nun die Gelegenheit sozusagen "umzudocken".
Das beötigte delta-v ergibt sich aus:
delta-v = 2*sin(alpha/2)*v
wobei v hier die Geschwindigkeit des Shuttles ist und alpha der Winkel zwischen den Geschwindigkeitsvektoren von Hubble=Shuttle und ISS. Vor dem Manöver ist Vektor(v_Shuttle)=Vektor(v_Hubble) und danach ist Vektor(v_Shuttle)=Vektor(v_ISS). Der absolute Betrag ist von allen drei immer gleich.
Im übrigen ist es egal ob die Knotenlinie gedreht oder die Inklination geändert wird, das delta-v wird davon nicht beeinflusst. Es kommt nur auf Geschwindigkeit und Winkeländerung an.
KreisbahngeschwindigkeitUm das zu berechnen benötigen wir den Gravitationsparameter der Erde (mu), welche sich aus der universellen Gravitationskonstante (gamma) und der Masse der Erde (m_Erde) ergibt:
mu=gamma*m_Erde (rund 400000 km
3/s
2)
Weiter brauchen wir Erdradius (r_Erde = 6378km) und Höhe über der Erdoberfläche (angenommen 9622km). Damit ergibt sich ein Radius von 16000km. Bei einem Kreisorbit ist der Radius des Kreises gleich der grossen Halbachse a:
a = r = r_Erde + Höhe = 6378km + 9622km = 16000km.
Die Kreisbahngeschwindigkeit errechnet sich so:
v_Kreis = Wurzel(mu/a) = Wurzel(400000km
3/s
2 / 16000km) = Wurzel(25km
2/s
2) = 5 km/s
Nehmen wir an das ist die Geschwindigkeit von Hubble/ISS/Shuttle. Schneiden sich die Orbits wie vorher beschrieben rechtwinklig (alpha=90°), ergibt sich folgendes delta-v für das Shuttle um den Orbit zu wechseln mit der Formel von weiter oben:
delta-v= 2*sin (alpha/2)*v_Kreis= 2*sin(90°/2)*5km/s = 1.4142*5km/s= 7.071km/s .
Die Geschwindigkeit muss um circa das 1.4-fache der eigenen Geschwindigkeit geändert werden um sozusagen eine 90°-Kurve zu fliegen. Für 180° sind es genau 2*v_Kreis.
TreibstoffverbrauchNun wollen wir noch wissen wieviel Treibstoffmasse dafür benötigt wird.
Die Ausströmgeschwindigkeit c_e eines Triebwerks errechnet sich aus dem spezifischen Impuls (i_sp) und der Gravitationsbeschleunigung auf der Erdoberfläche (g=9.81m/s
2):
c_e = i_sp * g (also rund 10 * i_sp)
Chemische Triebwerke haben ein c_e von etwa 3000m/s bis 4000m/s, elektrische Triebwerke wie das von SMART1 etwa 16000m/s. Der Treibstoffverbrauch ergibt sich aus der Raketengleichung:
delta-v = c_e * LN(m1 / m2).
m1 ist hier die Masse des Shuttles mit Treibstoffmasse, also vor dem Manöver, und m2 heisst ohne dies Treibstoffmasse, welche beim Manöver verbraucht wird:
m_Treibstoff = m1 - m2.
Die Raketengleichung muss noch umgestellt werden:
m1 = m2*e
(delta-v/c_e oder direkt die Treibstoffmasse:
m_Treibstoff = m2 * (e
(delta-v/c_e) -1).
Für ein chemisches Triebwerk mit c_e = 3000 m/s und mit einer Leermasse des Shuttles von 100t (=m2) ergibt sich bei einem delta-v von 7071m/s:
m_Treibstoff_chemisch = 100t * (10.56 - 1) = 956t.
Mit elektrischen Triebwerken ergibt sich
m_Treibstoff_elektrisch = 100t * (1.56 - 1) = 56t.
Diese Treibstoffmassen müsste das Shuttle also geladen haben, na ob das alles in die Payloadbay passt?
Die Zahlen sprechen ja für sich.
In einer zweiten Rechnung wollen wir ermitteln, wieviel Treibstoff an Bord des Shuttle sein müsste, falls der Treibstoff schon in den 100t Masse enthalten ist. Also wieviel Masse hat das Shuttle hinterher, oder wieviel Masse könnte für Nutzlast, Struktur, Astronauten zur Verfügung stehen. Hier ist m1=100t, und wir suchen m2, die Masse danach bzw. m_Treibstoff = m1 - m2:
m_Treibstoff = m1 * ( 1 - 1/ e
(delta-v/c_e))
Somit ergibt sich:
m_Treibstoff_chemisch = 100t * (1 - 1/10.56) = 90.53t oder eine Leermasse von m2=9.47t
m_Treibstoff_elektrisch = 100t * (1- 1/1.56) = 35.90t oder eine Leermasse von m2=64.10t
Das Shuttle hat chemische Triebwerke, und müsste somit für dieser Manöver über 90 t Treibstoff geladen haben, bei einer Masse von nur 9.47t für die gesamte Struktur, Antrieb, alle Astronauten, Instrumente usw. plus einer eventuellen Nutzlast. Das Shuttle wäre ein fliegender Treibstofftank.
Mit elektrischen Triebwerken sieht das ganze besser aus, mit nur 35.9t Treibstoff, also etwa 1/3 des Gesamtgewichts. Abgesehen von den Treibstoffmassen müsste dieses Umdockmanöver auch sehr schnell erfolgen, sonst ist das Ziel vorbei geflogen. Der Schub muss sehr hoch sein und errechnet sich vereinfacht so (die Masse ist natürlich nicht konstant):
Schub = Masse * delta-v / delta-Zeit
Mit, sagen wir 10s Triebwerkszünddauer und bei 100t ergibt sich mit einem delta-v von 7071m/s ein benötigter Schub von 70.71MN (Mega-Newton). Ein SSME vom Shuttle, welches 3 solcher Triebwerke hat, liefert etwa 2MN Schub.
Scönen Abend wünscht Cosmo