Frühe sowjetische Raumsonden

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Frühe sowjetische Raumsonden
« am: 04. September 2012, 23:48:03 »
1963/1964 startete die Sowjetunion vier Raumsonden mit dem ungewöhnlichen Namen SOND (Zond, Sonde). Bis dahin hatte alle Tiefraummissionen der Sowjets die zielführenden Namen LUNA (Mond), MARS (Mars) und WENERA (Venus) erhalten.
Über die Sonde - Flüge (offiziell gab es nur Sond-1,2) gab es jahrzehntelang nur widersprüchliche und spärliche Informationen.
Bart Hendrickx, ein belgischer Raumfahrthistoriker und Dr. Asif Siddiqi, Autor des bahnbrechenden Werkes "Challenge to Apollo" (Geschichte der bemannten sowjetischen Raumfahrt bis Buran-Programm), haben nun jüngst veröffentlichte Regierungsdokumente aus dieser Zeit studiert und neue Erkenntnisse über die geheimnisumwitterten Sond-Missionen gewonnen.
Es geht um folgende Starts:
11.11.1963 3MW-1A Nr.1 (Kosmos 21)
19.02.1964 3MW-1A Nr.4A
27.03.1964 3MW-1 Nr.5 (Kosmos 27)
02.04.1964 3MW-1 Nr.4 (Sond 1)
30.11.1964 3MW-4 Nr.2 (Sond 2)
Alle Starts erfolgten in Baikonur mit der Molnija-Trägerrakete. Die Molnija war damals äußerst unzuverlässig, es mißlangen mehr Starts als gelangen.
Bei den Missionen Kosmos 21 und Kosmos 27 versagte die Oberstufe Block-L , weswegen die Tarnbezeichnung "Kosmos" anstelle "Sond Nr." vergeben wurde, beim Start am 19.2.1964 wurde noch nicht einmal die Erdumlaufbahn erreicht (Fehlfunktion 3.Stufe, Block-I), weswegen der Start damals völlig verschwiegen wurde.
Jahrzehnte später gab es karge Informationen zu diesen Flügen. Kosmos 21 sollte am Mond vorbeifliegen und ihn fotografieren (wie später Sond-3), die Sonde vom 19.2.1964 sollte an der Venus vorbeifliegen, und Kosmos 27 sollte einen Landebehälter auf der Venusoberfläche absetzen (Aufprall auf der Oberfläche, analog Luna-2 1959).
Hendrickx und Siddiqi haben nun neue Informationen zusammengetragen.
Nach dem Debakel der 2MW-Serie 1962 (von 6 Sonden ging nur eine, Mars 1, auf Kurs) forderte Ustinow, der zuständige ZK-Sekretär, vor der nächsten Serie von Raumsonden (3MW) zur Venus und zum Mars, den Einsatz von zwei bis drei "Verifikationssonden" ("Objekt-Sond") zur Überprüfung der technischen Lösungen. Dadurch sollte die Fehlerquote gesenkt werden.
Die Testflüge von "Objekt-Sond" (Prototypen der 3MW-Serie) sollten auf ungewöhnliche Bahnen führen. Zwei Sonden sollten auf heliozentrische Bahnen in Erdabstand mit 5 Grad Neigung zur Ekliptik gelangen. Diese Bahn führte die Sonden nach einem halben Jahr wieder zur Erde zurück. Dort sollte dann testweise eine 270 kg schwere Landekapsel abgesetzt werden, wie sie für die Venus- und Marsmissionen vorgesehen war. Das wären die ersten Objekte gewesen, die mit 2. kosmischer Geschwindigkeit zur Erde zurückkehrt wären.
Eine weitere Sonde sollte sich bis auf 200 bis 300 Millionen Kilometer von der Erde entfernen, um die Kommunikation im Tiefraum zu erproben. Daneben ging es darum, die Zuverlässigkeit der Rakete Molnija und der Oberstufe Block-L zu verbessern.
Das erste „Objekt-Sond“ startete am 11.11.1963, verblieb aber als Kosmos 21 in einer erdnahen Bahn anstelle auf einen heliozentrischen, inklinierten Orbit zu gelangen. Der Fehlstart vom 19.2.1964 sollte nicht zur Venus führen, wie jahrelang behauptet wurde. Das Venus-Startfenster war erst Ende März/Anfang April 1964. Zur Venus starteten somit Kosmos 27 (mißlungene Venussonde) und Sond-1. Beide Fahrzeuge verfügten über eine Kapsel zum Aufschlag auf der Venusoberfläche. Sond-1 wurde während des Fluges undicht, konnte aber noch automatisch zwei Bahnkorrekturen ausführen, bevor die Sonde ausfiel. Von der Landekapsel wurden bis zum 25.5.1964 Signale empfangen. Die tote „Sond-1“ zog am 19.7.1964 in 110.000 km an der Venus vorbei.
Die Sonde vom 19.2.1964 war das zweite „Objekt-Sond“ und diente der Erprobung der Tiefraumkommunikation. Sie könnte aber auch eine Landekapsel getragen haben.
Ein drittes „Objekt-Sond“ war ursprünglich für April/Mai 1964 geplant, wurde aber nicht gestartet.
Sond-2 flog zum Mars. Es wurde angenommen, daß es sich um ein baugleiches Modell zu Sond-3 handelte, die später die Mondrückseite fotografierte. Tatsächlich sollte sollte Sond-2 auf dem Mars aufschlagen und einen Wimpel als symbolische Handlung absetzen. Zu dem Zeitpunkt, als die Sonde weitgehend fertiggestellt war, stellte sich heraus, daß die Marsatmosphäre weitaus dünner als von den sowjetischen Wissenschaftlern angenommen, war. Die Herstellerfirma OKB-1 war aber mit wichtigeren Aufgaben (Raumschiff Woschod) mehr als ausgelastet und konnte bis zum Ende des Startfensters die Sonde nicht mehr umkonstruieren. Daher fiel die Entscheidung, anstelle einer wissenschaftlichen eine symbolische Mission zum Mars zu starten. Aber auch Sond-2 erreichte die Marsoberfläche nicht. Zunächst enfalteten die Solarzellenflächen nicht vollständig. Eine notwendige Kurskorrektur am 15.12.1964 konnte dadurch nicht durchgeführt werden. Später brach die Thermoregulation von Sond-2 zusammen und der Kontakt brach ab. Am 6.8.1965 zog die schweigende Sond-2 am Mars vorbei.