Habe heute einen sehr interessanten Artikel über XMM-Newton gelesen:
https://www.theregister.co.uk/2020/05/01/xmm-newton/Die Mission wurde bereits 1999 auf einer Ariane 5 gestartet, hatte eine 2jährige Primärmission und man hoffte das Weltraum-Röntgen-Teleskop bis zu 10 Jahre betreiben zu können.
In dem Artikel wird ausgiebig beschrieben, wie es gelang die Betriebszeit deutlich zu verlängern.
Quelle: The Register"4-Wheel-Drive"Ein besonders limitierender Faktor (nach jetzt über 20 Jahren Betrieb) ist der verfügbare Treibstoff.
Die Ausrichtung und Nachführung des Teleskops erfolgt über Reaktionsräder.
Ursprünglich wurden drei Drallräder genutzt und ein viertes diente als ungenutztes Backup.
Allerdings müssen die Räder nach einer gewissen Zeit "entsättigt" werden und dafür müssen die RCS-Triebwerke eingesetzt werden.
Ab 2008 hat man sich Gedanken gemacht, wie man die Betriebszeit weiter verlängern könne.
Nach unzähligen Simulationen und Tests an Ingenieursmodellen, nachdem man ursprüngliche Programmierer und Ingenieure aus der Rente zurückgeholt hatte, wurde die Betriebssoftware dahingehend angepasst, dass mit allen vier Drallrädern gleichzeitig die Lage kontrolliert wird.
Das hat den Effekt, dass wesentlich seltener die Triebwerke zum Einsatz kommen müssen,
man spart die Hälfte des nötigen Treibstoffs!Als weiterer positiver Nebeneffekt konnte man die Drehzahl der einzelnen Räder reduzieren.
Dadurch reduziert sich die Reibung und der Verschleiß, so dass hier bereits beobachtete Probleme zurückgegangen sind bzw. seit dem nicht mehr in bedenklichem Maße auftreten.
Es wurde auch erwähnt, dass auch ein möglicher Safe Mode erheblichen Treibstoffverbrauch verursacht.
Pauschal ist ein Safe Mode pro Jahr einkalkuliert.
Kann man in einem Jahr einen Safe Mode komplett vermeiden, verlängert sich die Treibstoffreserve bzw. die geschätzte Betriebszeit
um ein halbes Jahr!Zwischenzeitlich hat man an den Instrumenten, die ansonsten alle noch funktionieren, eine leichte Verschmutzung festgestellt.
Diese beeinträchtigt auch nach entsprechenden Hochrechnungen die Qualität der Messungen auch auf längere Sicht nicht merklich.
Momentan schätzt man, wenn nicht etwas unvorhergesehenes geschieht, dass XMM-Newton noch bis ca. 2030 betrieben werden kann.
Und man arbeitet an weiteren Verlängerungsoptionen.
Treibstoff (nachfüllen?)So besteht das Treibstoffsystem aus mehreren Tanks, einem Haupttank und mehreren Zusatztanks, die über Leitungen verbunden sind.
Im Normalbetrieb wird bei Nutzung der Triebwerke Treibstoff aus dem Haupttank verbraucht und aus den Zusatztanks strömt etwas nach.
Man kann sich vorstellen, dass wenn der Überdruck im Tanksystem aufgebraucht ist, eine gewisse Restmenge ungenutzt in den Zusatztanks verbleiben würde (Pumpen sind keine vorhanden).
Inzwischen hat man festgestellt, wenn man zum richtigen Zeitpunkt die Zusatztanks mit den sowieso vorhandenen elektrischen Heizern ein paar Grad höher temperiert als den Haupttank, dass dann mehr Flüssigkeit in den Haupttank fließt als ohne Beheizung.
Das brachte schon wieder ein paar zusätzliche Jahre Betriebszeit.
Allerdings bleibt man dabei nicht stehen, man arbeitet momentan bereits am nächsten Schritt.
Man hat nämlich in Zusammenarbeit mit den Ingenieuren von Airbus (vor langem wurde XMM-Newton mal noch von Dornier gebaut!) herausgefunden, dass wenn man gezielt den Haupttank erhitzt, die komplette Flüssigkeit durch entstehendes Gas in die Zusatztanks verdrängt und dann das ganze umkehrt noch mehr Flüssigkeit in den Haupttank transportiert werden kann als mit der vorher beschriebenen Methode!
Das klingt für mich (auch als Ingenieur
) ungemein spannend, vor allem, wenn etwas schiefgeht, dann hat man u.U. gar keinen Treibstoff mehr im Haupttank ("Game Over").
Dieses Verfahren soll erstmals am
15. Juni diesen Jahres getestet werden, man darf also gespannt sein wie es mit XMM-Newton weitergeht!
Wenn das Verfahren klappt und auch sonst alles gut läuft, hoffen die Wissenschaftler XMM-Newton noch bis zur Einsatzreife des Nachfolgers ATHENA, der 2031 starten soll, betreiben zu können.
Idealerweise mit ein paar Jahren Überlappung, um eine Querkalibrierung zu ermöglichen.
Aber das ist erst mal Wunschdenken, denn es kann auch ganz schnell gehen!
Wie 2008, als man den Funkkontakt zu XMM-Newton verlor, nachdem (wie sich dann herausgestellt hatte) ein interner Schalter nicht richtig umgeschaltet hat.
Man konnte die Funkverbindung wieder herstellen und hat seit dem diesen Schalter auch nicht mehr benutzt.
Aber es ist ja nicht der einzige Schalter den man u.U. mal braucht....
Viele gespannte Grüße
Rücksturz